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Archiv "Medizinische Rehabilitation: Bessere Vernetzung notwendig" (25.06.2010)

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D

ie medizinische Rehabilita- tion hat in Deutschland ei- nen hohen Stellenwert – zumindest gemessen an der Zahl von Behand- lungen und den Kosten. Das deut- sche Rehabilitationswesen ist im internationalen Vergleich einzigar- tig. Jährlich finden in den circa 1 200 Rehakliniken oder ambulan- ten Einrichtungen fast eine Million Rehamaßnahmen statt – allein zu- lasten der Deutschen Rentenversi- cherung (DRV). Zwei Drittel der Rehabilitanden kommen auf eige- nen Antrag im Rahmen eines Heil- verfahrens (HV), ein Drittel direkt nach einer akuten Erkrankung im Rahmen einer Anschlussrehabilita- tion (AHB). Während des Er- werbslebens ist die Rentenversi- cherung oder die Berufsgenossen- schaft für die Maßnahme zustän- dig, im Rentenalter die Kranken- kasse. Die Ausgaben aller Kosten- träger für Rehabilitation betragen mehr als sechs Milliarden Euro jährlich.

Die weitaus meisten Rehabilitan- den werden wegen einer chroni- schen Krankheit behandelt. Viele

von ihnen sind multimorbid, bei et- wa 20 Prozent von ihnen besteht ein Grad der Behinderung von mehr als 50 Prozent. Daher ist es vorteilhaft, wenn Niedergelassene und Kran- kenhausärzte in der Betreuung ko- operieren, da die Patienten im Re- gelfall nicht geheilt werden. Die Medizin „produziert“ heutzutage chronisch Kranke, die vor einigen Jahren ihre akute Erkrankung nicht überlebt hätten.

Desinteresse der Ärzteschaft an der Rehabilitation

Wie ist die Rehabilitation in dieses Kontinuum von chronischer Krank- heit (siehe Grafik) eingebunden?

Im Unterschied zu einer Akutbe- handlung im Krankenhaus können niedergelassene Ärzte keinen chro- nisch Kranken oder Behinderten in eine Rehaeinrichtung einweisen.

Sie können lediglich gemeinsam mit dem Patienten einen Antrag beim zuständigen Kostenträger stel- len. Dieser entscheidet über den Antrag und legt die Rehaklinik fest.

Da diese bei Heilverfahren oft weit entfernt und damit dem betreuen-

den Arzt nicht näher bekannt ist, setzt dieser – verständlicherweise – auch deren Empfehlungen zur Wei- terbehandlung nach der Rückkehr im Regelfall nicht um.

In Deutschland haben wir fol- gende paradoxe Situation: Einem niedergelassenen Arzt spricht man die Kompetenz zu, einen schwer kranken Patienten ins Krankenhaus einzuweisen, nicht jedoch, einen chronisch Kranken in eine Reha- einrichtung zu vermitteln. Die Kos- tenträger sehen die Kompetenz of- fensichtlich eher in ihrer Behörde angesiedelt. Solange dies so ist, werden die Rehaeinrichtungen In- seln in unserem Gesundheitssystem bleiben. Die Folge davon ist ein Desinteresse der Ärzteschaft an der Rehabilitation, das sich in Deutsch- land allenthalben zeigt: in der Wei- ter- und Fortbildung, der For- schung, der Leitlinienentwicklung sowie in den Fachgesellschaften und Ärztekammern.

Die DRV hat in den letzten Jah- ren in ihren Rehaeinrichtungen eine großangelegte Kampagne ge- startet, um die funktionale Gesund-

Klinik Teutoburger Wald, Bad Rothenfelde (Prof. Dr. med. Wirth);

Klinik Höhenried, Bern- ried (Prof. Dr. med.

Klein); Fachklinik Au- krug, Aukrug (Dr. med.

Lepthin)

Bessere Vernetzung notwendig

Die Bedeutung der Rehabilitation wächst. Trotzdem führen die

Rehaeinrichtungen im Gesundheitswesen noch immer ein Inseldasein.

Alfred Wirth, Gernot Klein, Hans-Joachim Lepthin

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A 1254 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 25

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25. Juni 2010 heit in den Vordergrund zu stel-

len (International Classification of Functioning, ICF). In Rehaein- richtungen wird daher hinsicht- lich Diagnostik und Therapie der Schwerpunkt vorwiegend auf kör- perliche und psychosoziale Funkti- onseinschränkungen, Beeinträchti- gungen von Aktivitäten jedweder Art und Defizite bei der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gelegt.

Die Sinnhaftigkeit des ICF wird nicht infrage gestellt.

Chronische Krankheit gehört in den Fokus

In Rehaeinrichtungen sind „echte“

Behinderte jedoch in der Minder- heit, nur jeder fünfte Rehabilitand ist im klinischen Sinne behindert (Grad der Behinderung mehr als 50 Prozent), beinahe jeder jedoch chronisch krank. Für einen chro- nisch Kranken benötigt man ein Krankheitsmodell, das eine Ein- flussnahme auf die Krankheit er- laubt. Dies gewährleistet nur ein dynamisches Modell unter Einbe- ziehung der Ätiologie, Risikofak- toren und persönlichen sowie ge- sellschaftlichen Ressourcen (1). Da etwa 80 Prozent aller chronischen Krankheiten in Industriegesell- schaften zulasten eines gesund- heitsschädlichen Lebensstils gehen (2), sind Änderungen der körperli- chen Aktivität, der Ernährung, bei Stress und Suchtmitteln vorrangig.

Instrumenten zur Qualitätsbeurtei- lung in Rehaeinrichtungen wie

„Leitfaden zum Entlassungsbericht“,

„Beurteilung im Peer Review“

oder „Rehabilitandenbefragung“

ist jedoch zu entnehmen, dass In- halte zur Diagnostik und Therapie von Krankheiten im Vergleich zu Inhalten von Krankheitsfolgen weit im Hintergrund stehen.

Kommen also die Kostenträger ihrem gesetzlichen Auftrag nicht nach? Die Aufgabe der Rehabilitati- on ist im § 9 Absatz 1 Sozialgesetz- buch (SGB) V und § 26 SGB IX formuliert:

eine chronische Krankheit, Behinderung, Erwerbsunfähigkeit, Pflegebedürftigkeit zu bessern be- ziehungsweise zu verhindern

eine Wiedereingliederung in Beruf und Gesellschaft zu fördern

Zweifelsohne ist es Auftrag der Kostenträger, auf die Entwicklung von chronischer Krankheit und Be- hinderung Einfluss zu nehmen, im Grunde ist es die Hauptaufgabe. Die Rehabilitation hat sich demnach nicht nur um die Krankheitsfolgen zu kümmern, sondern auch um die Sekundärprävention (Verhinderung von Krankheiten) und Tertiärpräven- tion (Verhinderung von Organschä- den); auch in § 3 SGB IX wird der Prävention Priorität eingeräumt.

Doch wie muss eine effektive Rehabilitation aussehen? In den letzten Jahren wurde in Deutsch- land eine umfangreiche Rehabi- li tationsforschung etabliert. Bei den jährlich seit 1991 stattfindenden Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquien der DRV treffen sich mehr als 1 000 Rehawissenschaftler – vor allem Ärzte, Psychologen, Soziologen, Verwaltungsfachleute – und berichten drei Tage lang über Forschungsergebnisse. In den Jah- ren 1998 bis 2002 und 2001 bis 2005 wurde ein Förderschwerpunkt

„Rehabilitationswissenschaften“ in acht Forschungsverbünden mit ei- nem Fördervolumen von 41 Millio- nen Euro geschaffen (3).

Was aber wird erforscht und wie?

Die Forschung konzentriert sich auf die Versorgungsforschung (Reha- systeme, Evaluation, Ökonomie, Patientenmotivation, Krankheitsbe-

wältigung, -verlauf und -folgen, Nachsorge). Durchgeführt wird sie vorwiegend an Rehaforschungsin- stituten, die in den letzten Jahren zahlreich geschaffen wurden und meistens von Sozialwissenschaft- lern geleitet werden. Die Renten- versicherung hat auch Stiftungslehr- stühle eingerichtet.

Rehaforschung auf niedrigem Niveau

Das Forschungsniveau befindet sich trotz großen finanziellen Aufwands immer noch auf niedrigem Niveau.

Bisher ist keine einzige Publikation mit einem hohen Evidenzgrad er- schienen. Es fehlen randomisierte beziehungsweise gut kontrollierte Studien zur Effektivität der Reha - bilitation. Wissenschaftlich ist es nicht gelungen darzustellen, dass Rehabilitation das Renteneintrittsal- ter herabsetzt, Zeiten von Arbeits- unfähigkeit reduziert, Pflegebedürf- tigkeit mindert und Morbidität und Mortalität senkt. Bei manchen Indi- kationen (zum Beispiel Kardiolo- gie) kann man bei Maßnahmen zur Tertiärprävention auf internationale Studien mit hohem Evidenzgrad zurückgreifen. In der Orthopädie, Neurologie und Psychosomatik feh- len sie jedoch weitgehend.

Die Rehaforschung wird gemäß dem Rehaverständnis (Teilhabestö- rung) der Rentenversicherung vor-

GRAFIK

Kontinuum von chronischen Krankheiten: Progression – Maßnahmen – Progression Lebensstil – Umwelt – Genetik

Akute Krankheit – Unfall

Gefährdung der Erwerbsfähigkeit Progression

Dekompensation

Rehabilitation HV oder AHB Chronische Krankheit

Behinderung

Niedergelassener

Arzt Rehanachsorge Akut-

krankenhaus

Niedergelassener Arzt Ohne Kooperation

geht es nicht:

Chronisch Kranke brauchen eine gute Vernetzung.

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wiegend von Sozialwissenschaft- lern ohne Kontakt zu Rehabilitan- den und Ärzten außerhalb der Rehabi litation betrieben. Mitunter werden auch Studien in Koope - ration mit Rehaklinikern durch - geführt, selten jedoch unter deren Leitung. In der Rehaforschung wird daher die in der Medizin tra - ditionsgemäße Einheit von For- schung, Krankenversorgung und Lehre nicht verfolgt – mit den er- wähnten Folgen. Versäumt wurde in den letzten Jahren zudem, die Rehabilitationsmedizin an Univer- sitäten zu etablieren – mit stationä- rer und ambulanter Rehabilitanden- behandlung, wissenschaftlicher Er- arbeitung von Therapie- maßnahmen und Studieren- denunterricht.

Nicht nur die Rehafor- schung hat ein Image der Zweitklassigkeit. Auch die Rehabilitation selbst ge- nießt kein großes Ansehen. Wenn- gleich im SGB und bei der DRV seit vielen Jahren nicht mehr von

„Kur“ die Rede ist, ist sie in der Vorstellung der Patienten weiterhin präsent. Bereits bei der Aufnahme- untersuchung wird oft deutlich, dass viele Rehabilitanden vorwie- gend Ruhe und Erholung suchen und passive Behandlungen erwar- ten. Der Therapiebeginn solle am mittleren Vormittag und der Nach- mittag frei von Therapien sein. Ei- ne solche Haltung steht der Rehabi- litation mit Behandlungszielen wie

„Hilfe zur Selbsthilfe“ und „Selbst- management“ entgegen. Rehabili- tanden sprechen nicht nur von

„Kur“, sie haben sie auch verinner- licht (5, 6).

Strikte Trennung von „Kur“

und Reha ist überfällig

Unterstützt wird diese Sicht oft von einem breiten Angebot an Wellness und einem Klinikambiente eines Nobelhotels. Der Neubau von Dut- zenden von Rehakliniken an Ost- seestränden, Seen und Mittelgebir- gen nach der Wiedervereinigung unterstützt das Kur- und Wellness- konzept, auch die „Verschickung“

von Patienten in wohnortferne Re- hakliniken assoziiert – von milieu- therapeutischen Gesichtspunkten in

manchen Fällen abgesehen – „Kur- laub“. Insbesondere Krankenkassen werben mit Slogans zum „Wohl- fühlen“ – als ob dies das wichtigste Behandlungsziel wäre. Versäumt wurde auch, Rehakliniken wohn- ortnah anzusiedeln – mit praktika- blen Konzepten zur Nachsorge.

Die von den Kostenträgern vorge- gebene und kaum modifizierbare Aufenthaltsdauer von drei Wochen ist ebenfalls ein Relikt der Kur. Wer kann denn in Unkenntnis der Krank- heit/Behinderung, der Persönlichkeit des Rehabilitanden und seiner sozia- len Umstände vor Antritt der Maß- nahme die Dauer festlegen? Anzu- nehmen, ein sinnvoller Rehaprozess

ließe sich bei allen Patienten in der gleichen Zeit etablieren, ist nicht ge- rechtfertigt. Wie bei einem Akut- kranken muss auch bei einem chro- nisch Kranken die Behandlungsdau- er flexibel sein; eine seit Jahren überfällige und immer wieder von Rehamedizinern geforderte Ände- rung (1). Überfällig ist seit Jahren die strikte Trennung von „Kur“ und Rehabilitation durch Informations- kampagnen der Kostenträger. Die ortsgebundenen Heilmittel der Kur in Badeorten entsprechen in fast al- len Fällen nicht einer evidenzbasier- ten Medizin.

Die Behandlungsqualität spielt in der Rehabilitation eine immer wichtigere Rolle. Rehaeinrichtun- gen sind gemäß § 20 SGB IX zu einem Qualitätsmanagement ver- pflichtet und müssen sich einem Zertifizierungsverfahren unterzie- hen. Fast alle Rehakliniken haben mit großem Aufwand inzwischen diese Auflagen erfüllt. Doch wor - auf beziehen sich die Zertifizierun- gen? Im Fokus stehen Prozesse zur Diagnostik und Therapie, nicht je- doch Inhalte zur Struktur der Kli- nik und Behandlungsergebnisse.

Ein Stationsarzt, der zum Beispiel einen Patienten im vorgegebenen Zeitrahmen aufnimmt und das Auf- nahmediktat im Sekretariat zeitge-

recht abgibt, erfüllt voll die Quali- tätsvorgaben – auch wenn er zum Beispiel falsche Diagnosen stellt oder ungeeignete Therapien ver- ordnet. In der Rehabilitation – wie in der Medizin allgemein – ist Qua- lität schwer zu fassen. Eine Pro- zessoptimierung ist allerdings nur ein Teil, wahrscheinlich nicht der wichtigste. Im SGB IX steht, dass die „Qualität der Versorgung ge- währleistet und kontinuierlich ver- bessert“ werden solle. Von der Priorität verbesserter Prozesse ist dort nicht die Rede.

Die DRV erarbeitet seit einiger Zeit auch Leitlinien zu verschiede- nen Aspekten der Rehabilitation (6).

Die Leitlinien, die mittlerweile The- rapiestandards heißen, werden pri- mär durch Mitarbeiter der Renten- versicherung ohne oder in Koope- ration mit einem externen Institut erstellt und danach zur Modifikati- on unter anderem auch an Rehame- diziner weitergeleitet. Bisher wer- den solche Leitlinien nicht von der Arbeitsgemeinschaft der Wissen- schaftlichen Medizinischen Fach- gesellschaften akkreditiert. Welche Vorstellungen hat die DRV von Neutralität und Qualität, wenn sie annimmt, Kostenträger können die- ses Qualitätsinstrument erstellen?

Erfolge nimmt die Fachwelt meist nicht zur Kenntnis

All diese Entwicklungen tragen da- zu bei, dass die Rehabilitation ein Imageproblem hat. Positive Ent- wicklungen und Erfolge werden auch in der Fachwelt kaum wahrge- nommen. Wenig bekannt sind die Fortschritte in der Behandlung und Versorgung chronisch Kranker und Behinderter in den letzten Jahren. In den meisten Einrichtungen wird ein krankheitsadäquates biopsychoso- ziales Krankheitskonzept verwirk- licht, was sich in multiprofessionel- len Behandlungsteams zeigt (7).

Auch die Vernetzung von medizini- scher mit beruflicher Rehabilitation bringt Vorteile für den Betroffenen.

Vermittelt ein niedergelassener Arzt einen Patienten mit chronischen Rü- ckenschmerzen in eine Rehabilitati- on, kann er davon ausgehen, dass er nicht nur von einem Orthopäden un- tersucht wird, sondern dass bei Hin-

Bei der Frage nach Qualität stehen bisher die Prozesse im Vordergrund –

nicht die Behandlungsergebnisse.

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A 1256 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 25

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25. Juni 2010 weisen auf eine psychosomatische

Krankheitskomponente ein Psycho- loge hinzugezogen wird und bei Schwierigkeiten am Arbeitsplatz ein Sozialpädagoge vermittelt. Diese Leistung kann kein niedergelassener Orthopäde erbringen.

Vorbildlich ist in den meisten Re- hakliniken die Gesundheitsbildung in umfassender Form: Informationen (Ursachen, Folgen und Therapie der Krankheit), Krankheitsbewältigung, Gesundheitstraining (zum Beispiel Rückenschule, Lehrküche, Raucher- entwöhnung). Vermittelt werden Re- habilitanden somit Kenntnisse und Fähigkeiten zum Selbstmanagement der Krankheit mit der Option, selbst aktiv zu werden und Krankheit nicht nur als Schicksal zu erleben (Em - powerment).

Nachsorge im Anschluss an die Reha greift kaum

Bei multimorbiden Patienten – in der Rehabilitation ist das die Regel – werden üblicherweise alle Einzel- krankheiten behandelt. In großen Rehakliniken existieren mehrere Fachabteilungen, in kleineren beste- hen Kooperationen mit Kliniken am Ort oder mit niedergelassenen Ärz- ten. Wenngleich ein multimorbider Patient auch von mehreren nieder- gelassenen Ärzten gleichzeitig und effektiv behandelt werden kann, zeigt die Realität, dass dies auf- grund von Barrieren oft nicht oder nur unzureichend stattfindet.

Für Rehabilitationsmediziner be- steht kein Zweifel daran, dass die Betreuung chronisch Kranker und Behinderter durch Rehabilitations- einrichtungen notwendig ist. Um ih- rer Aufgabe sinnvoll nachgehen zu können, bedarf es jedoch tiefgreifen- der Änderungen im Gesundheitssys- tem. Das vorrangige Problem ist nicht – wie oft vermutet – die Versor- gungsqualität in Rehaeinrichtungen, sondern vielmehr deren Einbindung in unser Gesundheitssystem.

Rehabilitationskliniken werden als Spezialkliniken für chronisch Kranke und Behinderte benötigt, weil die Versorgung durch Kranken- häuser und niedergelassene Ärzte nicht ausreicht. Sie werden jedoch als solche im Regelfall nicht wahr- genommen. Die Folge davon ist eine

Verschwendung von Ressourcen und Chancen: Manche Patienten gelangen nicht zur Reha, obwohl sie davon profitieren würden; ande- re wurden in Rehakliniken optimal für ihre chronische Krankheit „ge- rüstet“, die Therapie wird jedoch nach der Entlassung nicht fort- gesetzt. Um Letzteres zu verhin- dern, hat die Rentenversicherung ein breitgefächertes Nachsorgepro- gramm etabliert. Obwohl die ange- botenen Maßnahmen sinnvoll sind (zum Beispiel Herzgruppen), wer- den sie wenig befolgt. Das größte Problem ist jedoch, dass die Pro- gramme vorwiegend von gesund- heitsbewussten und aktiven Patien- ten wahrgenommen werden. Die ei- gentliche Zielgruppe – Personen, die nur schwer für Verhaltensänderungen zu gewinnen sind – bleibt außen vor.

Völlig unverständlich ist in die- sem Zusammenhang die seit Januar 2008 geltende Rechtslage (§ 17 SGB IX), wonach jeder chronisch Kranke und Behinderte Maßnah- men zur Rehabilitation selbst „ein- kaufen“ kann (persönliches Bud- get). Wenn ein ungesunder Lebens- stil in 80 Prozent der Fälle die Ur- sache für die Gesundheitsschädi- gung ist (2), wird sich ein chronisch Kranker mit Verhaltensdefiziten hinsichtlich Rauchen, Alkohol, Be- wegungsmangel und Fehlernährung

wohl eher eine Klinik aussuchen, in der er mit seinen Unzulänglichkei- ten nicht konfrontiert wird. Wie wird man dort mit ihm umgehen, wenn an seiner Anwesenheit wirt- schaftliches Interesse besteht? Wird dieser Rehabilitand die wohnortna- he Nachbetreuung im Auge haben?

Maßnahmen zur Änderung des Le- bensstils sind bei den Betroffenen nicht immer beliebt. Für die Kosten ineffektiver Behandlungen in einer solchen Konstellation will sicher- lich die Solidargemeinschaft nicht aufkommen. Der Gesetzgeber hat diesen – wohl wichtigen – Aspekt offenbar nicht bedacht.

Chronisch Kranke und Behinder- te müssen in einem Kontinuum ver- sorgt werden, in dem die Behand- lung durch niedergelassene Ärzte, Akutkrankenhäuser und Rehaein- richtungen netzartig verbunden ist.

Hinderlich bei diesem Vorhaben ist die Zuständigkeit von zwei Minis- terien: das Arbeitsministerium für die Rehabilitation der Rentenversi- cherung und das Gesundheitsminis- terium für niedergelassene Ärzte und Krankenhäuser. Um eine sinn- volle Vernetzung der Rehabilitation im Gesundheitssystem zu gewähr- leisten, sollte eine gesetzliche An- passung vorgenommen werden.

Die medizinischen Aufgaben im SGB V und SGB IX überlappen sich vorwiegend in Bereichen der Se - kundär- und Tertiärprävention. Die DRV betreibt die medizinische Re- habilitation – was die Krankheitsfol- gen betrifft – weit umfassender und auf qualitativ höherem Niveau als die Krankenkassen. Eine erfolgrei- che medizinische Rehabilitation ist jedoch ohne die Einflussnahme auf chronische Krankheiten nicht mög- lich. Die gesetzlich fixierte Sekun- där- und Tertiärprävention durch zwei Kostenträger ist ein hausge- machtes politisches Problem, das dringend einer Korrektur bedarf.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2010; 107(25): A 1253–6

Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Alfred Wirth Sonnenhang 1 a 49214 Bad Rothenfelde E-Mail: wirthbr@t-online.de

@

Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit2510

Vernetzung: Niedergelassene Ärzte und Betriebsärzte besser in die Rehanachsorge einbinden; Hürden bei der Verordnung von Rehamaßnahmen beseitigen

Krankheitskonzept: Wirksame Primär-, Sekundär-, und Tertiärprävention umsetzen; Rehadauer flexibilisie- ren; im Fokus chronische Erkrankungen

Rehaforschung: Mehr Therapieforschung; Forschungs- niveau erhöhen; Rehaforschung und entsprechende Kliniken an medizinischen Fakultäten etablieren

Qualität: Fokus der Qualitätssicherung auf Ergebnis- qualität, nicht auf Prozesse; Erstellung der Leitlinien von Fachgesellschaften, nicht von Kostenträgern

„Kur“ und Wellness: Konsequente Unterscheidung von Wellness und Kur sowie Rehakonzepten

Politik: Zuständigkeit eines Ministeriums für die Reha- bilitation (bisher sind Arbeits- und Gesundheitsministe- rium verantwortlich); Fehlanreize durch das Persönliche Budget kritisch überprüfen

WAS SOLLTE SICH ÄNDERN?

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LITERATURVERZEICHNIS HEFT 25/2010, ZU:

MEDIZINISCHE REHABILITATION

Bessere Vernetzung notwendig

Die Bedeutung der Rehabilitation wächst. Trotzdem führen die

Reha-Einrichtungen im Gesundheitswesen noch immer ein Inseldasein.

Alfred Wirth, Gernot Klein, Hans-Joachim Lepthin

LITERATUR

1. Koch U, Müller-Fahrnow W, Raspe HH, Schuntermann MF, v. Stetten P, Wirth A: Re- habilitation von chronisch Kranken und Be- hinderten. Dtsch med Wschr 1998;

123:333–35.

2. Willett, WC: Balancing life-style and ge- nomics research for disease prevention.

Science 2002; 296:695–98.

3. Pimmer V, Buschmann-Steinhage R: For- schung in der Rehabilitation. Hrsg: Deut- sche Rentenversicherung Bund 2009;61.

4. Wirth A: Rehabilitation statt Kur. Dtsch Ärz- teblatt 1990; 87 (30): A 2298–300.

5. Wirth, A: Kur oder Rehabilitation? Dtsch Ärzteblatt 1995; 92 (28): A 582–87.

6. Schliehe F, Greitemann B, Kopp I, Jäckel HW: Leitlinien in der medizinischen Rehabi- litation – Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Rehabilitationswissen- schaften 2009.

7. Halhuber MJ: Gesundheitserziehung im Rahmen der kardiologischen Rehabilitation.

Fortschritte der Medizin 1978; 96:

1107–52

Referenzen

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