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Archiv "Ein Konzept gegen den Mißbrauch der Lohnfortzahlung" (16.04.1982)

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Spektrum der Woche Aufsätze Notizen Psychiatrie

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Die hier diskutierten Vorurteilsstruk- turen mögen, je nach Blickwinkel, als zwangsläufig, bedauerlich oder nur als lächerlich angesehen wer- den. Sie zu überschätzen hieße in- des den Umstand verkennen, daß es sich hier nicht um eigentliche sozia- le Vorurteile handelt, sondern um solche in der Sphäre einiger Berufs- gruppen und des mit diesen verbun- denem Wissenschafts- und Publika- tionsbetriebes, die bislang wenig konfliktträchtig gewesen sind. Gera- de im Bereich der Heilberufe scheint

— auch aus Gründen der histori- schen Entwicklung derselben — im- mer noch ein breiterer Konsens über Ziele und Wertvorstellungen zu be- stehen. Erst im Falle eines Verlas- sens dieser gemeinsamen Plattform, wie dies hierzulande nur wenige, auf Publizität bedachte Außenseiter praktizieren, werden Vorurteile zu Waffen der Rechtfertigung eigener und der Abweisung gegnerischer Vorstellungen.

Schließlich gilt es zu bedenken, daß auch der im Rahmen dieser Ausfüh- rungen anscheinend so selbstver- ständlich gebrauchte Wissen- schaftsbegriff in Wirklichkeit relati- viert werden muß, eine Notwendig- keit, die jedoch mit Verstößen gegen Elementarformen der Forschung und des Umgangs mit wissenschaft- lichen Inhalten und deren Umset- zung in angewandte Wissenschaft nichts zu tun hat. Zu Vorurteilen bei- tragende Tendenzen dieser Art dort nachzuweisen, wo man sie gemein- hin nicht vermutet und allenfalls amüsiert registriert, und dies mit dem Ziel, zur Selbstkritik anzuregen und Schlimmeres zu verhüten, war die Absicht dieser Ausführungen.

Literatur beim Sonderdruck Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Dieter H. Frießem

Oberarzt der Psychiatrischen Klinik des Bürgerhospitals

der Landeshauptstadt Stuttgart — Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Tübingen —

Tunzhofer Straße 14-16 7000 Stuttgart 1

KURZBERICHTE

Ein Konzept gegen den Mißbrauch der Lohnfortzahlung

Einen ganzen Maßnahmenkatalog zur Beseitigung der Mängel und Lücken der in der Bundesrepublik geltenden arbeitsrechtlichen Brut- tolohn- und Gehaltsfortzahlung hat jetzt das Institut für Gesund- heit-System-Forschung (GSF), Kiel, in einem Einzelgutachten mit dem Titel „Entgeltfortzahlung"

unterbreitet.

Die aufgrund empirischer Da- ten gewonnenen Lösungsansätze dürften um so größeres politi- sches Gewicht erhalten, als sich auch prominente Sprecher der po- litischen Parteien (insbesondere CDU/CSU und FDP) in jüngster Zeit für eine Einschränkung der Entgeltfortzahlungshöhe und die Wiedereinführung von Karenzta- gen ausgesprochen haben — eine Entwicklung übrigens, die sich be- reits im europäischen Ausland (so unter anderem in den Niederlan- den und in Schweden) angebahnt hat.

Der Verfasser der 182 Seiten star- ken Expertise, Achim Seffen vom Institut der deutschen Wirtschaft

— iw — in Köln, empfiehlt, die Höhe der arbeitsrechtlich fortzuzahlen- den Bruttoentgelte von bisher 100 auf künftig 80 Prozent des vor Ein- tritt der Arbeitsunfähigkeit bezo- genen Bruttoarbeitsentgelts zu re- duzieren. Dies sei auch im Ver- gleich zur Höhe des Arbeitslosen- geldes (68 Prozent des vorherigen Nettoarbeitsentgelts) und ange- sichts • des Leistungsniveaus im Ausland zumutbar.

Dagegen wird die Wiedereinfüh- rung von sogenannten Karenzta- gen als „ungeeignet" verworfen, da viele Indizien dafür sprächen, daß die Versicherten angesichts der relativ hohen und ständig wachsenden Beitrags- und Steuer- belastung bewußt oder unbewußt ein möglichst hohes Maß von Lei- stungen aus dem Versicherungs- system und in Form von Kranken-

lohn vom Arbeitgeber „zurückho- len" würden (sogenanntes Moral- Hazard-Phänomen).

Im einzelnen empfiehlt Gutachter Seffen folgende Maßnahmen:

Mehrfach-Strategie

Verbesserung bei der Erhebung und der statistischen Aufbereitung der Krankenstandsdaten, darunter der getrennte Ausweis der Kran- kenstände von Arbeitern und An- gestellten.

Das zuletzt am 1. Januar 1970 in Kraft getretene geänderte Lohn- fortzahlungsrecht sollte mit dem Ziel überarbeitet werden, es zu vervollständigen und es zu kon- kretisieren, um künftig Ausle- gungsschwierigkeiten und daraus resultierende Unklarheiten über die Rechtsfolgen auszuschließen.

Ganz auf der Linie der aktuellen Vorschläge des „BPA" (Verband Deutscher Hausärzte) liegt die Empfehlung, konkrete gesetzliche Maßnahmen zur Sicherung einer angemessenen Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit auch inner- halb der Entgeltfortzahlungsfrist (sechs Wochen) vorzuschreiben.

Außerdem sollte das Leistungsver- weigerungsrecht des Arbeitgebers bei Obliegenheitsverletzungen der Arbeitnehmer präzisiert und aus- geweitet werden, insbesondere seine Umwandlung von einem vor- läufigen in ein endgültiges Lei- stungsverweigerungsrecht nach Ablauf einer bestimmten Frist.

Künftig sollte die vom Arzt zu be- scheinigende voraussichtliche Ar- beitsunfähigkeitsdauer bei einer Erstfeststellung von Arbeitsunfä- higkeit auf — in der Regel — einen Zeitraum von vvenigeralseiner Ar- beitswoche begrenzt werden. Fer- ner wird vorgeschlagen, die für den Arbeitgeber bestimmten Arbeits-

unfähigkeitsbescheinigungen .auch um Angaben über das Vorlie-

gen einer sogenannten Fortset- zungserkrankung zu ergänzen oder aber darauf zu vermerken, ob

82 Heft 15 vom 16. April 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A/B

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Gewicht der Entgeltfortzahlungskosten 1970 bis 1979

1970 32,7 3,5

1971 29,9 3,3

1972 28,9 3,3

1973 29,1 3,5

1974 27,4 3,5

1975 23,3 3,2

1976 23,4 3,3

1977 23,5 3,2

1978 24,3 3,4

1979 24,1 3,4

Anteil der Entgeltfortzahlungskosten an den gesamten

Krankheitskosten')

am Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit') Jahr

in Prozent

1) Krankenversicherungsausgaben plus Entgeltfortzahlung.

2) Bruttolohn- und -gehaltssumme plus Personalnebenkosten (einschließlich Entgeltfort- zahlung) = gesamtwirtschaftliche Lohnkosten.

Quelle: Sozialbericht 1978 der Bundesregierung: a. a. 0., S. 169; Sozialbericht 1980 der Bundesregierung: a. a. 0., S. 150; Statistisches Taschenbuch 1980 (Hrsg.: Bundesmini- ster für Arbeit und Sozialordnung), Bonn 1980, Tab. 1.9.: Engelmann, Margot, u. a.:

Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung —vorläufiges Ergebnis. In: Wirtschaft und Statistik, 1981, Heft 3, Seite 166.

Aus: Achim Seffen, Entgeltfortzahlung. Einzelgutachten der Reihe „Gesetzliche Kranken- versicherung. Analysen, Probleme, Lösungsansätze". Institut für Gesund heits-System- Forschung, Kiel 1982.

Spektrum der Woche Aufsätze • Not

KURZBERICHTE

es sich um einen nichtbetriebli- chen Unfall beziehungsweise eine sonstige „Drittschädigung" han- delt. Auch den vertrauensärztli- chen Dienst verstärkt einzuschal- ten wird diskutiert. Schließlich vo- tiert das Gutachten für die Einfüh- rung eines neuen Begriffes der Teil-Arbeitsunfähigkeit in das Ent- geltfortzahlungs- und Krankenver- sicherungsrecht (unter Anrech- nung des erzielten Teilarbeitsent- gelts auf die Entgeltfortzahlung beziehungsweise das Kranken- geld).

Gutachter Seffen führt an, daß die unmittelbaren Kosten der Einkom- menssicherung bei Krankheit (Entgeltfortzahlung plus Kranken- geld) bereits 1979 einen Betrag von 31,8 Milliarden DM (Entgelt- fortzahlung allein: 25,8 Milliarden DM) erreicht haben, eine volks- wirtschaftliche Dimension, die aus beschäftigungs- und preispoliti- schen sowie konjunkturellen Gründen nicht vernachlässigt wer- den könne. Eine langfristige Mo- dellrechnung des amtlichen So- zialbudgets prognostiziert für 1984 insgesamt 33 Milliarden DM und für 1990 Entgeltfortzahlungs- kosten in Höhe von rund 49 Mil- liarden DM. Der Anteil der Entgelt- fortzahlungskosten an den gesam- ten Krankheitskosten belief sich 1979 auf 24,1 Prozent, gemessen am „Bruttoeinkommen aus un- selbständiger Arbeit" auf rund 3,4 Prozent.

10 Milliarden DM einsparen!

Würde der Vorschlag des Kieler Instituts realisiert, so würden bei konstanter Beschäftigtenzahl und unverändertem Krankenstand 20 Prozent Entgeltfortzahlungsko- sten eingespart werden können.

Bis 1990 beliefe sich die Ersparnis auf rund zehn Milliarden DM, die sich in dem Maße erhöhen würde, in dem sich das geänderte Inan- spruchnahmeverhalten der Arbeit- nehmer in einem verringerten Krankenstand und in Einsparun- gen bei den Krankenversiche- rungsausgaben niederschlüge.

Einmal abgesehen von der medizi- nisch noch nicht absehbaren Wir- kung einer Teilarbeitsunfähig- keitsregelung, wären die betriebs- und volkswirtschaftlichen Erspar- nisse dieser Maßnahme nach Dar- stellung des Gutachtens eminent.

Der Vorteil der Betriebe läge vor allem in einer Reduzierung der Folgekosten von Arbeitsunfähig- keit, weil infolge der Teilarbeitslei- stung des nicht vollständig Ar- beitsunfähigen Produktionsaus- fälle in entsprechendem Umfang vermieden und/oder Kosten für Er- satzkräfte sowie Überstundenver- gütungen für andere Beleg- schaftsangehörige („Springer") in

geringerem Umfang anfallen wür- den. Auch die Krankenkassen wür- den finanziell entlastet werden, weil Krankengeldausgaben einge- spart werden könnten.

Allerdings, so schlußfolgert das Gutachten, müsse man realisti- scherweise mit einer relativ langen Anlaufphase rechnen, falls die Teilarbeitsunfähigkeit rechtlich sanktioniert werde. Alle Beteilig- ten, insbesondere die behandeln- den Ärzte, Vertrauensärzte und die Betriebe sowie die Krankenkassen würden sich erst auf die damit ge- schaffene, grundlegend neue Si- tuation einstellen müssen.

Harald Clade Ausgabe A/B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 15 vom 16. April 1982 85

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