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Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 43, 25. Oktober 1996 (1) iele Länder Europas ha-
ben ähnliche Regelungen der Lohnfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit wie die in Deutschland jetzt eingeführten Regelungen zur (reduzierten) Ent- geltfortzahlung. Die Arbeitgeber zahlen zuerst, bevor die Kranken- versicherung nach einer bestimm- ten, von Land zu Land unter- schiedlichen, Krankheitsdauer die Geldleistungen übernimmt.
Nach den neusten Angaben, die das Institut der deutschen Wirtschaft Anfang Oktober ver- öffentlicht hat, erhalten die Ar- beitnehmer in den Niederlanden bei Arbeitsunfähigkeit 52 Wochen lang 70 Prozent ihres Bruttoloh- nes. Teilweise wird der Betrag tarifvertraglich auf 100 Prozent aufgestockt. Ein bis zwei Karenz- tage sind möglich. In Schweden bekommt ein Arbeitnehmer am ersten Krankheitstag nichts, da- nach erhält er 14 Tage lang 75 Pro- zent des Bruttolohnes. In Belgien
erhalten Arbeiter und Angestellte 100 Prozent ihres Bruttolohnes.
Angestellte beziehen das Geld 30 Tage lang, Arbeiter nur 14 Ta- ge, wobei der Zeitraum häufig tarifvertraglich auf 30 Tage ver- längert wird. Die Finnen und Iren haben keinen gesetzlichen An- spruch auf Entgeltfortzahlung.
Allerdings sind tarif- oder einzel- vertragliche Ausnahmeregelun- gen möglich.
Drei Karenztage gibt es in Großbritannien. Die Arbeitneh- mer erhalten maximal 28 Wochen lang gesetzliche Krankengeld-Pau- schalbeträge. Meist stockt der Ar- beitgeber die Beträge bis zu 100 Prozent des Nettoverdienstes auf.
In Frankreich erhalten die Arbeit- nehmer in den ersten 30 Tagen
90 Prozent ihres Nettolohnes und für weitere 30 Tage zwei Drittel des Bruttolohnes. Viele Tarifver- träge enthalten Verbesserungen vor allem für Angestellte.
In der Tschechischen Repu- blik werden nach einer Studie der Augsburger Beratungsgesellschaft Basys von der Krankenversiche- rung nur 69 Prozent des durch- schnittlichen Bruttolohnes der letzten drei Monate ausbezahlt.
Dabei ist die Bemessungsgrundla- ge nach oben auf 270 Tschechische Kronen (Czk) Lohn je Tag be- schränkt. Kranke Arbeitnehmer erhalten also maximal 186 Czk pro Tag, das sind etwa 11 DM. Der Ar- beitgeber ist von den Lasten der Lohnfortzahlung im Krankheits-
fall befreit. rco
V
uch beim jüngsten An- hörungsverfahren des Ge- sundheitsausschusses des Bundestages zu den verschiedenen Entwürfen für ein Transplantati- onsgesetz in der vorletzten Woche in Bonn standen sich die Befürwor- ter und Kritiker des Hirntodkon- zeptes gegenüber. Die eindeutige Klärung und das Abwägen des Pro und Kontra zu diesem Konzept ist aber die entscheidende Vorausset- zung dafür, welcher gesetzliche Lö- sungsansatz zum Zuge kommt. Die
„erweiterte Zustimmungslösung“, die von einer Mehrheit von Abge- ordneten der Union, der FDP und SPD favorisiert wird, steht dem al- ternativen Ansatz einer „engen Zu- stimmungslösung“ gegenüber, die von einer Minderheit der SPD- Bundestagsfraktion und von Bünd- nis 90/Die Grünen befürwortet wird. Danach muß der Betroffene zu Lebenszeiten in eine Organent- nahme ausdrücklich eingewilligt haben. Angehörige dürfen darüber
nicht entscheiden. Genau dies ge- stattet die erweiterte Zustim- mungslösung, die auch von der Bundesärztekammer, den medizini- schen Fachgesellschaften und von den meisten Transplantationsmedi- zinern als praktikabler Lösungsweg vorgeschlagen wird. Allerdings müßten dann die differenzierten Richtlinien der Bundesärztekam- mer für die Untersuchungen beach- tet werden; diese orientieren sich an international gültigen Standards.
Bereits früher hatte die Bundesärz- tekammer an den Gesetzgeber ap- pelliert, unmißverständlich klarzu- stellen, daß mit dem „nachgewiese- nen Hirntod der Tod des Menschen festgestellt ist“. Werde dagegen der Hirntod nur als Zeitpunkt definiert, ab dem einem Sterbenden Organe
entnommen werden können, wäre eine Organentnahme nach ärzt- lichem Verständnis eine Tötung.
Zweifel an der Sicherheit der Un- tersuchungen, mit denen der Hirn- tod nachgewiesen wird, seien zwar verständlich, aber sachlich unbe- gründet.
Das neuerliche Hearing brachte keine neuen Erkenntnis- se. Der Vorsitzende des Bundes- tagsausschusses für Gesundheit, Dr. rer. pol. Dieter Thomae (FDP), blieb freilich optimistisch: Der Bundestag werde das neue Gesetz am 15. November in zweiter und dritter Lesung und das Bundes- ratsplenum am 19. Dezember in namentlicher Abstimmung nach dem parteienübergreifenden Re- formansatz beschließen. HC