NEMEN DER ZEIT BLICK INS AUSLAND
Kampagne gegen Kinderprostitution und Sextourismus
Sexueller Mißbrauch
auch im Ausland strafbar
Fernreisen werden immer beliebter, und jährlich fahren Hunderttausende Deutsche in Länder der sogenannten Dritten Welt. Die Erfüllung mancher Urlaubsträume hat jedoch auch ihre Schattenseiten. Vor allem von männli- chen Reisenden aller Altersgruppen und sozialen Schichten wird der Strandurlaub in manchen Urlaubsländern in
Asien, Lateinamerika oder Afrika gern mit Prostitutions- tourismus verbunden. Noch Angaben der „Deutschen Kam- pagne gegen. Kinderprostitution im Zusammenhang mit Sextourismus" werden vor allem immer mehr Kinder zur Prostitution gezwungen. Die „Kampagne" hat jetzt unter anderem eine Strafrechtsänderung durchsetzen können.
D
er 15jährige Piek verbrachte seine Kindheit zunächst bei seiner alleinstehenden Mut- ter in einer kleinen Stadt in der Nähe der thailändischen Haupt- stadt Bangkok. Wegen der regelmä- ßigen Mißhandlungen durch seinen Stiefvater verließ er seine Mutter und zog zu seiner Großmutter. Doch auch von ihr wurde der Junge ge- schlagen, so daß er mit elf Jahren nach Bangkok ausriß. Dort schlug er sich wie viele andere Kinder auf der Straße durch, mit Gelegenheitsjobs und auch mit Prostitution.Mit zwölf Jahren kam er nach Pattaya, wo er von Touristen gut be- zahlt wurde. Während der Saison verbrachte Piek einige Monate in Pattaya, die restliche Zeit des Jahres in den Straßen und Parks in der thai- ländischen Hauptstadt. Wie die an- deren Kinder auch schnüffelte Piek Klebstoff, um seine Situation für eine kurze Zeit zu vergessen. Nachdem Sozialarbeiter festgestellt hatten, daß Piek sich HIV-infiziert hatte, wurde er in einem Heim untergebracht, das er jedoch nach kurzer Zeit wieder verließ, weil er sich an das Leben auf der Straße gewöhnt hatte.
Ein Kinderschicksal, das kein Einzelschicksal ist. In Thailand schätzen Hilfsorganisationen die Zahl der Kinderprostituierten auf mehrere hunderttausend, darunter rund 20 000 Mädchen und Jungen unter 14 Jahren. Auf den Philippinen werden 60 000 Kinder, in Brasilien 500 000 Kinder und Jugendliche zur Prostitution gezwungen, darunter
auch Mädchen und Jungen, die jün- ger als 10 Jahre sind. Manche werden von ihren Eltern verkauft, andere entführt und verschleppt.
Seit 1991 wendet sich die „Kam- pagne gegen Kinderprostitution im Zusammenhang mit Sextourismus", die von rund 40 Organisationen, un- ter anderem der Kinderhilfsorganisa- tion „terre des hommes" und dem ka- tholischen Hilfswerk „Misereor", un- terstützt wird, gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern in der soge- nannten Dritten Welt. Ziel der Akti- on ist „eine öffentliche Verurteilung des Sextourismus und der sexuellen Ausbeutung von Kindern". Deshalb soll vor allem die „Nachfrage" aus Deutschland gestoppt werden.
Für Gesetzesrevision
Die „Kampagne" setzte sich auch für eine Gesetzesrevision ein.
Mit der Unterstützung von Bundes- tagsabgeordneten aller Parteien, be- sonders der interfraktionellen Frau- engruppe, konnte die geforderte Strafrechtsreform Ende letzten Jah- res verabschiedet werden. Der sexu- elle Mißbrauch ist jetzt auch im Aus- land strafbar (§ 176 StGB). Nicht nur Touristen, sondern auch Hersteller von Kinderpornographie, die im Aus- land Videofilme produzieren, kön- nen aufgrund dieses Gesetzes be- straft werden. Das Gesetz geht der
„Kampagne" jedoch nicht weit ge- nug. „Wir fordern bilaterale Rechts- abkommen mit den betroffenen Län-
dem, denn es muß zum Beispiel si- chergestellt werden, daß ärztliche Zeugnisse aus dem jeweiligen Aus- land bei Gericht hier anerkannt wer- den. Das Gesetz allein wird nicht ausreichen, um auf das Verhalten von Sextouristen abschreckend ein- zuwirken, wenn die Gefahr, hier in Deutschland verurteilt zu werden, nicht realistisch genug ist", sagte Juli- ane von Krause, Koordinatorin der
„Kampagne gegen Kinderprostitu- tion'''.
Auf internationaler Ebene konn- ten, so die „Kampagne", mehrere Er- folge verbucht werden. Im Rahmen der Aktion „End Child Prostitution in Asian Tourism" wurden in Thai- land, auf den Philippinen, in Taiwan und Sri Lanka unter anderem Hilfs- projekte für Straßenkinder ins Leben gerufen. In Thailand wurden Anfang November vergangenen Jahres fünf Sextouristen und Kinderpornogra- phie -Produzenten verhaftet.
Vereinbarung der Reiseveranstalter
Die Reiseveranstalter wurden von der „Kampagne" aufgefordert, von ihren Möglichkeiten zur Eindäm- mung der Kinderprostitution im Tou- rismus Gebrauch zu machen. In einer Vereinbarung sollten sie sich ver- pflichten, sicherzustellen,
— daß in den Vertragshotels deutscher Reiseunternehmen das Verbot von Kinderprostitution durchgesetzt wird,
Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 21, 27. Mai 1994 (71) A-1545
- daß die deutschen Reiseun- ternehmen ihre Kundinnen und Kun- den über die Hintergründe und Aus- wirkungen von Kinderprostitution in- formieren und
- daß die deutschen Reiseun- ternehmen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Hoteleinkauf und in der Reiseleitung entsprechend vorbereiten und schulen.
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BLICK INS AUSLAND
Jahrelanges Engagement
Zahlreiche Veranstalter haben diese Vereinbarung inzwischen ak- zeptiert und sind bereit, die Forde- rungen umzusetzen. "Das Einlenken der Veranstalter ist als Ergebnis zu werten, das ohne das jahrelange En- gagement von Frauengruppen, tou-
Eine humanitäre Aktion im Irak
rismuskritischen Kreisen und Parla- mentariern gegen den Sextourismus nicht zustande gekommen wäre," be- tonte Juliaue von Krause.
~ Weitere Informationen: Büro
der "Kampagne gegen Kinderprosti-
tution im Zusammenhang mit Sex- tourismus", Juliaue von Krause, Post- fach 41 26, 49031 Osnabrück, Tel 05 41/71 01-162, Fax 70 72 33. Kli
Die Menschen leben ohne Hoffnung
Drei Ärzte der Organisation "Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges" (IPPNW} und des Arbeits- kreises "Kinderhilfe Irak" waren im Oktober 1993 zu ei- ner humanitären Aktion in den Irak gefahren, um der nach Krieg und dreijährigem UN-Embargo notleidenden
irokischen Zivilbevölkerung medizinische Hilfe zu brin- gen. 17 Tonnen Hilfsgüter von verschiedenen Spendern waren zusammengekommen. Der Autor des Artikels be- richtet über die Situation in einem Land, das sich seit 1980 fast ununterbrochEm im Krieg befindet.
M
it dem Flug von Frankfurt nach Arnman/Jordanien begann die für uns mit wi- dersprüchlichen Gefühlen und Fragen besetzte Initiative (Rei- se). Kann es noch "sinnvoll" sein, Medikamente in den Irak zu beför- dern, angesichts der großen Not in Bosnien direkt vor unserer Haustür und in anderen Teilen der Welt?Was passiert, wenn wir Kritik äußern und unsere demokratisch-humanisti- schen oder unsere antimilitaristische Position vertreten? Ist das irakisehe Volk nicht selbst schuld an seinem Elend? Stützen wir mit unserem Tun gewollt oder ungewollt ein schlimmes diktatorisches Regime?
Mit zwei jordanischen Kühl- Lastwagen beförderten wir unsere Hilfsgüter von Jordanien in den Irak.
Wie bei den bisherigen Hilfsaktionen sollten die 17 Tonnen medizinische Hilfsmittel, Medikamente und Baby- milch in acht Kinderkrankenhäusern Bagdads verteilt werden.
Auf den ersten Blick schien in den Krankenhäusern Bagdads alles nicht mehr so schlimm. Die irakisehe Hauptstadt präsentierte sich uns ei- nerseits als pulsierende moderne Großstadt ( 4,5 Millionen Einwohner
vor dem Krieg, jetzt durch Land- flucht angewachsen auf rund sechs Millionen Einwohner). Die meisten Kriegsschäden an Gebäuden, Brük- ken und Straßen waren zumindest äußerlich beseitigt. Wie wir wußten und dann sehen konnten, war auch die im Krieg zerstörte einzige Milch- fabrik 60 km westlich vor Bagdad wiederhergestellt. Die Produktion von Milchpulver kann jedoch wegen unvollständiger technischer Anlagen nicht aufgenommen werden. Es fehlt unter anderem an Steuersystemen, Pumpen und Sicherheitsventilen.
Arbeitslosigkeit und Hyperinfla- tion treiben die Bevölkerung des Iraks in rasender Geschwindigkeit in die Armut. Korruption und ein
"Schwarzer Markt" unterlaufen die
Rationierungsmaßnahmen der Be- hörden. Folgen der Verarmung - die zunehmend auch den Mittelstand erfaßt - sind Mangel-und Unterer- nährung besonders der Säuglinge und Kleinkinder sowie alter und kranker Menschen. Massenelend und Armut haben wir auf der Straße und in den Krankenhäusern (noch!) nicht gesehen. Es fehlte allerdings an Mehl, Zucker, Milchprodukten, Kaf- fee und Tee. Technische Geräte und A-1546 (72) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 21, 27. Mai 1994
Ersatzteile sind, wenn überhaupt, nur auf dem "Schwarzen Markt" ge- gen Fremdwährung (Dollar/DM) zu bekommen.
KeinAusweg
Die meisten irakiseben Men- schen erlebten wir resigniert und hoffnungslos, sie sehen keinen Aus- weg mehr. Immer wieder hörten wir nicht zuletzt auch von Ärzten: "Der Irak ist am Ende." Das Gesundheits- wesen steht vor einem Kollaps. In den Krankenhäusern fehlt praktisch alles. Die von uns besichtigten Vor- ratslager und Krankenhausapothe- ken waren bis auf Restbestände leer.
Das zur Verfügung stehende "infla- torische" Geld der Krankenhäuser reicht nicht zum Einkaufvon Lebens- mitteln, die Patienten können zum Teil nicht mehr verpflegt werden.
Spritzen und Kanülen, Infusions-I Transfusionsbestecke, technische Geräte oder Ersatzteile und Mangel an Sauerstoff lassen eine adäquate Behandlung selbst bei unkomplizier- ten Erkrankungen und einfachen Un- fällen nicht mehr zu. Ausländisches Krankenpflegepersonal hat das Land