DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
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rofessor Dr. med. Sieg- fried Häußler ist tot. Der frühere Erste Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundes- vereinigung starb am Mittwoch, dem 16. August, im Alter von 72 Jahren an den Folgen einer schweren Erkrankung. Die Nachricht von seinem Tod löste in der deutschen Ärzteschaft tie- fe Betroffenheit aus.Siegfried Häußler gehörte zu jenen Ärzten, die nach dem Zweiten Weltkrieg maßgeblich am Wiederaufbau des Gesund- heitswesens in der Bundesrepu- blik Deutschland beteiligt wa- ren. Als Mann der ersten Stunde engagierte er sich vor allem in der kassenärztlichen Selbstver- waltung. Von 1957 an stand er der Kassenärztlichen Vereini- gung Nord-Württemberg vor.
Ein Amt, das Häußler 32 Jahre lang mit unermüdlichem Einsatz und der ganzen Kraft seiner Per- sönlichkeit ausfüllte.
In der Berufspolitik kannte man Siegfried Häußler als einen streitbaren Mann, der kontro-
Siegfiied Häußler t
Ein Arzt mit Leib und Seele
versen Diskussionen nie aus dem Weg ging. In der Sache blieb er hart, in der Auseinan- dersetzung aber stets fair.
Besondere Verdienste er- warb sich Professor Häußler als konsequenter Förderer der All- gemeinmedizin. Als erster Arzt in der Bundesrepublik erhielt er für dieses Fach einen Lehrauf- trag, den er — seit 1968 habilitiert und 1973 zum apl. Professor für Allgemeinmedizin berufen — bis kurz vor seinem Tode mit gro- ßem Einsatz wahrnahm.
Noch vor wenigen Wochen konnte Siegfried Häußler eine hohe Auszeichnung entgegen- nehmen: Bundesarbeitsminister
Dr. Norbert Blüm überreichte ihm im Auftrag des Bundesprä- sidenten den Stern zum Großen Verdienstkreuz des Verdienst- ordens der Bundesrepublik Deutschland. Blüm bezeichnete Häußlers Lebenswerk dabei als Beweis dafür, daß der Sozial- staat nicht aus Paragraphen, sondern aus Menschen bestehe, Menschen, denen — wie Häußler
— das Helfenwollen wichtiger sei als die Ideologie. Sein soziales Engagement dokumentierte sich nicht zuletzt in der von ihm initi- ierten Hartmannbund-Stiftung
„Ärzte helfen Ärzten".
Der Mensch Siegfried Häußler hat einmal über sich selbst gesagt: „Ich bin Arzt mit Leib und Seele. Und ich fühle mich meinen Kollegen genauso verbunden wie meinen Patien- ten. Für mich sind Anstand, Mo- ral und ärztliches. Ethos unver- zichtbare Werte." In diesem Geist hat Professor Siegfried Häußler gelebt und gewirkt.
Sein Tod hinterläßt eine schmerzliche Lücke. DÄ/m
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ber das Thema „Miß- brauch der Psychiatrie in der Sowjetunion als poli- tische Repressalie" ist kaum mehr etwas zu hören oder zu le- sen. Wenn das bedeuten sollte, daß die Lage der Psychiatrie in der Sowjetunion besser gewor- den wäre — um so besser.Tatsächlich scheint auch der bisher nur intern behandelte Be- richt der US-Psychiaterkommis- sion, die im März dieses Jahres in der Sowjetunion war, recht vorsichtig formuliert zu sein, jedenfalls in den Wertungen. Bei neun von 27 untersuchten Pa- tienten, so heißt es, waren sich amerikanische wie sowjetische Psychiater in der Diagnose
„Schwere Psychose" sogar einig.
Ansonsten aber nannten die Amerikaner die Diagnose „Schi- zophrenie" meist eine „Überdia- gnose", und sechs „Patienten"
seien sogar völlig gesund gewe- sen. Zudem wurden von den amerikanischen Besuchern die
Sowjetische Psychiatrie
Neue Lehrbücher erforderlich
Beobachtungen bestätigt, die beispielsweise der Dissident Bu- kowskij schon vor mehr als zehn Jahren mitgeteilt hatte: Vom (politisch) „Normalen" abwei- chendes Denken und Handeln, aber auch das Sich-Einsetzen für eine einzelne oder einzige Sa- che, wird als „schleichende Schi- zophrenie" angesehen.
Etwas deutlicher geht es bei der Therapie zu. Der Einsatz von Sulfasin als Adjuvans zu Neuroleptika sei angesichts der Wirkungen (Fieber, Schmerzen, Bewegungseinschränkungen) eher als „Strafbehandlung" zu verstehen. Das gleiche wird zu Atropin gesagt. Dies seien „im Westen nicht akzeptierte thera-
peutische Mittel", und die so- wjetischen Ärzte hätten dafür auch keine wissenschaftlichen Belege anführen können.
Immerhin: Eine ganze An- zahl von zwangshospitalisierten Menschen, die auf der von den Amerikanern mitgebrachten Be- suchsliste standen, sind jetzt frei, auch wenn sie bisweilen noch Schwierigkeiten haben, Arbeit und Wohnungen zu bekommen.
Wohl deshalb endet der Bericht in versöhnlichem Ton: Die Kon- takte zwischen sowjetischen und amerikanischen Psychiatern soll- ten fortgesetzt werden mit dem Ziel, die international gültigen diagnostischen Kriterien — also das „Manual" der amerikani- schen Psychiatrie-Gesellschaft — auf alle psychiatrischen Fälle in der Sowjetunion anzuwenden.
Dies würde allerdings be- deuten, daß in der UdSSR die Psychiatrie-Lehrbücher weitge- hend neu geschrieben werden müßten. bt
Dt. Ärztebl. 86, Heft 34/35, 28. August 1989 (1) A-2309