• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Arztgeschichten: Sprachlos" (04.02.2005)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Arztgeschichten: Sprachlos" (04.02.2005)"

Copied!
1
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

N

a, wie geht’s denn heu- te?“ Schlecht, formten meine Lippen. Aus der Stelle an meinem Hals, an der das Beatmungsgerät ange- schlossen war, sprudelte nur ein obszönes Gurgeln. „Herr Liebmann, Michael, äh . . . 35 Jahre. Die CK ist weiter ge- stiegen, Herr Professor.“ Der picklige, hoch aufgeschossene Jungmediziner reichte seinem untersetzten Chef meine Akte.

Unsicher spielte die junge Brünette mit einer Haar- strähne und blickte dem Al- ten über die Schulter. „Er ist selber Arzt.“ Er flüsterte, aber ich hatte es gehört.

Die drei Weißkittel beug- ten sich über die Daten, schauten auf die Geräte an den Enden meiner Schläuche und wieder in die Akte. Ich schloss die Augen. Der dicke Chef, den ich unter günstige- ren Umständen heimlich mit dem Namen Billi versehen hatte, weil seine Kopfhaut spie- gelte wie eine Billardkugel, setzte ein Lächeln auf. „Na, Herr Liebmann, wie geht’s denn heute?“ Hört der schwer, oder was? Sehr schlecht . . ., rief ich tonlos.

Das Beatmungsgerät piepte, mein Körper schmerzte, ich konnte mich nicht rühren, und ich musste pissen.

Wie soll es mir wohl gehen, he? „Schön, schön. Das ist ja fein.“ Ein bedeutungsvoller Blick ging von Billi zu meiner zauberhaften Stationsärztin.

„Ich habe die Muskelbiopsie veranlasst.“ „Wer hat Ihnen das denn aufgetragen, Frau Kollegin?“ „Ja, aber, ich dach- te, das sei selbstverständlich, bei seiner Polymyositis.“

„Frau Kollegin!“ Der Alte sog hörbar die Luft ein, legte

den Kopf schräg, senkte die Lider ein wenig, was sei- nem Gesicht einen mitleidig- verschlagenen Ausdruck ver- lieh.

„Haben wir das nicht erst kürzlich besprochen?“ Er wurde streng. „Die Creati- ninkinase ist zu hoch. Sie können noch so viele Gewe- beproben machen, wenn die CK nicht sinkt . . .“ Er hob die Schultern und drehte die Handflächen nach außen.

„Belesen Sie sich bitte, bevor Sie solche Anordnungen treffen.“

Frau Doktor wurde rot.

„Aber wir müssen doch we- nigstens versuchen . . .“ Er warf ihr einen Blick zu, und sie schwieg. Was hat sie gesagt?

Polymyositis? Ich kramte in meinem Gedächtnis, es war so schwer, sich zu erinnern, so schwer, überhaupt zu denken.

Polymyositis? Genau – Mus- kelentzündung mit nachfol- gendem Muskelzerfall, Nie- renversagen . . .

M

ir wurde schlecht. Ob nach der Dialyse mei- ne Niere je wieder von selbst funktionieren wird?

Meine Gedanken verdrillten sich zu einem Knäuel. Der Al- te trat einen Schritt zurück, seine Finger um den Oberarm der jungen Frau gepresst, sie tuschelten, schüttelten die Köpfe.

Dann senkte die Stations- ärztin den Blick und nickte.

Ein paar Worte drangen durch das rhythmische Zi- schen meiner Beatmungsma- schine, etwas wie „. . . zu teu- er“ und „. . . lohnt . . . nicht“.

Mit einem professionell-opti- mistischen Lächeln wandte Billi sich mir wieder zu.

„Na, Herr Liebmann, schon besser, was?!“ Besser . . . Nein, zur Hölle, nichts ist besser.

Plötzlich wusste ich es – sie wollen keine Gewebeprobe nehmen, weil ich keine Dialyse mehr brauche. Machen Sie die Biopsie, verdammt. Ich will nicht sterben! Aus dem Loch in meinem Hals schäumte dünner Schleim, das Gurgeln schwoll an, die Maschine stolperte und löste Alarm aus.

Alles, was ich über die Krankheit wusste, über- schwemmte mit einem Mal mein Gehirn. Fünfzig Prozent Überlebenschance, oder, an- ders ausgedrückt, fünfzig Pro- zent das Risiko zu sterben.

Oh mein Gott . . ., bitte . . .

„Er ist ein bisschen unru- hig. Erhöhen Sie die Sedie- rung auf hundert Mikro- gramm.“ Der Professor nickte Pickelgesicht zu, das Lächeln glitt ab, und er rauschte davon.

Neiiiiin . . ., kein Beruhigungs- mittel. Bleib hier, mach die verfluchte Biopsie, du Ba- stard.

Nur das Brodeln, kein Wort, niemand hörte. Ich zerrte an den Gurten um meine Gelenke. Über mir betätigten geschickte Finger das Eingabefeld der Infusi- onspumpe. Nicht, bitte, ich will nicht schlafen. Einer muss mich doch hören! Einer muss mich doch verstehen!

Tränen schossen mir in die Augen. Das Gesicht von Frau Doktor, der Schönen, Traum- haften zerfloss, wurde blasser, die Stimmen verschwammen.

Nebel. Alleine. Ein Junge, vielleicht zehn, kickte einen Ball von der Ferse auf die Fußspitze. „Ich werde ster- ben.“ „Na und . . .“, sagte er.

„Du auch.“ „Nein, ich nicht.“

„Wohnst du hier?“ „Ja.“ „Wie heißt du?“ „Michael.“ „Dann stirbst du auch.“ „Woher willst du das wissen, Alter?“

Er stemmte die Hände in die Hüften und schob das Kinn nach vorn.

„Ich bin krank, sehr krank.

So krank, dass es keine Ret- tung gibt. Sie machen die Biopsie nicht. Deshalb ster- ben wir.“ „Was du nicht sagst? Und wer hat dir so’n Müll erzählt? Siehst du nicht, dass ich fit bin? Du kannst ja sterben, wenn du willst. Ich nicht!“

„Red doch keinen Schwach- sinn! Wenn ich sterbe, dann stirbst du auch.“ Zorn wallte auf, riss Lücken in den Ne- bel. Es schmerzte. „Dann stirb doch nicht, Blödmann, wenn du willst, oder lass es.“

„Lass es . . . pah! Was soll ich deiner Meinung nach dagegen tun, kleiner Klug- scheißer?“

L

os, schieß den Ball rüber.“

Wütend trat ich gegen das Leder. Der Ball flog hoch zerfetzte die Nebelwand und zerplatze an meinem Schädel wie eine Seifenblase. Die Ma- schine stöhnte leise neben mir. In meinem Kopf pulsier- te ein Schmerz, der sich bis zum Oberschenkel durch- fraß. „Heute kommen Sie zur Dialyse. Die CK ist runterge- gangen.“

Als ich die Augen öffnete, sah ich den pickligen Rot- schopf über meinen Körper gebeugt.Was machte der Hei- ni an meinem Bein? Ein ste- chender Schmerz raste durch den Schenkel. Ist der noch bei Sinnen? „Ganz ruhig. Ich ver- binde nur die Wunde.“ Was denn für eine Wunde, zum Teufel? „Der Befund ist bes- ser als erwartet. Gut, dass wir die Biopsie doch gemacht ha- ben.“ Sie haben sie gemacht!

Und sie ist besser als erwar- tet. Wir werden gesund, Michael. Hörst du . . . ? „Na, Herr Liebermann, wie geht’s denn heute?“ Billi nickte mir zu. Besser, Herr Professor, besser. „Schön, schön. Das ist ja fein.“

Dipl.-Med. Kerstin Kuhlmeyer V A R I A

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 5⏐⏐4. Februar 2005 AA299

Sprachlos

Seit dem Heft 41/2003 veröffentlicht das Deutsche Ärzteblatt regelmäßig in jedem vierten Heft eine Arztgeschichte. Im Anschluss an die Veröffentlichung mehrerer literarischer Arztgeschichten begann das DÄ in Heft 3/2004 mit der Veröffentlichung von Beiträgen aus der Leserschaft.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Mit an- deren Buchstaben oder mit Verfassernamen gezeichnete Veröffentlichungen geben in erster Linie die Auffassung der Autoren und nicht in jedem Fall die Meinung der

Als leitender Arzt einer Fachklinik für Onkologie wurde mir zur Visite eine jün- gere Patientin mit Brustkrebs vorgestellt, die apathisch, fahl und zerfurcht im Gesicht, grau und

Dieser Bauch, der ganz sicher nicht seiner war, der un- möglich etwas mit ihm zu tun haben konnte, der Bauch, der Verräter, der dieses „Etwas“.. enthielt, dieses „Es“ nährte,

Die AU muss bei Letzterem grundsätzlich nicht länger sein, dagegen ist die Gabe von NMH, wenn über- haupt, nur für zwei bis drei Ta- ge erforderlich?. Die Schaum-

menden Tischnachbarn zieht sie ins Gespräch, hinterfragt seine Bestellung und wendet die Aufmerksamkeit weite- ren Nachbarn zu, nachdem der Werktätige, zu freundli- chem

„Hypochonder“ von Thomas Ripke (Heft 41/2003), „Eine schöne Naht“ von Frank Huyler (Heft 45/2003), „Schlimmer Bauch“ von Horst Evers (Heft 49/2003), „Wieder belebt“ von

Nach mehreren vergeblichen Ver- suchen hatte man sie schließ- lich von der Intensiv verlegt, und so war sie auf ihrer Station gelandet, eine Frau in den Siebzigern mit noch jugend-

Die Rei- nigungsprozedur, das Ent- fernen der zwischenzeitlich erstarrten Gipsflatschen und -spritzer, die auch am Personal klebten, überstieg das sonst übliche Zeit- und