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as Burn-out-Phänomen wird seit mehreren Monaten in- tensiv in Presse, Talkshows und in der Bevölkerung diskutiert. Diese Entwicklung ist nachdrücklich zu begrüßen, da dadurch das Stigma, das noch immer auf psychischen Erkrankungen liegt, erkennbar re- duziert wird. Gleichzeitig sind je- doch in der Burn-out-Diskussion erhebliche Verwirrungen aufgetre- ten. Die Spannweite der Diskussion auch innerhalb des Gesundheitssys- tems reicht von der völligen Ableh- nung als vorübergehende Modewel- le bis zur Gründung von „Burn-out- Kliniken“. Insbesondere bedürfen folgende Sichtweisen einer fachli- chen Kommentierung:●
die Gleichstellung von Burn- out mit jeglicher Form psychischer Krisen und Erkrankungen, die im zeitlichen Zusammenhang mit einer Arbeitsüberlastung auftreten,●
der Gebrauch des Begriffs Burn-out gleichbedeutend mit De- pression,●
die Annahme, Burn-out sei die Ursache des durch psychische Stö- rungen bedingten Anstiegs von Krankschreibungen und Frühberen- tungen, was vom Gesundheitssys- tem zu verhindern sei.Burn-out ist eigentlich ein Problem der Arbeitswelt
Das Positionspapier einer Taskforce der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) (1), des- sen Kernpunkte im Folgenden dar- gestellt werden, soll zu einer Versach - lichung der Diskussion beigetragen.Außerhalb Deutschlands wird Burn-out vornehmlich als Problem der Arbeitswelt, das heißt als Thema der Sozialpartner sowie der Arbeits- und Organisationspsychologen gese- hen. Der Psychoanalytiker Herbert Freudenberger, der Mitte der 70er Jahre den Begriff „Burn-out“ ein- führte, beschrieb damit die gesund- heitlichen Folgen beruflicher Über-
Universitätsklinikum Freiburg, Abteilung für Psychia- trie und Psychotherapie: Prof. Dr. med. Berger Universitätsmedizin Göttingen, Abteilung für Psychia- trie und Psychotherapie: Prof. Dr. med. Falkai Universitätsklinikum Bonn, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie: Prof. Dr. med. Maier
ARBEITSWELT UND PSYCHISCHE BELASTUNGEN
Burn-out ist keine Krankheit
Foto: picture alliance
Die Spannweite der Diskussion um das Burn-out-Phänomen reicht von der völligen Ablehnung als vorübergehende Modewelle bis zur Gründung von „Burn-out-Kliniken“.
Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde will zur Versachlichung der Debatte beitragen.
Mathias Berger, Peter Falkai, Wolfgang Maier
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6. April 2012 A 701 lastung, ohne dass bereits eineKrankheit vorliegt (2). Auch Sozial- psychologen wie Maslach und Mit- arbeiter, die das Burn-out-Phänomen in die drei Dimensionen „emotionale Erschöpfung“, „Distanzierung von der Arbeit“ und „verringerte Arbeits- leistung“ untergliederten, sehen dar - in einen dauerhaften arbeitsbeding- ten negativen Seelenzustand (3).
Mehr als 130 verschiedene Burn- out-Einzelbeschwerden sowie eine Vielzahl von unterschiedlichen Stu- fenmodellen wurden publiziert; ver- bindliche Diagnosekriterien einer gesonderten Krankheit Burn-out er- geben sich daraus jedoch nicht (4).
Entsprechend hat die Weltgesund- heitsorganisation in der ICD-10 eine Burn-out-Erkrankung nicht aufge- führt und wird dies – soweit bekannt – auch in der Revision, der ICD-11, nicht tun. In der ICD-10 werden im Anschluss an die Krankheitskapitel lediglich Problembereiche genannt, die zwar zur Kontaktaufnahme mit den Gesundheitsdiensten führen können, jedoch selbst keine Krank- heit sind. In der Rubrik „Probleme verbunden mit Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“ ist unter der Unterziffer Z 73.0 „Burn-out, Zustand der totalen Erschöpfung“
aufgeführt (5).
Konträr zu dieser Sichtweise wird in Deutschland nicht nur in der Laienpresse, sondern auch im Gesundheitswesen Burn-out zuneh- mend als Krankheit mit Sympto- men wie Depressivität, Suizidali- tät, Konzentrations- und Gedächt- nisstörungen oder existenzielle Verzweiflung gesehen.
Die Systematik in der Grafik dif- ferenziert die von Freudenberger oder Maslach als Burn-out bezeich- neten Beschwerden in Übereinstim- mung mit der ICD-10. Diese Diffe- renzierung ist notwendig, um eine sachgerechte Handhabung des Pro- blems im Gesundheitswesen und in der Arbeitswelt zu gewährleisten.
Vier Entwicklungsstufen führen vom Stresserleben (ohne eine gleichzeitige Erkrankung) zu Er- krankungen mit vorausgehenden oder nachfolgenden Burn-out-Be- schwerden.
Ungewöhnliche Anforderungen der Arbeitswelt können mit vegeta-
tiven Symptomen wie Angespannt- heit, verminderter Schlafqualität und einem Erschöpfungsgefühl ver- bunden sein. Wenn diese absehbar zeitlich begrenzt sind und sich diese Stressfolgen in kurzen Erholungs- phasen zurückbilden, sollte nicht von Burn-out gesprochen werden.
Ansonsten besteht die Gefahr, rou- tinemäßig bewältigbare Prozesse des Arbeitslebens in die Nähe von Krankheitszuständen zu rücken.
Viele Ursachen für andauernde Arbeitsüberforderung
Hält der Erschöpfungszustand je- doch mehrere Wochen bis Monate an, ist ein Ende nicht absehbar, und führen kurze Erholungsphasen nicht zu einer Rückbildung, sollte von einem Burn-out gesprochen werden. Erlebte, andauernde Ar- beitsüberforderung kann ein breites Spektrum von Ursachen umfassen, wie arbeitsplatzbezogene Faktoren, das heißt real unbewältigbarer Ar- beitsanfall, mangelnde Anerken- nung durch Vorgesetzte, fehlende Abgrenzung zum Privatleben. Auch individuelle Faktoren wie reduzier- te Stresstoleranz, überhöhte Zielset- zungen, Perfektionismus, Selbst- überschätzung oder unzureichende Qualifikation können ursächlich sein. Bedeutsam ist das individuelle Zusammenspiel beider Aspekte.
Allgemein gültige Schwellenwerte gibt es folglich nicht.
Burn-out-Beschwerden sollten jedenfalls mit der Ziffer Z 73.0 von den konsultierten Ärzten oder Psychologischen Psychotherapeuten kodiert werden. Denn auch bei Ab- wesenheit definierter ICD-Krank- heiten stellt Burn-out einen Risiko- zustand für nachfolgende psy- chische oder körperliche Erkran- kungen dar. Besonders gefährdet sind Menschen mit entsprechenden früheren Erkrankungsphasen von Depressionen, Angst- oder Abhän- gigkeitserkrankungen. Die klinische Erfahrung zeigt, dass Burn-out auch körperliche Krankheiten wie Tinnitus, Hypertonie oder Infekti- onskrankheiten begünstigen kann.
Wenn bei einem Patienten in - folge einer längerfristigen Arbeits - überforderung eine Erkrankung nach den ICD-10-Kriterien wie De- pression, Angststörung, chronisches Schmerzsyndrom, Tinnitus oder Bluthochdruck aufgetreten ist, sollte die Krankheitsverschlüsselung nach ICD-10 erfolgen, da sie das weitere Vorgehen bestimmt. Wenn angenom- men wird, dass die Arbeitsüberforde- rung zu Entstehung und Aufrechter- haltung der Krankheit beiträgt, sollte regelhaft die zusätzliche Kodierung mit der Anhangsziffer Z 73.0 vorge- nommen werden. Diese Zusatzko- GRAFIK
Wie aus Arbeits- überforderung Krankheit wird – ein Konzept
Klassifikation von Arbeitsüberforderung, Burn-out und Krankheiten
Regene - ration
Chronifizierter Stress Leistungseinschränkung
3. Folgekrankheiten z. B. Depression, Angst-
erkrankungen, Medikamentenabhängigkeit, Tinnitus, Hypertonie, (+ Z 73.0)
Andauernde Überforderung Individuelle Faktoren Arbeitsplatzfaktoren
1. Arbeitsüberforderung
vegetative Stresssymptome, rückbildungsfähige Erschöpfung
2. Burn-out (Z 73.0) (Risikozustand)
anhaltende Erschöpfung, Zynismus, Leistungsminderung
4. Somatische und psychische Erkrankungen
z. B. multiple Sklerose, Krebs, beginnende Demenz, Psychose
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6. April 2012 dierung erfolgt bisher nur unsyste-matisch mit der Gefahr ihrer Ver- nachlässigung in die Behandlung.
Burn-out-Beschwerden als Folge von Erkrankungen
Gänzlich anders sind burn-out-ähnli- che Beschwerden zu bewerten, wenn diese eine (Früh-)Symptoma- tik, das heißt Folge einer Erkran- kung darstellen. Typische Beispiele sind: multiple Sklerose, Schild - drüsenerkrankungen, Depressionen, chronische Insomnien, Infektions- krankheiten oder Tumorerkrankun- gen. Sie können das Gefühl von Überforderung, Insuffizienz und Er- schöpfung am Arbeitsplatz zur Folge haben. Deswegen ist dringend indi- ziert, dass vor der Feststellung eines Burn-outs eine genaue medizinischeDiagnostik erfolgt. Das Unterlassen einer zeitnahen notwendigen geziel- ten Behandlung wäre die Folge.
Die Prävention von Burn-out-Zu- ständen ist zu einem breit diskutier- ten Anliegen geworden. Dabei geht es erstens um die Prävention, die an den Arbeitsbedingungen ansetzt:
Bereits seit 2004 besteht in der Eu- ropäischen Union eine Sozialpart- nervereinbarung zum Thema psy- chosozialer Stress am Arbeitsplatz.
Diese Empfehlung hat in den meis- ten EU-Staaten zu gesetzlichen Re- gelungen geführt. Darin werden psychosoziale Belastungen den phy- sikalischen Risiken wie Lärm, Licht, Vibration, Toxinen und anderem gleichgestellt. In Deutschland wur- den entsprechende verpflichtende Arbeitsschutzgesetze nicht erlassen, beziehungsweise nicht umgesetzt, so dass nur bei der Minderheit der Betriebe Gefährdungsbeurteilungen auch psychische Stressoren ein- schließen (6). Diese Regelungslücke dürfte ein entscheidender Grund da- für sein, dass Burn-out in Deutsch- land zu einem Problem des Gesund- heitswesens geworden ist. Arbeit- nehmer würden sich sehr wahr- scheinlich seltener hilfesuchend an
Ärzte wenden, wenn auch in Deutschland die Anzeige von ge- sundheitsgefährdend erlebtem psy- chosozialem Stress am Arbeitsplatz zu einer verbindlichen Gefähr- dungsüberprüfung führen würde.
Der wachsende Veränderungsdruck durch Rationalisierung und Compu- terisierung führt zu ständig neuen Aufgabenprofilen, die psychosozia- le Gefährdungsbeurteilungen immer dringlicher erscheinen lassen.
Die personenbezogene Präventi- on zielt auf die Stärkung der Bewäl- tigungsressourcen des Einzelnen ab.
Hierzu liegt eine Fülle von Konzep- ten, Ratgebern und Empfehlungen vor. Dabei sind unscharfe Grenzen zwischen Arbeitsüberforderung mit Burn-out und üblichen Arbeitsbe- lastungen sowie zwischen Burn-out
und Depression gängig. Es gibt bis- her wenige als wirksam evaluierte Präventionsstrategien (4, 7).
In Deutschland liegt die Verant- wortung für die Primärprävention von Funktionseinbußen und Krank- heiten nicht beim Gesundheitssys- tem. Bei Burn-out-Beschwerden können Ärzte und Psychologische Psychotherapeuten eine indizierte Diagnostik durchführen. Nur wenn bei Burn-out-Beschwerden eine psychische oder somatische Er- krankung festgestellt wird, besteht Anspruch auf eine längerfristige kassenwirksame Leistung, wie eine ambulante oder stationäre Psycho- therapie.
Bei Erkrankungen ist Therapie geboten
Sonst sollten die Patienten beraten und auf die Präventionsangebote von Krankenkassen oder Betrieben hingewiesen werden. Das Wissen von Ärzten und Psychologischen Psychotherapeuten um potenzielle Grund- und Folgeerkrankungen bei Burn-out-Beschwerden dürfte ei- nen wichtigen Vorteil gegenüber anderweitig ausgebildeten Burn- out-Beratern darstellen.
Bei Erkrankungen, die im zeitli- chen Zusammenhang mit erlebter Arbeitsüberforderung auftreten, be- steht in der Regel die Notwendig- keit einer Therapie. Die Patienten haben Anspruch auf eine vergütete Behandlung, die an den Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wis- senschaftlichen Medizinischen Fach- gesellschaften (AWMF) orientiert sein sollte. Die Benutzung von Burn-out als Oberbegriff für sämt - liche arbeitsbedingte psychische Störungen birgt erhebliche Gefahr.
Dies gilt, wenn Burn-out-Berater oder -Kliniken den Patienten den Eindruck vermitteln, dass mit Well- nessangeboten oder gesundem Es- sen, Sport, Entspannungs- und Zeit- managementtraining jegliche psy- chische Störung in Zusammenhang mit Arbeitsstress behoben werden könne. So entsteht das Risiko, dass Patienten evidenzbasierte Thera- pien nicht für nötig erachten oder sie ihnen vorenthalten werden.
Die erlebte Überforderung am Arbeitsplatz ist bei einer gleichzeitig bestehenden behandlungsbedürftigen Erkrankung für die störungsspezifi- sche Therapie bedeutsam. Anderen- falls ist bei Rückkehr an denselben Arbeitsplatz der Behandlungserfolg gefährdet. Deshalb ist zu fordern, dass in die Krankheitsbehandlungen Burn-out-Zusatzmodule eingeführt werden, die in kontrollierten Studien auf ihre Wirksamkeit überprüft wer- den. Solche Behandlungen sollten neben der Ressourcenverbesserung der Patienten darauf hinwirken, dass ein Arbeitsplatz zur Verfügung steht, dem sie gewachsen sind und der ein arbeitsbedingtes Wiedererkrankungs- risiko minimiert. Ziel der Therapien sollte es aber nicht sein, dass Patien- ten inakzeptable und unbewältigbare Arbeitsbedingungen vorübergehend wieder tolerieren können.
█Zitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2012; 109(14): A 700–2
Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Mathias Berger Universitätsklinik für Psychiatrie
und Psychosomatik, Universitätsklinikum Freiburg Hauptstraße 5, 79104 Freiburg
mathias.berger@uniklinik-freiburg.de
@
Literatur im Internet:www.aerzteblatt.de/lit1412
In anderen Ländern der EU werden psychosoziale Belastungen am Arbeitsplatz den physikalischen Risiken wie Lärm, Licht, Vibration und Toxinen gleichgestellt – in Deutschland nicht.
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6. April 2012 A 4 LITERATURVERZEICHNIS HEFT 14/2012, ZU:ARBEITSWELT UND PSYCHISCHE BELASTUNGEN
Burn-out ist keine Krankheit
Die Spannweite der Diskussion um das Burn-out-Phänomen reicht von der völligen Ablehnung als vorübergehende Modewelle bis zur gezielten Gründung von
„Burn-out-Kliniken“. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde will mit einem Positionspapier zur Versachlichung beitragen.
Mathias Berger, Peter Falkai, Wolfgang Maier
LITERATUR
1. Positionspapier der Deutschen Gesell- schaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) zum Thema Burn-out. 11. Hauptstadtsymposium zum Thema „Burn-out – Der Preis für die Leis- tungsgesellschaft?“ (www.dgppn.de).
2. Freudenberger HJ: Staff Burn-out. Journal of Social Issues 1974; 30, 159–65.
3. Maslach C, Leiter MP, Schaufeli W: Mea- suring Burn-out. In: Cartwright S, Cooper CL:The Oxford Handbook of Organizational Well-Being. 2009; Oxford University Press.
4. Korczak D, Kister C, Huber B: Differential- diagnostik des Burn-out-Syndroms.
Schriftenreihe Health Technology Assess- ment (HTA) in der Bundesrepublik Deutschland 2010; (Bd. 105). Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI), Köln.
5. Dilling H, Mombour W, Schmidt MH: Welt- gesundheitsorganisation: Internationale Klassifikation psychischer Störungen.
ICD-10 Kapitel V (F) Klinisch-diagnosti- sche Leitlinien. Verlag Hans Huber, Bern, Göttingen, Toronto, Seattle; 1991.
6. Kamps L, Pickshaus K (Hrsg.): Regelungs- lücke psychische Belastungen schließe, 2011; www.boeckler.de
7. Walter U, Krugmann CS, Plaumann M:
Burn-out wirksam präventieren? Ein sys- tematischer Review zur Effektivität indivi- duumsbezogener und kombinierte Ansät- ze. Bundesgesundheitsbl 2012; 55:
172–82.