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Archiv "Menschenwürde: „Dasein um seiner selbst willen“" (09.05.2003)

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T H E M E N D E R Z E I T

A

A1246 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 199. Mai 2003

D

ie Fortschritte, die Biomedizin und Biotechnologie innerhalb ei- ner Generation gemacht haben, nehmen sich atemberaubend aus. Eini- ge Beispiele: Befruchtung und frühe Keimentwicklung beim Menschen kön- nen heute extrakorporal stattfinden, gentechnologische Eingriffe können an den Zellkernen eines Embryos vorge- nommen werden. Es ist nicht mehr Uto- pie, sondern reale Möglichkeit, im Blick auf die Nachkommenschaft Selektion zu betreiben, die auf erwünschte Merk- male abstellt.Auch die Keimbahnthera- pie und das so genannte therapeutische Klonen sind nicht mehr ausgeschlossen.

Diese nahezu unbegrenzten Mög- lichkeiten, die sich mit den Erkenntnis- sen der Biomedizin, der Bio- und Gen- technologie eröffnen, verdeutlichen die Frage nach Haltepunkten und Orientie- rungen im Hinblick auf die Art und Weise und die Grenzen, wie Menschen miteinander umgehen und das Zusam- menleben gestalten wollen. Dies gilt umso mehr, als sich die neuen Möglich- keiten keineswegs nur mit ökonomi- schen Verwertungsinteressen, sondern ebenso mit großen Erwartungen für den medizinischen Fortschritt verbin- den. Wo lassen sich solche Haltepunkte und Orientierungen finden?

Das Grundgesetz proklamiert das Grundrecht auf Leben und die Unan- tastbarkeit der Menschenwürde. Dass diese Garantien als rechtlich verbindli- che Garantien vorhanden sind, ist kein Zufall. Es waren die Erfahrungen aus der NS-Zeit, die dazu führten, dass ge- rade die Unverletzlichkeit und das Ach- tungsgebot der Menschenwürde sowie das Grundrecht auf Leben in das Grundgesetz aufgenommen wurden.

Die Anerkennung und Achtung der Würde des Menschen wurde bewusst an den Anfang des Grundgesetzes ge- stellt. Sie sollte das (normative) Funda-

ment der neu zu errichtenden staatli- chen Ordnung verdeutlichen, damit sich das, was während der NS-Herr- schaft an Erniedrigung der Menschen, an Verletzung ihres Rechts, ihrer Frei- heit, ihrer Würde geschehen war, nicht mehr wiederholen könne. Und man ließ es nicht dabei, die Unantastbarkeit der Würde des Menschen nur zu prokla- mieren, vielmehr fügte man dieser Pro- klamation den Satz an: „Sie zu achten und zu schützen ist Aufgabe aller staat- lichen Gewalt.“ Damit wurden die An- erkennung und Achtung der Menschen- würde als verbindliches normatives Prinzip für alles staatliche Handeln und auch für das Zusammenleben in der Gesellschaft festgelegt. Das bedeutet, dass die Anerkennung und Achtung je- des Menschen als Subjekt, als Träger grundlegender Rechte und der Freiheit zu verantwortlichem Handeln, vorgege- ben ist und nicht zur Disposition steht.

Somit steht ein Halte- und Orientie- rungspunkt bereit, der nicht nur ein ethisch-moralisches Angebot ist, das man annehmen kann, vielmehr als Teil der Verfassung ein verbindliches normatives Prinzip darstellt. Es fragt sich, wie weit dieser Halte- und Orientierungspunkt im Hinblick auf die gegenwärtige Debatte um Biomedizin und Biotechnologie ein- schließlich der Gentechnologie trägt.

Der rechtliche Status des Embryos

–Entscheidend ist zunächst die Frage, ob diese Garantie und die darin be- schlossene Anerkennung und Achtung als selbstständiges Subjekt nur gebore- ne Menschen oder auch den Embryo umfasst. Das betrifft den rechtlichen

Status des Embryos. Ist auch er und, wenn ja, von wann ab Träger der Men- schenwürde, deren Achtungsanspruch und des aus der Menschenwürde fließenden Rechts auf Leben? Diese Frage ist aus dem Wortlaut des Artikels 1 des Grundgesetzes nicht unmittelbar zu beantworten. Es ist eine Frage der Interpretation dieses Textes in Rich- tung auf seine Tragweite, und diese In- terpretation ist in der gegenwärtigen Diskussion durchaus umstritten.

Vorwiegend, wenngleich nicht allein von Naturwissenschaftlern wird der Einwand erhoben, wieso ein Acht- oder Sechzehnzeller bereits Träger von Men- schenwürde sein könne. Solche Zu- schreibungen seien angesichts des bio- logischen Befundes doch unrealistisch, nahezu absurd. Deshalb wird von nicht wenigen ein späterer Zeitpunkt ins Au- ge gefasst und zu begründen versucht:

etwa die Nidation, die Ausbildung des Gehirns, die Geburt, die aktuelle Ver- nunftfähigkeit. Kann man auf diese Weise vorgehen?

a) Wichtig ist zunächst die Methode, die dieser Argumentation zugrunde ge- legt wird. Es werden aus bestimmten naturwissenschaftlichen Befunden nor- mative Qualitäten und Folgerungen abgeleitet. Mit welchem Recht? Von feststellbaren naturwissenschaftlichen Gegebenheiten (Sein) auf normative Qualitäten und Postulate (Sollen) zu schließen gilt in der Regel als „naturali- stischer Fehlschluss“, und eine solche Argumentation wird in anderen Zu- sammenhängen heftig kritisiert.

Maßstäbe für das Verhalten der Menschen zueinander, Gebote und Ver- bote für ihr Handeln lassen sich nicht als Resultate naturwissenschaftlicher Erkenntnis herleiten und begründen, sie überschreiten die Fragestellung und den Horizont solcher Erkenntnis. Sie zu formulieren und zu begründen ist eine

Menschenwürde

„Dasein um seiner selbst willen“

Die Anerkennung der Würde des Menschen, wie sie das Grundgesetz ausspricht, ist auch auf die ersten Anfänge des Lebens zu erstrecken.

Ernst-Wolfgang Böckenförde

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Aufgabe von Philosophie, Ethik und – nicht zuletzt – des Rechts. Zwar sind auch naturwissenschaftliche Zusam- menhänge zu berücksichtigen, sie sind im Hinblick auf bestimmte normative Gebote notwendige Anknüpfungs- punkte. Aber sie sind nicht Quelle oder Geltungsgrund solcher Gebote. Diese ergeben sich erst und allein aus eigen- ständiger philosophischer, ethischer und rechtlicher Argumentation, ihrer Tragfähigkeit und Überzeugungskraft.

Es hilft auch nicht weiter, Positionen zum ontologischen und moralischen Status des Embryos und deren Begrün- dung jeweils mit naturwissenschaftli- chen Befunden in Relation zu setzen und dann zu fragen, wieweit diese Posi- tionen auch naturwissenschaftlich trag- fähig sind. Das vermeidet zwar die natu- ralistischen Fehlschlüsse. Aber es be- deutet anderseits, dass die philoso- phisch/ethisch/rechtliche Argumentati- on zum Status des Embryos letztlich mit der naturwissenschaftlichen auf die gleiche Ebene gestellt wird, obwohl die Erkenntnismöglichkeiten

ganz unterschiedliche sind.

b) Ebenso droht der Dis- kussion eher eine Gefahr als ein Nutzen durch die Her- anziehung des Personbe- griffs. Der Personbegriff hat zwar eine ehrwürdige philo- sophische Tradition; in ihr sollte er die Eigenart des Menschen als individuelle Substanz der rationalen Na- tur zum Ausdruck bringen, die ebenso der Natur- und Sinnenwelt wie der intelli-

giblen Welt zugehört. Die heutige Ver- wendung des Personbegriffs hat sich da- von jedoch gelöst. Sie hat jetzt die Funk- tion, eine Differenzierung zwischen menschlichem und personalem Leben einzuführen und Personalität, Person- Sein als einen engeren Begriff gegen- über dem Menschsein zu fassen. Nicht jedes menschliche Leben, sondern erst ein durch bestimmte Eigenschaften und Qualitäten gekennzeichnetes soll ein personales Leben sein und sein Träger mithin eine Person. Woran aber die Per- sonalität gebunden sein soll, wird unter- schiedlich bestimmt.Teils wird sie an die Wechselbeziehung mit dem mütterli- chen Organismus nach der Nidation,

teils an die Lebensfähigkeit außerhalb des Mutterleibs, teils weitergehend an Ich-Bewusstsein oder die Fähigkeit zum selbstbestimmten Handeln geknüpft.

Indem dann die Würde des Menschen in einer – so definierten – Personalität be- gründet gesehen wird, folgt, dass nicht jedem menschlichen Lebewesen, son- dern erst personalem menschlichen Le- ben Menschenwürde zukommt. Der Personbegriff dient so der Eingrenzung des Schutzbereichs des Achtungsgebots der Menschenwürde.

Die Würde des Menschen von Anfang an

— Solche Differenzierungsversuche können jedoch nicht entscheidend sein.

Wenn es um die Reichweite der Men- schenwürde und ihres Schutzes geht, wie die Verfassung ihn vorgibt, muss der Ausgangspunkt das sein, was Art. 1 Abs.

1 des Grundgesetzes sagt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu

achten und zu schützen ist Verpflich- tung aller staatlichen Gewalt.“ Dort wird nicht von der Würde der Person gesprochen, die zu achten und zu schüt- zen sei, sondern von der Würde des Menschen. Sie kommt dem Menschen unabhängig von bestimmten Eigen- schaften, Merkmalen oder aktuellen Fähigkeiten zu; allein auf das Mensch- sein kommt es an. Die zuerkannte Wür- de gilt sowohl für jeden einzelnen Men- schen als auch für den Menschen allge- mein, die Formulierung „Würde des Menschen“ deckt beides ab, auch den Bezug auf die Menschen als Gattung.

Worin diese Würde mit dem ihr zuge- ordneten Achtungsgebot inhaltlich be-

steht, mag streitig sein, soweit es um Konkretisierungen und Differenzierun- gen geht. Aber was den Kerngehalt die- ses Satzes betrifft, worin seine normati- ve Essenz liegt, ist weniger streitig, als es erscheinen mag. Ungeachtet verschie- dener Ansätze, den Inhalt der Men- schenwürde zu bestimmen, zeigte sich schon im Parlamentarischen Rat und auch später ein gemeinsam anerkannter Kernbestand. Er lässt sich mit der von Kant entlehnten Formel „Zweck an sich selbst“ oder der vom Bundesverfas- sungsgericht gegebenen Interpretation:

„Dasein um seiner selbst willen“ um- schreiben. Darin sind die Stellung und Anerkennung als eigenes Subjekt, die Freiheit zur eigenen Entfaltung, der Ausschluss von Instrumentalisierung nach Art einer Sache, über die einfach verfügt werden kann, eingeschlossen.

Dass Würde in diesem Sinn jedem einzelnen Menschen zukommt, ist in der Tat unbestritten. Die daran notwen- dig anschließende und kontrovers dis- kutierte Frage ist, wieweit sich diese Anerkennung menschlicher Würde in den Lebenspro- zess jedes Menschen hinein erstrecken muss, damit sie auch wahr bleibt. Genügt es, wenn die Anerkennung und Achtung der Würde erst an einer bestimmten Stelle im Lebensprozess des Men- schen einsetzt, dieser Le- bensprozess davor aber ver- fügbar bleibt, oder muss die- se Anerkennung und Ach- tung vom Ursprung an, dem ersten Beginn dieses mensch- lichen Lebens, bestehen? Nur das Letz- tere kann der Fall sein, wenn das Dasein um seiner selbst willen oder der Zweck an sich selbst wahr bleiben und nicht ei- ne inhaltsleere Deklamation werden soll.

Wenn die Achtung der Würde für je- den Menschen als solchen gilt, muss sie ihm von Anfang an zuerkannt werden, nicht erst nach einem Intervall, das er – gegen Verzweckung und Beliebigkeit nicht abgeschirmt – erst einmal glück- lich überstanden haben muss. Der Be- ginn eigenen Lebens des sich ausbilden- den und entwickelnden Menschen liegt nun aber in der Befruchtung, nicht erst später. Durch sie bildet sich ein gegen- T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 199. Mai 2003 AA1247

Bei der PID werden außerhalb des Mutterleibes befruchtete Eizellen (hier: Intra-Cytoplasmatische Spermien-Injektion) genetisch untersucht.

Foto: dpa

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über Samenzelle und Eizelle, die auch Formen menschlichen Lebens sind, neues und eigenständiges menschliches Lebewesen. Es ist durch die Zusam- menfügung eines so und nicht anders bestimmten Chromosomensatzes un- verwechselbar individuell gekennzeich- net. Dies ist – naturwissenschaftlich un- bestritten – das biologische Fundament des einzelnen Menschen. Die spätere geistige und psychische Entwicklung ist darin schon mit angelegt. Nachdem der individuelle Chromosomensatz fixiert ist, gibt es keinen Einschnitt in die Qua- lität dessen, was sich entwickelt. Das genetische Programm der Entwicklung ist fertig vorhanden, bedarf keiner Ver- vollständigung mehr, es entfaltet sich im Zuge des Lebensprozesses von in- nen her, nach Maßgabe eigener Organi- sation. Dies alles kann zwar nicht ohne Hilfe von außen geschehen wie die Zu- führung von Nahrung, den Kontakt und Austausch mit dem mütterlichen Orga- nismus. Aber dies sind nicht mehr als notwendige Bedingungen für die Mög- lichkeit der eigenen Entwicklung aus sich heraus und nicht etwa diese selbst;

sie bestehen nicht nur vor, sondern zum Teil auch nach der Geburt lange Zeit fort. Dass die Natur auf den so sich voll- ziehenden Lebensprozess einwirken, ihn auch abrupt beenden kann, ist eine Tatsache, sie hebt aber seinen Beginn mit der Befruchtung nicht auf.

Ob dem menschlichen Embryo der Schutz der Menschenwürde und damit auch das Recht auf Leben zukommt, ist also nicht von einer Art ontologischem Fundamentalismus abhängig, auch nicht davon, ob schon ein Acht- oder Sechzehnzeller empirisch als Person qualifiziert werden kann. Entscheidend ist vielmehr, dass die Anerkennung der Würde des Menschen, wie das Grund- gesetz sie ausspricht, nach ihrem nor- mativen Gehalt auch auf die ersten An- fänge des Lebens eines jeden Menschen zu erstrecken ist.

Das Lebensrecht eines Embryos

˜Was folgt nun aus dieser Reichweite des normativen Prinzips der Menschen- würde für die Probleme, die in der aktu- ellen bioethischen Debatte anstehen?

a) Es ist offensichtlich, dass die (künstliche) Herstellung von Embryo- nen zu Forschungszwecken, um durch deren Verbrauch (das heißt Tötung) Stammzellen zu gewinnen, an denen ge- forscht werden kann, eine gravierende Verletzung des Menschenwürdeschut- zes darstellt. Hier wird der Embryo in- strumentalisiert: Er wird nur herge- stellt, um ihn anschließend für die Ge- winnung von Stammzellen zu verbrau- chen, kein Jota von einem Dasein um seiner selbst willen ist noch wahrnehm- bar. Solche verbrauchende Embryo- nenforschung muss, solange die Men- schenwürdegarantie des Grundgesetzes gilt, verboten bleiben, auch wenn ande- re Staaten das anders sehen.

Eine andere Frage ist, wie es sich mit der Herstellung von Stammzellen ver- hält, wenn die Embryonen nicht zu die- sem Zweck hergestellt wurden, viel- mehr aus anderen Gründen, zum Bei- spiel dem Versuch einer Herbeiführung einer Schwangerschaft (In-vitro-Ferti- lisation), entstanden sind, für diesen Zweck aber nicht mehr verwendet wer- den (können). Das sind die so genann- ten überzähligen Embryonen.Auch hier setzt die Gewinnung der Stammzellen den Verbrauch, das heißt die Tötung von Embryonen, voraus. Darf das sein?

Da diese Embryonen um eine Schwangerschaft herbeizuführen ge- schaffen wurden, ist hier nicht primär die Achtung der Menschenwürde ent- scheidend, sondern das von der Men- schenwürde getragene Lebensrecht des Embryos, das dem Schutz seiner biolo- gisch-physischen Existenz dient. Nun ist das Lebensrecht des Menschen, das in der Menschenwürde seinen Grund hat, nicht absolut und unantastbar wie die Achtung der Menschenwürde selbst. In dieses Recht kann unter bestimmten Umständen eingegriffen werden, wie Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes festlegt.

Entsprechendes gilt auch für das Le- bensrecht eines Embryos. Solche Ein- griffe setzen aber, um gerechtfertigt zu sein, außergewöhnliche Konfliktlagen voraus (beispielsweise Notwehr). Da es bei solchen Eingriffen nicht nur um ge- wisse Einschränkungen, sondern zu- meist um Leben und Tod geht, können sie überdies nur in Betracht kommen, wenn es überhaupt keine anderen Mit- tel zur Lösung des Konflikts gibt.

Es spricht nichts dafür, dass im Blick auf das Interesse an der Stammzellfor- schung diese strengen Voraussetzungen gegenwärtig erfüllt sind. Das Interesse der Forscher ist legitim, auch vom Grundrecht der Forschungsfreiheit ge- stützt. Aber wie es nicht die Tötung ei- nes Menschen rechtfertigen kann, kann es auch nicht den Verbrauch bezie- hungsweise die Tötung eines Embryos, der ein Mensch in nuce ist, legitimieren.

Ebenso wenig kann das Recht auf Ge- sundheit dazu dienen. Es geht ja bei dem Forschungsinteresse gar nicht um das gegenwärtige Leben oder die aktu- elle Gesundheit einzelner oder mehre- rer Menschen, sondern um durchaus ungesicherte Erwartungen, dass sich aus der Stammzellforschung vielleicht einmal Heilmittel für bislang nicht heil- bare Krankheiten gewinnen lassen. Es ist ungewiss und unter Wissenschaftlern umstritten, ob die erwarteten Ergebnis- se auch mit der Forschung an adulten oder Stammzellen aus Nabelschnurblut erzielt werden können. Die Gewinnung von Stammzellen durch Tötung von (überzähligen) Embryonen ist deshalb nicht zu rechtfertigen.

b) Das so gewonnene Ergebnis gibt auch eine Grundlage für die Beurtei- lung des viel diskutierten Stammzellen- imports. Es geht dabei um den Import von Stammzellen, die andernorts – nach dortigem Recht (vielleicht) legal – mit der Tötung von Embryonen, dazu hergestellten oder überzähligen, ge- wonnen worden sind. Bei der Gewin- nung dieser Stammzellen handelt es sich um eine in Deutschland verbotene Tat; ihr Import umgeht das bestehende, ethisch und rechtlich aus der Achtung der Menschenwürde und dem Tötungs- verbot begründete Verbot und hebelt es aus. Daran können auch aufrichtig gemeinte strikte Einschränkungen nichts ändern. Der Hehler ist nicht bes- ser als der Stehler. Auch dürfen die Auswirkungen dieses Einbruchs nicht übersehen werden: Wenn anderswo durch Embryonenverbrauch gewonne- ne Stammzellen hier verwendbar sind, warum können diese Stammzellen nicht auch bei uns hergestellt werden?

Das ist kostengünstiger, effektiver und vermeidet Unglaubwürdigkeit. Solche Konsequenz ist unabweisbar, der Im- port wird nach seiner eigenen Logik T H E M E N D E R Z E I T

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A1248 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 199. Mai 2003

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der erste Schritt auch zur Herstellung vor Ort. Der Ausweg, den der Deutsche Bundestag beschritten hat, ist nicht frei von Widerspruch.

c) Kaum weniger aktuell und brisant ist die Frage nach der Zulässigkeit der Präimplantationsdiagnostik (PID). Sie ist durch das Embryonenschutzgesetz derzeit verboten. PID ist eine diagnosti- sche Maßnahme, „bei der einem in vitro gezeugten Embryo nach den ersten Zellteilungen eine oder mehrere Zellen entnommen werden, um diese auf gene- tische Defekte oder Anlagen hin zu un- tersuchen“. Sie wird derzeit dazu einge- setzt, diejenigen Embryonen, bei denen sich eine genetisch bedingte schwere Krankheit oder die Anlage dazu nach- weisen lässt, zu selektieren und nicht

mehr auf die Frau zu übertragen. Das Ziel der PID ist also eine Aussonderung von defekten Embryonen.

Es kann wenig Zweifel daran geben, dass die PID ein Selektionsinstrument ist und ihre Anwendung gegen die Ach- tung der Menschenwürde beim Embryo verstößt. Die PID wird nicht in Gang gesetzt, um den Wunsch nach einem Kind zu erfüllen. Dazu genügt die In- vitro-Fertilisation. Sie wird vielmehr in Gang gesetzt, um den Wunsch nach ei- nem genetisch gesunden Kind zu erfül- len. Der in vitro hergestellte Embryo wird nicht als solcher, als „Zweck an sich selbst“ anerkannt und gewollt, son- dern abhängig von bestimmten Eigen- schaften und Merkmalen, die er hat oder nicht hat. Nur unter dieser Voraus- setzung wird ihm die Chance zum Wei- terleben eingeräumt. Deutlicher kann

nicht zum Ausdruck kommen, dass er keinen Anteil an menschlicher Würde hat, sondern nur einen an bestimmte Ei- genschaften gebundenen Wert.

Steht aber einem Verbot der PID nicht die Menschenwürde und das Selbstbestimmungsrecht der Eltern und insbesondere der Frau entgegen? Das ist nicht der Fall. Denn weder werden die Eltern oder die Frau durch ein Ver- bot der PID zum Objekt gemacht und instrumentalisiert noch in ihrem Recht auf Selbstbestimmung verletzt. Ihre Entscheidung, ob und wann sie einen Kindeswunsch und wie sie ihn erfüllen wollen, ist frei und selbstbestimmt. Sie werden nur daran festhalten, wenn sie ein Kind wollen, es als solches zu wollen und nicht nur als ein Kind mit bestimm-

ten Eigenschaften. Der Verzicht auf PID ist auch zumutbar. Wenn Men- schen es als unzumutbar empfinden, dass sie erbkranke oder behinderte Kinder bekommen, steht es ihnen frei, auf Elternschaft zu verzichten.

Man darf nicht übersehen, welches breite Tor geöffnet wird, wenn die PID, wie schon in einigen Ländern gesche- hen, zugelassen wird. Die möglichen Anwendungsgebiete sind vielfältig.

Zwar wird die PID derzeit von ihren Befürwortern nur für Fälle bestimmter schwerer Erbkrankheiten gefordert, so- fern ein hohes genetisches Risiko vor- liegt. Schon dies bedeutet jedoch eine schwere Diskriminierung der entspre- chend behinderten oder mit einer Erb- krankheit belasteten Menschen. Sie sind diejenigen, die eigentlich nicht da sein sollten, deren Leben als nicht le-

benswert erscheint und die eine Frau, die verantwortlich handelt, nicht ge- bären sollte. Diese Diskriminierung verstärkt sich noch, wenn die betreffen- den Krankheiten in einem Katalog be- nannt werden. Warum soll dann ein sol- cher Katalog nicht erweitert werden?

Warum sollte PID nur zur Abwehr schwerer genetisch bedingter Krank- heiten und nicht auch für eine positive Eugenik angewandt werden?

d) Für die Beurteilung des so ge- nannten therapeutischen Klonens ist zwischen der therapeutischen Verwen- dung embryonaler Stammzellen und adulter Zellkerne zu unterscheiden.

Die Verwendung embryonaler Stamm- zellen und adulter Zellkerne unter- scheidet sich im Blick auf das Prinzip Menschenwürde und das Tötungsver- bot nicht von der verbrauchenden Em- bryonenforschung. Eigens dazu herge- stellte oder anderweitig entstandene Embryonen werden als Mittel für ande- re externe Zwecke verbraucht und da- bei getötet. Die Achtung der Men- schenwürde und das Tötungsverbot ste- hen dem eindeutig entgegen.

Bei der Verwendung adulter Zellker- ne stellt der Ge- und Verbrauch dieser Zellen keine Tötungshandlung dar. Die adulten Zellen, die einem lebenden, in der Regel erwachsenen Menschen ent- nommen werden, sind keine Embryo- nen, nicht eigene menschliche Lebewe- sen, sondern nur Zellen. Sie können als solche zu Heilungszwecken verbraucht werden. Das Eigenartige und Heraus- fordernde ist die Art der Verwendung.

Der Zellkern wird in eine vorher ent- kernte Eizelle eingepflanzt und auf die- se Weise ein neues Lebewesen ohne Verschmelzung von Samen- und Eizelle künstlich hergestellt, was bei voller Ent- wicklung, würde sie nicht abgebrochen, mit dem Menschen, dem die Zelle ent- nommen wurde, genetisch identisch wä- re. Das ist mit der Achtung der Men- schenwürde nach meiner Auffassung schwerlich vereinbar.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2003; 100: A 1246–1249 [Heft 19]

Anschrift des Verfassers:

Prof. (em.) Dr. iur. Dr. phil.

Ernst-Wolfgang Böckenförde Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Türkheimstraße 1, 79280 Au/Breisgau T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 199. Mai 2003 AA1249

Seit der Veröffentlichung des „Diskussi- onsentwurfs zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik“ (DÄ, Heft 17/2000) läuft der Diskurs zu dieser The- matik. Vor zwei Jahren hat die Redakti- on des Deutschen Ärzteblattes in einem Sonderdruck Beiträge zur Präimplanta- tionsdiagnostik (PID) und verwandten Themen zusammengefasst. In der Folge- zeit verlagerte sich der Schwerpunkt der Diskussion und auch der politischen Wil- lensbildung: von der PID zur Forschung

an und mit Embryonen und zur Gewin- nung von Stammzellen. Die Meinungs- bildung in der Ärzteschaft und Öffent- lichkeit spiegelt sich in der Berichterstat- tung und Kommentierung des Deut- schen Ärzteblattes wider. Daher hatte sich die Redaktion entschlossen, anläss- lich des 105. Deutschen Ärztetages 2002 eine erweiterte Materialsammlung her- auszugeben. Die Zusammenstellung kann über das Internet unter www.aerz teblatt.de/pid abgerufen werden.

Dokumentation zu PID und Embryonenforschung

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