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Archiv "Arztgeschichten: Ein Patient, der mich veränderte" (12.07.2004)

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Er saß immer in einer Ecke des Tagesraums. Er war ein trauriger alter Bursche, An- fang 90, der nur selten mit anderen Patienten oder den Krankenschwestern sprach.

In den letzten beiden Jahren seines Lebens war er zuneh- mend unfähig, eine Situation zu meistern oder auf die Füße zu kommen. Ich nahm es ihm immer übler und war fru- striert, weil wir ihn nicht mithilfe unserer verständnis-

vollen Sozialfürsorge aus dem Krankenhaus entlassen konnten. Er lebte in einem schmutzigen, leicht verschim- melten Wohnwagen, den er mit seiner Schwester und eini- gen obskuren Büchern teilte.

Die Distriktkrankenschwester, der Zivildienstleistende und sein Hausarzt waren die einzi- gen Besucher.

Als ich von seinem Ge- heimnis erfuhr, änderten sich meine Gefühle ihm gegen- über vollkommen. Einer der Hausärzte hörte sich viel- leicht seine Geschichte so an, wie wir es gelernt hatten.

Aufmerksam und ohne ihn zu unterbrechen, ließ er ihn drauflosreden. In seiner Jugend war er Thomas Cooks’

Vertreter in Luxor, Ägypten, gewesen. Er war dort, als im Jahr 1923 Howard Carter und Lord Carnarvon das Grab

von Tutenchamun öffneten.

Als er diese Geschichte er- zählte, leuchteten seine Augen auf, die gleichzeitig weit ent- fernt schienen.

Wir konnten uns die Szene in der Wüste an jenem Tag leb- haft vorstellen – die Europäer, neugierig und erwartungsvoll, die Ägypter, unterwürfig und ängstlich. In der Mitte muss er, der jetzt ein faltiger und mür- rischer alter Mann geworden ist, in seiner ganzen Jugend gestanden haben. Er ist mit Sicherheit der letzte Über- lebende. Er wurde oft gebeten, die Geschichte noch einmal zu erzählen. Er wuchs an An- sehen bei den Medizinstuden- ten, wenn er sprach.

Seitdem habe ich oft ge- dacht, wie mein rasches Anhören einer Geschichte ältere Patienten dazu bringt, ihre Geheimnisse mit mir zu teilen. Jetzt versuche ich es und frage: „Was haben Sie

gemacht, bevor Sie in den Ruhestand getreten sind?“

oder „Haben Sie je im Aus- land gelebt?“. Diese Fragen helfen mir, meine Patienten besser zu respektieren und führen oft auch zu außer- gewöhnlichen Diagnosen. Ich bin seitdem einem Patienten mit ungeklärter Eosinophilie begegnet, der ein ehemali- ger Geograph aus Cambridge war und der in Sambia Mineralien untersucht hatte.

Ein anderer bekannte, dass er ein Wildhüter im Ruhe- stand war, der von der Royal Airforce rekrutiert wor- den war, um Wanderfalken zu fangen, die ansonsten von entlassenen Piloten frei- gelassene Tauben getötet hätten.

Vielleicht sollten wir ältere Patienten ermutigen, ihre Le- bensgeschichten aufzuschrei- ben, um sie mit Jüngeren zu teilen. Colin Borland B Ü C H E R

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 28–2912. Juli 2004 AA2041

Seit dem Heft 41/2003 veröffentlicht das Deutsche Ärzte- blatt regelmäßig in jedem vierten Heft eine Arzt- geschichte. Im Anschluss an die Veröffentlichung mehrerer literarischer Arztgeschichten begann das DÄ in Heft 3/2004 auch mit der Veröffentli- chung von Beiträgen aus der Leserschaft.

Ein Patient, der mich veränderte

D

ie von der Redaktion des Deutschen Ärzteblattes über- setzte Geschichte (A Patient who changed my Practice) wurde dem British Medical Journal (BMJ 1996; 313: 290 [3 August]) ent- nommen. Das British Medical Journal berichtet in unregelmäßi- gen Abständen über besondere Arzt-Patienten-Beziehungen.

Bisher sind folgende Arztgeschichten im Deutschen Ärzteblatt erschienen:

„Hypochonder“ von Thomas Ripke (Heft 41/2003), „Eine schöne Naht“ von Frank Huyler (Heft 45/2003), „Schlimmer Bauch“ von Horst Evers (Heft 49/2003), „Wieder belebt“ von Perry Board (Heft 3/2004), „Hausbesuch“ von Dr. med. Werner Nieschke (Heft 7/2004), „Sie wurde nicht alt“ von Wolfram Klinger (Heft 11/2004), „Famulatur“ von Dr. med. Ursula Stegmüller (Heft 15/2004), „Der Beckengips“ von Dr. med. Günther Gerber (Heft 19/2004),

„Begebenheit“ von Dr. med. Gerhard Sielhorst (Heft 19/2004) und „Die Reise“

von Dr. med. Regina Geitner (Heft 23/2004).

Veröffentlicht werden künstlerisch wertvolle, humorvolle und nachdenklich machende Geschichten aus dem Alltag der Arzt-Patienten-Beziehung. Damit soll dieser zentrale humane Bereich der Patientenversorgung mehr in das Bewusst- sein von Ärzten, Patienten und Öffentlichkeit rücken. Ein Arbeitskreis wird sich weiterhin mit der Auswahl geeigneter Arztgeschichten beschäftigen. Kli

Bisher erschienene Arztgeschichten

Referenzen

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„Hypochonder“ von Thomas Ripke (Heft 41/2003), „Eine schöne Naht“ von Frank Huyler (Heft 45/2003), „Schlimmer Bauch“ von Horst Evers (Heft 49/2003), „Wieder belebt“ von

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