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Archiv "Einschnitte bei der Lohnfortzahlung" (04.10.1996)

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einbußen zum Dienst, steckt er seine Kollegen, geht er zum Arzt, andere Patienten an. Sozialmedizinisch erhe- ben sich schwere Bedenken, wenn über die Verschärfung der ärztlichen Begutachtungskriterien eine Ein- schränkung der Arbeitsunfähigkeit erreicht werden soll.

Zu häufige Kurzzeitkrankschrei- bungen als Fehlverhalten der Ärzte kommen vor, sie fallen den Prüfungs- gremien der Kassenärztlichen Verei- nigung aber sofort auf und sind selte- ner, als angenommen wird. Aus dem Verhalten einiger sollten gesund- heitspolitisch keine falschen Weichen gestellt werden. Statistisch ist der Nachweis leicht, im Einzelfall für ein Regreßverfahren schwer zu führen.

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sind notwendig und müssen als Teil des Behandlungsplanes akzeptiert werden. Sie sind aber nicht geeignet als Grundlage der Sozial- oder Tarif- politik. Das hieße den Richter zum Staatsanwalt machen zu wollen. Für den Arzt bedeutet der Sozialstaat, daß Heilen und Helfen immer mehr überlagert werden von arztfremden bürokratischen Erfordernissen der Institutionen.

Unwirksame Methoden

Betriebe und Gerichte haben dies längst eingesehen. VW macht un- angemeldet Hausbesuche. Der Versi- cherte findet eine Karte im Briefka- sten, „im Rahmen unserer Fürsorge- pflicht“, die Krankenbesuche aus den dreißiger Jahren wurden wieder auf- genommen. Der Krankenstand sank von 8,4 auf 4,8 Prozent. Aber sicher nicht wegen dieser Kontrollen, son- dern aus Angst um den Arbeitsplatz.

Die Stadt Köln zahlt „Anwesenheits- prämien“, die Firma Beiersdorf (Hamburg) bietet Programme zur be- trieblichen Gesundheitsförderung an (Gymnastik, Antistreßseminare, Rau- cherentwöhnung). Die Teilnehmer erhalten jährlich 520 DM, der Kran- kenstand sank freilich nur von 6,5 auf 6,2 Prozent. Bei Opel/Bochum ist der Krankenstand Teil der Tarifbestim- mungen.

Für die Klein- und Mittelbetriebe kommen solche Modelle kaum in Fra-

ge, sie verlangen eine vernünftige Einbindung von Krankheit und Ar- beitsunfähigkeit in die betriebliche Leistungsfähigkeit. Es muß auch be- zweifelt werden, ob schärfere Kon- trollen durch den MDK effizient sind.

Während der ersten sechs Wochen kommt nur etwa jeder 60., danach nur jeder vierte Arbeitsunfähigkeitsfall zur Begutachtung durch den MDK.

Nach der Übertragung der Feststel- lungsaufgaben der Pflegeversiche- rung gingen die Kontrolluntersuchun- gen zur Arbeitsunfähigkeit weiter drastisch zurück. Das Budget des MDK erhöhte sich ohne Berücksich- tigung der Pflegeversicherung von 275 Millionen (1983) auf 595 Millio- nen (1994). Der Krankenstand dage- gen verlief eher gegenläufig: 4,6 Pro- zent in 1982 und 5,1 Prozent in 1992.

Durch Einschaltung zusätzlicher Behörden werden Kosten und Häu- figkeit der Entgeltfortzahlung nicht beeinflußt.

Das Ergebnis dieser Kontrollen kann auch gar nicht überzeugend sein. Erstens aus Gründen des büro- kratischen Selbstläufertums und zweitens, weil die Krankheitsspektren zeitbedingtem Wandel unterliegen.

So melden etwa die BKK einen dra- matischen Anstieg der Fehlzeiten we- gen Rückenschmerzen. Von 1982 bis

1992 stiegen sie von 512 auf mehr als 800 Arbeitsunfähigkeitstage je 100 Mitglieder. Dies ist weniger durch körperliche Überlastung oder falsche Sitzhaltung als durch zunehmende psychosomatische Verspannungen, vielleicht auch durch zu weit gehende Operationsindikationen mit 30 Pro- zent Restbeschwerden bedingt.

Das Arbeitsrecht sollte klare Vorgaben festlegen, welche Abwe- senheitsquoten für die Betriebe noch zumutbar sind. Diese könnten abhän- gig sein von Größe und Gewinn. Es geht nicht an, daß dem Arzt bei Kurz- zeitarbeitslosigkeit Aussagen zuge- mutet werden, die er nach den Zwän- gen medizinischer Diagnostik und Begutachtung gar nicht machen kann.

Schließlich sei daran erinnert, daß Persönlichkeiten, die den Lauf der Geschichte gestaltet haben, über Jah- re „arbeitsunfähig“ waren (Roose- velt, Mitterrand, Schäuble).

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Karl-Heinz Weber Internist/Betriebs-, Sozialmedizin Parkstraße 8

45478 Mülheim/Ruhr

A-2542 (40) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 40, 4. Oktober 1996

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Mit den sechs Gesetzen, die der Deutsche Bundestag am 13. September ver- abschiedet hat, werden wesentliche Teile des Programms „für mehr Wachstum und Beschäftigung“ umgesetzt. Die Bestimmungen treten zum 1. Oktober 1996 und zum 1. Januar 1997 in Kraft. Sowohl die Entgeltfortzahlung als auch die Krankengeldregelung für Arbeitnehmer wurden eingeschränkt: Bei der Ent- geltfortzahlung im Krankheitsfall für gewerbliche Arbeitnehmer und Ange- stellte wird eine Wartezeit von vier Wochen nach der Aufnahme einer neuen Beschäftigung eingeführt. Die Höhe der Entgeltfortzahlung wird auf 80 Prozent des Arbeitsentgelts festgesetzt. Nach Arbeitsunfällen und bei Berufskrankhei- ten bleibt es bei der vollen Entgeltfortzahlung. Der Arbeitnehmer kann den Entgeltausfall vermeiden, indem er sich für je fünf Krankheitstage einen Tag auf den Urlaub anrechnen läßt. Wenn die Entgeltfortzahlung im Tarifvertrag oder im Arbeitsvertrag eigenständig geregelt ist, gilt die für den Arbeitnehmer gün- stigere Regelung. Die jetzt beschlossenen Gesetzesänderungen werden insofern nur dann greifen, wenn die Tarifbestimmungen geändert werden.

Es wird klargestellt, daß Vereinbarungen zur Berücksichtigung von Fehlzei- ten bei der Bemessung der Höhe von Sondervergütungen zulässig sind. Die Sondervergütung darf für jeden krankheitsbedingten Fehltag nur um höchstens ein Viertel des Arbeitsentgelts, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt, gekürzt werden. – Zum 1. Januar wird das Krankengeld um 10 Punkte von 80 auf 70 Prozent des regelmäßigen Bruttoentgelts, aber nicht mehr als 90 Prozent des Nettoentgelts, gesenkt. – Der Bundestag hat erneut den Vermitt- lungsausschuß angerufen. Dabei geht es unter anderem um die Kürzung der Be- zügefortzahlung für Beamte im Krankheitsfall ab 1. Januar 1997. HC

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1996; 93: A-2538–2542 [Heft 40]

Einschnitte bei der Lohnfortzahlung

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