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äufig kommt es in Arztpraxen zu Verordnungen, die nach der gelten- den Sprechstundenbedarfsverein- barung unzulässig sind. Schnell ist ein Einmalrasierer zu viel abgerechnet, wer- den Rezepte für gebrauchte Reagenzien mit an die zuständige Krankenkasse wei- tergereicht.Während die meisten Praxen die darauf folgenden Regressforderun- gen der Krankenkassen widerspruchslos zahlen, gehen einige wenige bis in die letzte Instanz: den Beschwerdeausschuss (§ 106 Absatz 5 Satz 3 SGB V). Wer die- sen beschwerlicheren Weg einschlägt, will meistens nicht hinnehmen, dass sei- ner Meinung nach wirtschaftliches Han- deln in der Praxis bestraft wird.So erging es der Gemeinschafts- praxis Dres. med. Thorsten Kleinfeld* und Bernd Dietrich*. Die beiden Fach- ärzte für Neurologie und Psychiatrie er- hielten Anfang 2001 ein Schreiben vom Prüfungsausschuss für Sprechstunden- bedarf der Ärzte und Krankenkassen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Westfalen-Lippe, in welchem sie auf unzulässige Sprechstundenbedarfsarti- kel im Wert von 823,57 Euro für das Quartal I bis IV 1999 hingewiesen wurden. Die Arbeitsgemein- schaft der Verbände der Kran- kenkassen in Westfalen-Lip- pe war bei ihrer jährlichen Überprüfung der Sprech- stundenbedarfsverordnun- gen der Arztpraxen auf Artikel wie Sterican-Ka- nülen, sterile Handschuhe, Einmalspritzen, Kolben und Pajunk-Kanülen gestoßen, die nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM), A1, Punkt 2, 3. Spiegelstrich, bereits in den berechnungsfähigen Lei- stungen enthalten sind. Die Neurolo- gen waren zwar bereit, die Preise für
Kanülen und Spritzen umgehend zu bezahlen, weigerten sich jedoch ge- gen die Übernahme der Kosten für die sterilen Handschuhe und die Pajunk- Kanülen in Höhe von 455 Euro. Be- gründung: Diese hätten sie für so ge- nannte Liquorpunktionen benötigt, ei- ne Untersuchung des Nervenwassers im Rückenmark der Patienten. Bei dieser speziellen Untersuchung werde der Patient in der Regel stationär ein- gewiesen. Als Praxisbesonderheit führ- ten sie die Liquorpunktion jedoch cir- ca 50-mal jährlich ambulant durch.
Die Erfahrung hätte gezeigt, dass es bei der von ihnen angewandten Methode viel seltener zu postpunktuellen Kopf- schmerzen käme. Hierüber
hätten jedoch wiederholt Patienten nach stationär durchgeführter Punk- tion geklagt und da- durch sogar bis zu
einer Woche im Krankenhaus bleiben müssen. Zudem spare die ambulante Durchführung bei niedrigen Material- kosten und kurzer Behandlungsdauer den Kassen viel Geld, weil die Durch- schnittskosten für eine stationäre Lum-
balpunktion mit Folgekosten weit mehr als 500 Euro pro Patient betrügen.
Nicht zuletzt, so die beiden Ärzte, ver- dienten sie selbst an der Untersuchung nichts, da die 308 Punkte, die der EBM für diese Punktion ansetze, in das grüne Budget fielen, das sie ohnehin über- schritten hätten. „Gerade in einer Zeit, in der allerorts gerechnet wird, kann ich es nicht verstehen, dass wirtschaftliches Handeln wie das unsrige noch bestraft wird“, so die Reaktion Kleinfelds auf die Zahlungsaufforderung.
Keine Frage der Wirtschaftlichkeit
Anders sieht Joachim Bathe, Abtei- lungsleiter der Dortmunder Geschäfts- stelle des Prüfungsausschusses, den Vor- gang: „Ob wirtschaftlich oder nicht, ist hier nicht die Frage. Man kann nicht einfach die Sprechstundenbedarfsord- nung umgehen.“ Dass dies nicht immer sinnvoll sei, wisse er auch. Dennoch würden bei rund 1 000 Fällen von un- zulässigen Verordnungen jährlich die meisten die an sie gestellte Regressfor- derung umgehend zahlen.
Während die Gemeinschaftspraxis den Regress für 1999 beglich, blieb sie im zweiten Jahr in Folge hart.
Wieder hatte der Prüfungsausschuss für Sprechstundenbedarf der Ärz- te und Krankenkasse unzulässige Verordnungen festgestellt, dies- mal in Höhe von 482,51 Euro.
Darin enthalten waren erneut die Kosten für Pa- junk-Kanülen. Dass es sich bei der Regress- forderung um keinen großen Betrag han- delt, ist Kleinfeld be- wusst. Den beiden Ärz- ten geht es diesmal ums Prinzip. Sie gehen davon aus, dass der Vorgang, nach- dem er im Widerspruchsaus- schuss behandelt worden ist, anschließend in den Beschwerde- ausschuss geht. Dort haben die beiden Ärzte nochmals die Möglichkeit, vor ei- nem unabhängigen Referenten ihr An- liegen vorzutragen. Ob sich der Auf- wand lohnt, ist zweifelhaft. Bathe glaubt nicht daran. Martina Merten P O L I T I K
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A820 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 1328. März 2003
Arzt und Praxis
Für mehr Flexibilität
Die Regelungen der Sprechstundenbedarfsordnung halten viele Ärzte nicht für sinnvoll. Ein Beispiel aus der Praxis
In der Rechtsfalle
* Namen von der Redaktion geändert