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Archiv "Menschenwürde an den Grenzen des Lebens" (06.04.2001)

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Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 14½½½½6. April 2001 AA899

D

er Begriff Menschenwürde spielt in vielen Verfassungen von Staa- ten und internationalen Überein- kommen eine zentrale Rolle. Es gibt je- doch selbst in Europa recht unter- schiedliche Auffassungen über das, was unter diesem „Prädikat“ zu verstehen ist. Im angelsächsischen Bereich be- zeichnet man „frühe Embryonen“ als

„Präimplantationsprodukte“ und Le- ben, das endgültig ohne Bewusstsein ist, als „human vegetable“. Man unter- scheidet also zwischen biologisch menschlichem und personalem Leben.

Entsprechend bleibt in dem Überein- kommen des Europarats die Frage nach dem Beginn und dem Ende des Lebens offen, wohingegen die deutsche Gesetz- gebung das Ende des personalen Le- bens im Transplantationsgesetz mit dem Hirntod und seinen Beginn im Embryonenschutzgesetz mit der Bil- dung der Zygote gegeben sieht. Frühen Embryonen kann danach eine Teilhabe an der Menschenwürde nicht abgespro- chen werden. Diese unterschiedlichen Auffassungen haben ihren Grund in verschiedenen geistigen Traditionen.

Religiös-transzendentes Verständnis

Die nach dem Grundgesetz unantastba- re Würde des Menschen (Art. 1) kon- kretisiert sich nach Art. 2 im Recht auf Freiheit, Leben und körperliche Unver- sehrtheit, unabhängig vom Grad der Behinderung (Art. 3 Abs. 3.). Dieses Verständnis von Menschenwürde ist maßgeblich geprägt durch die jüdisch- christliche Vorstellung von der „Gott- ebenbildlichkeit“ des Menschen. Sie gründet in der besonderen Beziehung Gottes zum Geschöpf Mensch. Der

Mensch konstituiert sich weder in sei- nem Leben noch in seiner Würde selbst.

Er „verdankt“ sein Leben, sein Person- sein und seine Würde anderen, letztlich nicht den Eltern, sondern Gott. Dem- nach sind Personsein und Menschen- würde keine empirischen Qualitäten, sondern „transzendente“ Größen, die – von Gott her – dem ganzen Leben vom Beginn bis zum Tod zugesprochen sind.

Kein menschliches Leben muss erst selbst den Erweis erbringen, dass es der Prädikate Person und Menschenwürde würdig ist. Deshalb muss ihm die Menschenwürde auch nicht erst von Menschen zuerkannt werden, vielmehr ist sie von allen

Menschen zugleich mit dem Gegeben- sein von Leben an- zuerkennen, unab- hängig vom Grad seiner seelisch-geisti- gen Fähigkeiten. In dieser Begründung der Menschenwürde in „Transzendenz“, in Gott, ist der Grund zu suchen, dass alles Leben einer totalen ge- und verbrauchen- den Verfügung von Menschen entzogen sein soll.

Menschenwürde ist demnach keine empirische Größe, die im Mikroskop oder sonst wie sinn- lich fassbar wäre.

Fragt man nach dem

„anatomischen Sub- strat“, dem die Men- schenwürde nach die- ser Sicht zukommt,

so ist es die ganze Leiblichkeit, der Le- bensträger (= Organismus). Wann orga- nismisches Leben beginnt, kann nur auf der Grundlage der Erkenntnisse der Biologie ermittelt werden.

Definition des

„individuellen Lebens“

Für die biologische Definition von indi- viduellem Leben bei höheren Lebewe- sen mit geschlechtlicher Fortpflanzung sind folgende Kriterien entscheidend:

(1) Es muss eine genetische Individua- lität vorliegen. Dieses Kriterium ist mit der Bildung der Zy- gote erfüllt. (2) Es muss ein zu einer Ganzheit integriertes, also organismisches Lebensgeschehen fest- stellbar sein, das in Interaktion mit seiner Umwelt (beispiels- weise Eileiter, Gebär- mutter) zu einer ei- genständigen Lebens- dynamik fähig ist (un- ter anderem Stoff- wechsel, Wachstum).

Es wird oft behaup- tet, frühe Embryo- nen erfüllten dieses Kriterium nicht, sie seien ein bloßer

„Zellhaufen“. Aber die „Totipotenz“ der Zellen im frühesten Embryonalstadium widerspricht nicht der Erkenntnis, dass es sich von der Bildung der Zygote an um ei- ne sich selbst organi- D O K U M E N T A T I O N

Der evangelische Theologe Ulrich Eibach sieht den Schutz schwacher Menschen – unter anderem von Schwerbehinderten – gefährdet und entfaltet dagegen ein christliches Menschenbild. (Ulrich Eibach: Men- schenwürde an den Grenzen des Le- bens. Einführung in Fragen der Bioethik aus christlicher Sicht, 212 Seiten, Neukirchener Verlagshaus, Neukirchen-Vluyn, 2000, 24,80 DM) Kli

Embryonenforschung in Europa

Gesundheit ist nicht das höchste Gut

Die unterschiedlichen Auffassungen von Menschenwürde haben ihre Ursache in verschiedenen geistigen Traditionen.

Ulrich Eibach

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sierende und differenzierende funktio- nelle „Ganzheit“ handelt. Dass nur aus einem Teil dieser Zellen der Embryo, aus anderen der Trophoblast entsteht, widerspricht dem auch nicht, weil die- ses Differenzierungsgeschehen nicht determiniert ist, man also nicht vorweg- sagen kann, welche der totipotenten Zellen zu was werden.

Schutzrechte des Embryos

Wird die Menschenwürde dem ganzen Lebensträger zugesprochen, so können frühen Embryonen zumindest nicht die Teilhabe an der Menschenwürde und Schutzrechte ganz abgesprochen wer- den. Das grundlegende Recht ist dabei das Recht auf Leben. Es ist umstritten, inwieweit dieses christlich geprägte Ver- ständnis von Menschenwürde ohne die religiösen Voraussetzungen zu begrün- den ist. Jedoch ist auch in der deutsches Rechtsverständnis maßgeblich prägen- den Philosophie Immanuel Kants fest- gehalten, dass das Prädikat Person dem Menschen als „Natur- und Gattungswe- sen“ zuzuordnen ist. Zwar ist Kants Ver- ständnis von Menschenwürde stark an der Freiheit orientiert, doch ist diese nach ihm ein Postulat der praktischen Vernunft, also eine „transzendente“

und keine empirische Größe.

Empiristische Philosophie

Eine grundsätzlich abweichende Sicht wird dann vertreten, wenn Personsein und Menschenwürde als empirisch fest- stellbare seelisch geistige Qualitäten des Lebens (zum Beispiel Selbstbe- wusstsein, bewusste Interessen) ver- standen werden, wie es in der angel- sächsischen positivistisch-empiristischen Philosophie der Fall ist, die die inter- nationale Diskussion über Bioethik prägt. Fragt man nach dem anatomi- schen Substrat, dem diese empirischen Qualitäten zuzuordnen sind, so ist es nicht mehr der ganze Lebensträger, sondern es sind nur bestimmte Berei- che des Großhirns. Dies besagt einer- seits, dass dem Leben frühestens ab dem Zeitpunkt eine Teilhabe an der Menschenwürde zugesprochen werden kann, ab dem die entsprechenden

Strukturen des Gehirns ausgebildet sind, und andererseits, dass deren Feh- len beziehungsweise Verlust infolge Krankheit gleichzusetzen ist mit dem Fehlen beziehungsweise Verlust des Personseins, das damit nur biologisch- menschliches Leben ist.

Der Gedanke einer unverlierbaren und unverrechenbaren Menschenwür- de allen menschlichen Lebens ist die- sem Denkansatz fremd. Die Teilhabe an der Menschenwürde wird je nach Entwicklungsgrad des Lebens abge- stuft gedacht. Da nicht mehr das Le- ben in sich, sondern nur die seelisch- geistigen Qualitäten zu schützen sind, kann Leben, sofern es noch nicht zum Besitz dieser Qualitäten herangereift ist (Embryonen, Feten) oder sie nie besessen (behindert Geborene) oder sie durch Krankheit verloren hat, ge- gen andere Güter und Interessen ver- rechnet werden.

Mit abnehmender „Wertigkeit“ ist das Leben immer weniger zu schützen, darf es zunehmend als Mittel zum Zweck (zum Beispiel therapeutischer oder auch rein wissenschaftlicher Art) ge- und verbraucht werden. Nur auf der Basis eines empiristischen Men- schenbilds kann man von frühen Em- bryonen als einem „Zellhaufen“ re- den, da an ihm in der Tat im Mikro- skop keine empirische Menschenwür- de zu beobachten ist.

Der Streit um die Forschung an Em- bryonen in Europa ist nicht zu verste- hen ohne die aufgezeigten unterschied- lichen geistigen Traditionen. Es geht demnach um grundsätzliche Fragen des Menschenbilds und der Interpretation des Grundgesetzes.

Menschenwürde in der Medizin

Entscheidungen, die für den Bereich der „fremdnützigen“ Forschung mit Embryonen gefällt werden, haben eine weit über diesen Fachbereich hinausge- hende Bedeutung. Begründet man sie mit dem empiristischen Menschenbild, so werden damit zugleich negative Le- benswerturteile über menschliches Le- ben gerechtfertigt, und „minderwerti- ges“, angeblich bloß biologisch mensch- liches Leben wird in einer Güterabwä-

gung verrechenbar gegen Interessen anderer. Dieses Vorgehen wird sich nicht auf früheste Stadien des Lebens begrenzen lassen, es wird – wenn die zu seiner Rechtfertigung angeführten the- rapeutischen und sonstigen Interessen stark genug sind – auch fortgeschrittene Lebensstadien, selbst geborenes Leben umfassen. Eine mit derartigen Argu- menten gerechtfertigte therapeutische Forschung kann zur Aushöhlung des für den Schutz des Lebens fundamentalen Verständnisses von Menschenwürde führen. Es könnte sich erneut be- wahrheiten, was der bedeutende Arzt Viktor von Weizsäcker anlässlich der

„Nürnberger Ärzteprozesse“ schrieb, dass ein „transzendenzloses“, rein empi- risches Verständnis des Menschenlebens zwangsläufig zur Vorstellung vom „le- bensunwerten“ Leben führt und dass der ungeheure Kampf für die Gesund- heit einerseits und der experimentelle und vernichtende Umgang mit „unheil- barem“ Leben andererseits nur die zwei Seiten ein und derselben Medaille seien, der Glorifizierung von Gesundheit und diesseitigem Leben. Wo der wissen- schaftliche und therapeutische Fort- schritt die vor allem für den Schutz der schwächsten Glieder der Gesellschaft grundlegenden Rechte, wie das ange- deutete Verständnis von Menschenwür- de, infrage stellt, muss die Gesellschaft bereit sein, auf mögliche therapeutische Fortschritte zu verzichten, und dies auch durch rechtliche Verbote einfordern.

Die Gesundheit ist nicht das höchste und erst recht nicht das einzige zu schüt- zende Gut.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2001; 98: A 899–900 [Heft 14]

Literatur

1. Bayertz K: (Ed.) (1996) Sanctity of Life and Human Dignity, (Kluwer) Dordrecht (NL).

2. Eibach U: (2000) Menschenwürde an den Grenzen des Lebens, (Neukirchener Verlagshaus) Neukirchen- Vluyn.

3. Rager G (Hrsg.) (1998): Beginn, Personalität und Würde des Menschen, (Alber) Freiburg, 2. Aufl.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. theol. Ulrich Eibach

Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität Bonn und Pfarrer an den Universitätskliniken Bonn Sigmund-Freud-Straße 25, Haus 30 53105 Bonn

E-Mail: eibach@uni-bonn.de

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A900 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 14½½½½6. April 2001

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