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Archiv "Mammographie: Für ein Screening fehlt die wissenschaftliche Grundlage" (26.10.2001)

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m Donnerstag war die Welt noch in Ordnung. Alle fünf Fraktionen im Bundestag forderten überein- stimmend die Einführung eines natio- nalen Mammographie-Programms zur Früherkennung von Brustkrebs (dazu auch „Seite eins“ in diesem Heft). „Es gibt wenige Früherkennungsmaßnah- men, deren Nutzen so gut belegt ist“, sagte Helga Kühn-Mengel (SPD) – und die Sprecher der anderen Fraktionen stimmten zu. In der Tat haben in den letzten 30 Jahren eine halbe Million Frauen an sieben Mammo-

graphiestudien teilgenom- men. Nach den bisherigen Analysen dieser Studien kann die Röntgenuntersu- chung die Brustkrebsmorta- lität für Frauen im Alter zwischen 50 und 70 Jahren um „20 bis 30 Prozent“ sen- ken, heißt es im Antrag der Regierungskoalitionen. Die Zahl von derzeit jährlich

„rund 17 000“ Brustkrebs- opfern in Deutschland kön- ne so „um 3 500“ verringert werden. Allerdings war die- se Rechnung bereits freitags wieder infrage gestellt.

Noch in derselben Nacht konnte man aus dem Internet erneute Analysen derselben Mammographie-Studien ab- rufen, die zu ganz anderen Schlussfol- gerungen kommen: „Es gibt keine ver- lässliche Grundlage, dass Früherken- nung durch Mammographie das Risiko einer Frau verringert, an Brustkrebs zu sterben“, schreiben Dr. Ole Olsen und Dr. Peter Götzsche vom Cochrane Zen- trum in Kopenhagen in zwei Arbeiten, die auf den Internet-Seiten des „Lan-

cet“ (www.thelancet.com) und der Coch- rane-Library (www.cochranelibrary.net/

Cochrane/issues.htm) veröffentlicht sind. Richard Horton, Chefredakteur des Lancet, war der Erste, der sich hin- ter diese Schlussfolgerung stellte und die Früherkennungsprogramme angriff – wie sie in England, Schweden, Holland und den USA bereits existie- ren. „Es gibt keine Daten aus großen randomisierten Studien, die Mammo- graphie-Screening-Programme stüt- zen“, so Horton.

Die öffentliche Reaktion fiel bisher allerdings verhalten aus. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Kritik nicht neu ist. Bereits im Januar 2000 hatten Götzsche und Olsen ebenfalls im Lan- cet skizziert, dass sie die Studien nicht für zuverlässig halten (DÄ, Heft 42/

2000). Ihre jetzt erschienenen Arbeiten liefern die ausführliche Begründung nach. Der zweite Grund: Die Kritik lässt sich nicht schnell beantworten;

Experten werden einige Zeit mit der

Prüfung der Argumente beschäftigt sein; die eine Version ist 46, die andere 73 Seiten lang. Dafür spricht auch, dass die Cochrane Collaboration überhaupt eine der beiden Versionen veröffent- licht hat.

Die internationale Vereinigung er- stellt seit 1992 qualitativ hoch stehende Reviews und Meta-Analysen. Aller- dings haben die Cochrane-Gutachter Teile der Arbeit von Götzsche und Ol- sen herausgestrichen und an anderen Stellen zusätzliche Angaben gefordert.

Weil sie damit unzufrieden waren, ha- ben die Dänen ihre Original-Version zusätzlich beim „Lancet“ eingereicht.

Allerdings sind die beiden Versionen in der zentralen Kritik an den Mammo- graphie-Studien weitgehend identisch.

Olsen und Götzsche haben bei ihrer Suche insgesamt sieben Mammogra- phie-Studien gefunden. Die Beurtei- lung der Qualität fiel ernüchternd aus.

Keine erfüllt alle Qualitätskriterien, zwei hatten „mittlere“ Qualität, drei waren von „schlechter“ Qualität und zwei waren „fehlerhaft“. Dann analy- sierten sie getrennt für jede Qualitäts- stufe, wie sich Mammogra- phie-Screening auf die Brustkrebsmortalität aus- wirkte: In den zwei Stu- dien mit mittlerer Qualität hatte Mammographie kei- nerlei Nutzen. Lediglich in den drei Studien mit

„schlechter“ Qualität schie- nen die Röntgenuntersu- chungen das Risiko, an Brustkrebs zu sterben, um etwa 30 Prozent zu ver- ringern.

In der Cochrane-Versi- on ihrer Kritik haben die Dänen diese fünf Studien zudem gemeinsam ausge- wertet. In dieser Analyse verringert sich die Brustkrebssterblichkeit nach 13 Jahren um 20 Prozent. Diese Berech- nungen fehlen in der Lancet-Version.

„Wir bezweifeln, dass diese Reduktion alleine ein Effekt der Mammographie ist“, sagt Olsen, „der Unterschied könn- te zum Großteil auf Verzerrungen durch methodische Fehler beruhen.“

Um herauszufinden, ob das Scree- ning tatsächlich Leben gerettet hat oder ob sich nur die Todesursachen verscho- P O L I T I K

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A2780 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 43½½½½26. Oktober 2001

Mammographie

Für ein Screening fehlt die wissenschaftliche Grundlage

Eine neue Publikation zieht die politische Forderung nach der Einführung von Mammographie-Reihenuntersuchungen zur Früherkennung von Brustkrebs in Zweifel.

In Deutschland – unter anderem in Bremen – laufen derzeit einige Modell- projekte zum Mammographie-Screening. Foto: David Hecker/ddp Medizinreport

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ben haben, haben die Dänen deshalb auch Veränderungen in der Gesamt- sterblichkeit analysiert. Tatsächlich zeigte keine der Studien eine Verände- rung der Gesamtmortalität. Götzsche:

„Es gab nicht einmal einen positiven Trend.“ Freilich ist offen, ob die Mam- mographie wirklich keinen Effekt auf die Gesamtsterblichkeit hatte. Möglich ist auch, dass die Mammographie zwar die Brustkrebsmortalität verringerte, aber das Risiko erhöhte, an anderen Todesursachen zu sterben. Schließlich könnten die Studien schlicht zu klein gewesen sein, um einen Effekt auf die Gesamtsterblichkeit nachweisen zu können.

Götzsche und Olsen kalkulieren denn auch, dass dieser Nachweis eine Studie an bis zu 2,4 Millionen Frauen erfordern würde. Diese Zahl macht klar, dass die Antwort wohl nie sicher zu bekommen sein wird. Eine Alterna- tive lautet deshalb, zumindest die Ori- ginaldaten der Probandinnen in den vorhandenen Studien neu und nach ein- heitlichen Kriterien zu analysieren, um zumindest einige Verzerrungen zu eli- minieren.

Fachwelt wird ausdrücklich zu Kommentaren aufgefordert

International gibt es bereits seit länge- rem Stimmen, die solch ein Projekt for- dern. Mike Clark: „Nur so bekommen wir eine möglichst zuverlässige Ant- wort.“ Allerdings weigerten sich bis- lang wohl einige der Studienleiter, mit- einander zu kooperieren. Man darf oh- nehin gespannt sein, wie die Leiter der Studien nun auf die harsche Kritik der Dänen reagieren.

Die Cochrane Collaboration und das Lancet haben ausdrücklich zu Kom- mentaren aufgefordert. Einer der er- sten kam von Dr. Stephen Duffy vom Imperial Cancer Research Fund, der an der Auswertung der Two-Country-Stu- die seit Jahren mitarbeitet: „Dass die Analyse fünf von sieben Studien aus- schließt, deren Ergebnisse Mammogra- phie-Screening unterstützen, ist nicht gerechtfertigt“, schreibt Duffy. „Und der Glaube, die Gesamtsterblichkeit sei ein besseres Kriterium für den Erfolg des Mammographie-Screenings, ist si-

cher nicht berechtigt. Screening soll Tod durch Brustkrebs verringern, nicht Tod durch Herzinfarkte oder Verkehrs- unfälle.“

Abzuwarten bleibt jetzt, wie sich Ol- sen und Götzsches Kritik auf die derzeit in Deutschland laufende Diskussion um die Einführung eines nationalen Mam- mographie-Screening-Programms aus- wirken wird. Politiker, Ärzte- und Frau- enverbände waren sich bislang in der Mehrzahl einig, dass ein Früherken- nungs-Programm kommen soll, Streit herrscht eher um das Wie und Wann (DÄ, Heft 42/2000).

„Die Situation ist nicht einfacher ge- worden“, sagt Professor Klaus-Dieter Schulz von der Deutschen Gesellschaft für Senologie: „Es wird aber zuneh- mend klar, dass Früherkennung alleine mit klassischem Mammographie-Scree- ning problematisch ist.“ Schulz führt ein weiteres Argument für Screening an, auf das Götzsch und Olsen nicht eingehen. In England, den USA und den Niederlanden ist nach oder mit der Einführung der nationalen Screening- Programme die Brustkrebssterblich- keit gesunken.

Natürlich ist das kein Beweis für den Nutzen des Screenings, Ursache könn- ten ebenso gut Verbesserungen der Therapie sein. Viele Experten gehen von einer Kombination aus: Früh- erkennungs-Programme erzwingen ei- ne strenge Qualitätssicherung und ver- stärkte Kooperationen zwischen Ärzte- gruppen – das sind Verbesserungen, die auch den Frauen zugute kommen, die nicht am Screening teilnehmen.

Bezeichnend für die deutsche Situa- tion ist, mit welchen Argumenten sich der „Sachverständigenrat für die kon- zertierte Aktion im Gesundheitswe- sen“ in seinem Gutachten „2000/2001“

für die Einführung eines flächen- deckenden qualitätsgesicherten Mam- mographie-Screenings ausspricht: „Ein entscheidendes Zusatzargument ist die Vermeidung von Schäden und Ko- sten, die durch das in Deutschland bis- lang außerhalb von qualitätsgesicher- ten Programmen durchgeführte ,graue‘

Mammographie-Screening verursacht werden.“

Vom Nutzen der Methode über- zeugte Ärzte bieten auch ihren Patien- tinnen bereits heute eine „Früherken-

nungs-Mammographie“ an, rechnen sie aber als „kurative“ Mammogra- phie bei den Kassen ab. Von jährlich

„zwei bis vier Millionen“ solcher ver- deckten Screening-Mammographien geht der Sachverständigenrat aus.

Weil diese Untersuchungen oft ohne ausreichende Qualifikation der Ärzte stattfinden, rechnen die Sachverstän- digen pro Jahr mit etwa 200 000

„falschpositiven“ Befunden und etwa 100 000 überflüssigen Biopsien. Erst jetzt sollen Kassenärzte eine Prüfung ablegen und sich jährlichen Kontrol- len unterwerfen, wenn sie mammogra- phieren wollen; aber auch diese Re- gelung bleibt hinter internationalen Standards zurück.

Sachverständigen halten den individuellen Nutzen für gering

Zum leichtfertigen Umgang mit der Mammographie trägt auch bei, dass Ärzte und Frauen die Methode über- schätzen. Selbst wenn man einmal an- nimmt, dass die „20 bis 30 Prozent“

Verringerung der Brustkrebsmortalität stimmen würde, wäre die Bilanz der Mammographie ausgesprochen heikel.

Nach Zahlen aus dem niederländi- schen Screening-Programm müssen von 1 000 Frauen im Alter zwischen 50 und 70 Jahren ohne Screening inner- halb von zehn Jahren zehn damit rech- nen, an Brustkrebs zu sterben; mit Screening wären es sieben. Mit ande- ren Worten: Von 1 000 Frauen haben nach zehn Jahren nur drei einen Vorteil (DÄ, Heft 45/2000), die übrigen 997 riskieren Nachteile wie falschpositive Diagnosen.

Die Sachverständigen ziehen das Fazit: „Die bislang vorliegenden Er- gebnisse zeigen sehr deutlich, dass der durchschnittliche individuelle Nutzen eines bevölkerungsweiten Mammo- graphie-Screenings gering ist. Nur ei- ne kleine Zahl von Frauen profitiert tatsächlich von einem Screeningpro- gramm. Zudem ist der Grat zwischen erwartetem Nutzen und Schaden selbst bei hervorragenden, qualitäts- gesicherten Mammographieprogram- men sehr schmal.“ Sollten Olsen und Götzsche Recht haben, wird er noch

schmaler. Klaus Koch

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A2782 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 43½½½½26. Oktober 2001

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