Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 20⏐⏐15. Mai 2009 A949
S E I T E E I N S
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indestens zwei Sektkorken dürften am 6. Mai in der Geschäftsstelle des Gemeinsamen Bun- desausschusses (G-BA) in Siegburg geknallt haben.Denn das Bundessozialgericht in Kassel hat die Rechts- stellung des G-BA in zwei zentralen Bereichen ent- scheidend gestärkt: Der Ausschluss einer ambulant er- brachten Behandlungsmethode aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen kann auf den statio- nären Bereich übertragen werden; und das Bundesge- sundheitsministerium (BMG) bleibt bei seiner Aufsicht über den G-BA auf die Rechtsaufsicht beschränkt (Az.: B 6 A 1/08 R).
Der oberste Richterspruch beendet einen mehrjähri- gen Rechtsstreit. 2004 hatte das BMG einen Beschluss des Bundesausschusses beanstandet, der die Protonen- bestrahlung bei Brustkrebs auch als stationäre Leistung aus der Versorgung aus der gesetzlichen Krankenver- sicherung (GKV) ausschloss. Dagegen hatte der G-BA geklagt und bereits in zwei Instanzen gewonnen. Auch das Bundessozialgericht urteilte nun: Es sei nicht zu beanstanden, wenn der G-BA die Protonentherapie bei Mammakarzinom von der Leistungspflicht ausschließe, weil zu wenig aussagekräftige Studien vorlägen. Die Richtlinie des G-BA kann nun in Kraft treten, die Thera- pie wird nicht mehr von der Krankenkasse bezahlt. Diese Entscheidung dürfe auch versorgungsbereichsübergrei- fend nach denselben Kriterien, wie sie für die ambulan- te vertragsärztliche Versorgung maßgeblich sind, ge- troffen werden, heißt es in der Urteilsbegründung. Der Vorsitzende des G-BA sieht sich durch das Urteil in sei- ner Rechtsauffassung bestätigt. „Wir sind nicht gegen Fortschritt, aber wir wollen keine Versorgung der ge- setzlich Krankenversicherten mit unerforschten und da- mit fragwürdigen Methoden“, sagte Dr. jur. Rainer Hess.
Ebenso bedeutsam für die künftige Stellung des Bundesausschusses im gesundheitspolitischen Macht- gefüge sind die Ausführungen des höchsten Sozialge- richts zum Aufsichtsrecht des BMG. Dieses sei bei der Überprüfung der Richtlinienbeschlüsse des G-BA auf die Rechtsaufsicht, also die Kontrolle eines ordnungs-
gemäßen Verfahrens, zu beschränken, urteilten die Richter. Politische Zweckmäßigkeitserwägungen dürf- ten hier keine Rolle spielen, für die fachliche Bewer- tung sei der Bundesausschuss zuständig. Würde das BMG Inhalte von Richtlinien selbst detailliert festlegen und damit die Gestaltungsfreiheit des G-BA aushöhlen, führte dies zu einem Konflikt mit der grundgesetzlichen Verankerung der Selbstverwaltung in der Sozialversi- cherung. Ein Sieg also auf der ganzen Linie für den Ge- meinsamen Bundesausschuss, dem Spitzengremium der gemeinsamen Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Aber: Man sollte das bei den Verhandlungen vorge- brachte Argument einer mangelhaften demokratischen Legitimation des Bundesausschusses, die durch erwei- terte Befugnisse des BMG ausgeglichen werden müsse, ernst nehmen. Zumindest die Transparenz der Gremien- arbeit sollte weiter vorangetrieben werden. Öffentliche Sitzungen, bei denen die Teilnehmer abnicken, was zu- vor nicht öffentlich vorentschieden wurde, sind hierbei wenig hilfreich.
Und: Noch aufmerksamer als bisher sollte nach die- sem wegweisenden Urteil darauf geachtet werden, dass der G-BA nicht allein aus Kostengründen neue Metho- den aus der GKV-Leistungspflicht ausschließt und so medizinischer Fortschritt verhindert wird.
Thomas Gerst Redakteur für Gesundheits- und Sozialpolitik
GEMEINSAMER BUNDESAUSSCHUSS
Freiraum in letzter Instanz
Thomas Gerst