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A1776 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 25⏐⏐23. Juni 2006
S T A T U S
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ass zwischen Arzt und Helferinnen ein Vertrau- ensverhältnis besteht, ist in wirtschaftlich schwierigen Zeiten besonders wichtig. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Mitarbeiterinnen in ei- nem Klima der Sympathie und des Vertrauens lieber arbeiten als in der frostigen Atmosphä- re des Misstrauens und der Kontrolle“, sagt Dr. med. Step- han Sigrist, niedergelassener Facharzt für innere Medizin in Freiburg: „Sie erbringen dann auch bessere Arbeitsleistun- gen.“Ein positives Menschenbild und das Vertrauen, dass sich jede Mitarbeiterin motiviert für die Interessen „ihrer“ Pra- xis einsetzt, erleichtern die Führungsarbeit erheblich.Der Arzt „zahlt“ den Mitarbeite- rinnen einen Vertrauensvor- schuss – in der Hoffnung, dass Vertrauen verpflichtet und diese sich aufgefordert fühlen, den Vorschuss in Form von Engagement und guten Ar- beitsergebnissen „zurückzu- zahlen“. Allerdings tut Diffe- renzierung Not. Denn es gibt Situationen, in denen der Ver- trauensvorschuss missbraucht wird. Hinzu kommt: Jede Mit- arbeiterin ist anders,sodass der
Arzt den individuellen Ver- trauensreifegrad berücksichti- gen und überprüfen muss.
Während eine eher unsichere Mitarbeiterin auf permanente Bestätigung und Kontrolle an- gewiesen ist, die es ihr erlaubt, ihre Leistungen einzuschät- zen, benötigt eine erfahrene Kollegin Freiräume und das uneingeschränkte Vertrauen des Chefs.
Aber: Wer immer und vor- aussetzungslos vertraut, han- delt an den Realitäten des (Führungs-)Alltages genauso vorbei wie derjenige, der das Misstrauen und die „Kontrolli- tis“ zum Nonplusultra erhebt.
So viel Vertrauen wie möglich, so viel Kontrolle wie nötig – dieser Leitsatz kann als golde- ner Mittelweg gelten, der es dem Arzt erlaubt, Kontrolle und Vertrauen in ein ausgewo- genes Verhältnis zu setzen.An- gemessen wäre demnach ein situativer Führungsstil, der es von der Situation und der Mentalität der Mitarbeiterin abhängig macht, ob eher kon- trolliert werden muss oder eher vertraut werden darf.
Humanität und Mensch- lichkeit am Arbeitsplatz sind wichtige Erfolgsfaktoren. Un- ter Vertrauensbedingungen
blüht der Mensch auf: Eine Mitarbeiterin, der Handlungs- spielräume für Eigenverant- wortung und Engagement er- öffnet werden, ist meistens bereit,Verantwortung zu über- nehmen. Sie identifiziert sich eher mit ihrer Aufgabe und der Praxis als diejenige Mitarbei- terin, der mit Misstrauen be- gegnet und der nur wenig zu- getraut wird.
Misstrauen als Haltung führt zu einer Negativspirale.
Der Arzt wird bei einer Mitar- beiterin, der er misstraut, da- von ausgehen, dass sie nur un- willig arbeitet, von ihr immer nur das Schlechteste erwarten – und dies dann auch bekom- men.Denn auf Misstrauen rea- giert die Helferin ihrerseits mit Argwohn, der Arzt sieht sich bestätigt, sein Misstrauen wächst. Die Patienten wieder- um spüren das miese Betriebs- klima, fühlen sich unwohl und wechseln nicht selten den Arzt.
Besser ist es daher, wenn der Arzt vertrauensbildende Maßnahmen einleitet. Dabei ist Ehrlichkeit die Grundlage jeder Vertrauensbildung. Dies gilt auch und gerade für schlechte Nachrichten. In kriti- schen Situationen sollte der Arzt die Lage sachlich und oh- ne Beschönigungen darstellen.
„Ich informiere die Mitarbei- terinnen regelmäßig und aus- führlich über die Entwicklun- gen in der Praxis, vor allem über diejenigen, die sie unmit- telbar betreffen“, nennt Sigrist ein Beispiel für die offene Kommunikation.
Entscheidend für den Inter- nisten ist die nondirektive Ge- sprächsführung: „Im Gespräch führe ich durch Fragen, gehe auf die Äußerungen der Mitar- beiterin ein und ziele auf einen argumentativen Austausch ab.
Wir begegnen uns in einer At- mosphäre der gegenseitigen Achtung.“ Zudem ist Herz- lichkeit gefragt, etwa indem ein Arzt zum Ausdruck bringt, dass eine Mitarbeiterin für ihn nicht nur eine Angestellte ist.
Kleine Ausflüge in das Privat- leben unterstützen dabei die Etablierung der Vertrauens- kultur. Wenn er Anzeichen dafür feststellt, dass eine Mit- arbeiterin durch ein persönli- ches Problem in der Ausübung ihrer Tätigkeit eingeschränkt wird, bietet der Arzt seine Un- terstützung an. Weitere ver- trauensbildende Maßnahmen bestehen darin, Leistungen an- zuerkennen. Der Arzt nennt Fehler beim Namen, aber er gibt auch Bestätigung und An- erkennung.Wichtig ist es auch, Handlungsspielräume zu er- öffnen: Er schränkt die Eigen- initiative der Helferinnen nicht durch enge Zielvorgaben ein, sondern lässt ihnen Luft für ei- gene Entscheidungen.
Aber muss eine Führungs- kraft nicht auch ab und zu kon- trollieren? „Natürlich“, betont Sigrist, „aber Kontrollen be- gründe ich. Die Mitarbeiterin soll merken, dass es mir nicht um die Kontrolle an sich geht, sondern um deren Ergebnisse, die häufig die Grundlage für die Verbesserung von Arbeits- abläufen in meiner Praxis bil- den. Und darum mache ich bei einer Kontrolle meine Bewer- tungsmaßstäbe transparent.“
Die vertrauensbildenden Maßnahmen haben zur Folge, dass Vertrauen nicht einfach nur eingefordert wird, nach dem Motto: „Liebe Mitarbei- terin, vertrauen Sie mir bitte, ich weiß, was ich tue“, sondern diese Forderung durch die Ver- haltensweisen des Arztes ge- rechtfertigt sind. Allerdings darf er dann auch erwarten, dass die Mitarbeiterinnen sich im Sinne der positiven Ent- wicklung der Praxis einsetzen.
Karin und Michael Letter E-Mail: info@5medical-management.de
Praxisführung
Vertrauensbildende
Maßnahmen motivieren
Foto:Klaus Rose