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Archiv "Nach dem Strafvollzug: In Schweden wird ein Mörder Arzt" (07.12.2007)

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Deutsches ÄrzteblattJg. 104Heft 497. Dezember 2007 A3435

S T A T U S

D

ie öffentliche Debatte in Schweden wird derzeit vor allem von einem Thema geprägt:

Ein bekannter Exnazi und verurteil- ter Mörder studiert seit Anfang Sep- tember, nach verbüßter achtjähriger Gefängnisstrafe, in Stockholm Me- dizin. Die Meldung von der Zuwei- sung eines der begehrten Studien- plätze an einen Mörder bringt das li- berale Land in Aufruhr.

Der 30-Jährige, aus der Stockhol- mer Oberschicht stammende Jonas Holgerson*, wurde Anfang 2000 zu elf Jahren Haft wegen Mordes verur- teilt. Zusammen mit einem Kumpa- nen hatte der Nazi am 12. Oktober 1999 den linken Gewerkschafts- mann Benny Söderberg vor dessen Wohnung mit sechs Schüssen in den Kopf und weiteren in den leblosen Körper exekutiert. Ein Rachemord:

Söderberg hatte zuvor bewirkt, dass ein rechtsextremer Arbeitskollege die Gewerkschaftsvertretung seines Betriebs verlassen musste. Der mit dem Kollegen befreundete Holger- son richtete Söderberg dafür hin. Die brutale Tat führte damals zu Massen- kundgebungen gegen den rechten Terror.

Im Februar dieses Jahres wurde Holgerson unter Bewährung aus dem Gefängnis entlassen und be- warb sich mit seinen guten Schulno- ten für den Medizinstudiengang in Stockholm – mit Erfolg. Mit 130 Kommilitonen büffelt der Mörder nun am renommierten Karolinska- Institut im nördlichen Teil der Stadt für die Erstsemesterprüfungen. Das Institut gilt als die Eliteschule des Nordens für die Ausbildung von

Ärzten und die medizinische For- schung. Jedes Jahr examinieren rund 250 Ärztinnen und Ärzte. Das Insti- tut vergibt zudem jährlich die welt- weit wohl feinste Auszeichnung:

den Nobelpreis für Medizin.

Wer am Karolinska-Institut aufge- nommen werden will, muss nicht nur Abiturbestnoten haben. Die Bewer- ber müssen laut Richtlinienkatalog auch für den Arztberuf entsprechen- des „empathisches Vermögen, sozia- le Fähigkeiten, Reife und Stress- resistenz“ mit sich bringen – Eigen- schaften, die dem Mörder durch die Aufnahme offiziell bescheinigt wer- den. Die Eignung wird einerseits an- hand eines schriftlich eingereichten Aufsatzes des Bewerbers zu seiner

Lebensgeschichte überprüft. Danach folgt ein 45 Minuten langes persönli- ches Eignungsinterview mit einem Psychologen oder einem Arzt. Der 30-jährige Mörder hatte bereits vor der Bewerbung seinen durch den Mord bekannt gewordenen Namen ändern lassen. In seinem Bewer- bungsaufsatz erwähnte er das dunkle Kapitel seines Lebens – verständli- cherweise – nicht. Auch im Interview war die Haftstrafe kein Thema. Wel- cher Psychologe würde auch fragen:

„Haben Sie schon einmal jemanden ermordet?“

Erst als das Semester bereits ge- startet war – und der Mörder also wie seine Mitstudenten bereits die teure Fachliteratur gekauft hatte und in Arbeitsgruppen eingeteilt worden war –, wurde durch Zufall bekannt, wer da eigentlich zum Medizinstu- dium an Schwedens feinster Fakul- tät zugelassen worden war: „Im September bekam ich zwei anony- me Briefe, die mich darüber infor- mierten, dass Holgerson zuvor eine achtjährige Haftstrafe abgesessen hatte“, sagt Harriet Wallberg-Hen- riksson, Rektorin des Karolinska- Instituts. „Wir kontaktierten darauf- hin die Polizei und diskutierten die

Sicherheitsrisiken. Wir wollten wis- sen, ob der Student durch seine Tat einer Bedrohung ausgesetzt sein würde und ob er selber eine Gefahr für andere Studenten darstellte.“

Man überprüfte, ob es zwingende Gründe gebe, den Mörder zu exma- trikulieren. Aber weder die Verurtei- lung wegen Mordes an sich noch die Tatsache, dass er sie in seiner Präsentation nicht erwähnt hatte, waren für eine Exmatrikulation aus-

reichend. 1

„Ist Schweden zu tolerant geworden?“, fragen sich die einen.

Andere sind überzeugt davon, dass jeder eine zweite Chance verdient.

Foto:KI/Eberhard Hahne [m]

* Name von der Redaktion geändert

„Wenn jeder die Geschichte seines Gegenübers kennen würde, könnte die Gesellschaft nicht funktionieren.“

Jonas Holgerson*

NACH DEM STRAFVOLLZUG

In Schweden wird ein Mörder Arzt

Ein verurteilter Exnazi und Mörder studiert in Stockholm Medizin.

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A3436 Deutsches ÄrzteblattJg. 104Heft 497. Dezember 2007

S T A T U S

„Wir kamen zu dem Ergebnis, dass er auf korrekte Weise ange- nommen worden war. Deshalb ste- hen wir in der Pflicht, ihm diese Ausbildung zu bieten. Wir haben kein Recht, jemanden zu exmatriku- lieren, weil er oder sie im Gefängnis gesessen hat. Als Student bei uns hat er schließlich keine Verbrechen be-

gangen“, argumentiert die Rektorin.

Sie könne verstehen, wenn die All- gemeinheit das bei einem Mörder als problematisch ansehe: „Es ist ein ethisches Dilemma. Aber sollte je- mand eine zweite Chance im Leben bekommen – oder nicht?“

Auch wenn der Mörder die Arzt- ausbildung in fünf bis sechs Jahren erfolgreich abschließen sollte, ist nicht sicher, dass er in Schweden als Arzt praktizieren darf: „Mit dem Wissen, das wir über ihn haben, glaube ich nicht, dass wir ihm eine

Legitimation ausstellen werden“, sagte Thomas Tegenfeldt von der zuständigen Behörde in einem In- terview. Für den Arztberuf benötige man gesellschaftliches Vertrauen – und das habe ein verurteilter Mörder und Nazi wohl nicht. Auch Sozial- minister Göran Hägglund drückte in der Presse seine Missbilligung aus:

So jemand könne doch nicht Arzt werden dürfen. Hochschulminister Lars Leijonborg, ist hingegen über- zeugt, dass der junge Mann eine zweite Chance verdient. Der nun aufkommenden Forderung nach ei- nem einwandfreien Führungszeug- nis für den Arztberuf will er nicht nachgehen: „Im Rechtsstaat ist es grundlegend, dass man eine Strafe verbüßt und dass das Verbrechen da- nach als gesühnt betrachtet wird.“

Der Student fleht derweil die Presse an, seinen Fall nicht weiter

aufzubauschen: „Warum schreibt ihr über mich? Ihr findet, dass ich ungeeignet bin? Aber ich muss doch irgendwie weiterkommen in meinem Leben. Ich habe alle Be- werbungstests bestanden und wer- de nicht abbrechen“, sagte er in ei- nem Interview. Auf die Frage, ob er glaube, dass seine Patienten ihm als Mörder vertrauen werden, antwor- tet er: „Wenn jeder den Hintergrund und die Geschichte seines Gegen- übers kennen würde, würde die Ge- sellschaft nicht funktionieren. Ich stehe in dieser Sache im Dialog mit dem Karolinska-Institut, und das reicht.“

„Ist Schweden zu tolerant gewor- den?“, fragen sich nun die einen.

Vor allem besorgte Eltern sind empört. Niemand würde doch seine Kinder zu einem Arzt schicken, der einen Menschen auf dem Gewissen habe – selbst wenn er sich seitdem nichts mehr hat zuschulden kom- men lassen. Auch die Rektorin des Karolinska-Institut, Wallberg-Hen- riksson, räumt ein: „Ich bin selbst Ärztin und weiß, dass der Patient Vertrauen zu seinem Arzt haben muss. Zu einem Schwerverbrecher kann ich kein Vertrauen haben.“ In der ärztlichen Fachpresse lassen sich Ärzte zitieren mit Aussagen wie: „Das ist eine Schande für unse- ren Berufsstand. Ich will keinen Mörder zum Kollegen haben!“

Allerdings hält ein Großteil der liberalen Schweden die Geschichte des Mörders, der vielleicht irgend- wann Menschenleben retten wird, für das Bilderbuchmärchen der Reintegration von Straffälligen in die Gesellschaft: „Wenn die richti- ge Strafe nach dem Strafvollzug in der Freiheit folgt, indem der Krimi- nelle keine anständige Chance im Leben bekommt, kann man genau- so gut wieder die Todesstrafe ein- führen“, sagte ein Anrufer im po- pulären Hörfunkprogramm „Ring P1“. Und selbst die eher bürger- liche Boulevardzeitung „Expres- sen“ schreibt: „Warum genau soll ein Mörder, der seine Strafe abge- sessen hat, nicht Arzt werden dür- fen?“ Ein Mörder könne klug, ta- lentiert, mutig und ehrgeizig sein, so die Kommentatorin. n André Anwar

„Im Rechtsstaat ist es grundlegend, dass man eine Strafe verbüßt und dass das Verbrechen danach als gesühnt betrachtet wird.“

Lars Leijonborg,schwedischer Hochschulminister

RECHTSREPORT

Diätverpflegungen: Kein Abzug als außergewöhnliche Belastung

Auch eine Diätverpflegung aufgrund einer Zölia- kie zählt zu den üblichen Aufwendungen für die Lebensführung. Sie kann nicht als außergewöhn- liche Belastung im Sinne des § 33 Absatz 2 Satz 3 Einkommensteuergesetz geltend gemacht werden. Das hat der Bundesfinanzhof entschieden.

Nach dieser Vorschrift wird die Einkommen- steuer auf Antrag ermäßigt, wenn ein Steuer- pflichtiger außergewöhnliche Belastungen zu tra- gen hat. Typische Aufwendungen einer Lebens- führung, also solche, die nicht nur einer Minder- heit entstehen, werden von dieser Vorschrift nicht erfasst. Außerdem fallen nur solche Ausga- ben unter die Vorschrift, die existenziell erforder- lich sind und weder vom Grundfreibetrag noch durch den Sonderausgabenabzug oder andere Abzugsbeträge erfasst werden. Krankheitsbe- dingte Ausgaben zählen nur dann zu den nach

§ 33 zu berücksichtigenden Aufwendungen, wenn sie zum Zweck der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit er- träglicher zu machen. Bei typischen und unmit-

telbaren Krankheitskosten wird die Außerge- wöhnlichkeit letztlich unwiderlegbar vermutet und die Zwangsläufigkeit dieser Aufwendung weder dem Grund noch der Höhe nach geprüft.

Zöliakie ist eine Krankheit, sodass die Auf- wendungen für Arzneimittel, soweit es sie gibt, grundsätzlich als außergewöhnliche Belastungen anerkannt werden könnten. Diätkosten sind aller- dings nicht als außergewöhnliche Belastungen abziehbar, auch wenn sie mit einer Krankheit im Zusammenhang stehen. Der Wille des Gesetzge- bers zum umfassenden Ausschluss der Diätver- pflegungsaufwendung ist im Gesetzgebungsver- fahren zum Einkommensteuergesetz 1974 klar zum Ausdruck gekommen. Gegen das gesetzli- che Verbot der Berücksichtigung von Diätverpfle- gungskosten bestehen nach Auffassung des Bundesfinanzhofs keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn für die unterschiedliche Be- handlung unmittelbarer Krankheitskosten und Diätaufwendungen bestehen sachliche Gründe.

Zu den üblichen Aufwendungen für die Lebens- führung zählen eben auch Kosten für die Verpfle- gung, gleichgültig in welcher Höhe sie tatsäch- lich anfallen. (Urteil vom 21. Juni 2007, Az.: III R

48/04) RA Barbara Berner

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