S P E K T R U M
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A2254 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 3313. August 2004
Für den in der Praxis bei Gewalt- opfern tätigen Arzt gilt es, einige Grund- regeln einzuhalten, sobald die primäre Nothilfe (gegebenenfalls auch die To- desfeststellung) abgeschlossen ist (Text- kasten).
Der interdisziplinäre Ansatz sollte auch das Fachgebiet der forensischen Psychiatrie einbeziehen. Hier sind neben wichtigen differenzialtherapeutischen Überlegungen einerseits Aspekte der Schuld- und Steuerungsfähigkeit und andererseits auch prognostische Fra- gestellungen im Hinblick auf die Gefähr- lichkeit, Rückfälligkeit und Rehabilitati- on des Täters bedeutsam.
Manuskript eingereicht 13. 11. 2003 revidierte Fassung angenommen 4. 3. 2004
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.
❚Zitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2004; 101: A 2249–2254 [Heft 33]
Literatur
1. Bradway WC: Crime scene behavioural analysis. Law Order 1990; 9: 137–138.
2. Bundeskriminalamt (ed.): Methoden der Fallanalyse.
Ein internationales Symposium. BKA Forschungsreihe 38.1, Wiesbaden 1998.
3. Dern H: Operative Fallanalysen bei Tötungsdelikten.
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4. Douglas JE, Burgess AW, Burgess AG, Ressler RK: Cri- me classification manual. New York: Lexington Books 1992.
5. Musolff C, Hoffmann J, (ed.): Täterprofile bei Gewalt- verbrechen. Mythos, Theorie und Praxis des Profilings.
Berlin: Springer 2001.
6. Schröer J, Trautmann K, Dern H, Baurmann MC, Pü- schel K: The significance of medicolegal findings for behavioural analysis in unsolved homicide cases. Le- gal Medicine 2003; 5: 243–246.
7. Turvey B: Criminal profiling: an introduction to behavi- oral evidence analysis. San Diego, CA: Academic press 1999.
(ausführliches Literaturverzeichnis bei den Verfassern) Anschrift für die Verfasser:
Prof. Dr. med. Klaus Püschel Institut für Rechtsmedizin
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Butenfeld 34
22529 Hamburg
AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT
MEDIZINGESCHICHTE(N))
Zitat:„Die durch dieses Verfahren [1] sichtbar gemachten Bakterien zeigen ein in mancher Beziehung eigentümliches Verhalten. Sie ha- ben eine stäbchenförmige Gestalt und gehören also zur Gruppe der Bazillen. Sie sind sehr dünn und ein Viertel bis halb so lang als der Durchmesser eines roten Blutkör- perchens beträgt, mitunter können sie auch eine größere Länge, bis zum vollen Durchmesser eines Blutkörperchens, erreichen. Sie be- sitzen in bezug auf Gestalt und Größe eine auffallende Ähnlichkeit mit Leprabazillen [2]. Doch unter- scheiden sich letztere von ihnen da- durch, daß sie ein wenig schlanker und an den Enden zugespitzt er- scheinen [...]. An allen Punkten, wo der tuberkulöse Prozeß in frischem Entstehen und in schnellem Fort- schreiten begriffen ist, sind die Ba-
zillen in großer Menge vorhanden;
sie bilden dann gewöhnlich dicht zusammengedrängte und oft bün- delartig angeordnete kleine Grup- pen, welche vielfach im Inneren von Zellen liegen und stellenweise ebensolche Bilder geben, wie die in Zellen angehäuften Leprabazillen.
Daneben finden sich aber auch zahlreiche freie Bazillen. Nament- lich am Rande von größeren käsi- gen Herden kommen fast nur Scha- ren von Bazillen vor, die nicht in Zellen eingeschlossen sind.“
Robert Koch: Die Ätiologie der Tuberkulose (1882).
In: Klassiker der Medizin; Bd. 19. Leipzig, 1912; S.
13. [1] Spezielle Färbetechnik mit Methylenblaulö- sung. [2] Der Erreger der Lepra wurde 1873 von dem norwegischen Arzt Armauer Hansen entdeckt. – Der große Pionier der Bakteriologie Koch (1843–1910), der unter anderem bei Jakob Henle in Göttingen stu- dierte, gab in einem Vortrag vor der Berliner Physio- logischen Gesellschaft am 24. März 1882 seine Ent- deckung des Tuberkelbazillus bekannt.
Zitat: „Nymphomania oder furor uterinus [1]. Diese Nervenreitzung der Geschlechtstheile ist das bey dem weiblichen Geschlecht, was die Satyriasis [2] bey dem männlichen ist. Sie muß in ihren drey Perioden betrachtet werden. In der ersten ist die Einbildungskraft beständig mit wollüstigen Gegenständen beschäf- tigt. Traurigkeit, Unruhe, Verschlos- senheit, Liebe zur Einsamkeit, Schlaflosigkeit, Mangel des Appe- tits, und innerer Streit zwischen dem Gefühl der Schaam und dem heftigen Triebe zu Ausschweifun- gen u. s. w. In der zweyten Periode überlassen sie sich ihren wollüsti- gen Begierden, sie suchen nicht mehr sie zu unterdrücken, alle Re- geln der Schaam und des Anstandes sind vergessen; jeden den sie tref- fen, suchen sie durch unanständige Gebehrden zu reitzen und sich in
seine Arme zu werfen, und drohen, wenn der Mann ihren Anmuthun- gen widersteht und sich zu verthei- digen sucht. In der dritten Periode sind die Verstandeskräfte völlig aufgehoben, eine Art von blinder Wuth, wo sie alles zerschlagen und zerreissen, brennende Hitze ohne Fieber; mit einem Worte alle Sym- ptome der Manie. Man findet hier- von häufige Beyspiele in den Hos- pitälern der tollen Weiber [...].“
Philippe Pinel: Philosophische Krankheits-Lehre des Bürgers Pinel. Aus dem Französischen über- setzt. 2. Theil. Kopenhagen, 1800; S. 143 f. [1] Auch als „(Gebär-)Mutterwut“ bezeichnet. [2] Nach dem Fruchtbarkeitsdämon „Satyr“ (im Rahmen des Dionysoskultes) aus der griechischen Mytholo- gie. – Pinel (1745–1826), der legendäre Befreier der Irren von den Ketten, war neben seinem Schüler Esquirol wichtigster Wegbereiter der fran- zösischen Anstaltspsychiatrie; ab 1795 Leiter der Pariser „Salpêtrière“, dem Hospital für weibliche Geisteskranke.