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Archiv "Krankenrevier im Konzentrationslager: Ort der Hilfe und des Mordens" (02.02.2007)

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 5⏐⏐2. Februar 2007 A247

M

edizin und Verbrechen. Das Krankenrevier des KZ Sach- senhausen 1936–1945“ – diesem Thema ist seit Ende 2004 eine Dau- erausstellung in der Gedenkstätte gewidmet. Zu diesem Zweck wur- den die original erhaltenen KZ-Ba- racken R I und R II restauriert. Aura und Zeugniswert der Originalbara- cken waren aber nur einer der Grün- de, warum die Ausstellung „Medizin und Verbrechen“ mit etwa 800 qm Fläche und rund 1 000 Exponaten die mit Abstand größte Einzelaus- stellung der Gedenkstätte Sachsen- hausen geworden ist. Die Ausstel- lungsgröße ist auch der Komplexität des Gegenstands geschuldet. So liegt der Fokus nicht allein auf den im KZ Sachsenhausen begangenen ärztlichen Verbrechen wie Zwangs- sterilisation und -kastration, Kran- kenmord und Menschenexperimen- ten. Weiterer Schwerpunkt ist die – in einem solchen Rahmen bislang noch nie thematisierte – „alltägli- che“ medizinische Versorgung in ei- nem Konzentrationslager.

Dem Krankenrevier kamen ver- schiedene, von der SS bestimmte Funktionen im Lager zu, die sich zu- dem im Laufe der Zeit veränderten.

Sollte das Revier zunächst nur eine

– auch aus Propagandagründen an- gezeigte – medizinische Minimal- versorgung der Häftlinge gewähr- leisten, so rückte mit Kriegsbeginn die Seuchenprävention in den Vor- dergrund. Denn schließlich wurde auch das SS-Wachpersonal von den ansteckenden Krankheiten, die sich aufgrund schlechter werdender Le- bensbedingungen im Lager ausbrei- teten, bedroht. Ab 1942 sollte das Krankenrevier vor allem die Ar- beitsfähigkeit erkrankter Häftlinge, die für die deutsche Kriegswirt- schaft ausgebeutet wurden, wieder- herstellen. Untrennbar damit ver- bunden war die Selektion und Er- mordung von Kranken, die von der SS als dauerhaft arbeitsunfähig ein- gestuft wurden. Bestimmte Abtei- lungen des Krankenreviers wurden zudem als Schauobjekte genutzt und dienten als besondere Attraktio- nen bei den offenbar bis 1945 mehr- fach pro Woche stattfindenden Be- sucherführungen durchs Lager.

Die museale Darstellung der Vor- gänge im Krankenrevier erfolgt über die Biografien von Häftlingen, über ihre Erfahrungen und ihre Er- lebnisse im Lager. Als Träger der medizinischen Versorgung spielten Häftlinge eine zentrale Rolle im Krankenrevier. Leiter des Kranken- baus war zwar der „Erste Lager- arzt“, dem weitere SS-Ärzte unter- standen. In der Krankenbetreuung übten diese Ärzte aber letztlich nur die Aufsicht aus, denn die prakti-

sche Behandlung lag fast völlig in den Händen von „Häftlingspfle- gern“, also bestimmten Funktions- häftlingen. Bis Ende 1942 setzte die SS fast ausschließlich Gefangene ohne ärztliche Vorbildung – nicht selten sogar völlige medizinische Laien – in der Krankenversorgung ein. Jüdische Häftlinge waren von diesen Positionen, wie auch von der Behandlung im Krankenrevier, grundsätzlich ausgeschlossen. Viele Häftlingspfleger versuchten, unter den gegebenen Bedingungen eine möglichst gute medizinische Hilfe zu leisten. Die dazu benötigten Spe- zialkenntnisse eigneten sie sich von Mithäftlingen selbst an, wie sich un- ter anderem am Beispiel des politi- schen Häftlings Fritz Bringmann zeigen lässt, der von 1937 bis 1939 im Krankenrevier arbeitete. Wie ne- ben Bringmann auch andere ehema- lige Häftlinge berichteten, erlegte die Arbeit im Krankenrevier den dort tätigen Funktionshäftlingen ei- ne große Verantwortung auf; bei der Behandlung auch schwerer Erkran- kungen waren sie oft völlig auf sich gestellt.

Die Arbeit im Revier bot ihnen aber zugleich einen gewissen Frei- raum für Selbstbehauptung und Wi- derstand gegen den SS-Terror. In der Zeit bis zum Kriegsbeginn 1939 waren fast alle Pfleger-Posten mit politischen Häftlingen besetzt, die somit den Krankenbau dominierten.

Es war ihnen deshalb möglich, im

Die unterschiedlichen Aspekte medizini-

scher Versorgung im KZ Sachsenhausen sind Gegenstand einer Dauerausstellung in der dortigen Gedenkstätte.

KRANKENREVIER IM KONZENTRATIONSLAGER

Ort der Hilfe und des Mordens

Baracke R II mit dem Eingang zum Museum

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A248 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 5⏐⏐2. Februar 2007

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Lager auffällig gewordene Mitge- fangene im Revier zu verstecken oder dort sogar geheime Zusam- menkünfte abzuhalten. So führten

„Politische“ im Sommer 1939 in den Revierbaracken eine Totenfeier für den an Krankheit verstorbenen KPD-Funktionär Lambert Horn durch, die vielen Häftlingen in Erin- nerung geblieben ist.

Ein aus 32 kleinen Figürchen be- stehendes Schachspiel steht für ei- nen weiteren zentralen Aspekt der im Revier betriebenen Krankenpfle- ge durch Häftlinge, nämlich die altruistische Hilfsbereitschaft in me- dizinischer wie universell menschli- cher Hinsicht. Das Spiel stammt aus dem Besitz des ehemaligen Häft- lings Franz Cyranek, der von 1938 bis zur Befreiung des Lagers als Röntgenlaborant im Krankenrevier tätig war. Sowjetische Kriegsgefan- gene hatten es aus der wohl kost- barsten Substanz gefertigt, die ihnen im KZ zur Verfügung stand: aus Brot. Sie schenkten es dem deutschen Häftlingspfleger als Dank für seinen selbstlosen Beistand. Eine solche uneigennützige Hilfsbereitschaft ist auch von etlichen anderen Funkti- onshäftlingen überliefert. In der Er- innerung vieler Überlebender war der Krankenbau vor allem ein Ort von Opfersinn, Solidarität und Hil- fe, und zwar trotz der dort verübten SS-Verbrechen und trotz der dort herrschenden Machtkämpfe zwi- schen einzelnen Häftlingsgruppen.

Nachdem die SS über lange Zeit ausschließlich Nicht-Mediziner in der Krankenversorgung eingesetzt hatte, zog sie ab Ende 1942 konse- quent inhaftierte Ärzte und Medi- zinstudenten zum Dienst im Revier heran. Hintergrund dieser Neuerung war der Funktionswandel der Kon- zentrationslager nach dem Scheitern der Blitzkriegsstrategie – die Lager dienten nun als „Arbeitskräftereser- voir“ für die deutsche Rüstungsin- dustrie. Den aus vielen Ländern Eu- ropas stammenden Häftlingsärzten wurde zur Aufgabe gemacht, die Sterblichkeit im Lager zu senken und zugleich die Arbeitsfähigkeit des Häftlingskollektivs zu heben.

Der Einsatz medizinisch ausge- bildeter Gefangener aus vielen Na- tionen im Krankenbau bewirkte ei- ne deutliche Verbesserung der Kran- kenversorgung. Wie Überlebende berichteten, führte zum Beispiel der 1943 wegen Widerstands gegen die deutsche Besatzungsmacht nach Sachsenhausen verschleppte Pariser Chirurg Dr. Emil Coudert im Lager eine Vielzahl komplizierter Opera- tionen durch. Auch der spätere nor- wegische Gesundheitsminister Dr.

Sven Oftedal spielte als Häftlings- arzt eine bedeutende Rolle. Erinne- rungen von Mithäftlingen zufolge organisierte er etwa größere Men- gen von Stärkungsmitteln für das Krankenrevier, indem er die skandi- navischen Häftlinge, die zu dieser Zeit regelmäßig Pakete vom Roten

Kreuz erhielten, zur Abgabe des darin enthaltenen Lebertrans veran- lasste. Im März 1945 organisierte Oftedal eine Blutspendeaktion, die bei alliierten Bombenangriffen ver- wundeten Häftlingen zugutekam.

Die Häftlingsärzte verfügten bei ihrer Arbeit im Revier über einen nicht unbedeutenden Handlungs- spielraum. Dennoch waren sie als Funktionshäftlinge per se in einer schwierigen Lage, denn ihre Positi- on verlangte eine dauernde Grat- wanderung zwischen den Befehlen der SS und den Interessen der Pa- tienten. Wegen des permanenten Mangels im Lager waren sie zudem gezwungen, mit zu geringen Mit- teln zu viele Kranke zu versorgen.

Und nicht zuletzt wurden ihre ärzt- lichen Bemühungen von der SS im Grunde dazu missbraucht, um unter den Bedingungen der Lagerhaft er- krankte Häftlinge für eine weitere wirtschaftliche Ausbeutung wieder- herzustellen. Häftlinge, deren Ar- beitsfähigkeit der SS-Arzt für nicht wiederherstellbar hielt, wurden aus dem Krankenbau entfernt. Sie wur- den planmäßig vernachlässigt, in andere Lager abgeschoben oder er- mordet. Vor allem seit 1942 wurde das Revier zum Ort gezielter „Ver- nichtung“; erste systematische Se- lektionen zur „Säuberung des Kran- kenbaus von chronisch Kranken“

sind schon für Oktober 1941 nach- weisbar.

Die noch erhaltenen Baracken R I und R II, in denen die Dauerausstel- lung untergebracht ist, waren nur ein Teil des damals laufend ver- größerten Krankenreviers. Bis zum Kriegsende wuchs das Revier auf mehr als sechs Gebäude mit fast 800 Stethoskop des

Häftlingsarztes Ni- kolaj Scheklakow, 1944

SS-Propaganda- foto aus dem Re- vier, vor 1945

Fotos:Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen; Frey-Aichele Team; Friedhelm Hoffmann

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Betten an, in denen schließlich mehr als 2 000 Patienten lagen. Doch die Abteilungen waren sehr unter- schiedlich ausgestattet. Während es in manchen Stationen am Nötigsten fehlte und die Betten mit zwei oder mehr Kranken belegt waren, herrschten in anderen relativ gute Zustände. Besonders die zuerst ge- bauten Baracken R I und R II ver- fügten über recht moderne Thera- pie- und Diagnoseeinrichtungen, wie Operationssäle, Röntgenkabi- nett und Laboratorien. Dort gab es bis zuletzt Bettzeug, in einigen wa- ren sogar Einzelbetten aufgestellt.

Wegen dieser guten Ausstattung dienten R I und R II als Vorzeigeob- jekte für Besuchergruppen.

Das Krankenrevier als Vorführobjekt

Durch das 1936 als eine Art Modell- lager erbaute und unweit der Reichshauptstadt Berlin gelegene KZ Sachsenhausen wurden häufig Besuchergruppen aus dem In- und Ausland geführt. Dabei zeigte man in der Regel aber nur ausgewählte Lagerbereiche, wie die Baracken R I und R II sowie einige „Muster- blocks“. Der Kreis der Besucher war sehr heterogen und reichte von Vertretern verbündeter Staaten bis zu kritischen Journalisten. Mit den Führungen sollte einer angeblichen Hetzpropaganda über die Konzen- trationslager begegnet und zugleich das Trugbild einer „harten, aber ge- rechten“ Behandlung der Gefange- nen vermittelt werden. Doch nicht bei allen Besuchern war dieses Täu- schungsmanöver erfolgreich, wie zeit- genössische Privat-Aufzeichnungen über solche Besichtigungen offen- baren.

Neben dem Alltag im Krankenre- vier befasst sich ein zweiter Haupt- teil der Ausstellung mit den im KZ Sachsenhausen begangenen medizinischen Verbrechen. Hierbei handelt es sich neben der eugeni- schen Zwangssterilisation sowie der Zwangskastration als „homosexu- ell“ klassifizierter Häftlinge vor al- lem um die Krankenmordaktion „14 f 13“, der mehr als 550 vermeintlich oder tatsächlich kranke Insassen des KZ Sachsenhausen zum Opfer fie- len. Die „Aktion 14 f 13“ war nach

dem Aktenzeichen benannt, das in der Oranienburger Inspektion der Konzentrationslager für den Mord durch Gas verwendet wurde. Sie be- gann im April 1941 mit einer groß angelegten Reihenuntersuchung im KZ Sachsenhausen. Von den einige Monate später einsetzenden Selek- tionen zur „Säuberung des Kran- kenbaus von chronisch Kranken“

unterschied sie sich vor allem da- durch, dass die Ausgesonderten in den Tötungsanstalten der „Euthana- sieaktion T4“ getötet wurden. Eine Installation mit der Original-Zu- gangstür zum „Vernichtungstrakt“

der Tötungsanstalt Sonnenstein bei Pirna erinnert an die Namen der Häftlinge aus Sachsenhausen, die diese Tür kurz vor ihrem gewaltsa- men Tod passieren mussten.

Im Krankenrevier wurden auch anthropometrische Untersuchungen der „Rassenhygienischen Forschungs- stelle Berlin“ an Sinti und Roma durchgeführt. Seit 1936 fertigten Mitarbeiter der Forschungsstelle

„Rasse-Gutachten“ über die in Deutschland lebenden Roma und Sinti an. Ende 1938 kamen sie dazu auch ins KZ Sachsenhausen, wo sie 400 Sinti- und Roma-Häftlinge „ras- senbiologisch“ untersuchten. Ihre Gutachten dienten der Polizei später als Grundlage bei der Erstellung der Deportationslisten, nach denen Hun- derttausende Roma und Sinti in das Vernichtungslager Auschwitz ver- schleppt wurden. Die meisten von ihnen kamen dort um. In der Aus- stellung werden diese „Rassenfor- schungen“ im Krankenrevier in den Kontext der gesamten Verfolgungs- geschichte der Minderheit gestellt, um die zentrale Rolle jener Wissen- schaftler beim systematischen Mas- senmord an den Sinti und Roma vor

Augen zu führen. Die dafür mitver- antwortliche Dehumanisierung wis- senschaftlicher Forschung zeigt sich deutlich in den Kopfplastiken und Gesichtsmasken, die die „Ras- senforscher“ zu Lehrzwecken von Roma und Sinti anfertigten und die jetzt in der Ausstellung zu sehen sind.

Sicht der Opfer

Die Dauerausstellung geht auch auf die in Sachsenhausen durchgeführ- ten medizinischen Versuche an Menschen ein. Diese fallen in die Zeit nach Kriegsbeginn; in aller Re- gel ging es um militärische Zweck- forschung und um Probleme der Wehrmedizin, wenn Verfahren zur Optimierung der deutschen Krieg-

führung erprobt oder Heilmittel und Impfstoffe gegen kriegsbedingte Ver- letzungen und (Infektions-)Krank- heiten getestet wurden.

Dargestellt wird nicht nur der po- litische und wissenschaftliche Kon- text der jeweiligen Experimente und die Person und Motivation der ärzt- lichen Täter. Ein zentraler Aspekt ist auch die Sicht der Opfer, der „Ver- suchspersonen“, welche die Experi- mente erleiden mussten. Eines der Beispiele, die Geschichte von elf jungen Juden, die im Sommer 1943 für Hepatitis-Experimente von der Rampe in Auschwitz in das Kran- kenrevier des KZ Sachsenhausen gebracht worden waren, wird am authentischen Schauplatz präsen- tiert werden: in Raum 51 der Ba- racke R II, wo die Kinder und jun- gen Männer während der über ein Jahr andauernden Versuche leben

mussten. I

Dr. phil. Astrid Ley Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen

LAZARETT IM SOWJETISCHEN SPEZIALLAGER NR. 7/NR. 1

Seit August 1945 nutzte der sowjetische Geheimdienst NKWD den Kernbereich des ehemaligen KZ Sachsenhausen als sowjetisches Speziallager Nr. 7/Nr. 1. Bis zum Frühjahr 1950 waren hier etwa 60 000 Menschen gefangen, von denen mindestens 12 000 die Haft nicht überlebten. Auch in dieser Zeit fand die Behandlung erkrankter Häftlinge in den Revierbaracken statt.

Armbinde mit der Aufschrift „Häftlings- arzt“, 1944/45

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