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Archiv "Anklage gegen den Mißbrauch der Psychiatrie" (12.05.1977)

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Bericht und Meinung

DER KOMMENTAR

Abrechnungsverfahrens gerade die Bildung einer solchen Apparatege- meinschaft empfohlen wird.

Darüber hinaus sind die Gutachter gebeten worden, die Frage zu beant- worten, warum auf der einen Seite die Nutzung eines im Eigentum ei- nes Krankenhauses oder eines Arz- tes als Privatklinikinhabers stehen- den Mammomaten durch den gynä- kologischen oder röntgenologi- schen Chefarzt einer Abteilung diese Krankenhaus im Rahmen sei- ner Chefarztbeteiligung bzw. durch den an der Privatklinik tätigen Be- legarzt im Rahmen seiner ambulan- ten kassenärztlichen Tätigkeit zuläs- sig ist und angesichts der gesetzli- chen Regelung des § 368 n. Abs. 3 Satz 1 RVO gegen die Berechnung eines für jeden Fall der Inanspruch- nahme zu zahlenden Nutzungsent- gelts an den Krankenhausträger nach dem KBV-NT keine Rechtsbe- denken erhoben werden können, während andererseits die gleiche Form der Zurverfügungstellung und Entgeltberechnung durch einen Kassenarzt unzulässig sein soll.

Wäre die Auffassung der Gutachter richtig, müßte das interne Abrech- nungsverfahren zwischen den in ei- ner Praxisgemeinschaft oder Ge- meinschaftspraxis zusammenarbei- tenden Ärzten, bei denen die Ein- richtung im Eigentum eines der be- teiligten Ärzte steht, daraufhin über- prüft werden, ob die bis heute üb- liche und von seiten der Kassenärzt- lichen Vereinigung teilweise emp- fohlene Abrechnung nach Maßgabe des KBV-NT in Zukunft weiter ge- handhabt werden kann.

Angesichts dieser weit über den die Gutachterfrage auslösenden Einzel- fall hinausgehenden Bedeutung der gutachtlichen Äußerungen kann eine Stellungnahme der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung zu dem Gutachtenergebnis und den daraus zu ziehenden Konsequenzen zwangsläufig erst nach Eingang der Beantwortung der gestellten Fragen durch die Gutachter erfolgen. Bis dahin ist dieses Gutachterverfahren noch nicht als abgeschlossen anzu- sehen." KBV

Anklage gegen den Mißbrauch der Psychiatrie

Wird der diesjährige Weltkongreß der Psychiatrie, der im Sommer in Hawaii stattfindet, endlich eine ein- deutige Verurteilung des politischen Mißbrauchs der Psychiatrie ausspre- chen? Diese Frage bewegt den rus- sischen „Dissidenten" Wladimir Bu- kowskij, der auf Grund seiner eige- nen Erfahrungen eine Dokumenta- tion über diese Art des Mißbrauchs in der Sowjetunion veröffentlicht hat („Opposition — eine neue Geistes- krankheit in der Sowjetunion?", Karl Hanser Verlag, München, 1971).

Nach Besuchen in der Schweiz, Frankreich, Großbritannien, den USA und Kanada bemüht sich Bu- kowskij nunmehr, auch in der Bun- desrepublik Deutschland Mitstreiter zu finden. Die „Deutsche Vereini- gung gegen politischen Mißbrauch der Psychiatrie e. V." hatte ihn An- fang April in München zu einem Ge- spräch zu Gast.

Er habe, so sagte Bukowskij, es sich zunächst sehr einfach vorgestellt, die Psychiater von der Notwendig- keit einer eindeutigen Stellungnah- me zu überzeugen. Tatsächlich sei es ihm aber in sechs Jahren nur schwer und in Deutschland noch kaum geglückt. Er sehe dafür eine Reihe von Gründen: Zum einen be- stehe eine gewisse Antipathie gegen negative Äußerungen über die So- wjetunion ganz im allgemeinen.

Weit verbreitet sei die Auffassung, öffentliche Äußerungen im Westen könnten den Opfern in der Sowjet- union nur schaden. Dazu käme die bei Ärzten häufig anzutreffende Nei- gung, sich nicht in außerfachliche Probleme einzumischen, und schließlich seien auch manchmal Zweifel daran vorhanden, ob es sich bei denjenigen Personen, die sich in der Sowjetunion in psychiatrischer

„Sonderbehandlung" befinden, tat- sächlich um gesunde Menschen handle.

Wladimir Bukowskij bemüht sich nun, all diese Zweifel und Bedenken

zu entkräften. Dazu erläuterte er, wie es überhaupt zu einer solchen Ent- wicklung in der Sowjetunion kom- men konnte: In der Zeit des Stalin- schen Massenterrors sei es für die Machthaber unnötig gewesen, zu Maßnahmen wie dem Mißbrauch der Psychiatrie zu greifen. Damals sei es auch durchaus noch möglich gewe- sen, daß Psychiater in der Lage wa- ren, Menschen vor der physischen Vernichtung zu bewahren, indem sie eine psychische Erkrankung dia- gnostizierten. Daher sei es verständ- lich, daß man im Ausland häufig glaube, daß auch heute noch die Psychiatrie die Rolle der Retterin spiele.

Nach der Auflösung der Straflager nach Stalins Tode sei es jedoch für die Führungskreise der Sowjetunion zu einem Problem geworden, mit welchen Methoden man gegen An- dersdenkende vorgehen solle. Heute erscheine die Zeit der Herrschaft von Chruschtschow als „relativ libe- ral"; es habe keine Massenrepres- sionen gegeben. Es war jedoch Chruschtschow, der — so berichtet Bukowskij — den Ausweg fand: Er erklärte kategorisch, es gebe keine politischen Häftlinge in der Sowjet- union. Die wenigen Menschen, die abweichend dächten oder gar ab- weichende Gedanken äußern, seien psychisch nicht normal.

Dieser Ausweg vertrage sich auf sehr einfache Weise mit traditionel- lem marxistischem Bewußtsein, der Lehre nämlich, daß „das Sein das Bewußtsein prägt". Daraus folge:

Menschen, die in einem sozialisti- schen System aufwachsen, können nur ein sozialistisches Bewußtsein haben. Aus marxistischer Sicht sei es deshalb unerklärbar, daß nach 50 Jahren sowjetischer Herrschaft bei- spielsweise noch Religion vorhan- den sei oder daß nach Liquidierung der alten Klassen Vertreter der jun- gen Generation antikommunistisch eingestellt sein könnten. Auf dieses Phänomen gebe es nach marxisti- scher Sicht nur zwei Antworten: Op- positionelle Geister seien entweder Agenten oder psychisch anormal.

Wenn nun, so Bukowskij weiter, der- artige Oppositionelle in der sowjeti-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 19 vom 12. Mai 1977 1263

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Die Information:

Bericht und Meinung

Mißbrauch der Psychiatrie

schen Öffentlichkeit ein gewisses Ansehen oder einen höheren Be- kanntheitsgrad aufweisen, ist es recht schwierig, ihnen den „Agen- tenstatus" zu unterschieben. Perso- nen beispielsweise wie General Gri- gorenko, die sich vielfache militäri- sche Verdienste erworben haben, könnten nicht einfach vor Gericht gestellt werden — dann biete sich die

„psychiatrische Lösung" an. Der Atomforscher Sacharow sei insofern noch ein Sonderfall; sein weltweiter Bekanntheitsgrad und die Unterstüt- zung, der er auch von außen sicher sein kann, verhindere bisher ein Vorgehen gegen ihn — wenn es aber doch dazu kommen sollte, dann würde es auch in diesem Falle sicher die „psychiatrische Lösung" sein:

Bukowskij berichtet, daß ihm bei seinen zahlreichen Verhören bereits gesagt worden wäre, daß Sacharow

„nicht zurechnungsfähig" sei. Ähn- lich sei die Situation, wenn Opposi- tionelle sich zwar gegen das aktuelle System aussprechen, jedoch auch für die Öffentlichkeit glaubhaft er- klärten, Kommunisten zu sein. Auch hier — Bukowskij nannte als Beispiel den Mathematiker Pljuschtsch — sei nur eine „psychiatrische" Erklärung und damit Behandlung möglich.

Auf Befragen betonte Bukowskij, daß es nur eine Minderheit von Psychiatern sei, die sich im Dienste des repressiven Systems mißbrau- chen ließen, und er zählte aus seiner eigenen Erfahrung eine größere An- zahl von Beispielen auf, in denen Psychiater ihm auch geholfen ha- ben, ja sogar in Gegenwart von Si- cherheitsbeamten demonstrativ die Hand gedrückt oder auch gegen den Wunsch der Sicherheitsorgane seine psychische Gesundheit atte- stiert hatten. In einem Falle mußte er aus einer Klinik in eine andere über- wiesen werden, weil die Ärzte der ersten Klinik — darunter auch junge Ärzte, die noch keinen Facharzttitel besaßen — es abgelehnt hätten, ihn für krank zu erklären. Aus diesem Grunde fordere er auch nicht, daß die westliche Welt die Beziehungen zur sowjetischen Psychiatrie insge- samt abbrechen solle. Allerdings wünsche er, daß man sich weigere, mit denen zusammenzuarbeiten, die

unmittelbar an der psychiatrischen Repression beteiligt seien. Eine Zu- sammenarbeit mit der „normalen"

sowjetischen Psychiatrie sei im Ge- genteil sogar erforderlich und zu wünschen, um verhindern zu helfen, daß Psychiater, die sich weigern, an Repressionsmaßnahmen teilzuneh- men, selbst verfolgt würden.

Bukowskij setzte sich auch mit dem Argument auseinander, daß eine psychiatrische „Sonderbehand- lung" unter Umständen eine Hilfe für den Betroffenen sein könne. Aus allen Erfahrungen, auch aus Befra- gungen, könne er nur sagen, es sei nicht wahr, daß die Verbannung in ein Arbeitslager schlimmer sei als die Sonderbehandlung in der Psych- iatrie — nichts sei vielmehr schlim- mer als diese psychiatrische Be- handlung. Auch hierfür nannte Bu- kowskij Gründe: Die Verbannung in ein Arbeitslager sei auf jeden Fall zeitlich begrenzt; die Einweisung in eine psychiatrische Sonderbehand- lung sei unbegrenzt, solange der Betroffene nicht „abschwört". Im Lager gebe es ein gewisses Rechts- system, die Insassen psychiatrischer Anstalten seien völlig rechtlos. In den psychiatrischen Kliniken seien Behandlungsmethoden möglich, die es im Arbeitslager gar nicht gibt.

Und schließlich sei es eine besonde- re Form des Terrors, die Betroffenen ganz bewußt und gezielt mit psy- chisch tatsächlich Schwerkranken zusammen unterzubringen. Dies sei im übrigen auch in Kreisen der so- wjetischen Justiz durchaus bekannt:

Untersuchungsrichter drohen bei Vernehmungen nicht mit Gefängnis oder Arbeitslager, sondern mit der Einweisung in eine psychiatrische Anstalt.

Über die Zahl der Menschen, die in der Sowjetunion einer psychiatri- schen Behandlung aus politischen Gründen unterworfen sind, konnte Bukowskij nur vage Andeutungen machen. Solschenizyn hat die Zahl von 7000 genannt. Bukowskij erklär- te dazu, es sei bekannt, daß dem Innenministerium 15 psychiatrische Krankenhäuser unterstehen — diese kommen in erster Linie für solche

„Behandlungen" in Frage; dazu kä-

men noch einige städtische psychia- trische Anstalten, in die ebenfalls politische Dissidenten eingewiesen seien.

Der Veranstalter dieses Diskussions- abends, an dem auch Vertreter von Amnesty International und der Deut- schen Gesellschaft für Menschen- rechte anwesend waren, war die Deutsche Vereinigung gegen politi- schen Mißbrauch der Psychiatrie e.

V., die wenige Tage zuvor aus dem bis dahin bestehenden Initiativkomi- tee gegen den Mißbrauch der Psych- iatrie zu politischen Zwecken ge- gründet worden war. Die Eintragung ins Vereinsregister ist erfolgt. Die Vereinigung will dem Mißbrauch der Psychiatrie nicht nur in der Sowjet- union, sondern auch in anderen Ge- genden der Welt nachgehen und da- gegen ankämpfen; sie setzt sich auch für eine eindeutige Erklärung des kommenden Weltpsychiatrie- Kongresses ein — eine Erklärung üb- rigens, an der bereits gearbeitet wird. Der Redaktion des DEUT- SCHEN ÄRZTEBLATTES liegt ein Entwurf vor — der neunte —, in dem auf zwei engbeschriebenen Schreib- maschinenseiten die ethischen Re- geln für die Psychiatrie allgemein dargestellt werden. Eine Ziffer die- ses Entwurfes lautet: „Der Psychia- ter darf sein berufliches Wissen und Können niemals zur Mißhandlung von Einzelpersonen oder Gruppen benutzen. Er sollte sich stets darum bemühen, daß keine persönlichen Wünsche, Gefühle oder Vorurteile sein ärztliches Handeln beeinflus- sen. Der Psychiater soll an Zwangs- maßnahmen nicht beteiligt sein, wenn keine psychische Krankheit vorliegt [diese Einschränkung ist na- türlich erforderlich, da in der Psych- iatrie auf gerichtliche Zwangsein- weisungen nicht verzichtet werden kann — Redaktion]. Wenn vom Pa- tienten oder von dritter Seite Maß- nahmen verlangt werden, die gegen wissenschaftliche oder ethische Grundsätze verstoßen, muß er seine Mitarbeit verweigern. Wenn aus ir- gendeinem Grunde entweder die Wünsche oder die besten Interessen des Patienten nicht gefördert wer- den können, muß der Patient dar- über Auskunft erhalten." bt

1264 Heft 19 vom 12. Mai 1977 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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