[84] Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 44⏐⏐3. November 2006
S C H L U S S P U N K T
E
s war Anfang der 80er-Jahre – die alternative Ge- burtshilfe wurde propagiert, während die Klinik- entbindung nicht mehr ganz „in“ war: Etwa ein Jahr nach Beendigung meiner gynäkologischen Weiterbil- dung im Stadtkrankenhaus – ich hatte die Klinik ge- wechselt, um Urologie zu betreiben – erhielt ich eines Sommerabends, im Garten beschäftigt, einen Anruf, ichmöge doch gleich zu einer Ent- bindung ins Nachbardorf kom- men, es eile sehr! Maria, eine mir bekannte Hebamme aus dem Stadtkrankenhaus, hatte auf An- raten des Hausarztes angerufen – beide schon vor Ort – und um Hilfe gebeten, da wohl ein Damm- schnitt bei der Erstgebärenden nötig werde und sie schon Press- wehen habe.
Ich also in Arbeitskleidung und Sandalen – es reichte noch zum Händewaschen, rein in den Wagen und ab ins drei Kilometer entfernte Nachbardorf. Das Haus zu finden war nicht schwer, da schon ein Krankentransportwagen der Feuerwehr auf der Straße stand (den man wohl kurz vorher angerufen hatte, ehe die Idee auf mich gekommen war). Die Ge- bärende lag auf einer ebenerdi- gen Matratze in einem schwül- warmen, überhitzten Zimmer mit dicken Schmeißfliegen an den Gardinen, sonst – außer einer kleinen Handlampe – ohne Möblierung. Ich knie- te nieder und sah das Köpfchen kurz vor dem Austritt, die Haut des Dammes war stark gespannt. Unter Aus- nutzung einer Wehe schnitt ich eine medio-laterale Epi- siotomie. Das Kind kam kurz darauf ohne Zeichen einer Asphyxie zur Welt, wurde abgenabelt und der glückli- chen Mutter auf Brust und Bauch gelegt sowie mit ei- nem Tuch abgedeckt. Ich fragte nach einem Eisbeutel und bekam vom Ehemann ein Paket tiefgefrorene Bratwürstchen, das auf den Unterbauch der Mutter un- ter das Tuch gelegt wurde, mit dem das Kind abgedeckt war. Während ich halb liegend die Episiotomienaht, so gut es bei der Beleuchtung mittels Handlampe möglich war, durchführte, schrie das Neugeborene plötzlich laut, und niemand wusste den Grund. Als die Hebamme das Abdecktuch hoch nahm, sah man, dass die Füsschen die kalten Bratwürste berührt hatten! Um perinatale Frost- schäden abzuwenden, wurde ein Wickeltuch um die Füße geschlagen, und das Kind war beruhigt.
Die Episiotomie ist übrigens komplikationslos ver- heilt, wie ich vom behandelnden Gynäkologen später
erfahren habe. I
Dr. med. D. Bureik
ARZTGESCHICHTE
Eine Hausgeburt
„Maria, eine mir bekannte Hebamme aus dem Stadtkrankenhaus, hatte auf Anraten des Hausarztes angerufen und um Hilfe gebeten.“
Zeichnung:Elke Steiner
Seit Oktober 2003 werden im Deut- schen Ärzteblatt (DÄ) Geschichten publiziert, die Begebenheiten aus der täglichen Arzt-Patienten-Beziehung schildern. In Heft 7/2004 begann das DÄ mit der Veröffentlichung von Beiträgen aus der Ärzteschaft. Auch künftig will das DÄ Arztgeschichten veröffentlichen. Die Redaktion freut sich über jede Zuschrift aus der Leserschaft, auch wenn nur zwölf Geschichten pro Jahr veröffentlicht werden können.
Sie erscheinen regelmäßig in der Rubrik „Schlusspunkt“ und werden von der Berliner Zeichnerin Elke Steiner illustriert. Wer andere an seinen Erfahrungen und Erlebnissen teilhaben lassen möchte, schicke bitte seine Beiträge an die Kultur- redaktion des Deutschen Ärzteblattes (Ottostraße 12, 50859 Köln, Fax: 0 22 34/70 11-1 42; E-Mail:
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