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50 DIE PTA IN DER APOTHEKE | November 2021 | www.diepta.de

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ls Traumata bezeichnet man in der Psychia trie Ausnahmesituatio- nen, die mit belasten- den Ereignissen, wie beispielsweise Krieg, Unfällen, Naturkatastrophen oder körperlichen, psychischen oder sexuellen Gewalttaten, einhergehen.

Sie führen zu einer tiefen seelischen Erschütterung und können sich auch körperlich manifestieren. Eine Er- fahrung ist genau dann traumatisie- rend, wenn sie die Bewältigungsfä- higkeit der Person übersteigt.

Eingriff in die psychische Ge- sundheit Betroffene reagieren in der Regel unmittelbar nach dem Er- lebten mit extremem Stress, emo- tionaler Taubheit (Numbing) oder starken, emotionalen Schwankun- gen. Diese akuten Belastungsreakti- onen (ABR) lassen meist nach kurzer Zeit wieder nach. Langfristig entwi- ckelt sich bei einigen Menschen je- doch eine posttraumatische Belas-

tungsstörung (PTBS), die sich durch Albträume, Vermeidungsverhalten, Gefühlstaubheit oder durch auf- kommende Erinnerungen in Form von unkontrollierten Gedanken und Flashbacks äußert. Die aufkommen- den, belastenden Erinnerungen in Form von Bildern, Flashbacks oder Albträumen bezeichnet man als In- trusionen. Auch Angstgefühle, Un- ruhe, Schlafstörungen, Depressivi- tät, Hilflosigkeit, Verzweiflung oder eine eingeschränkte Wahrnehmung der Umgebung sind charakteristische Beschwerden. Symptome der Über- erregung, wie Schlafstörungen, eine verstärkte Reizbarkeit oder Schreck- haftigkeit zählen zum sogenannten Hyperarousel, dem Zustand eines permanent erhöhten Aktivitätsni- veaus. Die Lebensqualität sowie die Bewältigung des Alltags von Men- schen mit PTBS können stark be- einträchtigt sein. Sie sollten sich möglichst frühzeitig in eine Trauma- therapie begeben.

Grundsätzlich sind verzweifelte Re- aktionen auf Traumata allerdings nicht automatisch pathologisch, son- dern gehören zur Bewältigung des Ereignisses. Problematisch wird es, wenn der Alltag nur schwer zu be- wältigen ist, Betroffene permanent gedanklich mit der Situation be- schäftigt sind oder es zu gravieren- den Verhaltensänderungen kommt.

Empfehlen Sie Kunden, die über traumatische Erlebnisse berichten, den Besuch eines Facharztes, so- dass dieser die Situation beurtei- len kann. Das ICD-10 unterscheidet unter der Bezeichnung „Reaktionen auf schwere Belastungen und An- passungsstörungen“ drei verschie- dene Krankheitsbilder und zwar die bereits erwähnten ABR und PTBS sowie eine Anpassungsstörung, die auf eine psychosoziale Belastung (Trennungen, Konflikte, Tod von Be- zugspersonen, Geburt eines Kindes) folgt. Bei Letzterer handelt es sich demnach nicht um typische katast-

Endlich loslassen

Das Wort Trauma stammt aus dem Griechischen, bedeutet „Wunde“ und meint ein Geschehen, das in der Regel das Leben oder die Gesundheit bedroht. Dies können körperliche oder seelische Wunden sein.

© Pict Riderv / iStock / Getty Images

PRAXIS PSYCHOLOGIE IN DER APOTHEKE

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DIE PTA IN DER APOTHEKE | November 2021 | www.diepta.de

rophale Ereignisse, sondern um Si- tuationen mit einem hohen Maß an Veränderungen des eigenen Lebens.

Psychologische Betreuung Eine Traumatherapie setzt sich in der Regel aus drei Phasen zusam- men. Die erste, die Stabilisierungs- phase, dauert meist am längsten.

Betroffene lernen bestimmte Tech- niken, um mit Ängsten, Albträumen und anderen Manifestationen des Traumas umzugehen. In vielen Fäl- len helfen Entspannungsverfahren, zusätzlich bietet sich die Einnahme von Antidepressiva an, um beispiels- weise Ängste und Schlafstörungen zu reduzieren. In der Traumaaufar- beitungsphase findet die Konfron- tation mit dem belastenden Ereig- nis statt, damit die Verarbeitung in Gang gesetzt wird. Hier kommen verschiedene Methoden zur Anwen- dung, wie etwa das Eye Movement Desensitization and Reprocessing (siehe unten). Es existieren weitere Ansätze in der Traumatherapie, bei- spielsweise die kognitive Verhaltens- therapie, die psychodynamische Psy- chotherapie (unbewusste Wirkungen des Traumas werden behandelt), die narrative Konfrontation (die erin- nerten Elemente des Traumas wer- den zu einer Geschichte zusammen-

gefügt) oder das Imagery Rescripting nach Smucker („Bild-Neuschreiben“

nach sexueller Traumatisierung).

Gelegentlich kann es zu Dissoziatio- nen während der Therapie kommen, wobei der Patient das Gefühl hat, nicht er selbst zu sein (Depersona- lisation) und die Welt aus einer Di- stanz zu erleben (Derealisation). In solchen Situationen greift der Thera- peut sofort ein, um den Bezug zum Hier und Jetzt wiederherzustellen

und die Aufmerksamkeit von Betrof- fenen wieder in die Realität zurück- zuholen.

Die letzte Phase einer Traumathe- rapie ist die Integrationsphase, in welcher die nicht mehr rückgän- gig zu machenden Ereignisse akzep- tiert und in den Lebenslauf integriert werden. Zusätzlich beschäftigen sich Therapeut und Klient mit dem Auf- bau neuer Lebensperspektiven sowie mit der Vorbeugung von Rückfällen.

Heilendes Augenrollen Bei der EMDR-Methode (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) handelt es sich um eine effektive Be- handlungsmaßnahme, die bei post- traumatischen Belastungsstörun- gen hilfreich ist. Das Verfahren gilt als eines der großen Hoffnungsträger in der Traumatherapie und wird seit Ende der 1980er Jahre angewendet.

Vorteilhaft ist, dass weniger Therapie- sitzungen als bei einer Verhaltensthe- rapie benötigt werden. Außerdem gilt die Abbruchquote als relativ gering.

EMDR wurde von der amerikani- schen Psychologin Francine Shapiro, einer Forscherin vom Mental Rese- arch Institute in Palo Alto (Kalifor- nien), entwickelt. Der Patient ver- folgt beim EMDR mit den Augen die Finger des Therapeuten, während

er sich auf eine von ihm nicht ver- arbeitete Erinnerung konzentriert.

Im Gehirn wird dadurch vermutlich ein Informationsverarbeitungspro- zess aktiviert, bei dem sich der Pa- tient an das traumatische Erlebnis erinnert, das bei ihm heftige Reakti- onen hervorruft. Das Trauma ist im Gedächtnis oft in Form von bruch- stückhaften Teilen hinterlegt, durch die visuelle Stimulierung werden die Erinnerungsstücke zusammengefügt

und im Gedächtnis von nun an als Ganzes gespeichert. Man geht dem- nach von einer Synchronisation der beiden Hirnhälften aus, da die Ge- hirnhälften abwechselnd aktiviert werden (bilaterale Stimulation). Die Geschehnisse werden auf diese Weise verarbeitet und in die Biografie inte- griert, anstatt als Fremdkörper zu stören. Sie sind nun Teil der Lebens- geschichte und emotional entschärft.

Sleep mimicry-Modell Es gibt weitere Erklärungen dazu, wie die EMDR-Methode wirken soll: Eine andere Theorie geht davon aus, dass die rapid eye movement-Phase (REM-Phase) des Schlafs durch die Augenbewegungen imitiert wird.

In dieser Phase findet in der Nacht die Verarbeitung von negativen Er- fahrungen statt. Bestätigt wird diese Vermutung durch Studien, die zei- gen, dass beim EMDR ähnliche Hirnwellenmuster im EEG auftreten wie im REM-Schlaf.

Äußern Kunden bei Ihnen in der Apotheke Interesse an einer EM- DR-Behandlung, können Sie sie auf die Homepage emdria.de hinwei- sen. Emdria ist der wissenschaftliche Fachverband für die Anwender der Methode, die aus Ärzten, psycholo- gischen Psychotherapeuten und The-

rapeuten für Kinder und Jugendliche bestehen. Die gesetzlichen Kranken- kassen übernehmen die Therapie- kosten bei PTBS. Auch Heilpraktiker bieten diese Methode gelegentlich an, die Behandlung muss in diesen Fällen von den Patienten selbst ge- zahlt werden.  n

Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie, Fachjournalistin

»In der Traumaaufarbeitungsphase findet die

Konfrontation mit dem belastenden Ereignis statt,

damit die Verarbeitung in Gang gesetzt wird.«

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