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Archiv "Gegen den Mißbrauch der Psychiatrie Der Welt-Psychiater-Kongreß in Hawaii faßte ein „heißes Eisen“ an" (01.12.1977)

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Der Weltverband für Psychiatrie hat auf seinem VI. Kongreß Ende August 1977 in Honolulu den Miß- brauch der Psychiatrie für politische Zwecke disku- tiert. Damit kam es endlich zu einer seit langem erwar- teten Auseinandersetzung

mit psychiatrischen Dia- gnosen und Methoden, die

in der Sowjetunion gegen politische Dissidenten an- gewandt werden. — Über die verschiedenen Abstim- mungen in Honolulu ist je- doch in der Presse zum Teil unvollständig berichtet worden. Das DEUTSCHE ÄRZTEBLATT hat daher Dr.

C. A. S. Wink. London, Re- dakteur des British Journal of Clinical Practice und des World Medical Journal, um eine genaue Darstellung des Ablaufs gebeten. Sei- nem Bericht folgt der deut- sche Wortlaut der vom VI.

Weltkongreß für Psych- iatrie einstimmig verab- schiedeten „Erklärung von Hawaii".

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DEUTSCHE S ÄRZTEBLATT

Heft 48 vom 1. Dezember 1977

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Gegen den

Mißbrauch der Psychiatrie

Der Welt-Psychiater-Kongreß in Hawaii faßte ein „heißes Eisen" an

Am Morgen des 1. September 1977 las die Welt in ihren an die Kaffee- kannen gelehnten Zeitungen, der Weltverband für Psychiatrie habe auf dem VI. Weltkongreß für Psych- iatrie in Honolulu, Hawaii, mit 90 zu 88 Stimmen festgestellt, der Miß- brauch der Psychiatrie für politische Zwecke sei eine schlechte Sache.

Hurra! Also kein Schwanken mehr!

Endlich hatte die World Psychiatric Association (WPA) ihren Standpunkt in dieser schrecklichen Frage deut- lich gemacht.

Aber Moment mal: Bedeutet das Stimmenverhältnis nicht, daß auf je 90 Psychiater, die glauben, die Psychiatrie habe nur dem Interesse des Patienten zu dienen, 88 kom- men, die den Einsatz der Psychiatrie zur Bestrafung oder Unterdrückung von Menschen entschuldigen oder gutheißen? Immerhin stellte die Schlagzeile im „Honolulu Adverti- ser" eindeutig fest: „WPA verurteilt Mißbrauch der Psychiatrie, 90 : 88".

Diese Art der Reportage ist der Hauptgrund dafür, warum das Fach in den letzten Jahren einen so schlechten Ruf bekommen hat. Das Beispiel impliziert eindeutig, daß 22 742 der 46 000 von der WPA re- präsentierten Psychiater tatsächlich dem Mißbrauch der Psychiatrie po- sitiv gegenüberstehen — in der Tat schlechte Nachrichten für den Früh- stückstisch und für jene Hälfte der psychiatrischen Patienten der Welt, die den falschen Psychiater „ge- wählt" haben.

Glücklicherweise ist all dies nicht wahr. Der örtliche Reporter, John

Given, sonst sehr kompetent, war of- fensichtlich bei einer früheren Sit- zung nicht anwesend, bei der über Antipsychiatrie gesprochen worden war, oder aber er war eingeschlafen oder hatte absichtlich nicht hinge- hört; sonst hätte er sich wohl die Mühe gemacht, seine eigene Partei- lichkeit für die Antipsychiatrie zu verbergen, die diese schädigende Schlagzeile diktierte — eine Schlag- zeile, die nebenbei gesagt, von der Weltpresse anscheinend nach Papa- geienart nachgeplappert wurde.

Reklame für die Antipsychiatrie Das Ergebnis, ist daß der Antipsych- iatrie in der ganzen Welt eine Rekla- me verschafft wurde, die für ihre An- hänger wahrscheinlich wichtiger ist als die Tatsache, daß die WPA end- lich an die Öffentlichkeit getreten ist und ihre Haltung gegenüber dem Mißbrauch der Psychiatrie klarge- macht hat und daß, als Resultat, die- ser furchtbare Mißbrauch einer hei- lenden Kunst entmutigt, verringert und eines Tages, so Gott will, durch das Gewicht der öffentlichen Mei- nung, der die WPA nun eine Füh- rung gegeben hat, völlig abgeschafft werden wird.

Antipsychiatrie ist übrigens heute anerkanntermaßen ein weit weniger modischer Kult als noch vor zwei, drei Jahren, als es als schick galt, Laings Buch zu lesen (heute sind die Nebenwirkungen neuer Arzneimittel der Prügelknabe). Die Antipsychia- trie kann der Psychiatrie keinen gu- ten Beweggrund beimessen: Sie ist eine Art von paranoider, öffentli- cher, verschwommener Ablehnung

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Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen

Welt-Psychiater-Kongreß

gegen Psychiater im allgemeinen, als Spezies; auf ihr beruht die be- kannte Definition eines freudiani- schen Psychoanalytikers als je-

mand, der Ihnen, wenn Sie während

einer Konsultation mit ihm Selbst- mord begehen, für die dadurch ver- lorengegangenen Sitzungen eine Rechnung ausstellt!

Die Antipsychiatrie ist (wie so viele andere oppositionelle Schulen ge- gen etablierte Lehrmeinungen und die darin eingeschlossene Autorität) mit Scheuklappen versehen, den Ar- gumenten der Gegenseite gegen- über taub, aber unkritisch die Äuße- rungen, die die eigene Meinung un- terstützen, akzeptierend, ohne Rücksicht auf BeweismateriaL Un- glücklicherweise können die glei- chen Argumente gegen jeden strik-"

ten "Establishmentarismus" ange- wendet werden; also geht die Un- parteilichkeit über Bord, und es gibt keinen Treffpunkt mehr, nur noch Konfrontation zweier feindlicher Lager.

Diese Vorrede soll auf eine der Schwierigkeiten hinweisen, mit denen die WPA zu kämpfen hatte, während die Diskussion über den Mißbrauch der Psychiatrie ihrem Höhepunkt zusteuerte. Generalse- kretär Dr. Denis Leigh sprach in sei- nem Bericht für 1977 sogar von feindseligen Angriffen, Beschimp- fungen, Drohungen, persönlichen Verleumdungen und sogar Ruf-

mord, denen er selbst und die WPA

von verschiedensten Seiten ausge- setzt waren während ihrer zugege- benermaßen langen Kampagne, um den Weltverband für Psychiatrie zu einem Konsens zu bringen.

Schon vor sechs Jahren gab es Unruhe

Aber nun sollte man ehrlich und fair die Tatsachen berichten. Schon seit 1971, als das Gewisper über Miß- bräuche der Psychiatrie für politi- sche Zwecke zu laut wurde, um überhört werden zu können, schlug der Exekutivausschuß der WPA vor, daß ein ·"Komitee für Ethik" einge- setzt werden sollte, um diese beun-

ruhigende neue Entwicklung zu be- obachten und anschließend darüber zu berichten.

Unglücklicherweise war die WPA

noch nicht so weit und wies 1971 in Mexiko den Vorschlag ab. Dies kann dem Image der WPA nur geschadet haben und war gleichzeitig dem Exekutivausschuß eine Mahnung, in einer so delikaten Angelegenheit feinfühlig vorzugehen, vor allem, wenn einer seiner eigenen Sekretä- re, Prof. Marat Vartanian, selbst ein prominenter sowjetischer Psychia- ter war.

Anscheinend standen zwei Möglich- keiten offen: die Sache hart weiter- zutreiben und eine Entscheidung zu erzwingen, die den sowjetischen Psychiatern keine andere Wahl ge- lassen hätte, als sich aus der WPA zurückzuziehen, in welchem Fall die Vereinigung ihren Kontakt mit den Russen hätte opfern müssen und damit jede Hoffnung darauf, sie zu beeinflussen; oder aber, vorsichtig zu handeln und die Meinung der WPA langs<frn dahin zu steuern, daß sie schließli'ch einer Aussage über ihre Haltung zum Mißbrauch der Psychiatrie zustimmen werde, in Wendungen gefaßt, die keinen Zwei- fel an ihrer Aussage zulassen, gleichzeitig aber keines ihrer Mit- gliedsländer dadurch entfremden würden, daß man mit erhobenem Zeigefinger auf sie zeigte- auf diese Weise brauchte die WPA keine Mit- glieder zu verlieren, sondern könnte ihren Einfluß und ihre Mitglieder behalten.

Einen Antrieb, überhaupt fortzufah- ren, stellte ein Brief der amerikani- schen Psychiatervereinigung dar, der die Einrichtung eines ethischen Unterkomitees durch den Exekutiv- ausschuß der WPA rechtfertigte;

dieses bestand aus Dr. G. Wretmark und C. Blomquist aus Schweden und Dr. L. Eitinger aus Norwegen, und es nahm an einer Reihe wichti- ger, von der WPA organisierter Tref- fen und Seminaren teil, zu denen auch außenstehende Experten ein- geladen wurden. Es wurde vorge- schlagen, auf der Grundlage der so gewonnenen Erfahrungen einen

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DEUTSCHES ARZTEBLATT

"Kodex der ethischen Prinzipien"

aufzustellen, so gefaßt, daß er über- all in der Weit anwendbar sei und daß er, entsprechend den verschie- denen Erklärungen der World Psy- chiatrie Association, unter dem Na-

men "Deklaration von Hawaii" be-

kanntwerden sollte.

Nach acht Entwürfen:

Die "Deklaration von Hawaii"

Es war der neunte Entwurf, den man der Hauptversammlung in Honolulu vorlegte, was zeigt, wieviel Mühe man aufgewendet hat, um es im er- sten Anlauf zu schaffen. Eine deut- sche Übersetzung folgt diesem Be- richt (Seite 2872); daraus geht ganz klar hervor, daß die WPA, ohne Na- men zu nennen, jede Form von Miß- brauch der Psychiatrie absolut ablehnt.

11>- Diese Deklaration wurde einstim-

mig, und nicht mit einer knappen Mehrheit v.on 90: 88, angenommen;

eine Tatsache, die nicht weiter her- ausgestellt worden ist.

Der nächste Punkt auf der Tages- ordnung war folgender Entschlie- ßungsentwu rf:

"Das Royal College of Psychiatrists

(Großbritannien) wiederholt seine Unterstützung für die Schritte, die der Vorstand gegen den Mißbrauch der Psychiatrie in der Sowjetunion unternommen hat, und fordert den Vorstand auf, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um auf dem näch- sten Weltkongreß der WPA (das heißt dem jetzigen Kongreß) die Ver- abschiedung dieser oder einer sehr ähnlichen Entschließung sicherzu- stellen:

II>- Die World Psychiatrie Association

nimmt die umfassenden Beweise über den systematischen Mißbrauch der Psychiatrie in der UdSSR zur Kenntnis und schließt sich der Ver- urteilung dieser Praktiken an, die schon vom Royal College of Psy- chiatrists und anderen Körperschaf- ten ausgesprochen wurde."

Es wurde jedoch zu diesem Entwurf ein Änderungsvorschlag vom Royal

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Australian and New Zealand College of Psychiatrists vorgelegt, der wie folgt lautete:

,Die Hauptversammlung möge die Resolution des Royal College of Psychiatrists wie folgt ändern: ..,. 'Daß die WPA den Mißbrauch der Psychiatrie für politische Zwecke zur Kenntnis nimmt und daß sie die- se Praktiken in allen Ländern, wo sie auftauchen, verurteilt und alle Orga- nisationen von Psychiatern in diesen Ländern auffordert, diese Praktiken in ihren Ländern abzulehnen und aufzugeben; und daß die WPA diese Entschließung in erster Linie in Hin- sicht auf die umfassenden Beweise für den systematischen Mißbrauch der Psychiatrie für politische Zwek- ke in der UdSSR ausführt."' Die Geschäftsordnung der WPA sieht vor, daß zuerst über den wei- tergehenden Antrag (auf Änderung) abgestimmt wird; wird er nicht an- genommen, stellt man den ur- sprünglichen Antrag zur Abstim- mung. Außerdem waren die Dele- gierten zu Beginn dieser Hauptver- sammlung gebeten worden, im Hin- blick auf die späte Stunde (20 bis 23.20 Uhr), die Überbelastung der Dolmetscher und die Verfügbarkeit des Saales einer zeitlichen Limitie- rung auf 20 Minuten pro Tagesord- nungspunkt zuzustimmen. Die Ver- sammlung war geteilter Meinung, aber die Mehrheit stimmte zu. So kam es, daß Prof. E. Babayan, der den sowjetischen Standpunkt erläu- terte, nicht zu Ende gehört werden konnte, als der erweiterte Antrag zur Diskussion gestellt wurde, obwohl der Vorsitzende eine zeitliche Über- ziehung um 20 Minuten zuließ.

Der sowjetische Vertreter setzt sich zur Wehr

Einige hielten dies für eine unge- rechtfertigte Anwendung der "Guil- lotine"*); aber war sie weniger ge-

*) Angelsächsischer parlamentarischer Sprachgebrauch für Begrenzung der Rede- oder Beratungszeit (Anm. d. Red.)

rechtfertigt als die entgegengesetzte Strategie der Dauerreden, die die sowjetischen Delegierten bei der Pressekonferenz während des Kon- gresses anwandten, während der sie sich ad infinitumhauptsächlich über unwichtige Fragen ausließen, die ihnen von den naiveren der anwe- senden Journalisten gestellt wur- den?

Der Haupttenor der von Prof. Ba- bayan gehaltenen Verteidigungsre- de lautete so:

1. Die Behauptungen über den Miß- brauch der Psychiatrie in der UdSSR sind aus der Luft gegriffen.

(Antwort: ln dem kürzlich erschiene- nen Buch von Dr. Sidney Bloch fin- det man Berichteüber210verbürgte Fälle des Mißbrauchs der Psychia- trie in den UdSSR. Ein Interview mit Dr. Bloch wurde im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT, Heft 34/1977, Seite 2088, abgedruckt.)

2. Unsere Ankläger in diesem Buch sind keine Psychiater.

(Antwort: Dr. Bloch arbeitet als Psychiater im Warneford-Kranken- haus, Oxford, England; sein Ko-Au- tor, Peter Reddaway, hat niemals be- hauptet, Psychiater zu sein.) 3. Wir fordern, daß man uns Zertifi- kate von westlichen qualifizierten (Gerichts-)Psychiatern zeigt, die be- zeugen, daß diejenigen unserer Pa- tienten, die heute im Westen leben und von denen behauptet wird, sie seien von Anfang an nicht wirklich psychisch krank gewesen, tatsäch- lich psychisch gesund sind.

(Antwort: Es ist nicht üblich, Zertifi- kate über normale psychische Ge- sundheit auszustellen.)

Und so weiter ...

Als der Änderungsantrag schließlich zur Abstimmung gestellt wurde, stimmten 33 der 52 Delegationen ge- gen ihn und 19 dafür; aber als man die Gesamtstimmen aller Mitglieder der Delegationen zusammenzählte, ergab sich ein Resultat von 90 für und 88 gegen den Antrag.

Spektrum der Woche

Aufsätze · Notizen

Welt-Psychiater-Kongreß

Diese Abstimmung -das muß ganz klar einleuchten - ging darum, ob die geänderte Fassung des Entwurfs einer Entschließung dem ursprüng- lichen Wortlaut vorzuziehen sei; man kann sie in keiner Weise als eine Abstimmung über die grund- sätzliche Frage ansehen, nämlich daß ein erwiesener Mißbrauch der Psychiatrie, wo immer er auch statt- finden mag, zu verurteilen sei.

Da die beiden Royal Colleges sich vorher nicht zusammensetzten, um sich auf einen gemeinsamen Text zu einigen, werden wir leider nie erfah- ren, wie der Kongreß über die Hauptfrage abgestimmt hätte.

Immerhin ist es ein Trost zu erken- nen, daß die World Psychiatrie Asso- ciation politisch unbefangen genug ist, einem demokratisch korrekten Verfahren zu erlauben, die eigene Sache zu ruinieren.

Die wichtigen Fragen beim nächsten Male ...

Man kann nur hoffen, daß die WPA, ihre Delegierten und die Presseleute das nächste Mal (und es wird ein nächstes Mal geben) aus dieser Er- fahrung ausreichend profitiert ha- ben, um nur die wirklich relevanten Fragen zu stellen. Diese könnten vielleicht die folgenden ein- schließen:

1. Sind die allgemein akzeptierten Kriterien für die Diagnose psychi- scher Zustände befolgt worden?

2. Die Kriterien, nach denen abwei- chendes Verhalten als kriminell, psychopathisch, gesellschaftlich unakzeptierbar- oder nur als exzen- trisch- beurteilt wird; was für Krite- rien wurden angewandt?

3. Die Diagnose der sowjetischen Psychiater einer "schleichenden"

Schizophrenie- wie wird sie unter- schieden von

a) Schizophrenie mit Retardation durch Depressionen und

b) Schizophrenie mit Retardation

durch Sedativa?

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DEUTSCHES ARZTEBLATT

Heft 48 vom 1. Dezember 1977 2871

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Welt-Psychiater-Kongreß

4. Die Entdeckung von langzeitig wirkenden Phenothiazinen hat es für viele Schizophrene im Westen mög- lich gemacht, ambulant behandelt zu werden — findet-diese Erfahrung in der UdSSR Parallelen?

5. Die Psychiater in der Sowjetunion (und die südafrikanische Regierung) haben Psychiater eingeladen, als Kollegen (nicht als Richter) zu kom- men und sich ihre psychiatrischen Kliniken anzusehen — würden alle Mitgliedsstaaten das Prinzip einer Inspektion durch ein internationales Psychiaterteam, vielleicht durch die World Psychiatric Association be- nannt, akzeptieren, und hätte dieses Team überall Zutritt?

6. Psychiater in der UdSSR, Südafri- ka, Rumänien und Chile sind des Mißbrauchs der Psychiatrie beschul- digt worden — warum sind nur die UdSSR und Südafrika Ziel heftiger Attacken auf diesem Gebiet?

7. Reaktion auf psychiatrische Be- handlung — warum erwähnt niemand die Veränderungen, die im Patienten vorgehen können?

8. Wenn der politische Dissident ein messianisches Verlangen nach Kreuzigung hat, müßten dann nicht alle von uns, die einer Ideologie an- hängen, besser aufpassen, damit nicht der politische Arm einer un- ethischen Psychiatrie die Schuldi- gen zu Geisteskranken macht und damit auch die Freien in Schrecken versetzt?

Schließen wir mit erfreulichen Nach- richten: Prof. K. Heinrich aus Düs- seldorf wurde in den neuen Exekutivausschuß der WPA gewählt, während Prof. H. E. Ehrhardt aus Marburg, der zwölf Jahre lang im Ausschuß mitgearbeitet hat, unter langem Applaus in Anerkennung seiner hervorragenden Verdienste als Parlamentarier die persönliche Ehrenmitgliedschaft zugesprochen wurde. Solange die WPA sich auf solche Leute berufen kann, können wir zuversichtlich sein, daß der Verband den hohen Erwartungen, die in ihn gesetzt werden, gerecht wird. C. A. S. Wink

Die Erklärung von

Hawaii

„Bereits in den frühen Stadien vieler Kulturen war die zentrale Bedeutung ethischer Aspekte in der Heilkunst bekannt; es gab ein Wissen um die ethische Problematik ärztlichen Handelns. Die vielseitigen und zum Teil widersprüchlichen Bindungen des Arztes in der heutigen Gesell- schaft, der eigenartige und sich wandelnde Charakter des Arzt-Pa- tient-Verhältnisses, die Möglichkei- ten des Mißbrauchs psychiatrischer Kenntnisse und Fertigkeiten im Ge- gensatz zu den Prinzipien der Hu- manität: das alles sind Phänomene und Entwicklungstendenzen unse- rer Zeit, die den Psychiater in seiner Wissenschaft und Praxis mehr denn je zur Wahrung ethischer Grundsät- ze in seinem Denken und Handeln verpflichten.

Als Arzt wie als Staatsbürger hat der Psychiater die besonderen ethi- schen Implikationen seines Fachge- bietes ebenso zu berücksichtigen wie die moralische Verpflichtung des ärztlichen Auftrags im allgemei- nen und die für jedermann gültigen Regeln menschlichen Zusammenle- bens in einer Gemeinschaft.

Klare Vorstellungen und ein selb- ständiges Urteil sind entscheidende Voraussetzungen für sittlich fun- diertes Verhalten. Trotzdem, oder auch deswegen, erscheint es ange- bracht und zweckmäßig, bestimmte Grundregeln schriftlich festzulegen.

Sie sollen dem einzelnen Psychiater eine Hilfe bei der eigenen Meinungs- bildung und für die persönliche Ent- scheidung sein.

Die Generalversammlung des Welt- verbandes für Psychiatrie hat des- halb die folgenden Leitlinien einer fachspezifischen Berufsethik als verbindlich für die Psychiater in aller Welt erklärt.

1. Aufgabe der Psychiatrie ist die Pflege der seelischen Gesundheit,

die Förderung der persönlichen Ent- wicklung des Menschen mit dem Ziel der Selbstverantwortung und der Selbstbestimmung in Freiheit.

Der Psychiater soll in Übereinstim- mung mit den anerkannten Prinzi- pien seiner Wissenschaft und der ärztlichen Ethik nach bestem Wis- sen und Können den Interessen sei- ner Patienten dienen. Das allgemei- ne Wohl und eine gerechte Vertei- lung der für die Gesundheitspflege insgesamt verfügbaren Mittel soll er dabei stets angemessen berücksich- tigen.

Zur Erfüllung dieser Aufgaben be- darf es intensiver und kontinuierli- cher Forschung in allen Bereichen der Psychiatrie, der konsequenten Aus-, Weiter- und Fortbildung aller an der psychiatrischen Versorgung beteiligten Berufsgruppen und schließlich einer gezielten Öffent- lichkeitsarbeit.

2. Jedem Patienten ist die Therapie mit den für ihn größten Erfolgsaus- sichten anzubieten. Die Behandlung ist mit Sorgfalt und unter Beachtung der Würde des Menschen sowie des Grundrechtes der Selbstbestim- mung, auch über das eigene Leben und die Gesundheit, durchzuführen.

Der Psychiater ist für therapeutische Maßnahmen seiner Mitarbeiter ver- antwortlich. Er hat deshalb für eine angemessene Supervision und für eine qualifizierte Ausbildung Sorge zu tragen. Wann immer erforderlich, oder auch auf den ausdrücklichen und begründeten Wunsch des Pa- tienten, sollte der Psychiater den Rat oder die Unterstützung eines erfah- reneren Kollegen suchen.

3. Die therapeutische Beziehung zwischen dem Patienten und seinem Psychiater beruht auf einer beidsei- tig verpflichtenden Vereinbarung, die Zutrauen und Vertraulichkeit, Offenheit und Zusammenarbeit so- wie gemeinsame Verantwortlichkeit erfordert. Sofern eine solche Verein- barung mit Schwerkranken — oder auch mit Minderjährigen — nicht möglich ist, sollte sie mit einer Per- son, die das Vertrauen des Patienten und die rechtliche Befugnis zu sei-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 2872 Heft 48 vom 1. Dezember 1977

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