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Archiv "Arztgeschichten: „Endlich loslassen können“" (01.04.2005)

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A926 Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 131. April 2005

E

in multimorbider Parkin- sonpatient erlitt nach Na- gelung eines Oberschen- kelhalsbruches eine Pneumo- nie, fiel ins Koma und wurde 24 Tage lang auf einer Intensiv- station behandelt. Dort wurde eine PEG angelegt. Im Entlas- sungsbericht stehen weitere Diagnosen nach ICD-10 wie Harnwegsinfekt, Hypertonus, entgleister Diabetes mellitus mit Polyneuropathie, dekom- pensierte Nephropathie und Vorhoftachykardie. Nach zehn- wöchiger stationärer Reha- bilitation kehrte der Patient nach Hause zurück. Fünf Mo- nate später schrieb der Ver- fasser, der den Patienten seit Jahrzehnten kennt, an den Chefarzt der Intensivstation:

„Sehr geehrter Herr Kolle- ge, Ihr früherer Patient Herr Lehmann* feierte kürzlich zu

Hause im Kreise von Ver- wandten und Bekannten den 70. Geburtstag, sicher auch dank Ihrer und Ihrer Mitar- beiter Bemühungen.

Andererseits ergaben sich Probleme gegenüber der Ehefrau, die sich täglich um ihren Mann kümmerte. Sie wurde in mehrfachen Ge- sprächen mit Ärzten und Ärztinnen Ihrer Klinik aufge- fordert, die Erlaubnis zu er- teilen, die nichtinvasive Mas- kenbeatmung einzustellen, da diese wegen der schlechten Prognose keinen Sinn mehr mache. Die Frau des Patien- ten wies darauf hin, dass ihr Mann trotz seines komatösen Zustandes manchmal auf Aufforderung ihre Hand ge- drückt hatte und dass sie si- cher sei, ihr Mann wünsche zu leben. Dennoch musste sie sich während der Arztge- spräche mehrmals sagen las-

sen, sie solle doch „endlich los- lassen“. Sie hat viel Kraft aufgewandt, um sich, wie sie sagt, „gegen die Ärzte durchzusetzen“.

Nur eine Schwester und ein Pfleger der Intensivstation sowie die Pfarrerin standen ihr seelisch bei.

Herr Lehmann benötigt weiterhin erhebliche häusli- che Pflege (Stufe 3). Jedoch hilft er zunehmend bei den Transfers und sitzt tagsüber im Wohnzimmer. Zur Weih- nachtszeit fuhr er zweimal mit dem Behindertenbus aus, er- freute sich im Rollstuhl sit- zend zusammen mit seiner Frau am Weihnachtsmarkt und am Lichterschmuck der Innenstadt. Auch sein großer Wunsch, selber wieder essen zu können, ging in Erfüllung, seit nach einer fiberoptisch- endoskopischen Schluckun- tersuchung der Aufbau oraler Nahrungsaufnahme angera- ten wurde.Trotz seines schwe- ren Leidens äußert Herr Leh- mann nicht den Wunsch zu sterben, bedankte sich viel- mehr bei seiner Frau dafür, dass sie ihm das Leben geret- tet habe.

Irrtümer bei Diagnose, Therapie oder Prognose sind in unserem Beruf unvermeid-

lich, weil wir Menschen sind.

Deshalb erscheint es mir pro- blematisch, wenn Ärzte, auch wenn sie von einer infausten Prognose überzeugt sind, die Hoffnung ihrer Patienten und derer Angehörigen völlig zer- stören. Damit zerstören sie auch das Vertrauen der Men- schen, dass Ärzte alles versu- chen, ihr Leben zu erhalten.

Ärzte selbst geraten in Ge- fahr, vorzeitig Leben aufzu- geben, wenn sie noch nicht er- kannt haben, wie wertvoll ein jeder Tag in einem nach ihrem eigenen Empfinden ,nicht le- benswerten‘ Leben sein kann.

Mit kollegialem Gruß.“

Das Abschalten lebens- wichtiger Geräte mit dem Hinweis auf die Notwendig- keit, „loslassen zu können“, mutet den Angehörigen die Verantwortung zu. Das und die heute als „Unterstüt- zung kranker Menschen am Lebensende“ verbrämte Eu- thanasie (dazu DÄ, Heft 1–2/2005) sowie die Missach- tung beginnenden menschli- chen Lebens erscheinen inhu- man. In 60 Jahren mögen un- sere Nachfahren fragen: „Wie konnte man nur so etwas zu- lassen“ und eine historische Aufarbeitung unserer Zeit durchführen.

Dr. med. Horst Kalthoff

Seit 2003 veröffentlicht das Deutsche Ärzteblatt regelmäßig Arztgeschichten – zunächst aus der Literatur, seit Heft 3/2004 vorwiegend Beiträge aus der Leserschaft.

„Endlich loslassen können“

E

s war im Jahre 1962. Nach abgeschlossenem Studi- um und Medizinalassi- stenzzeit landete ich an einem mittelgroßen Krankenhaus in Stade. Eines Tages ging ich wie üblich mit meinem Spritzentablett von Bett zu Bett, um die fälligen i.v.-In- jektionen zu verabreichen, damals noch die so häufigen täglichen Injektionen von Cordalin-Strophanthin – heu- te längst vergessen. In einem der damals üblichen 8-Bet- ten-Säle verabreichte ich ei- ner Patientin schön langsam

ihr Eisenpräparat i.v., ging weiter zur nächsten Patientin.

Dort gerade mit der Injektion fertig, sagte die Vorgängerin

„mir wird schlecht“, wurde blass und schloss die Augen.

Ich eilte hin: kein Puls, weder peripher noch auskultato- risch. Noch einige Atemzüge.

Was tun?

Es gab noch keine Mund- zu-Mund-Beatmung (davon las ich erstmals ein Jahr später in Reader’s Digest), keine Herzdruckmassage, keinen Monitor, keinen Defibrillator.

Das nächste EKG stand in

einem anderen Gebäude in 150 m Entfernung. Dort saß auch der Oberarzt. Das einzig mir bekannte Mittel: Supra- renin 1 : 1 000 intrakardial – was ich noch nie gemacht hatte.

Ich stürzte auf den Gang, brüllte lauthals: „Schwester, schnell eine Ampulle Supra- renin mit langer Nadel!“ Es ging relativ schnell, wenn auch beim Aufziehen der hal- be Ampulleninhalt verschüt- tet wurde. Ich stach vor- schriftsmäßig, natürlich ohne Lokalanästhesie, im 4. ICR links parasternal ein, bis Blut

kam, und injizierte. Nichts geschah, die Nadel mit auf- gesteckter Spritze blieb unbe- weglich! „Noch eine Ampulle aufziehen“ – mein nächstes Kommando. Doch da, oh Wunder: Die Nadel begann sich rhythmisch zu bewegen.

Schnell raus mit der Nadel!

Noch eine halbe Minute, die Patientin schlug die Au- gen auf.

Wie es weiterging: Die Pa- tientin blieb einen Tag im Bett, es gab kein Herz-Echo zum Ausschluss eines Häma- topericards, keine Monitor- überwachung. Die Patientin wurde nach einigen Tagen be- schwerdefrei entlassen.

Seither habe ich nie mehr Eisen i.v. gegeben.

Dr. med. Klaus Reichel

Therapie des Herzstillstandes vor 40 Jahren

*Name geändert

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