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Archiv "Brandenburgische Untersuchungskommission: Kein schwerwiegender Mißbrauch der Psychiatrie" (30.05.1997)

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ie im August 1992 eingesetz- te Untersuchungskommission über politischen Mißbrauch der Psychiatrie zu DDR-Zei- ten grenzte mehrere Arbeitsfelder ein:

¿ Für ihre Tätigkeit wurde ein- deutig die Kategorie des politischen Mißbrauchs definiert; es konnten nur Gesetzes- und Menschenrechts- verletzungen ausschließlich im Zu- sammenhang mit der politischen Si- tuation und den Absichten des Macht- apparates berücksichtigt werden.

Über nicht ausreichende fachliche Be- treuung, unzureichende Baulichkeiten und hygienische Verhältnisse, nicht po- litisch begründete Übergriffe, Frei- heitseinschränkung, ungerechtfertigte Zwangsbehandlung und allgemeine soziale Benachteiligungen konnte die Kommission nicht urteilen. Sie hatte sich zu beschränken auf die Untersu- chung direkter politischer Einflußnah- me auf psychiatrische Institutionen und Fragestellungen als Mittel der Re- pression durch Staatsorgane der DDR.

À Die Kommission sah ihren Auftrag nicht in einer lückenlosen Er- mittlung über den gesamten Zeitraum der Existenz der DDR und auch nicht flächendeckend über das gesamte Land.

Á Eine historische Aufarbeitung der Psychiatriegeschichte des Landes

Brandenburg zu Zeiten der DDR war nicht beabsichtigt.

 Die Kommission behielt sich vor, ihre Tätigkeit auch fortzusetzen, wenn sie zu gegensätzlichen Positio- nen gegenüber der Landesregierung kommen sollte. Diese würde sie gege- benenfalls auch in der Öffentlichkeit vertreten.

Die Kommission einigte sich auf folgendes Vorgehen:

1 Durch landesweite Zeitungs- annoncen informierte sie die Öffent- lichkeit und forderte vor allem Psych- iatriebetroffene auf, sich zu melden.

Weiterhin stellten sie sich für die Bear- beitung von Eingaben an das Ministe- rium oder an andere Institutionen zur Verfügung. Auf Wunsch von Betroffe- nen wurden persönliche Anhörungen und Gespräche geführt, es wurden Krankenakten beigezogen und in meh- reren Fällen in der „Gauck-Behörde“

nach Stasiakten recherchiert.

1 Kommissionsmitglieder be- suchten mindestens zweimal die je- weiligen psychiatrischen Landesklini- ken des Landes Brandenburg. Ein Heim für psychisch Kranke, psychia- trische Abteilungen an Allgemein- krankenhäusern wurden aufgesucht.

Dort sprachen die Kommissionsmit- glieder in erster Linie mit Mitarbei- tern, teilweise auch mit Patienten.

1 Aus dem ehemaligen zentra- len Lazarett der Nationalen Volksar- mee in Bad Saarow wurde eine reprä- sentative Stichprobe von 200 psychia- trischen Krankenakten aus dem Zeit- raum von 1972 bis 1989 überprüft.

1In der „Gauck-Behörde“ wur- de im Rahmen eines Forschungsauf- trages gemäß Stasiunterlagengesetz vom 20. Dezember 1991 umfassend nach Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR zur Psych- iatrie recherchiert. Hier wurden gleichermaßen unter Wahrung des Datenschutzes operative Vorgänge („Opferakten“) und die Akten von in- formellen Mitarbeitern gesichtet.

Im vermeintlichen Kenntnis- stand der Jahre vor 1992 ging die Kommission davon aus, daß sie bei ihren Ermittlungen unter Umständen zahlreiche Hinweise auf Menschen- rechtsverletzungen finden würde. Je- doch führte keiner der geschilderten Untersuchungswege zu einem Hin- weis auf politischen Mißbrauch der Psychiatrie in der DDR im Land Brandenburg im Sinne von Psychia- trieeinweisungen psychisch nicht kranker politischer Gegner. Lediglich ein Einzelfall, der aber als Grenzfall gesehen werden muß, erfüllte diesen Verdacht. Ein junger Mann wurde 1993 von zwei MfS-Angehörigen in ei- ne Landesklinik gefahren, weil er mit einer Selbstmordankündigung seinem Antrag auf Ausreise in die Bundesre- publik Nachdruck verleihen wollte.

Die betroffene Landesklinik entließ diesen Mann, der offensichtlich psy- chisch gesund war, und protestierte beim damaligen Kreisarzt schriftlich gegen diese ungesetzliche Handlung.

Eine zweite Feststellung ist in Kenntnis der MfS-Unterlagen zu tref- fen und bezieht sich auf die leitenden Mitarbeiter psychiatrischer Kranken- häuser im Land Brandenburg. Einige von ihnen sind vom Staatssicherheits- dienst „operativ bearbeitet“ worden (haben „Opferakten“), andere haben mit dem MfS als Inoffizielle Mitarbei- ter (IM) kooperiert. Nach landeswei- ten Recherchen waren dies jedoch we- niger als drei Prozent der Ärzte. In der Regel ging es bei solchen Tätigkeiten um die Bespitzelung der eigenen Kol- legen. Nicht selten haben jedoch diese Informellen Mitarbeiter auch die ärzt- liche Schweigepflicht, zum Teil in zahl- A-1486 (34) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 22, 30. Mai 1997

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Brandenburgische Untersuchungskommission

Kein schwerwiegender

Mißbrauch der Psychiatrie

Wolf-Dieter Lerch

Eine unabhängige Kommission zur Aufarbeitung der Vergangenheit der Psychia-

trie im Land Brandenburg für die Zeit des Bestehens der ehemaligen DDR berief im

August 1992 die brandenburgische Gesundheitsministerin ein. Ausgangspunkt für

die Einsetzung dieser Kommission waren seit 1990 immer wieder erhobene Vor-

würfe über politische Übergriffe des DDR-Machtapparates in der Gewißheit, daß

die Staatssicherheit sich einzelner Mitarbeiter der Institutionen der Psychiatrie zu

bedienen wußte. Die Kommission sollte auch der Frage nachgehen, ob das Ministe-

rium für Staatssicherheit (MfS) gesunde, politisch unliebsame Bürger mit den Mit-

teln der Psychiatrie disziplinieren ließ. Sieben ehrenamtliche Fachleute aus Ost und

West waren vom Sommer 1992 bis zum Herbst 1996 in dieser Kommission tätig.

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reichen Fällen, verletzt. Sie sprachen mit ihren Führungsoffizieren über Pa- tienten, erläuterten Krankheitsbilder und händigten Krankengeschichten aus. Allerdings ist der Kommission kein Fall bekannt, in dem dieses Han- deln unmittelbaren Schaden für eine der betroffenen Patienten nach sich gezogen hat. Die Verletzung der ärztli- chen Schweigepflicht ist ein schwer- wiegender Angriff auf das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient auch schon in der DDR gewesen und galt seinerzeit als Straftat (§ 136 StGB/DDR).

Weiterhin stellte die Kommission fest, daß im Gegensatz zur Psychiatrie die Psychologie vom DDR-Staatssi- cherheitsdienst mißbraucht worden ist. An der MfS-eigenen Hochschule in Potsdam-Golm gab es einen Fachbe- reich „operative Psychologie“, durch den psychologische Herrschaftstech- niken, wie die konspirative Bekämp- fung oppositioneller Gruppen, erar- beitet und vermittelt wurden.

Es hat über Jahre eine Zwangs- psychiatrisierung von „psychisch kran- ken Störern“ gegeben. Gegen diese Maßnahmen gab es nachweislich von seiten der seinerzeit tätigen Psychiater nachhaltigen Widerstand, andererseits wurde diesem Ersuchen der Staats- macht auch willfährig stattgegeben.

Den politischen Mißbrauch der Psychiatrie hat es im Sinne der Psych- iatrisierung gesunder politischer Geg- ner nicht gegeben. Er fand statt in den beschriebenen seltenen Einzelfällen, dann aber schwerwiegend und ver- werflich – gelegentlich auch als mögli- cher Straftatbestand. Die oben ge- schilderten Verfahrensweisen be- stimmten jedoch nicht Wesen und All- tag der Psychiatrie der DDR im Land Brandenburg. Dieser war bestimmt durch therapeutische Bemühungen unterschiedlicher Qualität, wurde be- hindert durch wirtschaftliche Zwänge und die nicht nur in einem kommuni- stischen System geübte Ausgrenzung psychisch Kranker. Menschliche Zu- wendung, immer wieder auch in den Akten zu erkennen, war die Regel trotz schwieriger Bedingungen bei oft gut funktionierenden Versorgungs- strukturen. Im Gegensatz zu anders- lautenden Befürchtungen und Be- hauptungen stellte sich wiederholt heraus, daß kritische und couragierte,

ihrem ärztlichen Ethos verpflichtete Psychiater den Versuchen, politisch mißliebige Personen ohne ausrei- chende medizinische Indikation zu psychiatrisieren, erfolgreich entge- gentraten.

Der lange Untersuchungszeit- raum gestattet es, auch auf die abge- schlossenen oder noch laufenden Un- tersuchungen von Landeskommissio- nen der anderen neuen Bundesländer hinzuweisen. Aus dem derzeitigen Kenntnisstand scheinen auch dort keine schwerwiegenden Hinweise für den politischen Mißbrauch der Psych- iatrie im Sinne einer Psychiatrisierung politisch unliebsamer Oppositioneller zu bestehen. Es ist zu hoffen, daß der Bericht dazu beiträgt, neue Forschun- gen über die Geschichte der Psych- iatrie der DDR anzuregen und zur Versachlichung der aktuellen Diskus-

sionen über sich in die Gegenwart projizierende Vorgänge der ehemali- gen DDR anzuregen.

Der Psychiatriebericht des Lan- des Brandenburg kann im vollen Wort- laut bei der Landesregierung Branden- burg, Ministerium für Arbeit, Gesund- heit, Soziales und Frauen, Berliner Straße 90, 14467 Potsdam, oder beim Verfasser angefordert werden.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1997; 94: A-1486–1487 [Heft 22]

Anschrift des Verfassers

Dr. med. Wolf-Dieter Lerch Klinikum Ernst von Bergmann Psychiatrische Klinik

Charlottenstraße 72 14467 Potsdam

A-1487 Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 22, 30. Mai 1997 (35)

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Kritiker des kommunistischen Regimes wurden in der früheren DDR offensichtlich nicht gegen ihren Willen in psychiatrische Krankenhäu- ser eingewiesen. Das berichtet die Zeitschrift „Mental Health Reforms“

(Heft 1/1997). Sie zitiert die Untersu- chung der vom brandenburgischen Gesundheitsministerium eingesetzten Expertenkommission über politi- schen Mißbrauch der Psychiatrie zu DDR-Zeiten. Der Neurologe und Psychiater Dr. med. Helmut Bieber, deutscher Mitarbeiter der Geneva In- itiative on Psychiatry (GIP), bestätig- te weitgehend die Ergebnisse der Un- tersuchung.

Die Organisation „Geneva Initia- tive on Psychiatry“ widmet sich nach eigenen Angaben „Reform- und Hilfs-

maßnahmen für die russische und osteuropäische Psychiatrie, die großzügige Lieferungen von Klinikeinrichtungen ebenso umfaßt wie die Organisation von Kongressen mit osteuropäischen reformfreudigen Psychiatern, aber auch Fortbildungsprogramme für psychiatrische Fachärzte, Pflegepersonal und sozialpsychiatrische Hilfsberufe“.

Die neue, vierteljährlich in englischer Sprache in den Niederlanden er- scheinende Zeitschrift „Mental Health Reforms“ befaßt sich in ihren Beiträ- gen „in Anbetracht des historischen Hintergrunds der GIP sowohl mit der Aufarbeitung des früheren Mißbrauchs der Psychiatrie als auch mit dem Stand der Reformen in Rußland und Osteuropa“. Die Zeitschrift ist zu be- ziehen bei Geneva Initiative Publishers, P. O. Box 1282, 1200 Hilversum,

Niederlande. Kli

Mental Health Reforms

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