POLITIK LEITARTIKEL
Arzneimitteloudget
Kassenärzte lehnen jetzt die Budgetverantwortung ab
Der Streit um die Arznei- und Heilmittelbudgets wird mit hoher Wahrscheinlichkeit vor den Sozialgerichten ausge- tragen. Weil die Krankenkassen nicht in der Lage sind, den Kassenärztlichen Vereinigungen fristgerecht die für die Budgetsteuerung notwendigen arztbezogenen Verord-
nungsdaten zu liefern, lehnen die niedergelassenen Ärzte nunmehr die Budgethaftung ab. Vor der Presse in Bonn kündigte der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundes- vereinigung, Dr. med. Winfried Schorre, Feststellungskla- gen Kassenärztlicher Vereinigungen gegen die Budgets an.
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er „Blindflug" der rund 110 000 Kassenärzte in ein Budgetchaos soll ein Ende ha- ben. Über Monate hinweg hatte die Kassenärztliche Bundesver- einigung (KBV) die Lieferung der arztbezogenen Verordnungsdaten durch die Krankenkassen vergeblich angefordert. Jetzt zieht die KBV dar- aus die Konsequenzen und lehnt die Budgetverantwortung ab. Die Kas- senärztlichen Vereinigungen wollen von den zuständigen Sozialgerichten feststellen lassen, daß die Arznei- und Heilmittelbudgets aufgrund der aus- gebliebenen Datenlieferung rechtlich keinen Bestand haben. Zugleich wäre damit die Erstattungspflicht bei der Überschreitung der Budgets hinfällig.Seitdem das Arznei- und Heil- mittelbudget besteht, hat sich an der fatalen Lage nichts geändert. Einer- seits dürfen die niedergelassenen Ärzte insgesamt nicht mehr verord- nen, als das Budget hergibt, anderer- seits fehlen den KVen diejenigen Da- ten, die eine rechtzeitige Steuerung des Verordnungsverhaltens über- haupt erst möglich machen.
Bislang kamen die ersten Rück- meldungen der Krankenkassen frühe- stens sechs Monate nach Ende des je- weiligen Quartals — viel zu spät, um noch regulierend eingreifen zu können.
Im laufenden Jahr sollte dies eigentlich anders werden, denn die Krankenkas- sen hatten den Kassenärztlichen Verei- nigungen Anfang des Jahres zugesagt, die regionalen arztbezogenen Verord-
nungsdaten kurzfristig zur Verfügung zu stellen. Konkret: Bis zum 26. Juli sollten die Informationen über das er- ste Quartal vorliegen.
Knapp eine Woche vor Ablauf dieser Frist teilten die Spitzenverbän- de der KBV jedoch mit, daß sie ihre Zusage nicht einhalten können. Die regionalen Global-Daten für das erste Quartal sollten nunmehr erst Ende August oder Anfang September zur Verfügung stehen. Mit den für die in- dividuelle Budgetsteuerung so be- deutsamen arztbezogenen Daten sei — wenn überhaupt — nicht vor Dezem- ber zu rechnen.
„Striktes Tempolimit ohne Tacho"
„Das akzeptieren wir nicht mehr", reagierte der für Arzneimit- telfragen zuständige stellvertretende Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. med. Peter Schwoerer, auf die Nachricht. „Man schickt uns mit einer strikten Ge- schwindigkeitsbegrenzung im Nebel auf die Autobahn, ohne uns einen Ta- cho mitzugeben."
Schorres Antwort auf den Kas- senbrief: „Damit fällt die Budgetver- antwortung für das Jahr 1995 auf die Krankenkassen zurück." Unter den gegebenen Umständen sei ein sachge- rechtes Budgetmanagement nicht einmal ansatzweise möglich. Nach wie vor wolle sich die Kassenärzteschaft
jedoch nicht ihrer Mitverantwortung für eine wirtschaftliche Verordnungs- weise entziehen, betonte der KBV- Vorsitzende. Schorre kündigte in die- sem Zusammenhang verstärkte Ap- pelle an die niedergelassenen Ärzte an, ihre Verordnungen einer noch strengeren medizinischen Indikati- onsstellung zu unterziehen. Auch die Pharmakotherapieberatung soll aus- gebaut werden.
Ob damit die befürchtete Bud- getüberschreitung von mehr als drei Milliarden DM verhindert werden kann, ist fraglich. Wie auch immer Den Optimismus, den Bundesgesund- heitsminister Horst Seehofer noch am 27. Juli in Sachen Arzneimittel- budget in Bonn verbreitet hat („Wir haben die Arzneimittelausgaben un- ter Kontrolle"), teilt die KBV nicht.
Für sie trifft eher das Gegenteil zu, wenngleich die Kassen in einer ersten Reaktion auf die Ankündigung der KBV von einer „unnützen Diskussi- on" um Datenlieferungen und angeb- liche Informationsdefizite sprechen.
Interessanterweise sind die Er- satzkassen nicht als Mitverfasser der Gegenäußerung aufgeführt. Auf zwei Seiten müht sich hauptsächlich der AOK-Bundesverband um Wider- spruch, allerdings nur mit mäßiger Überzeugungskraft. An keiner Stelle heißt es, daß die Kassen — entgegen der KBV-Darstellung — in der Lage wären, die erforderlichen Daten in- nerhalb der zugesagten Frist zu lie- fern . . . Josef Maus Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 33, 18. August 1995 (13) A-2163