A 984 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 19|
11. Mai 2012BOEHRINGER INGELHEIM
Auf Erfolgskurs
Das Familienunternehmen wächst weiterhin schneller als die Konkurrenz.
W
as ist nur das Erfolgsrezept des deutschen Pharmakon- zerns Boehringer Ingelheim aus dem beschaulichen Städtchen Ingel- heim am Rhein? Während viele Pharmagiganten rund um den Globus ein Sparprogramm nach dem anderen auflegen müssen, stellt Boehringer für dieses Jahr ein Wachstum im „hohen einstelligen Bereich“ in Aussicht – ohne den Gürtel enger schnallen zu müssen.Das sagte Andreas Barner, Sprecher der Unternehmensleitung und ver- antwortlich für den Unternehmens- bereich Forschung und Entwicklung sowie Medizin, bei der Jahrespres- sekonferenz im April in Ingelheim.
„Dank unserer kontinuierlichen In- vestitionen in die eigene Forschung und Entwicklung stehen wir am Beginn einer neuen Wachstumsperi- ode“, kündigte Barner an. Deswe- gen stellt Boehringer Mitarbeiter ein, während die meisten Pharma - unternehmen Personal streichen.
Neuer Rekordwert beim Betriebsgewinn
Im vergangenen Jahr war es dem Familienkonzern gelungen, den Umsatz um Währungseffekte be- reinigt um 6,2 Prozent auf 13,2 Milliarden Euro und den Betriebs- gewinn um ein Fünftel auf den Re- kordwert von 2,3 Milliarden Euro zu steigern. Diese Wachstumsrate kann sich im Vergleich mit den in- ternationalen Top Ten der Branche problemlos sehen lassen. Der US- Gigant Pfizer, der größte Pharma- konzern der Welt, musste im sel- ben Zeitraum sogar einen Um - satzrückgang in Höhe von vier Prozent verkraften. Weltweit steht Boehringer gemessen am Umsatz auf Rang 15, hinter Bayer aus Le- verkusen.
Das Familienunternehmen Boeh- ringer Ingelheim verdankt seinen Vorsprung kontinuierlicher For-
schungsarbeit. Im vergangenen Jahr erhöhte das Unternehmen die Ausga- ben für Forschung und Entwicklung um drei Prozent auf 2,5 Milliarden Euro. Das entspricht 23,5 Prozent des Umsatzes mit verschreibungspflichti- gen Medikamenten. Mit dieser Quote liegt Boehringer Ingelheim deutlich über dem Branchendurchschnitt.
Der jüngste Forschungserfolg ist der oral einzunehmende Blutverdün- ner Pradaxa. Schneller als die Kon- kurrenten hat Boehringer vor knapp zwei Jahren als erstes Unternehmen die Zulassung erreicht. Im vergange- nen Jahr erzielte Pradaxa bereits ei- nen Umsatz von 629 Millionen Euro und war damit das drittwichtigste Produkt des Unternehmens. In der Spitze wird ihm künftig ein Umsatz von bis zu zwei Milliarden Euro zu- getraut. Das Medikament wird zur Prophylaxe von Schlaganfällen bei Patienten mit Vorhofflimmern einge- setzt und kann oral eingenommen werden. Vergleichbare ältere Präpa- rate wie Warfarin müssen intravenös verabreicht werden. Schätzungs- weise sechs Millionen Menschen in Nordamerika und Europa leiden an Vorhofflimmern. Bayer hat mit Xa- relto ein ähnliches Medikament ent- wickelt, das allerdings erst im Herbst vergangenen Jahres in den USA und in Europa zugelassen wurde. Darüber hinaus drängen die US-Pharmariesen Pfizer und Bristol-Myers-Squibb mit ihrem Entwicklungskandidaten Eli- quis auf diesen Markt. Auch der japanische Pharmakonzern Daiichi Sankyo hat mit Lixiana ein Konkur- renzmittel in der klinischen Prüfung.
Neben Pradaxa stützen die etab- lierten Blockbuster Spiriva, zur COPD-Therapie (chronisch-obstruk- tive Atemwegserkrankung), Micar- dis zur Senkung des Bluthoch- drucks und Combivent Boehringers Ertragskraft.
Ein weiterer Hoffnungsträger ist das Diabetesmedikament Trajenta,
das im vergangenen Jahr in den USA zugelassen wurde. In der letz- ten Phase der klinischen Tests be- finden sich zudem ein weiteres Dia- betesmedikament sowie Wirkstoffe gegen Hepatitis und Asthma. In die- sem Jahr will Boehringer zudem für das erste Produkt aus der hauseige- nen Krebsforschung die Zulassung beantragen.
Boehringer Ingelheim verdient mit vier Sparten Geld: Der wich- tigste Bereich sind mit einem Um- satz von 10,1 Milliarden Euro die verschreibungspflichtigen Medika- mente. Dahinter folgen Selbstmedi- kation, Tiermedizin und die Biotech- Auftragsproduktion.
Amerika bleibt der wichtigste Absatzmarkt
Im Geschäft mit verschreibungs- pflichtigen Arzneimitteln wuchs der Umsatz im vergangenen Jahr um 8,2 Prozent und damit kräftiger als der Pharmaweltmarkt, haben Ex- perten von IMS Health berechnet.
Der für Boehringer wichtigste Absatzmarkt war auch im vergan- genen Jahr wieder Amerika. Dort stiegen die Erlöse um 6,3 Prozent.
Der Umsatz in Europa ging dage- gen um 1,3 Prozent auf vier Milliar- den Euro zurück. Als Ursache nennt Boehringer „stärkere politische Re- gulierungen“. Das stärkste Wachs- tum erreichte der Pharmakonzern in der Region Afrika, Australien und Asien mit einem Plus von 9,9 Pro- zent auf rund drei Milliarden Euro.
Zukäufe plant Boehringer nicht – obwohl die Kasse voll ist: Etwa sechs Milliarden Euro hat das Unter- nehmen frei verfügbar. Das ist die höchste Cash-Position in der ganzen deutschen Industrie. Hubertus von Baumbach, der seit 2008 als Finanz- chef das einzige sichtbare Familien- mitglied in der operativen Ge- schäftsführung ist, bezeichnet die Milliarden als „Sicherheitspolster“.
Boehringer möchte auf jeden Fall seine Unabhängigkeit als Familien- unternehmen bewahren. Die Famili- en Boehringer und Baumbach sind – inzwischen in der vierten Generation – die Gesellschafter des Familienun- ternehmens. Sie halten 100 Prozent
der Stimmrechte.
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Petra Prenzel