M E D I Z I N
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Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 148. April 2005nah zu publizieren.Zudem sollten Unter- nehmen nachdrücklich aufgefordert wer- den, für beispielsweise in den USA zur Behandlung Minderjähriger zugelassene Medikamente auch in Deutschland eine Zulassung zu beantragen, um den Off- Label-Gebrauch zu reduzieren und da- durch für Patienten, Eltern und die Be- handler mehr Klarheit zu schaffen.
Manuskript eingereicht: 11. 8. 2004, revidierte Fassung angenommen: 17. 1. 2005
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sin- ne der Richtlinien des International Committee of Medi- cal Journal Editors besteht.
Literatur
1.Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft:
SSRI und Suizidalität? Dtsch Arztebl 2004; 101: A 2642 [Heft 39]. Langfassung: www.aerzteblatt.de/plus3904 2. Birmaher B, Brent DA, Kolko D et al: Clinical outcome af-
ter short-term psychotherapy for adolescents with ma- jor depressive disorder. Arch Gen Psychiatry 2000; 57:
29–36.
3. Brent DA: Antidepressants and pediatric depression – the risk of doing nothing. N Engl J Med 2004; 351:
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4. FDA: Review and evaluation of clinical data. www.
fda.gov/ohrms/dockets/ac/04/briefing/2004-4065b110- TAB08-Hammads-Review.pdf
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8. March J, Silva S, Petrycki S et al.: Treatment for adoles- cents with depression study (TADS) team. Fluoxetine, cognitive-behavioral therapy, and their combination for adolescents with depression:Treatment for adolescents with depression study (TADS) randomized controlled tri- al. JAMA 2004; 292: 807–820.
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10.Werneke U, Horn O,Taylor DM: How effective is St John’s wort? The evidence revisited. J Clin Psychiatry 2004; 65:
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11. Zito JM, Tobi H, de Jong-van den Berg LTW et al: Anti- depressant Prevalence for Youths: A Multi-national Comparison. Br J Psychiatry (im Druck).
Anschrift für die Verfasser:
Dr. med. Martin Holtmann Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters
Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Deutschordenstraße 50, 60528 Frankfurt E-Mail: holtmann@em.uni-frankfurt.de
AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT
MEDIZINGESCHICHTE(N))
Medizin und Literatur
„Die Seherin von Prevorst“
Zitat: „Leb’ wohl!
Was ich dir hab’ zu danken, Trag’ ich im Herzen immerdar.
Es schaut mein Innres ohne Wanken In geist’ge Tiefen wunderbar.
Wo du auch weilst, im Licht, im Schatten,
Ein Geist bei Geistern weilest du.
O sende, will mein Glaub’ ermatten, Mir liebend einen Führer zu.
Und lebst du bald in höhrem Bunde Mit sel’gen Geistern leicht und licht, Erschein in meiner Todesstunde Mir helfend, wenn mein Auge bricht.“
Justinus Kerner: Die Seherin von Prevorst. Eröffnungen über das innere Leben des Menschen und das Herein- ragen einer Geisterwelt in die unsere. 2 Teile. Stuttgart und Tübingen 1829. – Kerners Nachruf auf die „Sehe- rin“ in Gedichtform ist am Ende seines Buches abge- druckt (hier die ersten drei von sechs Strophen). Der schwäbische Arztdichter Kerner (1786–1862), Ober- amtsarzt in Weinsberg, publizierte die umfangreiche Krankengeschichte seiner Patientin Friederike Hauffe (1801–1829), die er mehr als zwei Jahre lang in seinem Haushalt ärztlich betreut hatte, unter dem oben ge- nannten Titel. Deren Krankheit wurde später von Psy- chiatern der Hysterie beziehungsweise Schizophrenie zugeordnet. Doch Kerner und vielen Ärzten seiner Ge- neration erschien das „magnetische Leben“ von
„Somnambulen“ im Lichte des zeitgenössischen „ani- malischen Magnetismus“ (Mesmerismus) nicht in er- ster Linie als ein Defektzustand, sondern im Gegenteil:
als Offenbarung der verborgenen Natur im Menschen.
Im Lichte moderner Konzepte der Psychotherapie und Psychoanalyse erstaunt uns heute Kerners intuitive Si- cherheit im Umgang mit seiner Patientin. Bei aller Sym- pathie mit ihr, wie sie auch in seinem Gedicht zum Aus- druck kommt, hielt er doch „wissenschaftliche“ Di- stanz zu ihren wundersamen „Eröffnungen“, ganz im Sinne der zeitgenössischen Naturforschung.
Psychiatrie Melancholie
Zitat: „Ich hänge den Gedanken nach und träume ohne Ungemach
von Schlössern, die in Luft gebaut, ganz sorgenfrei, kein Angstbild graut, nur rosarote Phantasien
im Fluß der Zeit vorüberziehn.
Anderes Glück vergällt mir die süßeste Lust: Melancholie.
Ganz einsam wälz’ ich ohne Ruh und flüstere mir die Beichte zu, von Grübelei tyrannisiert hat Furcht, hat Gram mich aufge- spürt, ich springe auf, ich halte ein, Minuten wollen Stunden sein.
Anderes Leid – Gold gegen die schmerzvollste Last: Melancholie.
Ich treibe mit mir Schabernack, es spielt im Kopf wie’n Dudelsack, am Bächlein in dem grünen Wald nehm’ ich Einsiedler Aufenthalt, und tausend Freuden tanzen fein im Seelenfrieden Ringelreihn.
Anderes Glück vergällt mir die süßeste Lust: Melancholie.
Auf Schritt und Tritt, an jedem Ort seufzt, stöhnt und klagt es immerfort, ob düstrer Hain, ob Zimmergruft, es toben Furien durch die Luft, und tausend Nöte im Verein
kesseln mir Herz und Seele ein.
Anderes Leid – Gold gegen die sauerste Last: Melancholie.
Ein Ohrenschmaus von Melodie, die Augen weiden wie noch nie, Palast und Stadt, hier ist gut sein, die Welt mit Haut und Haaren mein, Göttinnen fast, wie Milch so rein, lustwandeln schon zum Stelldichein.
Anderes Glück vergällt mir die süßeste Lust: Melancholie.
In Ohren dröhnt Nachtmahrge- kreisch, Kobolde, Teufel, Spukge- schmeiß, kopflose Bären, Affenclique, so brodelt es vor meinem Blick, ein heulend, wimmernd Greuelbild aus angstzerrissener Seele quillt.
Anderes Leid – Gold gegen die verdammte Last: Melancholie.“
Robert Burton: Anatomie der Melancholie. Über die Allgegenwart der Schwermut, ihre Ursachen und Symptome sowie die Kunst, es mit ihr auszuhalten (englische Originalausgabe 1621). Aus dem Englischen mit einem Nachwort von U. Horstmann. Zürich;
München 1988 (Übersetzt nach der 6. verbesserten Auflage 1651). – Erste Hälfte des einleitenden Gedichtes von Burton, das im englischen Original die Überschrift trägt: „The Author’s Abstract of Melancholy, dialogôs“. – Burton (1577–1640), anglikanischer Theo- loge und Schriftsteller (Pseudonym: Democritus Junior) in Oxford. „The Anatomy of Melancholy“ ist ein ge- lehrter Traktat mit selbstanalytischer und selbst- therapeutischer Zielsetzung des Autors.