DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT
DISKUSSION
Lebertumoren
unter Kontrazeptiva
Zu dem Beitrag von Prof. Dr. med. Josef Eisenburg in Heft 18/1991
Weit überzogen
Der unbefangene Leser gewinnt den Eindruck, daß die Induktion von Lebertumoren durch hormonale Kontrazeptiva ein häufiges Ereignis sei. Dies trifft jedoch nicht zu, die In- zidenz kann mit 1:80 000 bis 1:100 000 angenommen werden.
Das Auftreten von Lebertumo- ren im Zusammenhang mit hormon- produzierenden Tumoren ist mir nicht bekannt und schlicht auch nicht vorstellbar. Wenn hormonpro- duzierende Tumoren in der Lage wä- ren, fokale noduläre Leberzellhyper- plasien zu induzieren, müßte zwangsläufig jede Schwangerschaft mit diesem Risiko behaftet sein.
Auch die Tatsache, daß vor 1954 Le- bertumoren eine Seltenheit waren, läßt sich in diesem Sinne interpretie- ren. Ihre prognostische Beurteilung ist nicht zutreffend. Zutreffend ist, daß nach Absetzen der hormonalen Kontrazeptiva die Leberzelladeno- me sich in aller Regel zurückbilden und in einer nachfolgenden Schwan- gerschaft nicht wieder an Größe zu- nehmen.
Auch der Hinweis, daß Patien- tinnen, bei denen ein Adenom der Leber diagnostiziert wurde, unter ständiger Gefahr und Angst einer Leberruptur mit Verblutung leben würden, erscheint mir überzogen und nicht zutreffend. Es besteht kein Zweifel daran, daß Sexualsteoride, die oral wirksam sind, als 17-alkylier- te Substanzen prinzipiell als leberto- xisch anzusehen sind. Das Auftreten von Leberzelladenomen muß jedoch nach wie vor als ein seltenes Ereignis betrachtet werden. Man sollte auch betonen, daß mit der Einnahme hor- monaler Kontrazeptiva eine Reihe von günstigen Nebenwirkungen ver- bunden sind, wie die Reduktion des Endometriumkarzinoms und die Re- duktion von Ovarialkarzinomen. Ab- gesehen davon stellen die oralen Kontrazeptiva das wirksamste Mit-
tel zur Verhütung unerwünschter Schwangerschaften dar.
Prof. Dr. med.
Meinert Breckwoldt Direktor der Abteilung für Klinische Endokrinologie Universitäts-Frauenklinik Hugstetter Straße 55 W-7800 Freiburg
Schlußwort
Meine Publikation zum Thema
„Lebertumoren unter Kontrazepti- va" im Deutschen Ärzteblatt hat Be- achtung gefunden und Beunruhi- gung ausgelöst. Zur Beantwortung einiger kritischer Bemerkungen mit Frage- beziehungsweise Fragwürdig- keitscharakter — darf ich auf das im Sonderdruck mitabgedruckte Litera- turverzeichnis verweisen.
Daß solche Tumorbildungen häufig auftreten können, haben wir in unserem Übersichtsreferat nicht behauptet, sondern von einem „sel- tenen Auftreten dieser Komplikati- on" gesprochen. Nach derzeitiger Erfahrung muß bei Langzeitanwen- dung der Pille mit einer jährlichen Inzidenz von drei bis vier auf 100 000 gerechnet werden (1), wobei jedoch zu vermerken ist, daß in der Regel nur größere Tumorbildungen dia- gnostiziert werden, wogegen kleine- re, klinisch völlig symptomlose in ei- ne Dunkelziffer eingehen.
Über Auftreten von Lebertu- moren im Zusammenhang mit hor- monproduzierenden Tumoren wur- de selten berichtet, so zum Beispiel über multiple Leberzell-Adenome bei einer jungen Patientin mit multi- zystischem Ovar und Hypersekretion von Delta4-Androstenedione sowie gleichzeitiges Vorkommen von FNH und Leberzell-Adenom bei einem 29jährigen Patienten mit erhöhten Plasmaspiegeln von Androgen und Ostrogen bei dem Syndrom partiel- ler Androgen-Resistenz (2).
Die als Gegenbeweis gegen eine Hormonassoziation zitierte Tatsa- che, daß vor der „Pillenära" die ge- nannten Lebertumore eine Selten- heit darstellten, spricht eigentlich eher für die Assoziation mit der Pil- le, da diese Geschwulste seit Einfüh- rung der oralen Kontrazeption in, Abhängigkeit von der Dauer der Pil- leneinnahme signifikant häufiger be- obachtet werden. Unsere prognosti- sche Beurteilung beruht auf eigenen Erfahrungen an inzwischen mehr als 50 Patientinnen mit Leberzell-Ade- nomen und FNH. Seit Erscheinen unserer Publikation konnten wir bei vier weiteren Patientinnen mit sie- ben- bis 25jähriger Pillenanamnese solche Tumoren diagnostizieren, da- von ein hochmalignes Hepatobla- stom. Daneben wurde uns erst vor kurzem der Fall einer jungen Patien- tin bekannt, die während eines Kauf- hausbesuches mit den Zeichen eines akuten Abdomens kollabierte und unter dem Verdacht auf rupturierte Eileiterschwangerschaft mit schließ- lich drei g/dl Hb einer Notoperation unterzogen werden mußte, wobei sich keine Eileiterschwangerschaft, sondern ein rupturiertes Leberzell- Adenom (bei langjähriger Pillen- anamnese) herausstellte.
Wenn angeführt wird, daß sich nach Absetzen der hormonellen Kontrazeption solche Tumore — in aller Regel — zurückbilden, so könnte man dies doch als einen Hinweis für einen irgendwie gearteten ursächli- chen Zusammenhang mit der Pille ansehen. Leider sind solche Rückbil- dungen selten. Bei den eigenen Be- obachtungen konnten wir lediglich bei drei Patientinnen eine Verklei- nerung, meist erst nach zwei bis vier Jahren nach Absetzen der Pille, fest- stellen, in keinem Fall jedoch eine völlige Rückbildung. Eine Größen- zunahme solcher Tumoren während einer Schwangerschaft ist wiederholt berichtet worden, auch akute Ad- enomrupturen entweder gegen Ende der Schwangerschaft oder nach der Entbindung (siehe unseren Beitrag).
Die Aussage, daß die oralen Kontrazeptiva das wirksamste Mit- tel zur Verhütung unerwünschter Schwangerschaften darstellen, wird von uns geteilt. Ich wollte mit dem Übersichtsaufsatz lediglich aufgrund Dt. Ärztebl. 89, Heft 9, 28. Februar 1992 (75) A1-711
unserer eigenen vieljährigen Erfah- rungen an mehr als 50 Patientinnen und unter Erwähnung einschlägiger Literaturmitteilungen, vor allem aus dem angloamerikanischen Bereich, mit dazu beitragen, daß an solche
„Komplikationen der Pille" gedacht wird und daß man bei mehrjähriger Pillenanwendung regelmäßige so- nographische Untersuchungen zur Erfassung solcher Tumorbildungen im Rahmen unserer Sorgfaltspflicht durchführen soll. Auch wenn solche
„Pillen-Tumore" gesamthaft be- trachtet selten auftreten und eventu- ell für das Zustandekommen eine in- dividuelle genetisch determinierte Bereitschaft oder eine koexistente Realisationsnoxe mitbeteiligt sind,
Lehrmeinung nicht ganz haltbar
L. Thomas hat in seiner informa- tiven Ubersicht über die — oft unter- schätzte — Bedeutung der präanaly- tischen Phase bei vielen klinisch-che- mischen Untersuchungen auch die geläufige Praxis betont, daß zur Elektrolyt(Kalium)-Analyse eine ra- sche Abtrennung von Serum inner- halb von zwei Stunden erforderlich ist. Mehr per Zufall und auf der Ba- sis eigener Nachlässigkeit bemerkten wir, daß über Nacht bei Raumtem- peratur stehendes Vollblut keines- wegs, wie allgemein angenommen, zu einer Erhöhung des Kaliumgehal- tes im Serum führt. Wir haben dar- aufhin die K+-Konzentration in wei- teren 20 hämolysefreien Serumpro- ben von Patienten mit endokrinolo- gischen Prozessen, teils unter Hor- monbehandlung, untersucht, die nach zweistündiger (I) und 24stündi- ger (II) Lagerung des Vollblutes bei 21 ± 1° C gewonnen wurden. Ei- ne Konzentrationsdifferenz konnte nicht ermittelt werden: I 4,22 ± 0,26 vs II 4,13 ± 0,31 mmo1/1. Diese für den praktizierenden Arzt sowie den
ist für die betroffene Frau eine rechtzeitige und richtige Diagnose oft entscheidend.
Literatur
1. Peter, R. L.: Neoplastic Diseases. In: "Liver Pathology", R. L. Peters and J. R. Craig, Eds.
Churchill-Livingstone, New York, Edin- burgh, 1986, pp. 337 ff.
2. Grang J.-D.; Gu&hot, J.; Legendre, C. et al.: Liver Adenoma and Focal nodular Hy- perplasia in a man with high Endogenic Sex Steroids. Gastroenterology 93 (1987) 1409-1413
Prof. Dr. med. Josef Eisenburg Chefarzt der Internen Abteilung am Krankenhaus
der Barmherzigen Brüder Romanstraße 93
W-8000 München 19
Laboratoriumsmediziner verwirren- de, aber zugleich beruhigende Beob- achtung, daß die Konzentrationszu- nahme von Kalium nicht in jeder Probe zwangsläufig auftritt, also auch einmal bei 20° C länger gelager- tes Vollblut durchaus verwertbar ist, sollte keine Veränderung der bishe- rigen von Thomas genannten Ar- beitspraxis veranlassen. Begründung:
Der Einfluß weiterer Milieufakto- ren, so bei Nieren- oder Leberinsuf- fizienz, verschiedenen Comata und anderen Zuständen der Intensivme- dizin, ist nicht abschätzbar.
Der Befund der Stabilität von K + im Vollblut über 24 Stunden bei 20° C sowie der Konzentrationsan- stieg über den gleichen Zeitraum ge- lagerter Proben bei 2-4° C (in unse- rer Erhebung K+: 7,58 ± 0,88 mmo1/1) ist für jedermann leicht nachprüfbar. Welcher Autor die in allen Büchern dogmatisch vertretene Lehrmeinung zur K+-Analyse ur- sprünglich geprägt hat, wäre wissens- wert.
Prof. Dr. med. Heinrich Wernze Med. Universitätsklinik
Josef-Schneider-Straße 2 W-8700 Würzburg
Schlußwort
Die Abtrennung des Serums vom Blutkuchen innerhalb von zwei Stunden wird zur Vermeidung einer Pseudohyperkaliämie empfohlen.
Diese kann entstehen: durch Frei- setzung zellulären Kaliums während des mehrmaligen Schließens und Öffnens der Faust vor Venenpunk- tion; © nach Blutentnahme während des Gerinnungsvorganges aus Ery- throzyten und Thrombozyten (An- stieg bis zu 0,5 mmo1/1) (1);
®
in ei- ner Vollblutprobe bei thermischer und mechanischer Belastung (Pro- bentransport) (2); ® im ruhig über Nacht stehenden Vollblut, wenn ei- ne Leukozytose über 25 00041, eine Thrombozytose über 600 0004, eine Azidose oder eine Hypoglykämie vorliegen. So kommt es zum Beispiel bei Azidose und Absinken des ph- Wertes um 0,1 zu einem Anstieg des Kaliumwertes um 0,6 mmol/1 (3). Ei- ne Thrombozytose von jeweils 100 000/4 über den Grenzwert von 600 0004 bewirkt eine Pseudohy- perkaliämie von 0,15 mmo1/1 (4).Nicht immer kann hier klar zwischen der durch den Gerinnungsvorgang bedingten und der lagerungsbeding- ten Hyperkaliämie unterschieden werden, da die Untersuchungsbedin- gungen in den einzelnen Studien nicht einheitlich und nicht klar defi- niert sind.
Sofern die unter 3. und 4. ge- nannten Bedingungen nicht vorlie- gen, stimme ich Prof. Wernze zu, das heißt eine Trennung des Serums vom Blutkuchen ist nicht innerhalb von zwei Stunden erforderlich.
Literatur
C) Chumbley, L. C.: Pseudohyperkalemia in acute myelotic leukemia. J. Am. Med. Assoc. 211 (1970) 1007.0 Koch, C. D.; Burkhardt, H.; Wepler, R.;
Blersch, H.: Einfluß von thermischer und mecha- nischer Belastung auf 17 klinisch-chemische Para- meter. Lab. med. 7 (1983) 23. ®Burton, D. R.: Cli- nical physiology of acid, base, and electrolyte dis- orders. McGraw Hill, Kogakuscha (1977). ®Wul- kan, R. W.; Michiels, J. J.: Pseudohyperkalaemia in thrombocythaemia. J. Clin. Chem. Clin. Bio- chem. 28 (1990) 489
Prof. Dr. med. Lothar Thomas Chefarzt des Zentrallaboratoriums Krankenhaus Nordwest
Steinbacher Hohl 2-26
W-6000 Frankfurt am Main 90
Blutentnahme
und Probentransport
Zu dem Beitrag von Prof. Dr. med. Lothar Thomas in Heft 40/1991
A1-712 (76) Dt. Ärztebl. 89, Heft 9, 28. Februar 1992