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Archiv "Methaqualon-Mißbrauch — ein ernstes Problem" (01.04.1976)

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin ÜBERSICHTSAUFSATZ

Die schlaferzeugende Wirkung von Methaqualon entdeckte man zufäl- lig bei der Suche nach einem Arz- neistoff gegen die Malaria. Schon bald kamen erste warnende Mel- dungen, und zwar aus Japan, wo Kato über 176 Fälle von Methaqua- lon-Abhängigkeit berichtete; das waren 42 Prozent aller Drogenab- hängigen in den erfaßten Kliniken.

In den USA wurden durch das Drug Abuse Warning Network von September 1972 bis zum Januar 1973 1440 Fälle von Methaqualon- Mißbrauch bekannt. Als Gründe hierfür ergaben sich Suche nach euphorischer Stimmungshebung (675 Fälle), Überwindung von Trau- rigkeit (219 Fälle), echte Abhängig- keit (167 Fälle) und Suizidversuche (90 Fälle). Bei 278 Patienten blieb der Grund des Mißbrauchs unbe- kannt. 1972 erfuhr man in den USA von 275 akuten Vergiftungen mit 16 tödlichen Ausgängen.

Schon sieben Monate nach Einfüh- rung in Großbritannien kam es zu einer Zunahme akuter Vergiftungen durch Methaqualon. 5 Prozent aller Einweisungen in die Intensivstation der Royal lnfirmary in Edinburgh waren Überdosierungen von Me-

thaqualon. Die Zahl stieg auf 15 Prozent. Gegenläufig verhielten sich die Vergiftungen mit Barbitu- raten, die von 60 Prozent im Jahre 1965 auf 18 Prozent im Jahre 1972 zurückgingen.

Der Mißbrauch von Methaqualon in der Bundesrepublik Deutschland nahm offensichtlich seinen Aus- gang von amerikanischen Sol- daten. In der Mehrzahl der Fälle wurde eine Kombination von Methaqualon mit Diphenhydra- min benutzt. Das Material kam im wesentlichen aus deutschen Be- ständen. 1972 kamen in amerikani- schen Militärspitälern in Deutsch- land 10 Soldaten monatlich mit Me- thaqualon-Abusus zur Aufnahme, 1973 waren es 60 Soldaten pro Mo- nat, 22 Prozent davon wegen Über- dosierung, 25 Prozent wegen psy- chotischer Reaktionen und 45 Pro- zent wegen echter Abhängigkeit.

Urinstichproben amerikanischer Soldaten zeigten 10 bis 30 Prozent positive Ergebnisse.

Die zunehmende Beliebtheit von Methaqualon läßt sich auch an der Verschreibungshäufigkeit und den Umsatzzahlen darstellen. In Eng- land und Wales nahmen die Ver-

Methaqualon-haltige Spezialitäten

AK 125 Babix-rectal Biosedon, -retard Citodorm-forte Conamagon Cor-Bronchisan Daturmed Dilavert Diudorm Dormicur Dormigoa Drastinetten Dulcipan Dystoid Eatan Elini-Cor

Esdesan Dragöes -c. Nitro Dragöes Gammagrippyl Jurmun Leuwadorm Lioftal Mandrax Mezolun-S Neurocalm Nitro-Tromcardin Nivellon

Noctotana Noctun

Normi-Nox, compositum Nyktogen

Omnisedan Optinoxan Orgadorm Parkesed Procalmadior Provadenal comp.

Rebuso

Renoval, -retard Savedorm Sedanoct Silternum Somnibel Somnosan Spasmipront Staurodorm Steno-Tromcardin Stiglidorm, -compositum Tomed

Toquizon,

— + Napa pro böbö

— + Napa pro infant

Methaqualon-Mißbrauch — ein ernstes Problem

Günther Stille

Mit Methaqualon, Bestandteil vieler gebräuchlicher Schlafmittel, gibt es ein neues Problem beim Arzneimittelmißbrauch. Neben der schlafinduzierenden Wirkung werden dem Methaqualon Wirkungen auf die Befindlichkeit zugeschrieben, die am ehesten noch denen von Marihuana vergleichbar sind. Der Mißbrauch kann zur Tole- ranzbildung führen, und nicht selten kommt es auch zu akuten und chronischen Vergiftungen, bei den in der Drogenszene verwandten hohen Dosierungen. Die Ärzte sollten sich bereits bei der Ver- schreibung dieser Gefahren bewußt sein.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 14 vom 1. April 1976 959

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

Methaqualon-Mißbrauch

schreibungen für methaqualonhal- tige Arzneimittel von 1965 bis 1971 von 45 000 auf 2 000 000 im Jahr zu.

In den USA stieg der legale Um- satz in den Jahren 1965 bis 1972 um 400 Prozent und allein 1972 um 360 Prozent. Die Kurve führt seither weiter aufwärts.

Obwohl keine gesicherten Daten darüber vorliegen, kann man sa- gen, daß ein wesentlicher Anteil des mißbrauchten Methaqualons legalen Quellen entstammt. Aller- dings ist aus den USA bekannt, daß Methaqualon auch illegal syn- thetisiert und auf der Straße ver- trieben wird.

Soziale Struktur

des Methaqualon-Mißbrauchs Nach Studien von Inciardi et al.

und Schwirian und Gerald ergab sich für Methaqualon-„User" ein mittleres Alter von 22 Jahren. In der Mehrzahl sind es männliche Jugendliche. 85 Prozent der Unter- suchten sind alleinstehend, 52 Pro- zent sind Studenten. Überhaupt überwiegen nach obigen Untersu- chungen Personen mit höherem Bildungsniveau.

10 Prozent nehmen täglich Metha- qualon, 51 Prozent gelegentlich und 39 Prozent in monatlichen Ab- ständen. Die durchschnittliche Do- sis bei einer Sitzung beträgt 724 mg (500 bis 2100 mg). Die „User"

sehen sich selbst im allgemeinen recht positiv, nämlich freundlich, offen, mit Selbstvertrauen und an- ziehend für das andere Geschlecht.

Gerade die täglichen Konsumenten empfinden sich als Führer einer Gruppe. Nach längerem Gebrauch tauchen in der Selbsteinschätzung allerdings Begriffe auf wie „teil- nahmslos" oder „in sich gekehrt".

Im ganzen scheint der Gebrauch von Methaqualon wie zum Beispiel beim Cannabis vielfach eine sozia- le Aktivität auszudrücken, und Freunde spielen bei Gebrauch und Verbreitung eine große Rolle. Häu- fig wird man durch Freunde einge- führt, bei 15 Prozent geschah die Einführung auf einer Party. Die

Gründe für den ersten Versuch sind unterschiedlich: Neugierde, Zureden durch einen Freund oder aber der Wunsch, „high" zu wer- den. Seltener geht es darum, „den eigenen Problemen zu entfliehen"

oder „Entspannung zu suchen".

Im Fall freier Verfügbarkeit aller Stoffe ist Methaqualon nur bei 15 Prozent das Präparat der ersten Wahl. 51 Prozent bezeichnen Me- thaqualon als eine der drei attrak- tivsten Drogen. Marihuana ist in der Bewertung dem Methaqualon überlegen; bei 69 Prozent der Be- fragten trifft die erste Wahl auf Ma- rihuana, und bei nahezu allen ge- hört es zu den vier beliebtesten Stoffen. Das drückt sich auch darin aus, daß 94 Prozent neben Metha- qualon Marihuana nehmen. 43 Pro- zent der Befragten bevorzugen gleichzeitig Alkohol.

Die gesuchte Wirkung

Methaqualon zeichnet sich durch raschen Wirkungseintritt (30 Minu- ten) und durch eine Wirkungsdauer von mehr als vier Stunden aus.

Nach Aufnahme von 150 bis 500, gelegentlich bis zu 5000 mg Metha- qualon stellen sich bald bleierne Müdigkeit, ein prickelndes Gefühl im ganzen Körper und die Empfin- dung von Wärme und „extremer"

Entspannung der Glieder („jelly fish") ein. Gelingt es, den Schlaf zu überwinden, kommt man in eine Phase euphorischer Gehobenheit, Sorglosigkeit und physischen Wohlbefindens. Sorgen und Hem- mungen schwinden, die Schmerz- schwelle ist deutlich erhöht. „They get you physically down but psy- chologically up, almost like a ,speed` to your head." Es kommt zum Erlebnis freier und „strömen- der" Kommunikation, ein Gefühl wohltuender Vertraulichkeit ent- steht zwischen den Anwesenden.

Wenn Methaqualon von Jugendli- chen genommen wird, „ist es, als sei er von vier joints (Marihuana- Zigaretten) auf einmal getroffen."

Vielfach wird von sexueller Erre- gung bei beiden Geschlechtern ge- sprochen.

Etwa eine Stunde nach Einnahme kommt es zu Koordinationsstörun- gen, besonders in den Extremitäten (daher spricht man auch von „wall bangers"). Die Sprache wird zu- nehmend langsamer und verwa- schen, die Unterhaltung ist jetzt er- schwert. Das Schlafbedürfnis wird immer drängender, aber der

„User" versucht wach zu bleiben, um das Erlebnis auszuschöpfen.

Unerwünschte Wirkungen

Bei regelmäßiger Einnahme kön- nen schon hohe therapeutische Dosen zu Nebenwirkungen führen, besonders zu Schläfrigkeit, aber auch zu Unruhe und gesteigerter Erregbarkeit mit Angst. Bekannt sind bei mißbräuchlicher Einnahme besonders morgendlicher „Hang- over" mit Schwindelgefühl (43 Pro- zent), Schwäche in den Beinen (54 Prozent) und allgemeiner Muskel- schwäche (54 Prozent), auch Des- orientiertheit hinsichtlich Ort oder Personen (32 Prozent). Bei 5 bis 25 Prozent kommt es zu Übelkeit, Er- brechen, Durchfall, aber auch zu Verstopfung, ferner zu Zittern und .Kopfschmerz; 10 Prozent zeigen

„losings their mind". Einzelne Pa- tienten geben Beeinträchtigung ih- res Gedächtnisses an. Man kennt Hauterscheinungen wie „rash", Ur- tikaria, Bromidrose und Exanthe- me. Neben Mundtrockenheit spre- chen die Beobachter von ge- schwollener Zunge und Mundwin- kelrhagaden.

Ferner werden aufgeführt: Nasen- bluten, Menstruationsstörungen, selten aplastische Anämie und Ag ran u lozytose. Weiter besteht auch der Verdacht teratologischer Schäden.

Kato beobachtete in Japan bei chronischem Methaqualon-Ge- brauch antisoziales Verhalten mit Reizbarkeit, feindseliger Haltung und destruktiven Wünschen.

Einzelne Personen berichten von Parästhesien, die kurz nach der Einnahme des Präparates und eben vor dem Einschlafen im Be-

960 Heft 14 vom 1. April 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Methaqualon-Mißbrauch

reich des Mundes und auch peri- pher an den Extremitäten auftreten.

Diese Empfindungen dürften den

„tingling sensations" bei miß- bräuchlicher Verwendung entspre- chen. Eine neurotoxische Schädi- gung im Sinne einer Polyneuritis liegt diesen Parästhesien offen- sichtlich nicht zugrunde. Dagegen beschreiben Spiegelberg und Fin- ke bei sieben Patienten mit lang- dauernder und hochdosierter Me- thaqualon-Anwendung Polyneuro- pathien.

Vergiftungserscheinungen

Die Dosen, die zu schweren Vergif- tungserscheinungen mit Koma füh- ren, sind von Patient zu Patient sehr unterschiedlich. Sie sind ab- hängig von der individuellen Emp- findlichkeit, dem Ausmaß der Tole- ranz und den gleichzeitig verwen- deten anderen Mitteln, zum Bei- spiel Alkohol. Schon nach 8mal 300 mg Methaqualon wurde ein

Koma beobachtet.

Das Vergiftungsbild unterscheidet sich deutlich von dem nach Barbi- turaten. Auffallend ist eine Zunah- me des Muskeltonus mit Überstrek- kung der Extremitäten bis zur Aus- bildung einer Rigidität, besonders in den Beinen. Man gewinnt den Eindruck einer Enthirnungsstarre.

Zu bemerken ist noch ein Tremor der oberen und unteren Extremi- täten. Ebenfalls im Gegensatz zum Barbiturat-Koma kommt es dane- ben zu einer gesteigerten motori- schen Aktivität, zu Myoklonien, die schließlich in Krämpfe übergehen.

Das EEG zeigt dabei typische Krampfpotentiale.

Der Patient reagiert auf akustische, taktile und Schmerzreize. Die Re- flexe sind zunächst wenig beein- trächtigt und erst bei Vertiefung des Komas herabgesetzt. Patholo- gische Reflexe und Pyramidenzei- chen werden nur gelegentlich be- obachtet. Die Pupillen sind rund, seitengleich und wechseln stark in der Weite. Pupillenreaktion auf Licht sowie Korneal- und Hustenre- flexe sind kaum beeinträchtigt.

Die Atemdepression ist geringer als nach Barbituraten. Es kommt zu einer auffallend starken Bron- chial- und Speichelsekretion. Auch der Kreislauf ist anfänglich nur we- nig betroffen. Nach Tagen kommt es mit zunehmender Erschöpfung zum Herz- und Kreislaufversagen und schließlich zum Atemstillstand.

Zu bemerken ist noch eine erhöhte vaskuläre Permeabilität. Renale und hepatische Beeinträchtigung sieht man nur bei Vergiftungen von Kombinationen mit Paracetamol.

Der letale Blutspiegel liegt zwi- schen 1 und 4 mg/100 ml. Die Be- handlung der Vergiftung ist rein symptomatisch, und Analeptika sind streng kontraindiziert.

Toleranz und Abhängigkeit

Nach Gerald und Schwirian geben 34 Prozent der befragten Toxiko- manen an, daß sie im Verlauf der Zeit die Dosis von Methaqualon um das Zwei- bis Dreifache steigern mußten, um weiterhin eine euphori- sierende Wirkung zu erzielen. Of- fensichtlich tritt aber eine entspre- chende Toleranzbildung bei der to- xischen oder letalen Dosis nicht ein, so daß die Sicherheitsbreite mit der Dauer des Mißbrauchs schmaler wird. Wahrscheinlich liegt hier eine der Ursachen häufi- ger, unfreiwilliger Vergiftungen, be- sonders wenn alkoholische Geträn- ke mit ins Spiel kommen.

Neben der Ausbildung einer Tole- ranz steht bei Methaqualon eine echte physische Abhängigkeit au- ßer Zweifel, und zwar treten auch bei nur halbwegs regelmäßigem Gebrauch schon Prodromalsyndro- me wirklicher physischer Abhän- gigkeit auf. Kelly sagt: „Es ist an- zunehmen, daß schon eine Pille pro Tag über zwei Monate eine physische Abhängigkeit erzeugt."

Im allgemeinen handelt es sich bei den beobachteten Fällen von phy- sischer Abhängigkeit um 1,5 bis 3 g täglich über zwei bis vier Mo- nate.

Entzugserscheinungen zeigen sich in Unruhe, Reizbarkeit, Depression

und Angst, Schlaflosigkeit oder Störung des Schlafmusters (Alp- druck), in akustischen und visuel- len Halluzinationen, Kopfschmer- zen, Appetitlosigkeit, Übelkeit, wei- ter in Zittern und abdominellen Krämpfen.

Nach Kato treten bei neun Prozent der Abhängigen Symptome eines Delirs und bei sieben Prozent Krämpfe auf. Bei Ausbleiben einer entsprechenden Behandlung kön- nen diese in einen epileptischen Status übergehen. Gelegentlich kommt es drei bis fünf Tage nach Entzug zu Magenbluten.

Prodromalsymptome physischer Abstinenz sind zunehmende Ver- geßlichkeit, Perioden von Kopf- schmerz, Anorexie und Angst.

D:e beim Entzug auftretende Angst ist sicher ein entscheidendes Motiv für den erneuten Griff zum „Sucht- stoff", in unserem Fall zum Metha- qualon. Für diese Angst aber gibt es heute eine hirnphysiologische Deutung. Alle bekannten, physi- sche Abhängigkeit erzeugenden Stoffe unterdrücken den sogenann- ten REM-Schlaf (REM von „rapid eye movement"), eine Schlafphase, die besonders für den emotional geladenen Traum von Bedeutung ist.

Auch Methaqualon reduziert den REM-Schlaf. Bei Entzug kommt es nun zu einer überschießenden REM-Schlaf-Aktivität mit Einbruch auch in das Wachsein. Mit nächtli- chem sogenannten „REM-rebound"

erklärt sich Alpdruck und unruhi- ger Schlaf während des Entzugs, und während des Wachseins kommt es entsprechend zu Angst und im Extrem zum Delir. An die- sem Punkt berühren sich psychi- sche und physische Abhängigkeit, und die Trennung erweist sich als Fiktion.

Kombinationen

Sehr beliebt ist beim Mißbrauch von Methaqualon die Einnahme der Tabletten oder Kapseln mit Wein

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 14 vom 1. April 1976 961

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

Methaqualon-Mißbrauch

oder anderen alkoholischen Ge- tränken. Gerade diese Kombination ist Ursache einer Reihe fataler Aus- gänge.

Methaqualon wird auch als „attrak- tives Substitut" für Heroin benutzt, vor allem dann, wenn in der Dro- genszene Schwierigkeiten bei der Beschaffung des „Stoffes" beste- hen. Auch der Heroin-„User", dem es nicht mehr gelingt, mit seinem

„Stoff" allein „high" zu werden, greift nicht selten zum Methaqua- Ion. Das gleiche gilt, wenn bei der Methadon-Erhaltungstherapie die gewohnten Heroineffekte vermißt werden. Die bei kombinierter Gabe von Opiaten und methaqualonhalti- gen Präparaten beobachteten Komplikationen verlaufen unge- wöhnlich schwer. Ein besonderes Problem stellt die handelsübliche Kombination von Methaqualon mit anticholinergisch und antihistamin- ergisch wirksamen Substanzen dar. Ob diese Kombinationen — vor allem handelt es sich um eine solche mit Diphenhydramin — beim Mißbrauch bevorzugt werden, ist gegenwärtig nicht sicher zu ent- scheiden. Was die Gefährdung be- trifft, muß man aber in Betracht ziehen, daß zentral wirksame Anti- cholinergika stark delirogene Po- tenzen aufweisen und symptomati- sche Psychosen auszulösen ver- mögen. Die zentralanticholinergi- sche Wirkung von Stoffen wie Di- phenhydramin und Benactizin dürf- te in Kombination mit Methaqualon die Gefahren eines Mißbrauchs si- cher vermehren.

Mag die epidemiologische Situa- tion für den Methaqualonmiß- brauch bei uns auch anders sein als in den USA, so können wir aus der Geschichte dieses „Suchtstof- fes" doch einige Lehren ziehen:

O Kein neues Sedativum oder Schlafmittel darf als frei von der Gefahr der Abhängigkeit gelten, solange nicht das Gegenteil erwie- sen ist.

Es sollte alle Mühe darauf ver- wendet werden, schon vor der breiten Verwendung am Menschen

die Gefahr des Mißbrauchs einer neuen Substanz abschätzen zu können.

to

Es hat sich erneut gezeigt, daß die nicht barbiturathaltigen Schlaf- mittel nur beschränkte therapeuti- sche Vorzüge bieten, aber dazu die meisten Nachteile der Barbiturate besitzen. Darüber hinaus stellen sie uns jeweils vor andere, nicht im- mer vorhersehbare Probleme. Der Begriff „barbituratfreies Schlafmit- tel" darf kein „Freibrief" für eine

unkontrollierte Verwendung sein.

O In vielen Fällen von Mißbrauch ist ein Zusammenhang mit der ärzt- lichen Verschreibung, also mit ei- nem bestimmungsgemäßen Ge- brauch nachweisbar. „Die Primär- prävention des Arzneimittelmiß- brauchs beginnt beim ärztlichen Rezept. Ein Rezept am falschen Ort kann als Unterlassung einer prä- ventiven Maßnahme gewertet wer- den." (Hippius)

Abschließend hierzu ein Satz aus der amerikanischen Drogenkultur, der zu denken gibt:

„Und noch das Beste von allem ist, daß es (Methaqualon) leicht und völlig legal zu erhalten ist. Alles was Du brauchst, ist das Rezept vom Hausarzt, und Du bekommst es ganz legal ... , und Du kannst Dir, sooft Du willst und ohne Schwierigkeiten, das Mittel aus der Apotheke holen."

Wenn auch die Verhältnisse drü- ben anders sein mögen, etwas soll- ten wir uns auch hier durch diese Stimme eines Toxikomanen ange- sprochen fühlen.

Literatur beim Verfasser

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. Günther Stille Institut für Arzneimittel des Bundesgesundheitsamtes Werner-Voss-Damm 62 1000 Berlin 42

IN KÜRZE

Diagnostik

Eine qualitativ diagnostizierte Pro- teinurie zwingt zu weiterem Vorge- hen. Zunächst ist der 24-Stun- den-Sammelurin zu beurteilen. Die physiologische Grenze liegt bei 150 mg Eiweiß pro Tag. Wiederholte Analysen des Urinsediments und ergänzende Suche nach Stoffwech- selentgleisungen sollten sich an- schließen. Fiel die Analyse des 24-Stunden-Urins positiv aus, und sind methodische oder biologische Fehlerquellen ausgeschlossen, so kann man von einer renalen Gene- se der Proteinurie ausgehen.

Manchmal allerdings kann eine endgültige Diagnose erst aus der histologischen Untersuchung des Nierenpunktats abgeleitet werden.

Mit der histologischen Klassifizie- rung ergibt sich die Möglichkeit, die Proteinurie zu spezifizieren. he (Held, E.: Internist 17 [1976]

67-76)

Neurogene Stimmbandlähmungen müssen ungeachtet ihrer Ätiologie unverzüglich mittels phoniatrischer Übungsbehandlung angegangen werden, damit sich die Nervenre- generation beschleunigt. Die elek- trische Reiztherapie hat die Verhin- derung von Muskelatrophie und An- kylosierung des Krikoarytänoid-Ge- lenks zum Ziel. Wird eine mecha- nische Läsion des Nervus recur- rens chirurgisch behoben, muß vor dem Eingriff der Larynx elektro- myographisch untersucht werden;

zudem ist zu prüfen, ob die Kri- koarytänoid-Gelenke beweglich sind. Bei Kompression oder Über- dehnung des Nerven muß nach fünf Monaten eine Neurolyse vor- genommen werden, falls es nicht zu einer spontanen Regeneration kommt. Ist die Kontinuität des Ner- vus recurrens unterbrochen, emp- fiehlt sich eine rasche Nervenana- stomose. Glottiserweiternde oder verengende Eingriffe sind erst nach zwei Jahren angebracht. cb (Gabriel, P.; Chilla, R.: HNO 23 [1975] 333-336)

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