A3376 Deutsches ÄrzteblattJg. 104Heft 497. Dezember 2007
P O L I T I K
E
thikkommissionen sind am Anfang nicht von allen mit Begeisterung begrüßt worden, we- der von den Ärzten, die sich oft be- vormundet fühlten, noch von den Juristen, die die staatlichen Geneh- migungsbehörden für ausreichend hielten. Die Pharmaindustrie fürch- tete eine „überflüssige und verzö- gernde bürokratische Hürde“. Doch das Blatt habe sich inzwischen gründlich gewandelt, stellte Prof.Dr. med. Ludwig Siep, Münster, an- lässlich des 25-jährigen Bestehens des Arbeitskreises Medizinischer Ethik-Kommissionen in der Bun- desrepublik Deutschland in Berlin fest. Die Kommission sei nicht nur im Arzneimittelgesetz (AMG) ver- ankert. Das AMG verlange vielmehr zu jedem Antrag eine positive Stel- lungnahme. Der Gesetzgeber wün- sche außerdem, dass die Kommis- sionen die Forschung begleiten und beobachten.
Weltärztebund gab Anstoß
Die Entstehung der Ethikkommis- sionen (EK) geht auf eine jahr- zehntelange Entwicklung zurück,„in der die medizinische Forschung Felder erobert und Methoden ent- wickelt hat, die vorher bestehende Grenzen sprengen“, berichtete der Vorsitzende des Arbeitskreises, Prof. Dr. med. Elmar Doppelfeld.
Ihre weltweite Verbreitung verdank- ten die Ethikkommissionen maß- geblich dem Weltärztebund. Er habe 1975 in Tokio die Deklaration von Helsinki durch die Bestimmung er- gänzt, dass ein eindeutiges Ver- suchsprotokoll einem besonders be- rufenen unabhängigen Ausschuss zur „Beratung, Stellungnahme und Orientierung“ vorzulegen sei. „Die- ses Postulat wurde in zahlreichen Ländern aufgegriffen, allerdings in bunter Vielfalt verwirklicht.“ In der Bundesrepublik bildeten sich die
Ethikkommissionen bei den medizi- nischen Fakultäten der Universitä- ten und seit der Empfehlung des Vorstands der Bundesärztekammer aus dem Jahr 1979 auch bei den Ärztekammern.
Nach maßgeblichen Vorarbeiten der Münsteraner Ethikkommission unter ihrem Vorsitzenden, Prof. Dr.
med. Heinz Losse, und mit Unter- stützung des damaligen Präsidenten der Bundesärztekammer, Prof. Dr.
med. Karsten Vilmar, wurde am 7. Mai 1983 der Arbeitskreis gegrün- det. Bis heute profitiere der Arbeits- kreis von der „nachhaltigen ideellen und finanziellen Förderung der Bundesärztekammer“, betonte der Vorsitzende. Im Gegenzug hob die Vizepräsidentin der Bundesärzte- kammer, Dr. med. Cornelia Goes- mann, die „vertrauensbildende und qualitätsverbessernde Wirkung der Ethikkommissionen“ hervor.
Schon im Gründungsjahr traten, wie Doppelfeld berichtete, alle Ethikkommissionen bei Landesärz- tekammern und bei den medizini- schen Fakultäten der damaligen Bundesrepublik dem Arbeitskreis bei. Nach der Wiedervereinigung wurden auch die Ethikkommissio-
nen der neuen Länder aufgenom- men. Die Stellung der Ethikkommis- sionen habe sich in zahlreichen Län- dern Europas verändert. So sei viel- fach das Votum einer EK zur binden- den Voraussetzung für die Durch- führung eines Forschungsprojekts geworden. Deutschland sei dieser Entwicklung teilweise gefolgt mit der Einführung der befürwortenden Stellungnahme einer EK als Zuläs- sigkeitsvoraussetzung für eine Arz- neimittelprüfung. „Für alle anderen Bereiche der Forschung gilt bei uns, anders als im übrigen Europa, das Votum einer Ethikkommission als Empfehlung für den Forscher.“ Und das sollte, so Siep, auch künftig so bleiben. Die Voten enthielten Kom- ponenten der Einfühlung und der Lebenserfahrung, die sich von tech- nischen, aber auch von rein juristi- schen oder wirtschaftswissenschaft- lichen Gutachten grundsätzlich un- terschieden. Schließlich gehe es in ethischen Fragen nicht um mathe- matische Genauigkeit und nicht um bloße Anwendung auf einzelne Fäl- le. Vielmehr geht es Siep zufolge auch um Lebenserfahrung und Si- tuationsklugheit. Dass die Öffent- lichkeit und der Gesetzgeber den Kommissionen einerseits Güterab- wägungen überließen, sie aber ande- rerseits als Kontrolleure benutzen wollten, bringe die Kommissionen oft in ein Dilemma.
„Das direkte Gespräch“
Letztendlich hält Siep es für unge- wiss, ob die Arbeitsgemeinschaft die nächsten 25 Jahre überleben wird. Nicht etwa deswegen, weil ihr die ethischen Probleme ausgehen könnten. Siep hält es aber für frag- lich, ob die Vielfalt und die „Boden- haftung“ der Kommissionen in einer Zeit der Globalisierung der medizi- nischen Forschung und Industrie auf Dauer standhalten können. „Es wird nicht zuletzt an Einrichtungen wie dieser Arbeitsgemeinschaft lie- gen, ob solche Entwicklungen ver- einbar bleiben mit dem Prinzip der Beratung von Individuen durch das direkte Gespräch.“ Auch künftig müssen sie sich, so Doppelfeld, der Verpflichtung zum Schutz der Men- schenwürde stellen. n Gisela Klinkhammer
ETHIKKOMMISSIONEN
Schutz der Menschenwürde
25 Jahre Arbeitskreis Medizinischer Ethik-Kommissionen – Rückblick auf die Beratung der medizinischen Forschung
In ethischen Fragen geht es nach Auffassung von Lud- wig Siep nicht um mathematische Ge- nauigkeit, sondern um Lebenserfahrung und Situationsklug- heit.
Foto:privat