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A40 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 1–2½½½½7. Januar 2002
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yspeptische Beschwerden sind weit verbreitet, und in den west- lichen Industrienationen stellen sie die wichtigste Indikation für die Durchführung endoskopischer Unter- suchungen dar. Während das peptische Ulkus eine häufige Ursache dyspep- tischer Beschwerden ist, konnte in den letzten Jahren die Bedeutung der Infek- tion mit Helicobacter pylori im Rah- men der Pathogenese des peptischen Ulkus abgesichert werden. Aber auch wenn kein Ulkus oder eine andere Ur- sache der Beschwerden erkennbar ist und man eine funktionelle (nichtulzerö- se) Dyspepsie diagnostiziert, wird Heli- cobacter pylori als Verursacher der Be- schwerden angesehen und eine konse- quente antibiotische Behandlung von Patienten mit funktioneller Dyspepsie propagiert.Dabei gibt es Hinweise, die ein sol- ches Vorgehen rechtfertigen könnten.
Epidemiologische Untersuchungen le- gen eine Assoziation zwischen H. pylo- ri und dyspeptischen Beschwerden na- he (1). Allerdings darf nicht übersehen werden, dass gänzlich unterschiedliche Methoden eingesetzt werden, die An- lass für vielfältige Kritik bieten. Der wichtigste Kritikpunkt dürfte sein, dass in diesen Studien ein peptisches Ulkus bei Patienten mit Beschwerden meist nicht ausgeschlossen wurde und inso- fern der Zusammenhang zwischen H.
pylori und dyspeptischen Beschwerden durch nicht diagnostizierte peptische Ulzera erklärt werden kann. Auf der anderen Seite wurden zahlreiche Inter- ventionsstudien durchgeführt, in denen
der Effekt einer Eradikationstherapie von H. pylori geprüft wurde. Auch die- se Arbeiten sind in der Mehrzahl me- thodisch angreifbar.
Mangelhafte Studien
In einer kürzlich publizierten Meta- analyse (5) wurden 145 Publikationen systematisch analysiert, die den Effekt einer gegen H. pylori gerichteten The- rapie bei funktioneller Dyspepsie un- tersuchten. 135 Arbeiten mussten von einer weiteren Analyse ausgeschlossen werden, weil entweder eine Kontroll- therapie fehlte oder diese Therapie ei- ne eigenständige Wirkung auf Helico- bacter pylori aufwies. Einzelne Studien hatten auf eine Randomisierung ver- zichtet; oder die Nachbeobachtungszeit betrug weniger als vier Wochen. Drei Arbeiten wurden ausgeschlossen, weil klare Definitionen für den Behand- lungserfolg fehlten. Fasste man die ver- bliebenen Arbeiten zusammen, fand sich kein statistisch signifikanter Effekt der H.-pylori-Eradikation. Außerdem zeigten sich ausgeprägte Inhomogenitä- ten der einzelnen Studienergebnisse, die die Validität einer Metaanalyse fragwürdig erscheinen ließen.
Wurde die Analyse auf die metho- disch vier besten Studien beschränkt, fand sich ebenfalls kein signifikanter Effekt. Allerdings waren auch hier In-
homogenitäten der Ausgangsdaten nachweisbar. Erst nachdem die Auto- ren sich auf vier methodisch als sehr gut eingestufte Studien mit einer spezifi- schen Definition der Dyspepsie be- schränkten, wiesen die Daten keine sta- tistische Heterogenität mehr auf, aber – ähnlich wie bei den Analysen mit dem umfassenderen Datenmaterial – fand sich kein statistisch signifikanter Effekt einer gegen H. pylori gerichteten The- rapie. Berücksichtigte man nur Patien- ten mit einer mindestens sechsmonati- gen Nachbeobachtungszeit, kam man zu dem gleichen Ergebnis. Auf der Grundlage dieser Analysen kann des- halb gefolgert werden, dass eine H.-py- lori-Eradikation zumindest für die mit- telfristige Besserung der Symptome bei der Mehrzahl aller Patienten mit funk- tioneller Dyspepsie keine Bedeutung hat. Es kann eingewandt werden, dass in einigen Behandlungsgruppen nume- risch Unterschiede nachweisbar waren, die lediglich aufgrund einer zu geringen Fallzahl das Signifikanzniveau verfehl- ten. Dieses Argument verliert aber an Gewicht, wenn man bedenkt, dass sehr große Studien mit jeweils mehreren hundert Patienten in diese Analysen einbezogene werden konnten. Insofern ist der b-Fehler sehr gering und ent- sprechend die Bedeutung eines Effek- tes – wenn dieser Effekt mit einer noch größeren Fallzahl abzusichern wäre – klinisch von sehr geringer Bedeutung.
Dies schließt nicht aus, dass im Einzel- fall eine Eradikationstherapie im Sinne einer Besserung der Symptome wirk- sam sein kann. Dies dürfte aber wahr-
Helicobacter pylori als
Ursache der funktionellen Dyspepsie?
Nicht schuldig im Sinne der Anklage Gerald Holtmann
Editorial
Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie (Direk- tor: Prof. Dr. med. Guido Gerken), Universitätsklinikum Essen
scheinlich nur für Patienten gelten, bei denen ein Ulkusleiden übersehen wur- den und bei denen insofern fälschlich die Diagnose einer funktionellen Dys- pepsie gestellt wurde.
In vielen Ländern werden bereits jetzt für jüngere Patienten ohne Alarmsymptome Patienten mit Ober- bauchbeschwerden Strategien wie
„Test and Scope“ (initial wird ein nichtinvasiver H.-pylori-Test durchge- führt und nur bei positiven Befund – das heißt Nachweis einer H.-pylori-In- fektion – schließt sich eine diagnosti- sche Endoskopie an) oder „Test and Treat“ (nach dem nichtinvasiven H.- pylori-Test folgt bei positivem Befund ohne weitere Diagnostik eine H.-pylo- ri-Eradikation). Solche Strategien mö- gen, wenn Alarmsymptome beachtet und insbesondere nur junge Patien- ten mit niedrigem Risiko eines Malig- noms als Ursache der Beschwerden einbezogen werden, ähnlich sicher sein wie der akzeptierte Goldstandard einer diagnostischen Endoskopie mit an- schließender zielgerichteter Therapie.
Allerdings kann aufgrund umfassender Kosten-Nutzen-Analysen (7) gefolgert werden, dass dieses Vorgehen unter den in Deutschland geltenden Vergü- tungsbedingungen im Vergleich zur en- doskopischen Abklärung nicht als wirt- schaftlich angesehen werden kann.
Dabei wird noch nicht einmal berück- sichtigt, dass wahrscheinlich bei den meisten Patienten mit funktioneller Dyspepsie, bei denen statt einer en- doskopischen Abklärung initial nur ei- ne nichtinvasive H.-pylori-Diagnostik vorgenommen wurde, doch eine endo- skopische Abklärung erfolgt. Zu einer eher zurückhaltenden Beurteilung der nichtinvasiven Behandlungsmaßnah- men sollte auch eine große multizentri- sche Studie aus England Anlass geben:
8 455 Personen wurden in dieser pro- spektiven Studie mittels nichtinvasi- vem H.-pylori-Test untersucht und 2 324 randomisiert mit einer H.-pylori- Eradikation oder Placebo behandelt.
Nach sechs Monaten beziehungsweise zwei Jahren fand sich eine fünfprozen- tige Reduktion dyspeptischer Be- schwerden wohingegen die Behand- lung keine signifikanten Effekte auf die Lebensqualität der behandelten Pati- enten hatte (6). Damit erscheint „Test
and Treat“ nicht nur unter Kostenge- sichtspunkten fragwürdig.
Kann H. pylori nun von der Anklage freigesprochen werden, Ursache der funktionellen Dyspepsie zu sein? Beim gegenwärtigen Stand allenfalls auf- grund mangelnder Beweise, denn es ist weiterhin denkbar, dass die Infektion Veränderungen initiiert, die auch nach Eradikation der Infektion persistieren.
So kann zum Beispiel eine akute Ent- zündung über Monate anhaltende Ver- änderungen sensorischer Funktionen bewirken (3). Dies könnte erklären, warum nach einer H.-pylori-Eradikati- on Symptome persistieren.
Behandlungsalternativen
Wenn aber die Eradikation zumindest mittelfristig keine Heilung bei funktio- neller Dyspepsie bewirkt, was kann dem Patienten anderes angeboten wer- den? Eine medikamentöse Sekretions- hemmung (8) oder eine prokinetische Therapie bewirken bei einem Teil der Patienten eine Besserung der Sympto- me (2). Niedrig dosierte zentral wirken- de Substanzen, wie trizyklische Antide- pressiva oder selektive Serotonin- Reuptake-Inhibitoren (SRI), sind ebenfalls wirksam, aber haben Neben- effekte, und Vorbehalte von Seiten der Patienten limitieren den Einsatz dieser Substanzen (2).
Dennoch gibt es keinen Grund zur Resignation. Weitgehend auf der Grundlage kontrollierter Studien konn- ten in den letzten Jahren rational be- gründete Strategien für die Behandlung von Patienten mit Dyspepsie entwickelt werden (9). Zudem wurden verschiede- ne pathophysiologische Mechanismen identifiziert, die die Entstehung der Symptome erklären. Es ist absehbar, dass auch molekulare Mechanismen charakterisiert werden, die es ermögli- chen werden, Funktionsstörungen und damit die Symptome kausal zu er- klären. Hinter dem Bemühen, die Ent- stehung der Symptome zu verstehen, darf aber nicht vergessen werden, dass das Ziel sein sollte, die Symptome effi- zient und möglichst dauerhaft zu lin- dern. Voraussetzung dafür ist nicht nur ein besseres Verstehen der Pathogene- se, sondern auch die Entwicklung und
systematische Erprobung von Thera- piemodalitäten, die sich an neuen pa- thophysiologischen Erkenntnissen ori- entieren. Damit ist eine enge Verzah- nung von Grundlagenforschung und klinischer Forschung eine wichtige Vor- aussetzung um den „Schuldigen“ für die funktionelle Dyspepsie zu finden.
Denn letztlich ist es nicht das Ziel eine statistisch abgesicherte Korrelation zu finden beziehungsweise einen theoreti- schen Kenntnisgewinn zu erzielen, son- dern ein klinisch messbarer (und be- zahlbarer) Nutzen für die betroffenen Patienten.
Manuskript eingereicht: 4. 9.2001;
angenommen: 9. 10. 2001
❚Zitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2002; 99: A 40–41 [Heft 1–2]
Literatur
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Anschrift für die Verfasser:
Prof. Dr. med. Gerald Holtmann Universitätsklinikum Essen
Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie Hufelandstraße 55, 45122 Essen
E-Mail: g.holtmann@uni-essen.de M E D I Z I N
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