M E D I Z I N
Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 530. Januar 2004 AA267
Resümee
Die bisherigen publizierten Ergeb- nisse und insbesondere die Veröffent- lichung der ISAT-Studie werden die Indikationsstellung zur endovaskulä- ren Aneurysmabehandlung beeinflus- sen. Während das neurochirurgische Clipping lange Zeit den Goldstandard repräsentierte und das Coiling einver- nehmlich mit vielen Neurochirurgen nur bei operativen Hochrisikofällen vorgesehen wurde, ist die endovas- kuläre Therapie mittlerweile für zahl- reiche Aneurysmen Methode der er- sten Wahl. Aufgrund der geringeren Invasivität ist dem Coiling dann der Vorzug zu geben, wenn eine zuverläs- sige Ausschaltung des Aneurysmas technisch machbar und im Langzeit- verlauf Erfolg versprechend erscheint.
Dies gilt auch für die bislang meist operativ behandelten Aneurysmen im vorderen Hirnkreislauf. Es ist nach der Publikation der ISAT-Studie nicht mehr vertretbar, Patienten mit ruptu- rierten Aneurysmen ohne Stellung- nahme eines interventionellen Neu- roradiologen über die Möglichkeiten einer endovaskulären Therapie aus- schließlich chirurgisch zu versorgen.
Auch bei der prophylaktischen Be- handlung unrupturierter Aneurysmen spricht die geringere periinterventio- nelle Komplikationsrate für die endo- vaskuläre Therapie. Die Indikation ist jedoch angesichts des beim unruptu- rierten Aneurysma in der Regel nied- rigeren Operationsrisikos strenger zu stellen und muss ein prospektiv gutes Langzeitergebnis beinhalten. Bei unsi- cherer Studienlage müssen hier inter- disziplinäre Einzelfallentscheidungen gemeinsam mit dem Patienten getrof- fen werden.
Die durch die ISAT-Studie belegten Indikationen zum Aneurysmacoiling machen eine Anpassung von Versor- gungsstrukturen erforderlich, die ne- ben einer flächendeckenden Versor- gung mit interventionell neuroradio- logischen Leistungen auch für eine adäquate Refinanzierung seitens der Kostenträger sorgen muss.
Die Fortschritte der endovaskulä- ren Therapie stellen die bewährte, die Fächergrenzen von Neuroradiologie, Neurochirurgie und Neurologie über-
AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT
MEDIZINGESCHICHTE(N) )
Immunologie Serumtherapie
Zitat:„Führen wir [...] mit dem Dipht- herieheilserum dem Blute das Gegen- gift zu, indem wir es unter die Haut einspritzen, dann gelangt dieses Ge- gengift nach allen Körperstellen, zu welchen die Blutflüssigkeit Zugang findet. Geschah die Heilserumsprit- zung zu einer Zeit, wo die Diphtherie- bazillen noch nicht ihre verderbliche Tätigkeit begonnen hatten, so wird es zu den entzündlichen Folgeerschei- nungen der Diphtherievergiftung gar nicht kommen können. Wir sprechen dann von Immunisierung oder von verhütender oder prophylaktischer Serumtherapie. War dagegen der Ver- giftungsprozeß schon im Gange, dann werden die schon bestehenden ent- zündlichen Vorgänge ihren natürli- chen Ablauf nehmen; denn auf die Substrate der Entzündung, auf die Zellen und Organe, übt das Heilserum
keinen Einfluß aus, weder einen nütz- lichen noch einen schädlichen. Was in diesem Falle der schon bestehenden Erkrankung noch geschehen kann, das betrifft erstens die Unschädlich- machung des in den Körperflüssigkei- ten noch gelösten Giftes und zweitens die Verhinderung des Eintretens neu- er aktiver Giftmassen in die Blut- bahn. Man versteht leicht, daß das Diphtherieserum eine coupierende Wirkung hat; aber nicht die Krank- heit wird abgeschnitten, sondern die Entstehung neuer krankmachender Stoffe.“
Emil von Behring: Über das Prinzip der Serumthera- pie in seinem Vortrag, gehalten anlässlich der Nobel- preisverleihung am 12. Dezember 1901. In: Nobel- preis für Medizin. Zürich, 1980 (Band 1); S. 18. Die beiden Mitarbeiter Robert Kochs, der Deutsche Beh- ring (1854–1917) und der Japaner Schibasaburo Ki- tasato (1856–1931), veröffentlichten 1890 gemein- sam den Artikel „Ueber das Zustandekommen der Diphtherie-Immunität und der Tetanus-Immunität bei Thieren“. Sie schufen damit die Grundlage der Se- rumtherapie und Immunologie.
schreitende interdisziplinäre Zusam- menarbeit bei der Versorgung von Pati- enten mit intrakraniellen Aneurysmen nicht infrage. Die Aneurysmaokklusion ist insbesondere bei Patienten mit SAB nur ein Teilaspekt der klinischen Be- handlung, die meist in den Händen von Neurochirurgen oder Neurologen liegt.
Therapieentscheidungen müssen im klinischen Kontext erfolgen; die Diffe- renzialindikation Clipping oder Coiling muss auch nach ISAT dem jeweiligen Erfahrungsstand des Operateurs oder Interventionalisten angepasst sein und sollte gemeinsam getroffen und verant- wortet werden. Trotz Zunahme der en- dovaskulären Behandlungsmöglichkei- ten ist weiterhin eine qualifizierte neu- rochirurgische Versorgung der für die Operation verbleibenden, häufig kom- plexen Aneurysmen erforderlich. Die Notwendigkeit eines die Fächergren-
zen überschreitenden Managements legt daher die Zusammenarbeit in neu- rovaskulären Zentren nahe, in denen eine ausreichend hohe Fallzahl hohe Qualitätsstandards für die beteiligten Disziplinen ermöglicht.
Manuskript eingereicht: 2. 6. 2003; revidierte Fassung an- genommen: 16. 9. 2003
❚Zitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2004; 101: A 260–267 [Heft 5]
Anschrift für die Verfasser:
Priv.-Doz. Dr. med. Joachim Berkefeld Interventionelle Neuroradiologie Institut für Neuroradiologie
Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Theodor-Stern-Kai 7, 60590 Frankfurt am Main E-Mail: Berkefeld@em.uni-frankfurt.de
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet unter www.aerzteblatt.de/lit0504 abrufbar ist.