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ie EU-Kommission will die For- schung an embryonalen Stammzel- len unter bestimmten Bedingungen mit einer Milliardensumme fördern. Das geht aus einer Vorlage des Forschungs- kommissars der EU, Philippe Busquin, hervor, die die Brüsseler Behörde am 9. Juli verabschiedete. Danach soll die Forschung an embryonalen Stammzellen erlaubt sein, wenn diese bereits vor dem 27. Juni 2002 existierten. Zusätzliche Zel- len zu Forschungszwecken dürften nicht erzeugt werden, sagte Busquin.Außerdem sollten nur Forschungsar- beiten gefördert werden, für die es keine alternativen Methoden gebe, ergänzte der EU-Kommissar. Es dürften lediglich embryonale Stammzellen verwendet werden, die nicht von Eltern genutzt werden könnten. Zudem müssten diese der Verwendung der Embryonen zu- stimmen. Der Stichtag ist nach Aussage Busquins das Datum, an dem die Eu- ropäische Union das sechste Forschungs- rahmenprogramm beschlossen hat. Dar- in ist für die Biotechnologie bis zum Jahr 2006 ein Etat von mehr als zwei Milliar- den Euro vorgesehen. Bis Jahresende gilt in der EU ein Moratorium für die Förderung embryonaler Stammzellfor- schung. Der Kommissionsvorlage muss noch – nach einer Anhörung des Eu- ropäischen Parla-
ments – der Mini- sterrat zustimmen.
In Deutschland stößt die EU-For- schungsplanung auf scharfe Kritik. „Die Mittel der Europäi-
schen Union dürfen nicht für eine For- schung ausgegeben werden, die die Men- schenwürde verletzt“, sagte Dr. med. Ot- mar Kloiber, stellvertretender Hauptge- schäftsführer der Bundesärztekammer, in
Berlin. Kloiber hält es für skandalös, Mit- tel des EU-Forschungsprogramms für verbrauchende Embryonenforschung einzusetzen. „Hier werden die ethischen Bedenken gegen eine Forschung, die menschliches Leben verbraucht, völlig ignoriert. Eine derartige Missachtung un- serer Wertvorstellungen und unserer Ver- fassung durch die EU-Kommission ist in- akzeptabel. So kann man ein gemeinsa-
mes Europa nicht aufbauen.“ Kloiber hält die EU-Forschungsplanung auch aus medizinischer Sicht nicht für sinnvoll:
„Betrachtet man die Fakten, so muss man feststellen, dass es bereits heute viele The- rapien mit adulten Stammzellen gibt. Da- mit kann man Menschen helfen, dafür sollten auch For- schungsmittel ausge- geben werden.“ Die Forschung an adul- ten Stammzellen sei ethisch unproblema- tisch und medizi- nisch viel sinnvoller.
Kloiber gab zu bedenken, dass in äußerst fragwürdiger Weise mit den Gefühlen und Hoffnungen schwer kranker Men- schen gespielt werde, da mit der embryo- nalen Stammzellforschung zu leichtfer-
tig unrealistische Heilsversprechen ver- bunden würden.
Der Staatssekretär im Bundesfor- schungsministerium, Wolf Michael Ca- tenhusen, kündigte an, dass die Bundes- regierung nach wie vor eine Lösung auf der Grundlage der deutschen Regelung anstrebe. „Wir hoffen, unsere Partner in der EU von unserer Auffassung über- zeugen zu können und eine Lösung zu finden, welche die ethischen Grund- überzeugungen aller Mitgliedstaaten re- spektiert.“ Nach Aussage Catenhusens will die Bundesregierung weiterhin auf Grundlage des Bundestagsbeschlusses vom 30. Januar 2002 zu embryonalen Stammzellen verhandeln, wonach die Fi- nanzierung der Forschungsarbeiten aus Mitteln der EU auf bestehende Stamm- zelllinien beschränkt werden soll. „Die Bundesregierung will alles dafür tun, um bis Ende des Jahres einen Kompromiss im EU-Ministerrat zu erreichen“, sagte Catenhusen. Auch der Eu- ropaabgeordnete Dr. med.
Peter Liese (CDU) hält den Beschluss für nicht hin- nehmbar. Die von der EU- Kommission vorgesehene Stichtagsregelung bezeich- nete Liese als eine „Täu- schung“. Sie sei kein Zuge- ständnis an die Kritiker der Forschung mit embryona- len Stammzellen: „Man kann die Position der Eu- ropäischen Kommission da- mit vergleichen, dass man entscheidet, Menschen, die vor einem bestimmten Stichtag geboren wurden, zum Zwecke der Gewinnung von Orga- nen zu töten, Menschen, die nach diesem Stichtag geboren wurden, jedoch nicht.“
Die deutsche Regelung sehe dagegen vor, dass man die Zellen, die aus mensch- lichen Embryonen gewonnen wurden, unter bestimmten, sehr strengen Aufla- gen benutzen könne, aber nicht Embryo- nen selbst zu Forschungszwecken zer- stören dürfe.
Die CDU-Abgeordnete Katharina Reiche sprach dagegen von einem guten Tag für die Forschung in Europa. Es müsse akzeptiert werden, dass unter- schiedliche rechtliche, ethisch-morali- sche und religiöse Auffassungen zu Stammzellen und überzähligen Embryo- nen existieren. Gisela Klinkhammer P O L I T I K
Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 3025. Juli 2003 AA1989
Stammzellforschung
„Verletzung der Menschenwürde“
Der EU-Beschluss über das Forschungsförderungsprogramm stößt in Deutschland auf scharfe Kritik.
Für die umstrittene Embryonenforschung soll es nach dem Willen der Europäischen Kommission eine weitreichende Förderung mit EU-Geldern geben.
„Hier werden die ethischen Bedenken gegen eine For- schung, die menschliches Leben
verbraucht, völlig ignoriert.“
Dr. med. Otmar Kloiber, stellvertretender Hauptge- schäftsführer der Bundesärztekammer, in Berlin
Foto:epd