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Archiv "Selbstverwaltung nach der Gesundheitsreform: „Wir sind im Moment auf einer Rüttelstrecke“" (14.05.2004)

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DÄ:Frau Schmidt setzt mit ihrer Ge- sundheitsreform auf genaue Vorgaben für die Selbstverwaltung und zieht Aufgaben von ihr ab.Werden die Gewichte zwischen Selbstverwaltung und Staat neu verteilt?

Hoppe:Also, man muss Selbstverwaltung im Rahmen der Gesetzlichen Kranken- versicherung trennen von der darüber hinausgehenden Selbstverwaltung.Diese, soweit sie die Kammern betrifft, ändert sich zunächst einmal strukturell nicht.

Aber im System der sozialen Sicherung, hier also im GKV-System, da hat sich doch eine Menge geändert. Auch frühere Bundesregierungen mit den Ministern Blüm oder Seehofer hatten Phasen, in de- nen die Selbstverwaltung mehr als eine Auftragsverwaltung empfunden wurde und so genannte Ersatzvornahmen durch das Ministerium angedroht wurden. See- hofer hat sich später gewandelt. Die der- zeitige Bundesregierung aber hat sich wieder auf den Weg der Auftragsverwal- tung gemacht. Nehmen Sie nur den mit dem GMG geschaffenen Gemeinsamen Bundesausschuss. Die gesetzlichen Vor-

schriften über das, was in dieser gemein- samen Selbstverwaltung zu lösen ist –

„selbst“ ist hier ein Euphemismus – ge- hen doch sehr ins Detail. Hinzu kommt, dass sich die Regierung in Gestalt von Mitarbeitern bis zur Staatssekretärsebe- ne des Gesundheitsministeriums in die Arbeit dieses Gemeinsamen Bundesaus- schusses nicht nur beobachtend, sondern auch korrigierend einmischt. Und daher meine Schlussfolgerung: Der Weg geht von einer gestaltenden Selbstverwaltung zu einer Auftragsverwaltung.

DÄ:Das Tauziehen zwischen Ministe- rium und dem Gemeinsamen Bundesaus- schuss scheint eine solche These zu stüt- zen. Doch ist das nicht auf das Einrütteln in der ersten politischen Phase zurückzu- führen, bis man seinen Weg gefunden hat?

Hoppe:Man wird sehen. Ich habe den dort Agierenden schon gesagt, dass die Akzeptanz der Arbeit des Gemeinsamen Bundesausschusses davon abhängen wird, wie sehr sie sich von den Vorgaben der Regierung emanzipieren. Wenn der Gemeinsame Bundesausschuss der Re- gierung klar macht, dass die Regierung

sich auf die Rechtsaufsicht zurückzieht und fachliche Vorschriften unterlässt, wenn es also gelingt, hier klare Trennlini- en zu ziehen, kann der Gemeinsame Bundesausschuss im Sinne einer Selbst- verwaltung tätig sein.

DÄ: Die ersten Entscheidungen des Bundesausschusses lassen die Trennlinie nicht erkennen.

Hoppe: Im Moment habe ich den Ein- druck, dass der Gemeinsame Bundesaus- schuss die Abklärung mit der Regierung schon sehr frühzeitig durchführt. Da kommen Kompetenzen und Erfahrung der Selbstverwaltung vielleicht nicht ganz so zur Geltung wie erforderlich.

DÄ:Die Entscheidungen des Bundes- ausschusses, egal wie sie jetzt zustande kommen, wirken sich unmittelbar auf die vertragsärztliche Versorgung aus. Erlei- den die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) durch die aktuelle Gesundheitsre- form einen Bedeutungsverlust?

Hoppe: Eine Bedeutungsänderung. Ob das ein Verlust oder Gewinn ist, das kommt auf den Blickwinkel an. Die Kas- senärztlichen Vereinigungen unterliegen jetzt zwei Veränderungen: Einmal sind sie über den Gemeinsamen Bundesausschuss in der Tat sehr eng gebunden. Und zum Zweiten ist die so genannte Professionali- sierung der inneren Strukturen der Kas- senärztlichen Vereinigungen eine, gelinde ausgedrückt, Entfernung von der urde- mokratischen bisherigen Struktur. Die Kassenärztlichen Vereinigungen wählen aufgrund der Gesundheitsreform Vertre- terversammlungen, die relativ klein sind und auf der Länderebene durchaus noch Beziehungen zu den im System arbeiten- den Ärztinnen und Ärzten haben.Aber je weiter der Prozess nach oben geht, umso

weniger ist die direkte Beziehung zur Be- rufsausübung durch die handelnden Per- sonen gegeben. Insofern ist nicht auszu- schließen, dass sich die Vertreter der Kas- senärztlichen Vereinigungen in dieses GKV-Steuerungssystem begeben, aber selber nicht mehr spüren, was an Folgen daraus für die Arbeit der Basis entsteht.

Das wird eine Mentalitätsänderung mit sich bringen, deren Wirkung wir noch ab- warten müssen.Ob das dann Bedeutungs- zuwachs oder -verlust ist, wird sich zeigen.

DÄ:Zurzeit kursiert eine Meinung, die da sagt, wenn die Kassenärztlichen Verei- nigungen diesen Basisbezug verlieren, werden die niedergelassenen Ärzte sie auch nicht mehr wie bisher als ihre Inter- essenvertretungen betrachten. Die wäre dann Sache neu formierter Verbünde, oder es käme eine neue Aufgabe auf die Ärztekammern zu. Sehen Sie auf die Ärz- tekammern Neues zukommen?

Hoppe: Im Moment bemühe ich mich mit vielen meiner Kollegen, die Bezie- hungen zu den Kassenärztlichen Vereini- gungen zu intensivieren. Denn wir müs- sen darauf achten, dass es nicht zu einer Entfremdung von der Selbstverwaltung kommt.Wir müssen sicherstellen, dass ei- ne möglichst basisorientierte Politik er- halten bleibt. Schließlich ist es wichtig zu P O L I T I K

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A1370 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 2014. Mai 2004

Selbstverwaltung nach der Gesundheitsreform

„Wir sind im Moment auf einer

I N T E R V I E W

Prof. Dr. med. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe ist seit dem 102. Deutschen Ärztetag in Cottbus Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages.

Jörg-Dietrich Hoppe zur Rolle ärztlicher Interessenvertretungen

Foto:Georg Lopata

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wissen, was sich an der Basis abspielt, sonst verlieren wir die Akzeptanz der Kollegen.

DÄ: Wird von den Kassenärztlichen Vereinigungen diese Mittlerfunktion ak- zeptiert?

Hoppe:Wir sind da im Moment auf einer Rüttelstrecke, und ich hoffe, dass wir die heil zu Ende bringen.

DÄ: Nun sind Körperschaften nicht nur Interessenvertretungen ihrer Mitglie- der. Können Ärztekammern oder Kas- senärztliche Vereinigungen eine auf die Ärztinnen und Ärzte konzentrierte Inter- essenpolitik überhaupt betreiben?

Hoppe:Nein. Sie haben eine janusköpfige Funktion: Einmal die Interessen der Ärz- tinnen und Ärzte gegenüber der Öffent- lichkeit oder seitens der Kassenärztlichen Vereinigungen besonders auch gegenüber den Krankenkassen, andererseits aber auch die Interessen der Öffentlichkeit ge- genüber den einzelnen Ärztinnen und Ärzten, also gegenüber der Ärzteschaft, wahrzunehmen. Diese Funktionen erfül- len die Kammern seit geraumer Zeit. Das bedeutet aber nicht,

dass es nicht weitere Organisationen geben kann, allein wegen der Heterogenität der Ärzteschaft, die ge- genüber der Öffent-

lichkeit Interessen vertreten, zum Beispiel gewerkschaftliche Interessen bei ange- stellten Ärztinnen und Ärzten, die durch den Marburger Bund wahrgenommen werden. Oder: Hausärztliche und speziali- stische Facharztgruppen werden gegen- über der Öffentlichkeit, aber auch gegen- über den Kammern und den Kassenärztli- chen Vereinigungen aktiv. Wir als Ärzte- kammern empfinden die Berufsverbände durchaus als legitime Interessenvertretun- gen dieser Arztgruppen uns gegenüber.

Dabei ist es unsere Aufgabe, die Gesamt- vertretung der Ärzteschaft nicht aus den Augen zu verlieren,auch wenn es nicht im-

mer ganz einfach ist.Neben der Artikulati- on ärztlicher Belange ist die innerärztliche Integration unsere wichtigste Aufgabe.

DÄ:Relativ neu unter den Interessen- vertretungen sind die genossenschaftsarti- gen Verbünde.

Hoppe:Historisch gesehen sind sie nicht so ganz neu, denn mit ihnen leben, wenn auch in moderner Form, Aktivitäten auf, wie sie durch Hartmann und den Leipziger Verband betrieben wurden, bevor die kas- senärztlichen Vereinigungen gegründet wurden. Ursprünglich sollten die neuen Verbünde eine Ersatzfunktion für eventu- ell entfallende Kassenärztliche Vereini- gungungen übernehmen. Mittlerweile ha- ben sie aber ein Eigenleben entwickelt und werden in diesem Zusammenhang si- cher ihre Rolle spielen,auch wenn die Kas- senärztlichen Vereinigungen ihre neue Rolle in der zukünftigen gemeinsamen Selbstverwaltung spielen werden.

DÄ: Genossenschaftliche Verbünde wie etwa Medi profilieren sich insbeson- dere durch praktische Dienstleistungen gegenüber ihren Mitgliedern. Den An- spruch, Dienstleister zu sein, erheben auch Kammern und KVen. Halten Sie es für realistisch, die Körperschaften in ihrer derzeitigen Struktur als Dienstleister für ihre Mitglieder zu positionieren?

Hoppe:Die Kammern waren schon im- mer Dienstleister. Man hat nur den Aus- druck nicht verwendet. Früher sprachen wir von Kreisstelle oder Bezirksstelle.

Heute spricht man von Service-Center. Das liegt einfach mehr im Trend der Zeit. Aber der Grundgedanke war der gleiche: arztnahe Selbstverwal- tung. Natürlich sind die Dienstleistungen in Form von Informationen,von Entschei- dungshilfen viel umfänglicher geworden.

Und Dienstleistungen wie etwa die unse- rer Gutachterkommissionen und Schlich- tungsstellen hat es früher so nicht gege- ben. Insofern hat das Dienstleistungsseg- ment schon an Bedeutung dazugewon- nen.Unsere Kammer (Nordrhein,d.Red) zum Beispiel kümmert sich auch um den weiteren Ausbau einer Patientenbera- tungsstelle, um diese Aufgabe nicht allein den Verbraucherverbänden zu überlas- sen. Dass wir mehr als alle anderen für die

Interessen aller Patienten streiten, dürfen wir nicht infrage stellen lassen. Da müssen wir klar Position beziehen. Deshalb sind solche Aktivitäten auch für unsere Kolle- ginnen und Kollegen. Das alles ist mit den Aufgaben, die die Kammer als Körper- schaft des öffentlichen Rechtes hat, ver- einbar und noch entwicklungsfähig.

DÄ: Wird das von den Mitgliedern auch so gesehen, oder empfinden diese die Körperschaften als eine Art vorgesetzte Behörden?

Hoppe: Die Kammern und die Kas- senärztlichen Vereinigungen haben, siehe das Bild von der Janusköpfigkeit, natür- lich auch staatliche Aufgaben, und so, wie der Staat gesehen wird,werden prinzipiell auch die ärztlichen Körperschaften gese- hen, zumal man ja Beiträge bezahlen muss, die einen steuerartigen Charakter haben. Ich habe aber eine interessante Erfahrung gemacht.Zum ersten Mal,seit- dem ich in diesem Kammerwesen mitmi- sche,habe ich dieses Jahr als Präsident der Kammer Nordrhein allen Aussendungen, die die Beitragsveranlagung enthielten, einen Brief hinzugefügt mit der Bitte,dass man sich doch äußern möge, was man von der Kammer hält und ob man spezielle Wünsche hat. Ich hatte eine Flut von Briefen mit Beschimpfungen und Kritik erwartet, vielleicht auch den ein oder an- deren zufriedenen Brief. Zurückgekom- men ist ein einziger Brief, der sich sehr kritisch mit dem Kammerwesen als Idee auseinander setzte. Und aus diesem Brief habe ich nur erkannt, dass es dem Schrei- ber dieses Briefes nicht bewusst war, dass wir eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit der Verpflichtung zu unterge- setzlicher Normgebung sind. Übrigens sind auch die freien Verbände nicht nur geliebte Einrichtungen. Auch im ADAC ist man ja nicht, weil man den ADAC liebt, sondern aus Nützlichkeitserwägun- gen. Man darf, glaube ich, nie darauf hof- fen, dass die Arbeit, die in der ärztlichen Selbstverwaltung und im Verbändewesen stattfindet, auf Zuneigung stößt. Sie muss halt sein, und ich hoffe, dass die Selbstver- waltung, wenn man seine Arbeit gut macht,akzeptiert wird und sich die Ärzte- schaft mit ihrer Selbstverwaltung identifi- ziert. Das ist gerade jetzt, in einer Um- bruchphase, in der die Politik auf den Ab- bau zielt, wichtiger denn je.

Interviewer: Norbert Jachertz P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 2014. Mai 2004 AA1371

Rüttelstrecke“

„Neben der Artikulation

ärztlicher Belange ist die

innerärztliche Integration

unsere wichtigste Aufgabe.“

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