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Archiv "Medizingeschichte: Das Herz von Giottos Caritas" (20.08.2012)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 33–34

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17. August 2012 A 1713 MEDIZINGESCHICHTE

Das Herz von Giottos Caritas

Ein Rätsel in der Geschichte der medizinischen Abbildung

D

er große Renaissancemaler Giotto di Bondone (1266–

1337) muss die anatomische Form des menschlichen Herzens gekannt haben. In seinem berühmten Fres- kenzyklus in der Cappella degli Scrovegni all’ Arena in Padua, der zwischen 1304 und 1306 entstan- den ist und wie wenig andere Kunstwerke den Übergang der goti- schen Malerei in die der Renais- sance verkörpert, hält in der unters- ten Bildzone die Figur der Caritas Jesus ein beziehungsweise ihr Herz entgegen.

Dieses Motiv taucht bereits bei den mittelalterlichen Buchmalern beziehungsweise in der Minnelitera- tur auf (1, 2). Vinken (3) weist dar - auf hin, dass in einem frühen fran- zösischen Manuskript, dem Roman

de la Poire aus dem 13. Jahrhundert (Bibliothèque nationale, Paris fr.

2186), in einer Initiale (S) der Ritter seiner Dame sein Herz anbietet. Das Organ ist wegen des verloren ge- gangenen Wissens der ausklingen- den scholastischen Medizin dieser Zeit, die Herzanatomie betreffend, in der damals gebräuchlichen Form eines Pinienzapfens dargestellt.

Später entwickelt sich diese Geste der Hingabe und Liebe zu einem häufig gebrauchten Sujet, vor allem in der religiösen Malerei und Plas- tik, aber auch in der weltlichen Kunst (1–3).

Einmalig ist jedoch Giottos Dar- stellung des dargebotenen Herzens bei diesem Motiv: Während das Organ in seiner und den folgenden Epochen in der Kunst allgemein, in

der medizinischen Abbildung im Besonderen in Pyramidenform, als Pinienzapfen oder häufiger in der symbolträchtigen Spielkartenherz- form dargestellt wird (3–5), handelt es sich bei der Caritas in der Scro- vegni-Kapelle eindeutig um ein anatomisches Herz, möglicherwei- se um die erste bekannte Darstel- lung dieser Art überhaupt.

Die Figur, als bekränzte Jungfrau mit Heiligenschein dargestellt, streckt ihr Herz mit der linken, vom Herzen kommenden Hand an der Basis, die Spitze zum Herrn ge- wandt, der es mit beiden Händen umfasst, während die Rechte eine Schale mit Früchten und Blumen Caritas, ihr Herz Jesu reichend, in der Scrovegni-Kapel- le von Padua (1305)

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A 1714 Deutsches Ärzteblatt

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17. August 2012 hält. Eindeutig sind an der Herzba-

sis ein Gefäßabgang, also die Aor- tenwurzel beziehungsweise der Pulmonalarterienstumpf, die beiden Herzohren und weiterhin die vorde- re absteigende Kranzarterie mit exaktem Verlauf in der vorderen Kammerfurche zu erkennen. Solch detaillierte anatomische Darstellun- gen tauchen erst viel später, im 16.

Jahrhundert, wieder auf, und zwar bei Leonardo da Vinci und Vesal.

Man kann nur mutmaßen, woher Giotto seine Kenntnisse hatte, da in seiner Ära, der scholastisch gepräg- ten Medizin, die korrekte menschli- che Herzanatomie unbekannt war.

Es ist unwahrscheinlich, dass er ein Säugetierherz zum Vorbild nahm, da dessen Ähnlichkeit mit dem menschlichen Herzen nicht bekannt war und dessen Verwendung wohl auch den religiösen Charakter der Szene infrage gestellt hätte.

Im Entstehungsjahr der Fresken lehrte Mondino da Luzzi (1275–

1326) an der Universität von Bo- logna, der mit seinem Lehrer und Vorgänger Henri de Mondeville (circa 1270–1320) nach Jahrhun- derten der Mönchsmedizin wieder begann, Sektionen durchzuführen und sie in den studentischen Un - terricht einzubeziehen (5). In sei - ner erstmals im Jahr 1316 ver - öffentlichten Sammlung von Se- zierübungen sind allerdings keine Herzabbildungen enthalten, und die Bilder dieses Organs in seiner erst- mals 1513 von Adelphus gedruck- ten Anathomia Mundi (6) sind wesentlich gröber, praktisch ohne anatomische Details. Giotto müsste also in Bologna aus künstlerischem Interesse an solchen Sektionsde- monstrationen teilgenommen ha- ben, da in Padua die ersten Aut - opsien später stattfanden. Längst

war allerdings die Entnahme von Herzen von Eliten zur gesonderten Bestattung mit Einbalsamierung oder sonstiger Konservierung des Körpers üblich, wobei die Leichen- öffnung nicht durch Ärzte durch - geführt wurde. Diese Sitte war aber im Italien dieser Epoche sehr selten (2).

In der Geschichte der medizini- schen Abbildung des Herzens exis- tiert ein früheres Beispiel in einem Manuskript der Universität Cam- bridge (Manuscript 428/428, folio 50, Gonville and Caius College, Cambridge), vielleicht die früheste noch existierende anatomieorien- tierte Darstellung überhaupt (Abbil- dung 1). Abbildungen von Organen waren sicherlich in der antiken Me- dizinliteratur üblich, sind aber nicht

zu dem Schluss kommen, dass Giotto diese anatomischen Struktu- ren gesehen hat.

Seine Caritasinterpretation ver- anlasste in der Folge viele Maler, diese Herzdevotion darzustellen, meist allerdings nicht mit einem anatomisch konfigurierten Organ, sondern in der Form eines Pinien- zapfens, später eines Spielkarten- herzens (3).

Giotto selbst hat später, circa 1323, auf einem Fresko in der Basi- lika von San Francesco in Assisi (sofern die Fresken wirklich von ihm stammen) die Spielkartenherz- form benutzt: Der Gott Amor hat eine Schnur umgehängt, an der die erbeuteten Herzen wie Perlen auf- gereiht sind (3). Hier hat das zum roten Spielkartenherz mutierte Efeublatt längst die Bedeutung der körperlichen Liebe erhalten, ein anatomisches Herz wäre weniger

treffend gewesen.

Im Gegensatz zur gotischen Kunst interessierte sich die

Malerei der Renaissance zum ersten Mal für naturalistische Details. Giotto könnte also

zum ersten Mal ein der anato- mischen Realität angenäher- tes intaktes Herz gemalt ha- ben. Die Kunst hätte so früher als die Wissenschaft die Zei- chen der Zeit erfasst und ein wichtiges Detail des menschli- chen Körpers korrekt dargestellt.

Prof. Dr. med. Armin Dietz armin.dietz@gmx.de

LITERATUR

1. Bräm A: Vom Herzen. Ein Beitrag zur syste- matischen Ikonographie. In: Blancardi et al.

(eds.): Il cuore – The Heart. Firenze, Tavar- nuzze: Micrologus, Sismel, Edizioni del Gal- luzzo 2003; 159–92.

2. Dietz A: Ewige Herzen. München: MMV Me- dien & Medizin Verlag 1998.

3. Vinken P: The shape of the heart. Amster- dam: Elsevier 1999.

4. Dietz A: Das Bild des Herzens. Teil I: Die Herzblattform in der Antike, im frühen Christentum und anderen Kulturen. Teil II.:

Das Herzsymbol im Mittelalter und vom Ba- rock zur Neuzeit. Fortschr Med 1991; 34:

79–82 und 35: 75–7.

5. Sudhoff K: Kurzes Handbuch der Geschich- te der Medizin. Berlin: Karger 1922.

6. Singer Ch: A short history of anatomy and physiology from the Greeks to Harvey. New York 1957.

Abbildung 2:

Herzdarstellungen mit Gefäßbaum und Herzohren. Hand- schrift aus dem Jahr 1220 (Ms 735 Biblio- theca Universitaria, Pisa)

Foto: Fiorucci Giuliana, Pisa

Abbildung 1:

Die vermutlich älteste bekannte Herzdarstellung in Europa aus dem elften Jahrhundert (MS 428/428, folio 50, Gonville and Caius College, Cambridge)

Foto: Singer (6)

überliefert (3). Das Organ hat Keil- oder Pinienzapfenform und könnte einen Gefäßstumpf an der Basis ha- ben. Zu dieser Zeit hatte die Meta- morphose des Efeublattes zum Spielkartenherz, dem bis heute ge- bräuchlichen Herzsymbol, wie es bis in die frühe Neuzeit auch in der anatomischen Abbildung verwen- det wurde (4), noch nicht stattge- funden. Herzohren und Gefäßwur- zel waren bereits in der antiken Me- dizin bekannt. Wenn man aber zum Beispiel die Herzohren der Abbil- dung aus der Pisaner Handschrift (Abbildung 2) mit denen des Cari- tasherzens vergleicht, kann man nur

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