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ainer Hess ist nicht unzufrie- den. Schließlich hät- te es, betrachtet man die Entwurfsfassun- gen zum GKV-Wett- bewerbsstärkungsge- setz (GKV-WSG), für das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwal- tung in der gesetzlichen Krankenver- sicherung schlimmer kommen kön- nen. Die Politik habe den Gemeinsa- men Bundesausschuss (G-BA) kom- plett dem Staat einverleiben wollen, bekräftigt der G-BA-Vorsitzende. In- tensives Ringen sei nötig gewesen, um die Selbstverwaltungsstrukturen zu erhalten. Ursprünglich sei vor- gesehen gewesen, dass die Vertre- ter der GKV-Vertragspartner nicht mehr von ihren Organisationen ent- sandt, sondern als Hauptamtliche in ein Dienstverhältnis zum G-BA eingesetzt werden. Dies hätte eineAbkoppelung von den jeweiligen Selbstverwaltungspartnern bedeutet und die Gefahr weisungsgebunde- ner Entscheidungen mit sich ge- bracht. Zur Erleichterung vieler Be- teiligter wurde dies nicht realisiert.
Die Hauptamtlichkeit der Unpartei- ischen, die nun vom Gesetz vorge- schrieben wird, sei „ein politischer Kotau gegenüber dem Gesetzgeber“
gewesen – so Hess.
Dass Hess nicht vollkommen zu- frieden ist, liegt an anderen Dingen:
Der Gesetzgeber hat den G-BA nicht nur mit einer Fülle neuer Auf- gaben versehen, die schon bald erle- digt sein müssen. Er hat auch an sei- ner Ankündigung festgehalten, das Spitzengremium straffen zu wollen.
Damit soll die Professionalität des G-BA erhöht und dessen Informa- tionstransfer gefördert werden. Das heißt im Klartext: Ab Mitte 2008 gibt es nur noch eine sektorenüber- greifende Beschlusskammer, nicht
mehr wie bislang – je nach Gegen- stand – Beschlüsse des G-BA in sechs verschiedenen Besetzungen (§ 91 SGB V). Egal ob es um vertragsärztliche Fragen, die zahn- ärztliche Versorgung, um psycho- therapeutische oder stationäre An- gelegenheiten geht oder um über- greifende finanzielle Fragestellun- gen, es tagt und entscheidet künf- tig ein Gremium in ein und dersel- ben Besetzung – zu viel der Straf- fung in einem einzigen Gremium, urteilt Hess.
Sorge um Qualitätseinbußen bei der Entscheidungsfindung
Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und Kassenärztliche Bundes- vereinigung (KBV) entsenden je- weils zwei Vertreter, einen weiteren die Kassenzahnärztliche Bundesver- einigung, vom neuen Spitzenverband Bund der Krankenkassen kommen fünf Vertreter in die Beschlusskam- mer. Fünf statt bislang neun Patien- tenvertreter nehmen ohne Stimm- recht an den Sitzungen teil; diese er- folgen künftig öffentlich. Auch in den Unterausschüssen, in denen die Mitglieder Richtlinienbeschlüsse vorbereiten, soll dann sektoren- übergreifend gearbeitet werden; die Anzahl dieser Ausschüsse soll deut- lich reduziert werden.Anders als bisher sollen die Unparteiischen in Zukunft antrags- berechtigt sein – eine Regelung, die von der Bundesärztekammer (BÄK) in ihrer Stellungnahme zum Gesetz- entwurf kritisiert wird. Im Fall eines selbst gestellten Antrags könne dann nicht mehr der Part eines un- parteiischen Vermittlers eingenom- men werden. Glücklich ist man bei der BÄK auch nicht mit der Rege- lung, dass das Bundesgesundheits- ministerium auf dem Wege der
GEMEINSAMER BUNDESAUSSCHUSS
Hauptamtlich unparteiisch
Veränderte Struktur, neue gesetzliche Aufgaben – auf das Spitzengremium der gemeinsamen Selbstverwaltung kommen mit der Gesundheitsreform neue Herausforderungen zu.
Foto:Keystone
Sektoren- übergreifend:
In Zeiten von DRGs macht es wenig Sinn, Qualitäts- sicherung auf das Krankenhaus zu be- schränken.
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Fristsetzung den Entscheidungspro- zess im G-BA beschleunigen kann.
Der Zeitdruck werde zu Qualitäts- einbußen bei der Entscheidungsfin- dung führen oder aber Willkürent- scheidungen im Sinne von Parti- kularinteressen begünstigen. Hess sieht zudem die Gefahr, dass eine Entscheidung absichtlich verzögert wird; denn nach Ablauf der Frist oh- ne eine Entscheidung werde eine beantragte Leistung automatisch in den GKV-Leistungskatalog aufge- nommen.
Der unparteiische Vorsitzende muss künftig hauptamtlich tätig sein, die beiden weiteren unpartei- ischen Mitglieder können, müssen aber nicht, hauptamtlich tätig sein.
Ausnahmen sind möglich, wenn die Unparteiischen nur für eine ge- wisse Zeit im G-BA tätig sind und deren Arbeitgeber sie für diese Zeit freistellt. Wer hauptamtlich unpar- teiisch arbeitet, steht in einem Dienstverhältnis zum Bundesaus- schuss – nicht zum Bundesgesund- heitsministerium. Die Unpartei- ischen müssen zudem den Vorsitz sämtlicher neun Unterausschüsse übernehmen. Kleines Trostpflaster für den Mehraufwand: Das Gehalt der Unparteiischen soll dem eines Kassen- oder KBV-Vorstandsvor- sitzenden vergleichbar sein.
Obwohl die Grundstrukturen des G-BA als gemeinsames Selbst- verwaltungsgremium erhalten blei- ben, gibt es Kritik von den Beteilig- ten. Am deutlichsten stößt das Ein- kammersystem bei der DKG auf Ablehnung. „Es kann nicht sein, dass die zentralen Aufgaben der Selbstverwaltung – Innovationszu- lassung und Qualitätssicherung – auf ein einziges Beschlussgremium konzentriert werden“, heißt es dort.
Ein Gremium, in dem die Kranken- hausmedizin in einer „hoffnungs- losen Minderheit“ sei, könne bei- spielsweise nicht sachgerecht zu Qualitätsstandards in der Transplan- tationsmedizin entscheiden. Bleibe es bei der derzeitigen Regelung eines sektorenübergreifenden Aus- schusses, der Entschlüsse fällt, sei mit „sachfremden Entscheidungen“
und einer „Politisierung der Selbst- verwaltung“ zu rechnen, befürchtet die DKG.
Derlei Ängste hegen auch ande- re. KBV-Chef Dr. med. Andreas Köhler beispielsweise hält eine gemeinsame Entscheidungsfindung
„für schwierig“. Aber egal, welche Wendungen die Neuregelung nach sich ziehe, zu ändern sei sie nicht mehr. Deshalb, fügt KBV-Chef Köhler hinzu, bleibe jetzt nur ab- zuwarten, ob die neue Regelung funktioniere.
Konstruktion bietet Anreiz für taktische Spielchen
Die Patientenbank sieht die Gefahr, dass das neue Gremium zur reinen„Abstimmungskammer“ mutieren könnte. „Wir befürchten, dass wich- tige Entscheidungen bereits im Vorfeld der öffentlichen Sitzungen getroffen werden könnten“, sagt Stefan Etgeton, Referent für Ge- sundheitsfragen beim Verbraucher- zentrale Bundesverband (vzbv), ge- genüber dem Deutschen Ärzteblatt.
„Deshalb wollen wir darauf drän- gen, dass auch bei der öffentlichen Abstimmung Argumente ausge- tauscht werden“, betont der vzbv- Referent.
Im G-BA selbst bezeichnet man die veränderte Struktur als unglück- liche Konstruktion, die Möglich- keiten für taktische Spielchen biete.
Denn es würde ja über Angelegen-
heiten entschieden, die einzelnen Mitgliedern des Gremiums völlig egal sein könnten. Je nach Entschei- dung könnten sich die entschei- dungsberechtigten Mitglieder auf die eine oder andere Seite schlagen und Seilschaften bilden. Hess be- fürchtet, dass hier in einer Art
„Kuhhandel“ Entscheidungen auf den Weg gebracht werden. So könn- te sich der neue G-BA als „prozess- trächtiges“ Gremium erweisen.
Eine besonders heikle Aufgabe kommt auf den G-BA in der der- zeitigen Besetzung bei der schon bald zu treffenden Regelung der verminderten Belastungsgrenze bei chronisch kranken Menschen zu.
Künftig sollen nur die GKV-Ver- sicherten von der reduzierten Zu- zahlungsgrenze profitieren, die vor ihrer Erkrankung die für sie rele- vanten Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch genommen haben. Der G-BA soll die Ausnahmen fest- legen, in denen die Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen nicht zwingend zur Erreichung der ein- prozentigen Zuzahlungsgrenze vor- zugeben ist (§ 62 SGB V). Vor dem Hintergrund, dass es viele Kritiker gibt, die auf die fehlende Evidenz eines positiven Nutzen-Schaden- Verhältnisses bei Krebsfrüherken- nungsuntersuchungen hinweisen, erscheint dies keine leichte Aufga- be zu sein. Für die Nichtteilnahme an einem Screening, dessen Nut- zen wissenschaftlich nicht belegt ist, Sanktionen einzuführen, könn- te allgemein zu einer verringerten Akzeptanz gesetzlicher Präventions- regelungen führen – ganz abgesehen davon, dass es die Sozialgerichte über einen längeren Zeitraum be- schäftigen könnte.
Der Vorsitzende des G-BA ist sich der Problematik dieser Geset- zesvorgabe durchaus bewusst. In einer Arbeitsgruppe beim Unter- ausschuss Prävention werde man sich mit der Prüfung aller Ein- wände, die bei der Bundestags-An- hörung dazu vorgebracht worden seien, befassen. Mit den Kranken- kassen und den Ärzten gebe es einen gewissen Grundkonsens, vor dem Hintergrund der strittigen Evidenz die Ausnahmeregelungen großzügig zu bestimmen, betonte Rainer Hess:
Der G-BA-Vorsit- zende zeigt sich zufrieden, das Gremium vor zu viel staatlichem Zugriff bewahrt zu haben.
Foto:G-BA
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Hess gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt.
Mit den Regelungen in § 137 des GKV-WSG werden die Einzelbe- stimmungen zur Qualitätssicherung einer sektorenübergreifenden und einheitlichen Regelung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss un- terstellt. Unstrittig bei den Beteilig- ten ist, dass es sinnvoll ist, den bis- her bestehenden Paragrafenwust in einem einheitlichen Verfahren zu regeln. Im DRG-Zeitalter könne man es sich nicht leisten, isolierte Qualitätssicherung für die oft nur wenigen Tage Krankenhausaufent- halt zu betreiben, beurteilt Hess die Neuregelung. Dringend notwen- dig sei es, Behandlungsabläufe auf der Grundlage pseudonymisierter Daten sektorenübergreifend nachzu- verfolgen.
Über die konkrete Ausgestaltung gab und gibt es allerdings unter- schiedliche Auffassungen. Laut
GKV-WSG beauftragt der Gemein- same Bundesausschuss im Rahmen eines Vergabeverfahrens eine fach- lich unabhängige Organisation mit der Durchführung der Qualitätssi- cherung.
Neuordnung der sektorenüber- greifenden Qualitätssicherung
Bereits bestehende Einrichtungen sollten genutzt und in ihrer Organi- sationsform den neuen Aufgaben angepasst werden, heißt es ominös.Gemeint ist damit die Bundes- geschäftsstelle Qualitätssicherung (BQS) mit ihren Landesgeschäfts- stellen, bisher in privatrechtlicher Trägerschaft von BÄK, DKG, Spit- zenverbänden der Krankenkassen und Verband der Privaten Kranken- versicherung. Recht unverhohlen hatte der Gesetzgeber noch im ur- sprünglichen Entwurf die Notwen- digkeit einer Reorganisation damit begründet, dass die BQS-Gesell-
schafter die notwendige Unab- hängigkeit von Verbandsinteressen nicht ausreichend gewährleisteten.
BÄK und KBV kritisieren die an- gestrebte Loslösung der BQS von den tragenden Selbstverwaltungs- einrichtungen. Zudem werde die fehlende Einbindung der Landesge- schäftsstellen in den Prozess der Qualitätssicherung zu einem massi- ven Einbruch bei der Akzeptanz des BQS-Verfahrens führen. Rainer Hess hält dagegen eine Umorganisa- tion der BQS angesichts des er- weiterten Aufgabenspektrums für unabdingbar. Nicht allein KBV, sondern auch Bundespsychothera- peutenkammer, Bundeszahnärzte- kammer oder Patientenvertreter ge- hörten mit in die neu zu schaf- fende Organisation. Notwendig sei eine größere Unabhängigkeit der Geschäftsführung von den Trä- gerorganisationen. Sollte sich die Bundesgeschäftsstelle Qualitätssi- cherung dergestalt einem Vergabe- verfahren stellen, sieht Hess aller- dings nur wenig Chancen für an- dere Bewerber.
Die spezialisierte ambulante Palliativversorgung wird mit dem GKV-WSG als neue Leistung in die gesetzliche Krankenversiche- rung eingeführt (§ 37 b SGB V).
Versicherte mit einer nicht heil- baren Krankheit bei zugleich be- grenzter Lebenserwartung, die eine besonders aufwendige Versorgung benötigen, haben Anspruch darauf.
Bis zum 30. September 2007 soll der G-BA in Richtlinien über Inhalt und Umfang dieser Palliativversor- gung sowie über die Anforderungen an die Erkrankungen bestimmen.
Man gehe nicht mit Budgetvorga- ben an diese neue Aufgabe heran, betont der G-BA-Vorsitzende. Der Gesetzgeber habe den Anspruch auf diese palliativmedizinische Versor- gung neu eingeführt und den G-BA auf die zügige Definition der Leis- tungsansprüche verpflichtet. Bei den Erörterungen im zuständigen Unterausschuss „Häusliche Kran- kenpflege“ werde natürlich auch die Wirtschaftlichkeit der Versor- gung eine Rolle spielen, Luxus- modelle werde man nicht ins GKV- System einführen können. I Martina Merten, Thomas Gerst DÄ: Dem G-BA wird im Gesetz
die Regelung der sektoren- übergreifenden Qualitätssi- cherung zugewiesen. Kann man das als einen direkten Angriff auf die Stellung der Bundesgeschäftsstelle Qua- litätssicherung (BQS) verste- hen?
JJoonniittzz::Im Prinzip nein. Die Zu-
ständigkeiten für die Qualitätssi- cherung hatte der G-BA bereits zuvor. Zwischen den Zeilen und in der ursprünglichen Begrün- dung spürt man allerdings die versuchte Enteignung der Träger der BQS – nämlich GKV, PKV, DKG, BÄK unter Beteiligung des Deutschen Pflegerates – durch die Politik und den G-BA.
DÄ: Der Vorsitzende des G-BA mahnt eine größere Unabhän- gigkeit des neu auszuschrei- benden QS-Instituts von den Leistungserbringern an. Kann
eine Organisationsform wie die des IQWiG dafür Vorbild sein?
JJoonniittzz::Die BQS ist unabhängig.
Wer anderes behauptet, muss Belege dafür liefern. Der G-BA macht gesetzesähnliche Vorgaben und ist deshalb eine Körperschaft. Das IQWiG soll unabhängig denken und ist eine Stiftung. Die BQS soll die Qualitätsentwicklung vorantrei- ben. Das geht nur mit den Betroffenen und schon gar nicht gegen diese. Deshalb ist die BQS eine GmbH in gemein- samer Trägerschaft der Ver- antwortung Tragenden im Ge- sundheitswesen. Wer es anders will, wird scheitern. Irgend- welche Zahlen und Meinungen einer frei im Raum schweben- den Einrichtung werden lediglich Ausweichmanöver produzieren – und vorher viel Papier.
DÄ: Halten Sie die sektoren- übergreifende Qualitätssiche- rung grundsätzlich für sinnvoll?
JJoonniittzz::Qualität ärztlicher und
pflegerischer Arbeit ist nicht auf Sektoren beschränkt. Viele Er- gebnisse der Krankenhausbe- handlung werden erst im ambu- lanten Bereich oder in der Reha sichtbar. Deshalb ist eine sekto- renübergreifende Qualitätssiche- rung unabdingbar. Der Kardinal- fehler ist auch hier der wohl un- stillbare Wunsch einiger Alt-Den- ker nach einer Qualitätskontrolle durch Konfrontation mit mehr oder weniger belastbaren Zahlen aus zusammengestellten Routi- nedaten. Qualitätsmanagement ist aber ein Führungsinstrument und kein Mess- oder Kontrollin- strument. Um zu führen, brauche ich relativ wenige Zahlen und den Mut, die richtigen Fragen zu stellen und Verantwortung zu übernehmen. Daran fehlt’s.
3 FRAGEN AN…
Dr. med. Günther Jonitz,
Präsident der Ärztekammer Berlin