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Archiv "Arztgeschichten" (02.04.2010)

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[96] Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 13

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2. April 2010

ARZTGESCHICHTE

Missachtet mir die Alten nicht!

„Als ich hörte, dass das Thermometer nur 37 Grad zeigte, sagte ich, dass es wohl nicht so eilig sei.“

E

s war im Sommer 1959, also vor einem halben Jahrhundert. Ich hatte meinen Facharzt für Neuro- logie und Psychiatrie an den Freiburger Kliniken „ge- macht“ und benötigte für eine Kassenzulassung in der angestrebten eigenen Praxis den Nachweis von drei Mo- naten Vertretungstätigkeit in einer Kassenarztpraxis.

Ich fand in Gottenheim am Kaiserstuhl, wo in der Sommerhitze ein Jahrhundertwein reifte, einen Kolle- gen, einen „praktischen Arzt“, den ich einen Monat lang vertreten sollte, damit er nach Jahren einmal rich- tig Urlaub machen konnte. Die ungewohnte Arbeit machte mir Freude, und ich fand mich von den Patien- ten und meiner Sprechstundenhilfe angenommen.

An einem Vormittag kam ein Anruf aus dem Nach- bardorf Bötzingen: Eine Großmutter bat um den drin- genden Besuch bei ihrem vierjährigen Enkel, der star- ken Husten habe, fiebere, und dem es schlecht gehe. Die Eltern seien verreist, sie mache sich große Sorgen. Ich bat sie, das Fieber zu messen und in fünf Minuten noch- mals anzurufen. Als ich hörte, dass das Thermometer

nur 37 Grad zeigte, sagte ich, dass es wohl nicht so eilig sei. Ich hätte das Wartezimmer noch fast voll, und ich würde gleich nach dem Mittagessen kommen.

Nach einer knappen Stunde meldete mir die Sprechstundenhilfe, die Großmutter sei zu Fuß vier Kilometer durch die Hitze marschiert, um mich zu holen. Sie sei voller Angst. Da stimm- te doch etwas nicht! Ich setzte mich mit der al- ten Winzerin in den VW, und sie sagte, dass sie den Enkel lieber allein gelassen habe, als län- ger zu warten, und am Telefon hätte ich ihr ja nicht geglaubt.

Wir fanden das Kind im abgedunkelten Zimmer, mit hochrotem Gesicht, fiebernd, hus- tend – die Bronchopneumonie war von der Tür aus zu diagnostizieren, und während ich mich mit dem Notfallkoffer vertraut machte, bat ich, nochmal das Fieber zu messen. Mit zitternder Stimme sagte die Großmutter: „37 Grad.“ „Bitte zeigen Sie mir das Thermo - meter!“ Es stimmte – aber ich bemerkte am Griffende des gläsernen Thermometers die Spur von Fäkalien und erkannte schlagartig, dass die alte Frau mit dem falschen Ende rektal gemessen hatte.

Damals war Penicillin noch eine zuverlässi- ge Wunderwaffe, und Wadenwickel halfen mit, das Fieber von über 40 Grad (richtig gemes- sen) zu senken. Bei meinem Besuch am Abend war das Kind überm Berg. Die Großmutter ent- schuldigte sich für ihre „Dummheit“, und ich sagte ihr zum Trost, dass es eine noch größere Dummheit gewe- sen sei, nicht mit der Lebenserfahrung einer alten Frau zu rechnen. Ich habe es mir gemerkt. So hat das Jahr 1959 nicht nur einen großen Jahrgang produziert, son- dern auch manches Stückchen eigener Erfahrung. ■ Roland Phleps

Seit Oktober 2003 werden im Deutschen Ärzteblatt (DÄ) Geschichten publiziert, die Begebenheiten aus der täglichen Arzt- Patienten-Beziehung schildern. In Heft 7/2004 begann das DÄ mit der Veröffent - lichung von Beiträgen aus der Ärzteschaft.

Auch künftig will das DÄ Arztgeschichten veröffentlichen. Die Redaktion freut sich über jede Zuschrift aus der Leserschaft, auch wenn nur zwölf Geschichten pro Jahr veröffentlicht werden können.

Sie erscheinen regelmäßig in der Rubrik

„Schlusspunkt“ und werden von der Berliner Zeichnerin Elke R. Steiner illustriert.

Wer andere an seinen Erfahrungen und Erlebnissen teilhaben lassen möchte, schicke bitte seine Beiträge an die Kultur- redaktion des Deutschen Ärzteblattes (Ottostraße 12, 50859 Köln, Fax: 02234 7011-142; E-Mail: klinkhammer@aerzte blatt.de). Weitere Informationen unter Telefon: 02234 7011-105. Kli

Zeichnung: Elke R. Steiner

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