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Archiv "Ethische Perspektiven des retroviralen Gentransfer" (25.06.1990)

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D ie Hämatologie/Onkolo- gie versucht heute auch mit molekularbiologi- schen Techniken ihren krebs- kranken Patienten zu helfen.

Nachdem in den letzten Jahren die Cytokine und Wachstums- faktoren zu neuen Hoffnungs- trägern der Hämatologen wur- den, rückt nun auch die Genetik - genauer gesagt die Molekular- genetik - in den Mittelpunkt des Interesses vor.

Der spektakuläre Einsatz von genetisch veränderten Lym- phozyten bei Melanompatien- ten in den US-amerikanischen National Institutes of Health (NIE') ließ nicht nur die Fach- welt aufhorchen. Steven Rosen- berg und seine Mitarbeiter markierten mit Interleukin-2 ak- tivierte Lymphozyten, indem mittels sogenannter „Vektoren"

(Plasmiden mit retroviralen Se- quenzen) ein bakterielles Anti- biotika-Resistenz-Gen in das Lymphozytengenom integriert wurde. - Allerdings war ei- ne solche gentechnologische Markierung ohne direkten thera- peutischen Nutzen für den Pa- tienten. Sie sollte jedoch zeigen, wohin die lymphokin-akti-

1. Normativ oder deskriptiv — Gibt es eine wirklich neutrale Beobachtung?

1. Eingeschränkte Wirklichkeitsebene

Die naturwissenschaftliche De- skription kann durch ihre einge- schränkte Sichtweise einer Gesamt- wirklichkeit nicht gerecht werden.

Thure von Uexküll hat diese Proble- matik der verschiedenen Wirklich-

Ethische Perspektiven

des

retroviralen Gentransfer

J. G. Meran, R. Löw, Th. Benter, H. Poliwoda

vierten Killerzellen (LAK) im Kör- per wandern.

Dieses Experiment gab auch den Verfassern des nachfol- gend veröffentlichten Aufsatzes Anstoß und Anlaß, Überlegungen zu möglichen Projekten, zu deren technischen Abläufen und zu- gleich zur ethischen Verantwort- barkeit anzustellen.

keitsbereiche am Beispiel des Wei- nens erläutert (1)*). Auch wenn der chemische Prozeß als Lösungsvor- gang von Salzmolekülen in Wasser oder der physiologische Sekretions- vorgang der Glandula lacrimalis wis- senschaftlich korrekt dargestellt wird, ist es eine andere Frage, ob das bittere Weinen eines Kindes damit hinreichend erfaßt ist.

Natürlich kann man sich darauf beschränken, nur den chemischen oder physiologischen Vorgang des

*) Die in Klammern gesetzten Zahlen be- ziehen sich auf das Literaturverzeichnis beim Sonderdruck.

Weinens zu beschreiben. Als Arzt und Mensch wird man die „Ver- suchsanordnung", die zum Weinen geführt hat, aber nicht ausblenden können und dürfen. Romano Guar- dini hat dies treffend zusammenge- faßt:

„Es ist sehr verlockend, das Le- bendige chemisch oder den Geist biologisch zu denken, denn man spart Arbeit und gewinnt den Schein strenger Wissenschaft; in Wahrheit war man geistig träge, hat dem Er- kenntnisgewissen Gewalt angetan und das Eigentümliche des Gegen- standes verloren" (2).

2. Willkürliche Zeitschnitte Eine weitere Gefahr besteht darin, daß nicht nur die Wirklich- keitsebene eingeschränkt ist, son- dern auch willkürliche Zeitschnitte vorgenommen werden können. Dies wird deutlich, wenn man sich vor Au- gen hält, daß von der deskriptiven Position aus jederzeit die neutrale Beobachtung einfach beendet wer- den kann. Sobald das Interessante abgelaufen ist, wird der Versuch oder die Beobachtung abgebrochen und weitere Folgen haben keinen Einfluß mehr auf das Beschriebene.

Ein durch In-vitro-Fertilisation gezeugtes Kind steht bis zu seiner Geburt im Mittelpunkt des Interes- ses. Seine spätere psychische Ent- wicklung, mögliche Störungen und Schwierigkeiten fallen nicht mehr in das Gebiet des Gynäkologen, dem das Kind seine Existenz verdankt.

3. Methoden

sind nicht wertfrei ...

Neben diesen Gefahren der be- wußt aufgesetzten Scheuklappen, die nur einen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit freigeben, wird mit der These von der Möglichkeit einer rei- nen Deskription auch die Tatsache umgangen, daß Methoden an sich nicht wertfrei sind. Der wesentliche Wertunterschied zwischen der Ent- wicklung eines Analgetikums und ei- nes Giftgaskampfstoffes ist bei der Dt. Ärztebl. 87, Heft 25/26, 25. Juni 1990 (29) A-2041

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rein chemischen Darstellung defini- tiv nicht zu erkennen.

Die Mehrzahl der Methoden, mit denen Mediziner zu tun haben, sind nicht von vornherein gut oder schlecht, sondern erst die Art des Gebrauchs entscheidet darüber.

Hans Jonas spricht von Ambivalenz der Wirkungen (3).

Die an sich gute Methode von Schmerzlinderung durch Analgetika kann durch mißbräuchliche Überdo- sierung eine schlechte, sogar töd- liche Wirkung haben, während die Vergiftung eines Menschen durch Kampfgase eine bereits in sich schlechte Methode ist.

4. ... denn sie ziehen Handlungen nach sich

Handlungen sind niemals „wert- frei". Sie sind prinzipiell rechtferti- gungsbedürftig und gewöhnlich auch rechtfertigungsfähig.

Die enge Verflechtung zwischen Methode und Handlung läßt sich be- sonders gut am Beispiel der Nuklear- technik demonstrieren. Die Erfor- schung und Beschreibung physikali- scher Phänomene bei der Kernspal- tung ist letztlich nicht zu trennen von den Fragen und Wertungen, die durch die Atombombe und die Kern- energie aufgeworfen werden.

Nicht zufällig hat sich wohl ein Psychiater, Heiner Kipphardt, mit dieser moralischen Dimension in ei- nem Drama auseinandergesetzt („In Sachen J. Robert Oppenheimer", 1964).

Hans Jonas spricht sogar von

„Zwangsläufigkeit der Anwendung"

und vergleicht die Anwendung von technischer Fähigkeit mit atmen können und atmen müssen (im Ge- gensatz zu reden können und reden müssen).

Er sagt, daß der Leidensdruck des Menschen Entwicklung verlange, und die Gefahr des unmoralischen Handelns einzukalkulieren sei. „Da- her ist bereits die Aneignung neuer Fähigkeiten, mit der bekannten Dy- namik vor Augen, eine ethische Bür- de, die sonst nur auf den einzelnen Fällen ihrer Anwendung lasten wür- de" (4).

5. Konsequenzen technischer und ökonomischer Nutzung

Doch nicht nur Anwendung von Grundlagenforschung, sondern auch deren technische und ökonomische Nutzung gehen Hand in Hand. Bei- spiele dafür sind neben der umstrit- tenen Kernenergie eine Vielzahl me- dizinischer, vor allem klinischer Stu- dien. Allzu häufig ist die Entwick- lung neuer Methoden oder Substan- zen sowie deren klinischer Gebrauch nur durch finanzielle und materielle Unterstützung von Firmen möglich, deren Existenz wiederum — zumin- dest langfristig — von ökonomischen Bilanzen abhängig ist. Auch diese Gefahr der materiellen Manipula- tion wird von der reinen Deskription außer acht gelassen.

Als Fazit läßt sich festhalten, daß eine klare Trennung von Be-

II. Die Frage nach der Ethik

Wenn Forschung als Handlung rechtfertigungsbedürftig ist, stellt sich als nächste Frage, wie nun Wer- te oder Normen begründet werden.

Dies ist genau die Frage nach Ethik, denn Ethik ist Begründung von mo- ralischem Handeln. Ethik will und soll die jeweils herrschende Moral kritisch prüfen und die Formen und Prinzipien rechten Handelns begrün- den (5). Moral heißt zunächst nur, was den Kodex der gelebten Regeln des Verhaltens einer Gesellschaft ausmacht.

1. Die Pragmatik verlangt, daß ein Wert erst einmal auf seinen Nut- zen hin geprüft werden muß (teleo- logische Position). Sie gibt den Be- griff des moralisch Guten oder unbe- dingt Guten auf und setzt an dessen Stelle das aufgeklärte Selbstinteresse mit dem Ziel des persönlichen und kollektiven Wohlergehens (Utilita- rismus) (6).

Auch der Pragmatiker wird seine nutzenorientierte Begründung Ethik nennen, „utilitaristische Ethik" oder

„formale Ethik", denn auch hier geht es um eine Begründung moralischen

schreibung und Handlung auch und gerade im medizinisch-naturwissen- schaftlichen Bereich nicht möglich ist.

Da die ausschließlich beschrei- bende Position von Inhalten und Werten abstrahiert, ist sie zur Beur- teilung ärztlichen Handelns unzurei- chend.

Letztlich ist es eben weniger

„bescheiden" als vielmehr inad- äquat, nur von einem „faktischen Sein" zu reden, wenn die Frage nach einem „Sollen" gestellt werden muß, denn Methodenentwicklung ist sel- ber Handlung.

Handlungen aber ziehen Wer- tungen nach sich. Die Orientierung für Wertungen findet man in sitt- lichen Normen.

Die Anerkennung des Normati- ven in Abgrenzung zum Deskriptiven ist Voraussetzung für jede weitere (ethische) Diskussion.

Handelns, typischer Weise jedoch durch außermoralische Werte (zum Beispiel das größte Glück der größ- ten Zahl).

2. Normative Ethik setzt die All- gemeingültigkeit von bestimmten Werten voraus. Menschenwürde ist ein Wert sui generis, der nicht erst be- gründet werden muß, genauer: gar nicht begründet werden kann, eben- so wie Lebensrecht, Freiheit und Verbot von Mord. Diese Werte sind authentisch, immer gültig und dür- fen auch dann nicht verletzt werden, wenn daraus Nachteile entstehen.

Falls erkennbar ist, daß diese oder jene Methode (Gentherapie-Projekt, experimentelle Chemotherapie, Operation etc.) gegen eine solche Norm verstößt, muß darauf verzich- tet werden, egal welche Nachteile dadurch entstehen.

III. Mehrdimensionalität der Ethik

Die Anerkennung von Normen erspart jedoch in den wenigsten Fäl- len die Berücksichtigung von Folgen.

Was also qualifiziert eine Handlung zu einer moralischen?

A-2044 (32) Dt. Ärztebl. 87, Heft 25/26, 25. Juni 1990

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1. Gesinnung: Handeln wir mo- ralisch richtig, wenn die Absicht un- serer Handlung eine gute ist? Für den Fall, daß eine Grundnorm be- droht ist (Tötung Unschuldiger, Fol- ter, Sklaverei, sexueller Mißbrauch) ist diese Gesinnungsethik zutreffend.

Für die vielen Normalfälle wird je- doch etwas fehlen. Die Entwicklung einer Methode, im guten Glauben, der Menschheit Nutzen zu bringen, kann und darf die Verantwortung für Folgen und Mißbrauch nicht aus- blenden.

2. Verantwortung und Erfolg:

Orientieren wir unser Handeln nur an den späteren Folgen, sind wir er- stens überfordert, denn kein endli- cher Verstand kann die Fülle mög- licher Folgen einer Handlung erfas- sen und abwägen. Zweitens verhal- ten wir uns im oben angeführten Fall

IV. Unterscheidung für ärztliches Handeln

1) Güterabwägung

Der Normalfall ärztlichen Handelns wird in Abwägung von Ri- siko und Schädlichkeit zu Nutzen oder Benefit für den einzelnen Men- schen bestehen. Allerdings hat das Recht auf Leben immer Vorrang vor Forschungsfreiheit und Gewinn. Es ist der Schaden des Einzelnen aus ethischer Sicht nicht mit dem mög- lichen Nutzen der Allgemeinheit aufzurechnen, wie es der Pragmati- ker machen würde. Den einzelnen Patienten interessieren der Zweck und die statistische Signifikanz einer Studie wenig, wenn sein Leben oder auch nur stärkere Schmerzen der Preis dafür sind.

2) Kategorischer Fall

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Widerspricht eine Handlung ei- nem sittlich „An-sich-Guten", einem allgemeingültigen Lebensgrundsatz, so liegt eine „in sich schlechte Hand- lung" vor. Die universalen Verbote oder unverletzlichen Normen kann man dem „Actus intrinsice malus" des

der bedrohten Grundnorm falsch, nämlich dort, wo ein guter Zweck ein in sich schlechtes Mittel heiligen soll.

Von der Verantwortungsethik her ge- sehen wäre es nämlich zulässig, ei- nen Terroristen zu foltern, um ihn zur Preisgabe des Ortes zu zwingen, an dem die Bombe liegt, damit durch diese nicht Unschuldige getötet wer- den.

Dennoch wäre dieses Verhalten moralisch unzulässig.

Daraus geht hervor, daß die rei- ne Erfolgsethik, die eine Handlung nur nach der Hauptfolge beurteilt, ein ebensowenig moralisch ausrei- chendes Prinzip darstellt.

Es bleibt somit eine Synthese von Gesinnung und Verantwortung zu lei- sten, die aufgrund von Urteilskraft und Vernunft konkretisiert werden muß (7, 8, 9).

römischen Rechts oder Kant's kate- gorischem Imperativ entnehmen: Ei- ne Sache ist in sich schlecht, wenn der Mensch nur Mittel und nicht auch Zweck ist; das heißt, wenn sein Personcharakter außer acht gelassen wird (10). Der Mensch ist immer mo- ralisches Subjekt und darf nicht zum reinen Objekt werden. Sofern also ein Patient nur zu reinen Versuchs- zwecken gebraucht wird, ohne eige- nen Nutzen zu haben, wird er instru- mentalisiert.

3) Tragischer Fall

Ein Casus enormis oder tragi- scher Fall liegt immer dann vor, wenn jede Entscheidungsmöglichkeit von Handlung (auch das Nichthan- deln) eine in sich schlechte Folge hat. Die Entscheidung zwischen zwei Leben, von denen nur eines gerettet werden kann, sei als Beispiel ge- nannt Hier ist wohl niemand um die Entscheidung zu beneiden, die sich letztlich einer objektiven ethischen Beurteilung entzieht. Gerade des- halb ist es aber auch nicht zulässig, aus einem solchen Extremfall allge- meingültige ethische Prinzipien de- duzieren zu wollen, wie dies biswei- len in emotionaler Diskussion ge- schieht.

V. Anwendung auf somatische Gentherapie

Vor den konkreten ethischen Abwägungen seien die aktuellen Projekte der Gentherapie am Men- schen kurz skizziert.

Die theoretischen Überlegungen der frühen siebziger Jahre über die Transformation durch Tumorviren, sowie die rasch fortschreitende Ent- wicklung der rekombinanten DNA- Technologie, ebneten in der vergan- genen Dekade den Weg zu einer so- matischen Gentherapie, die nun zum Greifen nahe scheint. Auch wurden die ursprünglichen Strategien der Gentherapie, mittels Korrektur, Er- satz oder Unterstützung durch trans- ferierte Gene hereditäre Krank- heiten zu heilen, durch die Möglich- keit, rekombinierte Genprodukte als Arzneimittel zu nutzen, und durch die intrazelluläre Immunisierung er- weitert.

1. Die sehr selten auftretende Adenosin-Desaminase (ADA)-Defi- zienz, eine vererbliche Immunschwä- che, gilt als hoffnungsvoller Kandi- dat für die Gentherapie einer here- ditären Erkrankung. T- und B-Lym- phozyten von Kindern mit ADA-De- fizienz werden durch die Anreiche- rung eines toxisch wirkenden Meta- boliten selektiv an ihrer Entwicklung gehindert. Ein in diese Lymphozyten künstlich eingebrachtes ADA-Gen ist zumindest in vitro in der Lage, den Zellen zu einer normalen Funktion zu verhelfen.

Ähnliche Konzepte existieren für die Thalassämie und die Si- chelzellanämie (Hämoglobin-Gen- Transfer), sowie für das Lesch- Nyhan-Syndrom (Hypoxanthin-Gua- nin-Phosphoribosyltransferase).

2. Genetisch veränderte Zellen sind imstande, vermehrt Proteine zu synthetisieren, die großen therapeu- tischen Nutzen haben:

Retroviral übertragene Gene bringen Lymphozyten zur Zytokin- überproduktion und verstärken damit die körpereigene immunologische Tumorbekämpfung.

Vermehrt gebildetes Alpha-1 Antiftypsin verleiht Lymphozyten die Dt. Ärztebl. 87, Heft 25/26, 25. Juni 1990 (35) A-2045

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Fähigkeit, das Fortschreiten eines Lungenemphysem zu verhindern.

Ein weiteres Beispiel dieser Art der Anwendung des Gentransfers bietet die Implantation von auf Kunstfaser (Gore-Tex) wachsenden molekularbiologisch veränderten Zellen. Diese „Organoide" können — auch zeitlich begrenzt — Proteine wie den CD4-Rezeptor (zur Verhinde- rung einer HIV-Infektion) oder t- Plasminogen-Aktivator (als Myokard- infarkt-Prophylaxe) herstellen.

Die möglichen Anwendungsge- biete dieser Technik werden in naher Zukunft sicherlich erweitert werden.

3. Genregulation wird zum Teil von DNA-bindenden Proteinen aus- geübt, die in dieser Funktion äußerst spezifisch wirken. Einige Viren, die ja selbst das Genom der Wirtszelle verändern können, bringen Gene für solche Regulatoren mit. Eine geziel- te Veränderung in diesen Genen führt zu einer Blockierung der Virus- replikation und damit Verhinderung der Virusvermehrung. Ein Gentrans- fer derartig mutierter Regulator-Ge- ne kann eine Virusausbreitung (In- fektion) verhindern.

Diese Möglichkeit einer intra- zellulären Immunisierung, zum Bei- spiel gegen HIV, Cytomegalie- oder Herpesviren, wird von besonderer Bedeutung für die Knochenmark- transplantation sein.

Ethische Überlegungen

C) Die direkte Einbeziehung des Menschen in die bislang auf In- vitro-Versuche beschränkte Gen- therapie bringt es mit sich, daß eine neutrale Beobachtung und Beschrei- bung der Methodenentwicklung kei- nesfalls ausreicht.

Die Beendigung des Experimen- tes durch Schließen der Labortüren und Auslöschen der Lichter ist beim lebenden Menschen nicht möglich.

Daher müssen die Folgen, unter strenger Beachtung der Grundnor- men, bereits im theoretischen Pla- nungsstadium berücksichtigt werden.

Ein anhand konkreter Fälle noch zu diskutierendes Problem ist die Tat-

sache, daß keineswegs alle Folgen voraussehbar sind.

C) Anders verhält es sich bei der Keimzelltherapie, die in die Per- sonalität des Menschen eingreift, so- mit das Grundrecht auf Individuali- tät und Freiheit eines neu entstehen- den Individuums a priori beeinträch- tigt.

Abgesehen von den grauenerre- genden Gefahren einer mißbräuch- lichen Menschenkomposition und unabsehbaren epidemiologischen Folgen besteht auch weitgehend Konsens über derzeit fehlende Indi- kationen einer Gentherapie an Keimzellen (11, 12).

® Die Gefahr der Korrumpie- rung der Gentherapie durch ökono- mische Interessen ist zu beachten.

Zumindest diese Forschung sollte von finanziellen Abhängigkeiten zur Pharmaindustrie abgekoppelt und öffentlicher Kontrolle unterstellt werden.

Vorstellbar ist eine Finanzie- rung aus öffentlichen Mitteln oder durch zwischengeschaltete Organisa- tionen, die über ausreichende Auto- nomie verfügen. Streng zu achten ist auf die Gewährleistung der Freiwil- ligkeit des potentiell immer vom Arzt abhängigen Patienten.

® Die Anforderungen an die persönliche Verantwortung wachsen proportional zu den Möglichkeiten der Methode. Besteht die Bereit- schaft der Forscher zu dieser persön- lichen Verantwortung und kann die persönliche Verantwortung über- haupt gewährleistet werden, wenn Schäden eventuell erst in nächster Generation auftreten (zum Beispiel wenn doch die Keimbahn betroffen wird)?

® Da im Rahmen einer somati- schen Gentherapie kein casus enor- mis (tragischer Fall) konstruierbar scheint und im „kategorischen Fall"

sittlich verwerfliche Handlungen von vornherein abzulehnen sind, bleibt zur Bewertung die Güterabwägung relevant.

Die somatische Gentherapie ist also in den Fällen, in denen Heilung eines Patienten angestrebt wird, in

ihrer Gesamtauswirkung abzuwägen.

Es gilt das Verhältnis von Nutzen und Risiko zu beurteilen. Diese Gü- terabwägung ist nur in Kooperation zu leisten, und die konkrete Frage lautet: Stellt die Entwicklung und Anwendung der Methode ein reales Bedürfnis dar, das zu den Risiken in vernünftiger Relation steht?

Exemplarisch sei eine konkrete Möglichkeit abschließend genauer beleuchtet:

Die Möglichkeit der körpereige- nen Zytokinüberproduktion durch genetisch veränderte Lymphozyten ist eine der großen neuen Chancen in der Tumortherapie. Der erhofften Heilung oder zumindest Remission stehen jedoch verschiedene Risiken und mögliche Gefahren gegenüber.

Der retrovirale Gentransfer in hä- matopoetische Zellen beinhaltet nach wie vor das Risiko der Ziel-Un- genauigkeit. Die Aktivierung von Onkogenen, gefolgt von der Ent- wicklung eines neoplastischen Klons, an Stelle der therapeutisch ge- wünschten Proteinüberexpression oder Korrektur, ist nicht gänzlich auszuschließen.

Die Teilungsinhibition durch Bestrahlung der übertragenen Zel- len erscheint möglich, ist jedoch nach den Erfahrungen bei der Kno- chenmarktransplantation vorerst nur in statistischer Wahrscheinlichkeit anzugeben.

Unerforscht sind auch weitere Interaktionen der veränderten Zelle mit dem Körper; die „holt versus graft"-, „graft versus host"-Reaktio- nen. Weiterhin ist die Möglichkeit einer mutagenen Wirkung beschrie- ben (13).

Das Risikopotential ist für jeden Patienten individuell zu beurteilen.

Eine Vielzahl von Gegenargumenten fällt weg, wenn man sich einen Pa- tienten mit ausdrücklichem Thera- piewunsch, im nicht mehr fertilen Alter eben bei malignem Grundlei- den vorstellt, dem durch etablierte Therapieformen nicht geholfen wer- den kann. In solch einem Falle ist durchaus auch eine unreflektierte Ablehnung fragwürdig, da sie mögli- cherweise die Heilung eines einzel- nen Menschen verhindert und dar- über hinaus eine segensreiche Ent- wicklung verzögert.

A-2046 (36) Dt. Ärztebl. 87, Heft 25/26, 25. Juni 1990

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

KURZBERICHTE

Zehn Jahre

„Biomedical Science Exchange Program"

VI. Ausblicke und Hoffnungen

Die faszinierende Welt der Mo- lekularbiologie und die erstaunliche Fähigkeit des menschlichen Geistes, in diese komplexe Problematik ein- zudringen und hier sogar verändern- den Einfluß zu nehmen, läßt neben den Sorgen und Ängsten auch be- rechtigte Hoffnungen aufkommen.

Die Hoffnung, neue, sogar revo- lutionäre Heilmittel entwickeln zu können, sollte auch Motor sein, die ethische Diskussion fortzuführen.

Die Gentechnologie braucht die De- batte nicht zu scheuen, denn je kla- rer Nutzen und Risiken sich darstel- len, desto klarer werden die für alle tragbaren Entscheidungen sein. Die Verantwortung kann und darf nicht auf Politiker und Kommissionen ab- gewälzt werden.

Gerade die medizinischen Ex- perten müssen ihre Argumente zur ethischen Debatte beisteuern, denn in ihrem Interesse liegt diese viel- leicht mühsam und hinderlich er- scheinende Diskussion.

Ein einziges unüberlegtes, an- fechtbares Projekt kann die politi- sche und öffentliche Meinung emo- tional so hochschaukeln, daß jedes vernünftige Argument zum Schei- tern verurteilt wird.

Es wird sich daher lohnen, Zeit in diese Fragen zu investieren. Der Dynamik medizinisch-technischer Entwicklung wäre nicht bloß ein Nachdenken über Folgen bereits vorhandener Möglichkeiten ange- messen, sondern vielmehr ein kreati- ves Vorausdenken.

Anschriften der Verfassen

Dr. Johannes Gobertus Meran Dr. Thomas Benter

Prof. Dr. Hubert Poliwoda Abteilung Hämatologie und Onkologie

Medizinische

Hochschule Hannover

Konstanty-Gutschow-Straße 8 3000 Hannover 61

Prof. Dr. Dr. Reinhard Löw Forschungsinstitut

für Philosophie Hannover

Lange Laube 14, 3000 Hannover 1

Seit zehn Jahren gibt es ein wis- senschaftliches Austauschprogramm (Biomedical Science Exchange Pro- gram) zwischen der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und medizinischen Fakultäten (Medical Schools) in den USA. Es begann zu- nächst mit nur wenigen deutschen Studenten, denen Prof. Dr. Hilmar Stolte, MHH, aufgrund persönlicher Beziehungen zu Kollegen in den USA die Möglichkeit verschaffte, dort für ein Jahr an der theoreti- schen und klinischen Ausbildung teilzunehmen. Inzwischen ist die Zahl der am Austausch Beteiligten auf mehr als hundert pro Jahr ange- stiegen; zwei Drittel davon sind Deutsche aus der ganzen Bundesre- publik, die in die USA fahren, ein Drittel sind Amerikaner, die in die Bundesrepublik kommen. Außer ei- nem einjährigen Studienaufenthalt haben die Mediziner inzwischen auch die Möglichkeit, ein dreimona- tiges Praktikum oder das praktische Jahr an einer amerikanischen Uni- versitätsklinik zu absolvieren; außer- dem kamen Austauschmöglichkeiten auf der Assistentenebene hinzu.

Begonnen hatte das Austausch- programm mit Medizinstudenten;

heute sind jedoch die Fachgrenzen überschritten: Biologen, Biophysi- ker, Chemiker, Medizinhistoriker und Soziologen, aber auch Kranken- pfleger, medizinisch-technische Assi- stenten und Logopäden nehmen dar- an teil. Diese Ausweitung über die Medizin hinaus auf alle Biowissen- schaften hält Prof. Stolte für beson- ders wichtig, da nach seiner Über- zeugung die wesentlichen neuen An- stöße für die Forschung heute nicht mehr von der Medizin selbst zu er- warten sind, sondern von den übri- gen Biowissenschaften, deren Einbe- ziehung in das Austauschprogramm weiter ausgebaut werden soll. Ein er- ster Schritt in diese Richtung war die Aufnahme der Universität Bielefeld und des CT Biomed (Zentrum Tech- nologietransfer Biomedizin Bad Oeynhausen GmbH) in das Pro- gramm. Das Austauschprogramm

hat seine deutsche „Home Base" an der MHH, in den USA im „Mount Desert Island Biological Laboratory"

in Maine, das mit seinen Kontakten zu zirka 75 akademischen Einrich- tungen in den USA geradezu ideal ist für einen solchen Austausch, da es dieses Netzwerk der Beziehungen in das Programm mit einbringt.

Von Anfang an: Kontakt mit dem Patienten

Die deutschen Austauschstu- denten empfanden es als besonders positiv, daß in den meisten Medical Schools der USA vom ersten Jahr an Kontakt mit Patienten besteht. Au- ßerdem lernen sie im ersten Jahr der Medical School systematisch die Anamneseerhebung, im zweiten die wichtigsten Untersuchungstechni- ken. Daher kann ihnen der Stations- arzt schon frühzeitig Verantwortung für die Patienten übertragen, was das weitere Lernen intensiviert. Al- lerdings gibt es vom dritten Jahr an praktisch keine Vorlesungen mehr, sondern nur noch „Bedside Teach- ing". Das theoretische Wissen muß der Student sich dann allein aneig- nen. Es wird jedoch nicht nur die kli- nische Kompetenz der Mediziner frühzeitig gefördert, sondern auch die Fähigkeit zur wissenschaftlichen Arbeit. Bereits im College bekom- men die Studenten die Möglichkeit, ihre eigenen Forschungsprojekte durchzuführen, und erhalten dabei Anleitung und Unterstützung durch Professoren und Tutoren; in den Medical Schools können sie das wei- terführen.

Als Schwäche des amerikani- schen Systems erscheint dagegen die strenge Verschulung des Studiums, das so auf die Ausbildungspro- grammpunkte fokussiert ist, daß der Medizinstudent keine Zeit mehr hat, daneben irgendetwas anderes zu tun.

Seine medizinische Kompetenz mag am Ende besser sein als die seiner deutschen Kollegen, für seine per- sönliche Entwicklung als Mensch hat Dt. Ärztebl. 87, Heft 25/26, 25. Juni 1990 (39) A-2047

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