M E D I Z I N
Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 5012. Dezember 2003 AA3321
ter erhöht waren. Erheblich stärker ausgeprägt war die Aktivierung des Markers jedoch in allen Subgruppen, wenn zusätzlich eine eingeschränkte Nierenfunktion vorlag (13).
Der Einfluss der Pharmakotherapie ergibt sich aus den Bemerkungen zu den prädiktiven Eigenschaften der Marker bei dekompensierter und kompensierter Herzinsuffizienz und nach Therapieoptimierung. Konsistent dazu sind eigene Beobachtungen, bei denen eine falschnegative Klassifikati- on von Probanden mit eingeschränk- ter linksventrikulärer Pumpfunktion aber unterschwelligen Markerkonzen- trationen häufig bei Probanden mit optimaler Herzinsuffizienztherapie er- folgt war, wohingegen korrekt posi- tiv klassifizierte Probanden diese The- rapie häufiger nicht erhalten hatten (12, 13).
Darüber hinaus gibt es Beobach- tungen, welche auf eine direkte Beein- flussung der Markerkonzentrationen durch Pharmaka, unabhängig von Hä- modynamik und Flüssigkeitshaushalt, hindeuten. So konnte beobachtet wer- den, dass die Markerkonzentrationen während der Therapie mit ACE-Inhi- bitoren und AT-Rezeptorantagonisten abfallen, aber bei alleiniger Therapie mit Betarezeptorblockern sogar an- steigen können (9).
Wegen der vielfältigen Einfluss- größen lassen sich die prädiktiven Ei- genschaften der Marker durch alters- und geschlechtsstratifizierte Grenz- konzentrationen verbessern (20). Trotz- dem ist zu beachten, dass auch bei unterschwelligen Markerkonzentra- tionen eine Herzinsuffizienz vorlie- gen kann, beispielsweise bei weniger stark eingeschränkter LV-Funktion, fehlender Hypertrophie, ACE-Inhibi- tion oder nach Gabe von AT-Rezep- torblockern. Aber selbst bei über- schwelligen Werten muss keine Herz- insuffizienz vorliegen, wenn zum Bei- spiel eine linksventrikuläre Hypertro- phie und/oder eine Niereninsuffizienz vorliegt, es sich um ältere, insbesonde- re weibliche Patienten handelt oder eine Therapie mit Betablockern er- folgt.
Insofern darf von den neuen Mar- kern nicht erwartet werden, dass in je- dem Fall eine Diagnose gestellt wer-
den kann, sondern die Interpretation der Testergebnisse muss unter Berück- sichtigung klinischer Informationen und gegebenenfalls apparativer Be- funde vorgenommen werden.
Zusammenfassung
Die Peptide BNP und NT-proBNP stellen eine wichtige Neuerung in der Diagnostik der Herzinsuffizienz dar und könnten die zukünftige Behand- lung herzinsuffizienter Patienten ver- bessern. Die Marker könnten hilfreich zum weitgehenden Ausschluss einer schweren Pumpstörung bei sympto- matischen Patienten mit Belastungs- dyspnoe sein und bieten zusätzliche Anwendungsmöglichkeiten für die Nachsorge bei Herzinsuffizienz und den akuten Notfall. Da neben der linksventrikulären Pumpfunktion zu- sätzliche Kovariable die Plasmakon- zentration der Herzinsuffizienzmar- ker mit beeinflussen, ist eine vorsichti- ge Interpretation individueller Tester- gebnisse erforderlich.
Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG Lu 562/1-1, 3-1 und Ho 1073/8-1 und Schu 672/9-1, 10-1, 12-1, 14-1)
Manuskript eingereicht: 28. 2. 2003, revidierte Fassung angenommen: 24. 7. 2003
❚Zitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2003; 100: A 3314–3321 [Heft 50]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet unter www.aerzteblatt.de/lit5003 abrufbar ist.
Anschrift für die Verfasser:
Priv. Doz. Dr. med. Andreas Luchner Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II Klinikum der Universität
Franz-Josef-Strauss Allee 11 93042 Regensburg
E-Mail: andreas.luchner@klinik.uni-regensburg.de
MEDIZINGESCHICHTE(N)
AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT
Psychiatrie Psychische Kur
Zitat:„Das stärkste und angenehm- ste körperliche Gefühl bewirkt der Genuß des Beischlafs. Chiarugi [1]
trägt kein Bedenken, ihn den Ver- rückten zu verstatten, und glaubt, dass er vorzüglich zur Heilung der Melancholie beitragen könne. Män- nern kann man durch eine öffentli- che Dirne, Weibern schwerer genü- gen, weil sie schwanger werden, und ihr Uebel auf die Frucht forterben können. An sich möchte vielleicht ei- ne Schwangerschaft heilsam seyn, als Ableitungsmittel, und besonders für solche Verrückte, die vor Gram über kinderlose Ehen hysterisch gewor- den sind, oder an der fixen Idee lei- den, daß sie schwanger sind, und ge- bähren müssen. Die beiden Pole des Körpers, Kopf und Geschlechstheile, stehn in einer merkwürdigen Wech- selwirkung. Erschütterungen des ei- nen Endpunkts durch Beischlaf und Schwangerschaft befreien den entge- gengesetzten von Änhäufung. Die häufigen Aeußerungen der Geilheit verrückter Personen, sind sie allemal das, wofür sie gehalten werden, Ursa- che der Krankheit? Können sie nicht auch Wirkungen des nemlichen Zu- standes, z. B. einer Ueberladung mit elektrischer Materie seyn, die im Kopf als Tobsucht, in den Ge- schlechtstheilen als Geilheit reprä- sentirt wird? In Verrücktheiten, de- ren Ursache Geilheit ist, kann der Beischlaf als körperliches Heilmittel wirken.“
Johann Christian Reil: Rhapsodieen über die Anwen- dung der psychischen Curmethode auf Geistes- zerrüttungen. Halle, 1803; S. 185 f. [1] Vincenzo Chi- arugi (1759–1820), berühmter Psychiater in Florenz, der als Medizinalreformer ein Irrenhaus gründete. – Der Hallenser Medizinprofessor Reil (1758–1813) propagierte nachhaltig die „psychische Kur“ in der Irrenheilkunde. Er argumentierte jedoch weniger psychologisch, als vielmehr neurophysiologisch (Verteilung der „Lebenskraft“). Dies entsprach dem
„moral treatment“ in England beziehungsweise dem „traitement moral“ in Frankreich.