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Archiv "Sexismus und Menschenwürde" (22.01.1982)

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Bericht und Meinung THEMEN DER ZEIT

Für den aufmerksamen Beobach- ter der Wellen „sexueller Aufklä- rung", mit denen die Medien unse- res Landes uns seit dem letzten Jahrzehnt überrollen, besteht kein Zweifel, daß es hierbei schon lan- ge nicht mehr um die bloße Behe- bung eines Jahrhunderte alten De- fizites als vielmehr eindeutig um die „progressive" Darstellung al- ler Varianten der Erotik durch eini- ge Medien geht. Die Bundesrepu- blik Deutschland gehört mit zu den Ländern der größtmöglichen individuellen politischen Freihei- ten, andererseits tut sich eine De- mokratie mit dem verfassungsmä- ßig garantierten Maximum an Li- beralität schwer, den totalen Schutz der Menschenwürde zu praktizieren, dem teils die gegen- wärtige Wirtschaftsordnung, teils die Pressefreiheit gegenübersteht.

Schließlich sollen neben Waren auch Zeitungen, im weiteren Sin- ne Filme und Fernsehsendungen verkauft werden, was bei letzteren den Trend zu Superlativen und die Jagd nach Sensationen zur Folge hat. Da bleibt es nicht aus, daß ungeschriebene Moralgesetze an- fangs tangiert, später zunehmend überschritten und am Ende mit Füßen getreten werden.

Waren es im Mittelalter und auch im modernen Europa bis vor weni- gen Dezennien die Geistlichen, die von den Kanzeln predigten, was sich ziemt, sind es heute Journali- sten, die in ihren Zeitungen und Illustrierten verkünden, was alles noch geht!

Während bei uns Körper- und See- lenstriptease, importiert aus den Vereinigten Staaten von Amerika (wo sich längst eine Gegenbewe- gung gebildet hat!), alte ertvor- stellungen veränderte, versank

Persien in einer Revolution gegen diese „Zivilisation" des Abendlan- des mit der Forderung nach einem islamischen Staat mit den ihm ei- genen Moralgesetzen — gewisser- maßen (auch) eine Gegenreaktion zum Sittenverfall des Westens. Im Orient stehen die verschleierten Frauen als Mütter und Erzieherin- nen ihrer Kinder den Geschlechts- genossinnen des Okzidents ge- genüber, welche als fortschrittlich Emanzipierte zwar mehr Rechte in Anspruch nehmen können, dafür bevorzugt als Lustobjekte den sich allseits Informierenden aufok- troyiert werden. Täglich stellen einflußreiche Zeitungen zum Bei- spiel Fotomodelle als „Traumfrau- en" mit ihren Maßen, Kurven und

Formen vor, als handelte es sich um Rennpferde und nicht um menschliche Geschöpfe. Rund- herum geliftet, mit Silikon unter- spritzt, falschen Zähnen und Haa- ren, vor dem Spiegel tausendfach trainiertem Lächeln offeriert man selbst angejahrte Prominente wie ausgehungerte Mannequins und jugendliche Filmstars.

Das gesprochene und geschriebe- ne Wort, nach dem russischen Physiologen Iwan Pawlow als auf Menschen wirkendes stärkstes al- ler Reize, ist in der Lage, An- und Einsichten, damit Verhaltenswei- sen zu verändern. Nicht der Man- gel an Informationen als vielmehr die selbst für uns Mediziner kaum durchschaubare Flut an Informa- tionen schafft ein Chaos in der le- bensnotwendigen Orientierung, so daß speziell solcher Art „Bele- sene" alles für möglich halten.

Verkünden gar noch prominente Ärzte im Professorenrang: „Sex hilft gegen Krebs"; „Ein Bordell- besuch ist gesünder als Trimm- trab", so darf man sich nicht wun-

dern, daß es einem Hochstapler

„Dr. Boden" von 1973 bis 1978 gelang, mindestens 60 Frauen und Mädchen zu „gynäkologischen Untersuchungen" zu überreden, angeblich um Scheidensekret zwecks Ausschluß einer Anstek- kung an Krebs zu gewinnen.

Ernsthaft steht angesichts solchen Geschehens die Frage zur Diskus- sion, wo eigentlich tatsächlich die Gesellschaft von der Neuzeit ins Mittelalter regressiert, im Okzident oder Orient? Eine Aufzählung von Schlagzeilen aus den letzten Jah- ren möge das unter Beweis stel- len: „6 Schüler folterten nacktes Mädchen"; „Viermal vergewaltigt, aber keiner half"; „Erschreckende Zunahme der Kinderprostitution";

„Mütter! Sexgangster suchen sich jetzt Kinder!"; „89jährige verge- waltigt"; „Kann man eine Frau 600mal vergewaltigen?"; „Eine Vergewaltigte, Verstümmelte . . . 15jährige schilderte vor Gericht";

schließlich „Heilen US-Ärzte ihre Patientinnen mit Sex!" Wie übri- gens die Doctores das realisieren wollen, bleibt ein Geheimnis der betreffenden Schlagzeilenprodu- zenten. Der Wahrheitsgehalt ist andererseits durch die Brille des Sexismus gesehen irrelevant, bie- tet sich doch die Beziehung der Ärzte zu den sich vor ihnen jeder- zeit entblößenden weiblichen

Kranken als „Aufhänger" sexuell gefärbter Phantasien geradezu an.

Ärzte sind keinesfalls Moralisten, predigen nicht Prüderie, wün- schen kaum vergangene Zeiten zurück, wo die Kinder sexuelle Aufklärung auf der Straße erhiel- ten. Es geht—wie überall im Leben

— um den Maßstab, der zum Aus- druck bringt, daß zwar Natürliches auch auf einer Toilette geschieht, wie Naturgewolltes bei Tisch. Nur die Verwechslung der physiologi- schen Zwänge im Ort degradiert die Menschen.

Kürzlich schrieb ein westdeut- sches Wochenmagazin sinnge- mäß, daß bedingungslose Sexin- formation ein unverkennbares Zei- chen einer freiheitlichen Gesell-

Sexismus und Menschenwürde

Eine Bewertung aus ärztlicher Sicht

Heinz Walter Rölke

24 Heft 3 vom 22. Januar 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ARZTEBLATT Ausgabe A/B

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Vokabular der Sexualisierung

Eine kleine Auswahl aus der Tagespresse eines Jahres

Sexuell total Abhängige Sexadreßbuch

Sexärzte Sexakten

Sexuelle Anerkennung Sexybauch

Sexuelle Betätigung Sexbischof

Sexbombenexplosion Sexbomben (knackige) Sexbombenfutter Sexbomberpose Sexybüstenhalter Sexydagmar Sexdarstellerin Sexdiva Sexdoktor Sexydolly Sexdoping Sexersatz Sexerwartung Sexfolter Sexforscher Sexfotos Sexgangster Sexgesangslehrer Sexgeschichten Sexgeständnis Sexgewohnheiten

Sexygloria Sexgöttin Sexhändlerin Sexyhazel Sexheilung Sexhormone Sexyhöschen Sexhunger Sexideologie Sexidole Sexingrid Sexkätzchen Sexkarriere Sexkingkong Sexkomödie Sexkönigin Sexkostüm Sexläden

Sexleistungssport Sexologen Sexmädchen Sexmaria Sexmasseuse Sexmemoiren Sexmesse Sexmonster Sexmord Sexmuffel Sexopfer

Sexorgien Sexprahler Sexpriester Sexprotzer Sexpullover Sexpuppen Sexreisen Sexreport Sexsauna Sexschlachten Sexseiler Sexsignale Sexsklavin Sexspiele Sexspielregeln Sexyslip Sexstar Sexsternchen Sexstudenten Sexsurfer Sextanz Sextouristen Sextraum (= Frau) Sexträume (nachts) Sextagträume Sextrieb Sexüberfall Sexwäsche Sexwelthauptstadt

Die Information:

Bericht und Meinung Sexismus

schaft darstelle und ausschließlich totalitäre Systeme Horror davor zeigten. Genau besehen, ein Irr- tum! Wie die Geschichte lehrt, läßt jede Anarchie in der Moral irgend- wann den Ruf nach starker Hand laut werden, welche wieder Ord- nung schaffen soll. Oder die Op- position kommt von außen, wie zur Zeit von seiten des Islam und dessen vehementer Ausbreitung in der dritten Welt.

Wie weit tatsächlich die Sexuali- sierung unserer Gesellschaft vor- angeschritten ist, demonstriert nicht nur die Werbung für Produk- te der Industrie, sondern zeigen weit überzeugender gewisse Psy- chologen, die, statt sich ganz- heitsmedizinisch mit der Wechsel- beziehung zwischen Psyche, So- ma und Umwelt zu befassen, sich mehr mit der Reizwirkung weibli- cher Formen auf bestimmte Kate- gorien von Männern abgeben. Be- geisterung für massige Po's soll nach diesen „Wissenschaftlern"

Pedanterie bescheinigen, wäh- rend Bevorzugung von Substanz- minderung am „verlängerten Rük- ken" „sexuelle Pubertät" kenn- zeichnen. Sie stellten angeblich ferner fest, daß ein richtiger Mann dreißig Frauen in seinem Leben benötige und in einem schlechten Sommer das männliche Ge- schlecht mangels ultravioletter Strahlen „weniger Libido zeigte"

und außerdem Sex morgens am schönsten sei!

Selbst Forschungsergebnisse wie die von Kinsey und Masters/John- son werden überschätzt. Unab- hängig von deren angreifbaren Methoden (etwa der Fragwürdig- keit demoskopischer Erhebungen der „Gefühlswelt" des Menschen:

die Momentaufnahme eines dy- namischen „Prozesses" großer Spektrumsbreite!) bezieht sich diese Kritik auf die Loslösung der Sexualfunktion von der Gesamt- persönlichkeit und deren Inter- aktionen unterschiedlicher Inten- sität zu den verschiedenen Part- nern, abhängig vom „inneren und äußeren Milieu!", vom „Nutzen für die Menschheit" jenseits der Wis-

senschaft um ihrer selbst willen ganz zu schweigen! Im Gegenteil, Maßstäbe werden propagiert, die zur eigenen Fehleinschätzung der wahren Potenz führen oder entge- gengesetzt zur Minderwertigkeit, da Liebesfähigkeit fälschlich als jede geschlechtliche Betätigung schlechthin verstanden wird und nicht Partnerbindung, personale Liebe.

Medizinische Forschung sollte sich bevorzugt auf Minderung des menschlichen Leidens konzentrie- ren. Das würde bezüglich der Se- xualität energische Behandlung Triebgestörter, Triebgehemmter bedeuten, scheinbar eines der Ta- bus unserer Gesellschaft. Noch immer werden Vergewaltigungen als „Betriebsunfälle" angesehen,

stehen sie doch im krassen Wider- spruch zur erotischen Stimulation der gesamten Öffentlichkeit. Nach der Schilderung solcher Verbre- chen en detail geht man rasch zur Tagesordnung über und bringt Bettgeschichten von angeblichen

„Supermenschen", die für ihre Sexmemoiren Vermögen kassie- ren, während die Tränen, ja das Blut der Geschändeten kaum in- teressiert.

Unter der Schirmherrschaft der Saar-Universität hatte der Soziolo- ge Weis 14 Tage lang für Verge- waltigte ein „Nottelefon" einge- richtet. Die Leitung war ständig besetzt. Das Alter der 100 Anrufen- den betrug zwischen 10 und 71 Jahren, viele konnten nur weinen, die an ihnen begangene furchtba- Ausgabe A/B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 3 vom 22. Januar 1982 25

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BLÜTENLESE

Alle Achtung!

Königin Elisabeth 1. (1533 bis 1603) — sie legte das Funda- ment, auf dem Königin Victoria das britische Weltreich aufbau- en konnte — war sich der Be- nachteiligung der Frau in einer Männerwelt voll bewußt. Einem Höfling, der es ihr gegenüber an Achtung fehlen ließ, wies sie mit den Worten zurecht: „Wenn mich die Natur mit einem Schwengel ausgestattet hätte anstatt mit einem Schlitz, so

würdet Ihr mir nicht so gegen- übertreten, mein Herr." Der Stadt Venedig, die es während der ganzen Herrschaftszeit Eli- sabeths demonstrativ unterlas- sen hatte, einen ständigen Ge- sandten an ihren Hof zu schik- ken, ließ die Königin noch weni- ge Wochen vor ihrem Tode die Belehrung überbringen: „Mein Geschlecht tut meiner Ehre kei- nen Abbruch, noch erniedrigt es den, der mich gleich behan- delt wie jeden anderen Für- sten." Dr. Fleiß

nA, wo HAT' KN DENN NUR.-

WO WAR. DOCH NOCH} GLEICH

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„, IMPrCt4 EINEM Pir-ZAtiKT(?-1c-RTEN ETHOS---

`DC{ SU\C4E 1)0(.4 M Die Information:

Bericht und Meinung Sexismus

re Tat lag durchschnittlich erst Ta- ge oder wenige Wochen zurück.

Die Bundesrepublik Deutschland ist wissenschaftlich-technolo- gisch einer der am meisten fortge- schrittenen Staaten der Erde, da- mit auch der Zivilisation, aber auch Weltrekordinhaber in Verge- waltigungen. Täglich sollen (nach unterschiedlichen Schätzungen) 35 bis 70 Angehörige des weibli- chen Geschlechtes auf diese Art massakriert werden. Und trotzdem erfolgt von seiten gewisser Zei- tungsmacher ein Dauerbombarde- ment in Sachen Erotik, als bein- halte diese den einzigen wahren Lebenssinn abendländischer Kul- tur. Nicht selten werden Opfer samt Angehörigen der entsetzli- chen Negativseite der so gefeier- ten Dominanz menschlicher Geni- talfunktion über die des Gehirnes beleidigt, wie von seiten einer pro- minent gemachten Bankierstoch- ter durch den Abdruck ihrer Le- bensgeschichte in Europas meist- gelesener Zeitung: „Ja bin ich denn blöd! Ist es nicht herrlich aufregend, vergewaltigt zu wer- den? Endlich mal alles vergessen zu dürfen, wieder als Frau begehrt zu sein . . ." Gerade wir Ärzte sind aufgerufen zur Grenzziehung die- ses unserer Zivilisation unwürdi- gen öffentlichen Treibens. Letzt- lich wurden die wenigen globalen wahren Errungenschaften unserer Zeit wie auch vorher nicht im Bei- schlaf geschaffen.

Hier geht es nicht um Spießertum, Berufsmoral oder Prüderie, son- dern um die Würde des Menschen wie um die Bewahrung seiner Se- xualität als eines wesentlichen Faktors zum Glück. Sex verstan- den als Sport, praktiziert im Wett- kampf oder gar als Religionser- satz, zerstört den Glauben an uns selbst und damit an unserer Kul- tur, schafft reale Angriffspunkte in weltweiter Auseinandersetzung.

Eine Gesellschaft, in der „freie Bahn allen Trieben" gefordert wird und nicht die Erziehung ihrer Beherrschung und Steuerung, re- gressiert zur Tierwerdung statt Vermenschlichung und bietet da- mit trotz wirtschaftlichen Wohl-

standes kein nachahmenswertes Beispiel für die dritte Welt. Wenn eine Zeitung neulich ihre erwach- senen, mindestens grundschulge- bildeten Leser mit der sensationel- len Nachricht konfrontiert: „Was die Augen der Sophia Loren so sexy macht . . . wurde als Jahrhun- dertfrage von der Wissenschaft gelöst", glaubt man, es wäre mit einem Neubeginn bereits zu spät!

Hier könnte man auch mit Sig- mund Freud interpretieren: „Der Verlust des Schamgefühls ist das erste Zeichen von Schwachsinn!"

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. H.-W. Rölke Sonnleitenweg 15 8221 Bergen/Obb.

(^ N(-A T O L

26 Heft 3 vom 22. Januar 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A/B

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