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FS II 95-406’’Streit auf Noahs Arche’’

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Forschungsprofessur Umweltpolitik Prof. Dr. Udo Emst Simonis

FS II 95-406

’’Streit auf Noahs Arche’’

Zur Genese der Biodiversitäts-Konvention

von

Jessica Suplie

Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH (WZB) Reichpietschufer 50, 10785 Berlin

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Und am Ende werden wir

nur das schützen, was wir lieben, nur das lieben, was wir verstehen

und nur das verstehen, was uns gelehrt wurde.

(Baba Dioum)

(3)

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

1.1 Schutz der biologischen Vielfalt als Problemfeld internationaler Politik 1.2 Zentrale Fragestellungen und Erkenntnisinteresse der Studie

1.3 Methodische Vorbemerkungen und Aufbau der Studie

2. Regime in den internationalen Beziehungen:

Grundlegende Kategorien und analytischer Rahmen 2.1 Regime in den internationalen Beziehungen

2.2 Internationale Umweltregime

3. Verlust biologischer Vielfalt- ein weltweites Problem und dessen Wahrnehmung

3.1 Ökologische Grundlagen

3.1.1 Dimension, Ursachen und Folgen des Artenschwundes 3.1.2 Zum Wert der biologischen Vielfalt für den Menschen 3.1.3 Zwischenergebnis

3.2 Zur Entwicklung internationaler artenschutzpolitischer Konzepte und Instrumente

3.2.1 "Weiche" Instrumente 3.2.2 Bindendelnstrumente 3.2.2.1 Frühe Verträge

3.2.2.2 Verträge mit regionalem Bezug 3.2.2.3 Verträge mit sektoralem Bezug 3.2.3 Zwischenergebnis

3.3. Handlungsbedarf im Problemfeld ‘ Schutz der biologischen Vielfalt’

3.3.1 'Biologische Vielfalt' - ein neues Konzept

3.3.2 Nationale Souveränität und Schutz biologischer Vielfalt - das Spannungsverhältnis

Seite III

1

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I

(4)

4. Die Entstehung der Biodiversitäts-Konvention 43

4.1 Erste Initiativen 43

4.1.1 Der Prozeß innerhalb der IUCN 44

4.1.2 Der Prozeß bei der UNEP 48

4.2 Der Verhandlungsrahmen 50

4.3 Kontext und Akteure 51

4.4 Die Konfliktlinien in den Verhandlungen 54

4.4.1 Schutz und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt 57

4.4.2 Zugang zu den genetischen Ressourcen 59

4.4.3 Zugang zu und Transfer von Technologie 61

4.4.4 Der Finanzierungsmechanismus 63

4.5 Das Verhandlungsergebnis 65

5. Das Regime für den Erhalt der biologischen Vielfalt 68

5.1 Zusammenfassung des Regelungsinhaltes 68

5.2 Zur Arbeitsweise der Konvention 70

5.3 Das Verhältnis zu anderen Abkommen 72

5.4 Die erste Vertragsstaatenkonferenz in Nassau, Bahamas 72 5.5 Zur Wirkungsweise - Die Biodiversitäts-Konvention

als dynamisches Regime 74

6. Zusammenfassung und Schlußfolgerungen 77

Literatur 80

Anhang V

1. Zeittafel V

2. Inhaltsübersicht v n

3. Das Rahmen-Übereinkommen der Vereinten Nationen

über die biologische Vielfalt, Juni 1992 IX

(5)

Abkürzungsverzeichnis

ASEAN BGBl.

CBD CEL

CGIAR CITES COP CSD E IA E L C EPC EU FAO FR G 77 GA GATT GEF GEMS IBPGR IBRD ICCBD ICEL ICSU ILM IMF InBio INC

IPGRI

Association o f South-East Asian Nations Bundesgesetzblatt

Convention on Biological Diversity

Commission on Environmental Law (IUCN/ V or 1990: International Commission on Environmental Policy, Law and Administration, CEPLA) Consultative Group on International Agricultural Research

Convention on International Trade in Endangered Species o f Wild Fauna and Flora

Conference o f the Parties; Vertragsstaatenkonferenz Commission on Sustainable Development

Environmental Investigation Agency (NGO) Environmental Law Center

European Patent Convention Europäische Union

Food and Agriculture Organisation Farmers' Rights

Gruppe der 77

General Assembly (UN)

General Agreement on Tariffs and Trade Global Environment Facility

Global Environment Monitoring System (UNEP) International Bureau for Plant Genetic Resources

International Bank for Reconstruction and Development

Intergovernmental Committee on the Convention on Biological Diversity International Council on Environmental Law

International Council o f Scientific Unions International Legal Materials

International Monetary Fund Institute de Biodiversidad (NGO)

Intergovernmental Negotiating Committee for a Framework Convention on Biological Diversity

International Plant Genetic Resources Institute

m

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IPR Intellectual Property Rights

IUCN W orld Conservation Union (ehemals: International Union for the Conservation o f N ature and Natural Resources, von 1948-1956: International Union for the Protection o f Nature, IUPN)

MTWP Medium Term W ork Programme (COP)

N G O /N R O Non-govemmental Organization/ Nichtregierungsorganisation OAU Organisation o f African Unity

PBR Plant Breeders' Rights PCT Patent Cooperation Treaty

SBSSTA Subsidiary Body on Scientific, Technical and Technological Advice (COP) SSC Species Survival Commission

UNCED United Nations Conference on Environment and Development UNCHE United Nations Conference on the Human Environment UNDP United Nations Development Programme

UNEP United Nations Environment Programme

UNESCO United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation UPOV-

Convention International Convention for the Protection o f New Varieties o f Plants UPU Universal Postal Union

W ECD World Commission on Environment and Development WHO World Health Organization

WWF World Wide Fund for N ature (1961-1988: World Wildlife Fund)

(7)

1. Einleitung

1.1 Schutz der biologischen Vielfalt als Problemfeld internationaler Politik

"G alapagos:

D ie W elt b a n g t u m d ie S ch ild krö ten "1

Als im April 1994 ein Flächenbrand die seltenen Riesenschildkröten bedrohte, die nur auf den Galapagos-Inseln im Pazifischen Ozean heimisch sind, da horchte tatsächlich ein großer Teil der Weltöffentlichkeit auf. Die Schildkröten mit einem Panzer von über einem Meter Länge, die bis zu 200 Jahre alt werden, sind eben berühmt. Weniger bekannt ist es jedoch, daß - nach Schätzungen von UNO-Experten - täglich 50 bis 150 Arten auf der Erde aussterben.2 Besonders stark betrifft das Artensterben nämlich die eher unpopuläreren Insekten, Pflanzen und Pilze. Auf den Galapagos-Inseln sind sogar bereits 60% der dort heimischen Pflanzenarten gefährdet.

Bis heute sind etwa 1,4 Millionen existierende Arten bekannt und registriert. Biologen gehen jedoch davon aus, daß es weit mehr Arten auf der Erde gibt. Schätzungen belaufen sich auf fünf bis dreißig Millionen.3 Die Unsicherheit über die betreffende Größenordnung und die Tatsache, daß es immer ein natürliches Artensterben gab, hat vereinzelt Zweifel über die Notwendigkeit des Artenschutzes aufkommen lassen. Aus anthropozentrisch-utilitaristischer Sichtweise stellt sich sogar die Frage, ob ein so großer Artenreichtum, wie er in manchen Regionen der Erde vorkommt, überhaupt schützenswert sei. Doch zumindest die Wissenschaftler sind sich inzwischen einig, daß das heutige Ausmaß des Artensterbens nicht als evolutions-alltägliche Folge der Ausbreitung der Spezies Mensch verstanden werden darf. Erst seitdem der Mensch im industriellen Maßstab in das Artengefuge seiner natürlichen Umwelt eingreift, beschleunigt sich das Tempo des Artensterbens. Anfangs wurden nur die Großsäugetiere dezimiert. Heute verändert und zerstört der Mensch die natürlichen

1'Abendzeitung', München, 23 .April 1994, S.6.

2Vgl. United Nations Environment Programme: Global Biodiversity. Nairobi: UNEP/ GEMS Environment L ibratyN o.il.

3Vgl. hierzu E.O. Wilson (Hrsg.): Ende der Biologischen Vielfalt? Der Verlust an Arten, Genen und Lebensräumen und die Chancen für eine Umkehr. Heidelberg, Berlin, New York, 1992. Originaltitel:

Biodiversity. Washington D.C., 1988. Vgl. außerdem: W orld Resources Institute (WRI): World Resources 1992-1993: A Guide to the Global Environment. Oxford, 1992.

1

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Grundlagen aller Organismen. Oberflächen werden versiegelt, ganze Landstriche werden unter den Pflug genommen und durch intensive Landwirtschaft ausgeräumt, kontinentweit werden Wälder abgeholzt, Feuchtgebiete werden trockengelegt, Stauseen werden geschaffen. Besonders bedrückend ist das Beispiel der tropischen Regenwälder. Hier stirbt, nach zuverlässigen Schätzungen, etwa alle fünf Minuten eine Art aus.4

Der Verlust der biologischen Vielfalt fuhrt zu schwerwiegenden Problemen, er bedroht die natürliche Umwelt und die menschlichen Lebensgrundlagen. Nur ein Beispiel:

Bisher hat der Mensch nur einen geringen Teil der vorhandenen Pflanzen, Knollen oder Früchte genutzt; diese Einengung des Schutzinteresses auf wenige ökonomisch interessante Kulturpflanzen ist jedoch nicht nachhaltig.5 Wenn eine Pflanze ausstirbt, ist ihr genetisches Potential für die Landwirtschaft oder die Medizin für alle Zeiten verloren. Die Weltemährungs- und Landwirtschaftsorganisation (F o o d a n d A g ric u ltu ra l O rganization, FAO) belegt diese Sorge mit Zahlen: etwa 6000 der Apfelsorten, die einmal auf nordamerikanischen Farmen wuchsen, gibt es nicht mehr.

Von einst vorhandenen 30.000 Reissorten sind nur noch etwa zehn übrig.6 Was aber passiert, wenn diese zentralen Sorten von einer Seuche befallen werden?

Das Problem des Artenschwundes und die Notwendigkeit zu handeln, ist erst vor kurzem ins öffentliche Bewußtsein gedrungen. Ein entscheidender Impuls ging von der Tagung 'N ational F o ru m on B io d iversity' der S m ith so n ia n In stitu tio n und der N a tio n a l A c a d e m y o f S cien ces aus, die im September 1986 in Washington stattfand. Drei Tage lang hielten 60 Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen Vorträge über die Bedeutung der biologischen Vielfalt. Volle Hörsäle und eine - gemessen am sonst üblichen Stellenwert von Umweltnachrichten - gute Resonanz in den Medien zeigten, daß sich viele Menschen der Bedrohung bewußt geworden sind, die das weltweite

4Vgl.: United Nations Environment Programme (UNEP): The Dissappearing Forests. Nairobi: UNEP Environment Brief No.3. Außerdem W orld Resources Institute/ The W orld Bank/ United Nations Development Programme: Tropical Forests: A Call for Action. 3 Bde. Washington D.C.: WRI, 1985.

5Die Weltemährung stützt sich auf nur sieben von etwa 4.800 bekannten Kulturpflanzen, nämlich auf Reis, Mais, Weizen, Gerste, Kartoffeln, Zuckerrohr und Soja. Vgl. hierzu: Food and Agriculture Organization (FAO): Forests, Trees and Food. FAO, 1992.

6Vgl. hierzu: Food and Agriculture Organization (FAO): a.a.O.

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Artensterben allgemein, aber auch speziell für ihr eigenes Wohlergehen darstellt. Einer der bekanntesten Biologen, Edward O. Wilson, hatte die Wissenschaftlergemeinde zu dieser Konferenz zusammengerufen und prägte mit dem Begriff 'Biodiversity' (im deutschen: 'Biologische Vielfalt' oder 'Biodiversität') ein neues Schlagwort in der umweltpolitischen Diskussion.7

Die Umsetzung des Konzepts zum Schutz der biologischen Vielfalt in der Politik machte sich vor allem die W orld C o n serva tio n U nion (IUCN) zur Aufgabe. Tm Vorlauf zur UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung {U n ited N a tio n s C o n feren ce on E n v iro n m en t a n d D evelopm ent, UNCED, im folgenden auch ‘Erdgipfel’) in Rio de Janeiro 1992 wurde das Thema auch von den Vereinten Nationen aufgegriffen und diskutiert. Nach vier Jahren schwieriger Verhandlungen wurde am 22. Mai 1992 beim Umweltprogranun der Vereinten Nationen {U n ited N a tio n s E n v iro n m en t P rogram m e,

UNEP) der Vertragstext für ein Rahmen-Übereinkommen über die biologische Vielfalt angenommen. Während des 'Erdgipfels' in Rio de Janeiro wurde dieses Übereinkommen von 156 Staaten unterzeichnet. Nachdem der 30. Staat die Ratifizierung des Übereinkommens vollzogen hatte, trat es am 29. Dezember 1993 in Kraft. Das Vertragswerk gilt allgemein als entscheidender Schritt auf dem Weg zu einer wirksamen Artenschutzpolitik. Denn während zuvor vereinbarte Abkommen im Bereich des Artenschutzes stets auf bestimmte Gebiete oder einzelne Arten begrenzt waren, liegt dem Rahmen-Übereinkommen über die biologische Vielfalt (im folgenden auch Biodiversitäts-Konvention) erstmals ein umfassender Ansatz zugrunde.

Mit der Aushandlung der Biodiversitäts-Konvention zeigten die Staaten zunächst einmal ihre generelle Bereitschaft, dem Verlust der biologischen Vielfalt zu begegnen und einen institutionellen Rahmen für ihre künftige Zusammenarbeit auf diesem Gebiet zu schaffen. Inhaltlicher Schwerpunkt der Vereinbarungen ist dementsprechend die Formulierung von Prinzipien und allgemeinen Handlungszielen. Hieraus ergibt sich die übergeordnete Strategie des Übereinkommens: Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, die nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile sowie die gerechte Aufteilung der sich aus der Nutzung genetischer Ressourcen ergebenden Gewinne. Insbesondere die Aufnahme des Konzepts der nachhaltigen Nutzung {sustainable u se) verdient darunter Beachtung. Ein effektiver Schutz der Arten und ihrer Lebensräume wird allerdings erfordern, daß die Staaten an ihrer Bereitschaft festhalten und die in dem

’Edward O. Wilson hatte früher eindringlich auf das Problem des irreversiblen Verlusts genetischer Vielfalt durch das anthropogen verursachte Artensterben aufmerksam gemacht; dank seines Bekanntheitsgrades und seiner Autorität hat er entscheidend zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit beigetragen.

3

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Übereinkommen angelegte Strategie als Bezugsrahmen für ihre Politik auf lokaler, nationaler sowie auf internationaler Ebene ansehen.

1.2 Zentrale Fragestellung und Erkenntnisinteresse der Studie

Die vorliegende Studie verfolgt im wesentlichen zwei Ziele: Zum einen sollen Absichten und Inhalte der Biodiversitäts-Konvention und deren Umsetzung bewertet und daraufhin geprüft werden, ob hier von einem internationalen Regime, politikwissenschaftlich definiert, ausgegangen werden kann. Da die Konvention erst 1993 in Kraft trat, ist die Frage nach Erfolg oder Mißerfolg des Regimes verfrüht.

Daher besteht das zweite Ziel der Studie darin, den Prozeß von der zugrundeliegenden Idee für eine weltweite Artenschutzkonvention, über die Rechtsetzungsinitiative bis zur Übereinkunft der Staaten in Form des Vertragstextes unter Berücksichtigung der Kontextbedingungen und der Akteure in den Verhandlungen zu analysieren.

1.3 Methodische Vorbemerkungen und Aufbau der Studie

Der Umwelt- und Ressourcenschutz ist inzwischen zu einem festen Bestandteil der Agenda internationaler Politik geworden. Dies zeigen zahlreiche Publikationen zur globalen Umweltproblematik (insbesondere seit der UNCED 1992). Da insbesondere das Interesse an den wirtschaftlichen, sozialen und sicherheitspolitischen Auswirkungen der Umweltbelastung und Umweltzerstörung wächst, findet man neben naturwissenschaftlichen Beiträgen mehr und mehr Studien über die Reaktionen auf politischer Ebene. Entsprechend der relativ kurzen Zeit, seit der Umweltprobleme in den internationalen Beziehungen verhandelt werden, liegen jedoch noch nur wenige umfassende Analysen vor. Insbesondere gibt es über den internationalen Artenschutz im Vergleich zu anderen Themenkomplexen wie etwa der Klimaveränderung noch kaum Material. Als Grundlage für die vorliegende Studie dienten deshalb neben Monographien zum Thema 'Biologische Vielfalt' vor allem Dokumente über den Verhandlungsprozeß der Biodiversitäts-Konvention und diesbezügliche Stellungnahmen politischer Akteure.

Die Studie ist in sechs Kapitel gegliedert, hn Anschluß an die Einleitung geht es im zweiten Kapitel um einige grundlegende theoretische Kategorien und einen analytischen Bezugsrahmen der Arbeit. In den internationalen Beziehungen gibt es keine übergeordnete Sanktionsinstanz. Es stellt sich daher die Frage, wie internationale Politik so gestaltet werden kann, daß die konfliktträchtige Eigenschaft souveräner

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Staaten, ihre Interessen egoistisch zu verfolgen, eingeschränkt wird. Eine Möglichkeit ist die Einbindung der Staaten in transparente Kooperations- und Entscheidungsstrukturen. Eine besondere Form geregelter Zusammenarbeit zwischen Staaten stellen sogenannte Regime dar. Das Anhegen des zweiten Kapitels ist es, die Entwicklung der Debatte um Regime als Analyseeinheit in der Politikwissenschaft darzustellen und die besondere Bedeutung von Umweltregimen zu klären.

Im dritten Kaptiel wird die Problematik des Verlustes biologischer Vielfalt beschrieben sowie ihre Wahrnehmung auf der Ebene internationaler Politik dargestellt. Nachdem die gegenwärtige Situation des Artensterbens, ihre Ursachen und Folgen verdeutlicht worden sind, geht es um die Etablierung des Artenschutzes als Thema internationaler Politik. Dabei werden die verschiedenen internationalen Verträge diskutiert, die vor der Entstehung der Biodiversitäts-Konvention zum Artenschutz geschlossen wurden.

hn vierten Kapitel wird die Entstehung der Biodiversitäts-Konvention untersucht.

Bevor mit der Rechtssetzungsinitiative die offiziellen Verhandlungen begannen, gab es umfangreiche Vorverhandlungen, in denen man sich darum bemühte, die Idee eines globalen Artenschutzinstrumentes in 'brauchbare' und kompromißfahige Konventionsentwürfe umzusetzen. In der Untersuchung des Entstehungsprozesses ist der Blick auf die strukturellen und akteursspezifischen Ausgangsbedingungen und auf die in den Verhandlungen zutage tretenden Konfliktlinien gerichtet. Daraufhin wird das Ergebnis der Verhandlungen dargestellt, wobei auch die Entwicklungen im Zusammenhang mit der ersten Vertragsstaatenkonferenz der Biodiversitäts-Konvention Ende 1994 in Nassau, Bahamas berücksichtigt werden.

Anhand der Ergebnisse dieser Untersuchung wird im fünften Kapitel erörtert, ob mit der Biodiversitäts-Konvention ein problemadäquates Regime geschaffen wurde, in dem sich die Akteure von gemeinsamen Prinzipien, Nonnen, Regeln und Entscheidungsverfahren leiten lassen.

Im Schlußkapitel werden die Ergebnisse der Untersuchung zusammengefaßt sowie die Perspektiven des globalen Schutzes der biologischen Vielfalt aufgezeigt.

5

(12)

2. Regime in den internationalen Beziehungen:

Grundlegende Kategorien und analytischer Rahmen

2.1 Regime in den internationalen Beziehungen

Die vorliegende Studie stützt sich auf die Methodik der Regime-Analyse. Der Regime- Begriff stammt aus dem Völkerrecht, wo er in bezug auf internationale, vertraglich fixierte Übereinkünfte über den Status bestimmter Gebiete Anwendung findet.

Die Diskussion über Regime als Analyseeinheit in der Pobtikwissenschaft begann zunächst in den siebziger Jahren in den USA. In dem grundlegenden Werk ’’Power and Interdependence”8 beschäftigten sich Robert O. Keohane und Joseph S. Nye etal. mit dem Phänomen neu geschaffener Organisations- und Kooperationsformen in einer seit dem zweiten Weltkrieg zunehmend interdependenten Staatenwelt. Sie stellten u.a. fest, daß die internationalen Beziehungen unter den Bedingungen der Interdependenz durch Netzwerke von Regeln, Normen und Verfahren bestimmt sind. Diese kooperativ angelegten Netzwerke, die das Verhalten der Akteure in der internationalen Politik leiten, bezeichneten sie als ‘international regimes’.9

Die traditionelle Sichtweise internationaler Beziehungen, nach der die Staaten vesuchen, ihre Macht gegenüber anderen Staaten notfalls mit Mitteln der Gewalt durchzusetzen, betrachtet Kooperation demgegenüber nicht als dauerhaftes Strukturelement in der Staatenwelt. Vielmehr stellt die Struktur der internationalen Beziehungen in dieser traditionellen Perspektive eine immanente Schranke für Kooperation dar. hn Gegensatz zu den ’’Realisten” propagierten die neuen

”Idealisten”eher die Überwindung der Staatenkonkurrenz zugunsten einer kosmopolitischen kooperierenden Weltgesellschaft. Die tiefgreifenden Veränderungen der zwischenstaatlichen Beziehungen ab der Mitte des 20. Jahrhunderts befriedigend zu erklären, war schwierig geworden. Der Nationalstaat spielt in einer Welt, in der viele wichtige Phänomene die Staatengrenzen überschreiten, keine so wichtige Rolle mehr wie früher. In vielen Bereichen wurden Institutionen geschaffen, die die

8Robert O. Keohane/ Joseph S. Nye (Hrsg.): Power and Interdependence. World Politics in Transition.

Boston, Toronto, 1977,

9Diess.: S.19.

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Konkurrenz zwischen den Staaten in mehr oder weniger stabile Muster kanalisierten bzw. sie durch Kooperation abschwächten.10 Dieser Trend setzt sich weiter fort und muß sich immer neuen Anforderungen anpassen.

Die Regime-Theorie versucht nun, die Dichotomie zwischen den Annahmen des

’’Realismus” und des ’’Idealismus” zu überwinden. Dabei bleiben die Nationalstaaten zwar die zentralen Akteure in der internationalen Politik, neben diesen wird jedoch auch die Rolle zwischenstaatlicher sowie nicht-staatlicher Organisationen berücksichtigt.

Seit Ende der siebziger Jahre sind eine Reihe von Untersuchungen über internationale Regime entstanden. Eine größere Zahl dieser Studien beschäftigte sich mit den Wirtschaftsbeziehungen zwischen den westlichen Industrienationen.11 Jedoch wurde die Regime-Analyse auch in der Sicherheits-, der Menschenrechts- und - in einigen Fällen - der Umweltpolitik angewandt bzw. weiterentwickelt.12 Die Regime-Analytiker untersuchten vor allem die Wirkungsweise der um internationale Übereinkommen und Organisationen gelagerten Kooperation, deren Form und Effektivität. Dabei stellten sie fest, daß die Kooperation sowohl auf formelle, als auch auf informelleBestandteile baut. Weiterhin beobachteten sie eine allmähliche Verhaltensänderung der kooperierenden Akteure in dem betreffenden Politikfeld und sahen darin eine politikgestaltende Wirkung von Regimen.

Das wachsende Interesse an den Ergebnissen dieser noch recht jungen Forschungsrichtung und die Zahl der Arbeiten, in denen Regime diskutiert wurden,

1 “Beispiele für diese institutionalisierte überstaatliche Kooperation sind vielfältig, um einige wenige zu nennen:Weltpostverein (Universal Postal Union, UPU, 1948), der Internationale Rat Wissenschaftlicher Vereinigungen (International Council of Scientific Unions, ICSU, 1931), Finanzinstitute wie die Weltbank (International Bank for Reconstruction and Development, IBRD, 1945) und der Internationale Währungsfonds (International Monetary Fund, IMF, 1945) oder UN-Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO, 1948).

11 Vgl. hierzu z.B.: John Ruggie: International Regimes, Transactions and Change: Embedded Liberalism in the Postwar International Order. In: Stephen K rasner (Hrsg.): International Regimes. Ithaca, London, 1983, S. 195-232.

12Zum letzteren vgl. z.B. O ran Young: International Cooperation. Building Regimes for Natural Resources and the Environment. Ithaca, New York, London, 1989.

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machte es notwendig, den Regime-Begriff genauer zu definieren. Eine einheitliche und bis heute anerkannte Definition wurde auf einem Symposium über die Regime- Forschung im Jahre 1982 in den USA erarbeitet und von Stephen D. Krasner formuliert:13

’’Regimes can be defined as sets o f implicit or explicit principles, norms, rules, and decision­

making-procedures around which actors’ expectations converge in a given area o f international relations. Principles are beliefs o f facts, causation and rectitude. Norms are standards o f behaviour defined in terms o f rights and obligations. Rules are specific prescriptions or proscriptions for action. Decision-making-procedures are prevailing practices for making collective choice.”14

Diese Definition dient auch der vorhegenden Studie als Grundlage. Umfassendere Definitionen schließen auch andere, nicht-institutionahsierte Formen der Kooperation ein, wodurch dann allerdings die Trennlinie zwischen ad hoc-Kooperation oder Krisenmanagement und Regimen tendenziell verschwimmt. Verwendet man einen solch weiten Regimebegriff, wie ihn beispielsweise Puchala und Hopkins vorschlagen,15 verringert sich der heuristische Wert des Regime-Ansatzes.

Auf der anderen Seite ist die oben angeführte, von Krasner formulierte Definition nicht so eng gefaßt, daß sie beispielsweise den Rechtscharakter zu einem notwendigen Bestandteil macht. Regime beinhalten sowohl formale als auch informelle Elemente. In zunehmenden Maße begegnet man jedoch verrechtlichen Regimen; vor allem im Umweltschutz ist eine effektive Kooperation ohne die Vereinbarung expliziter Regeln kaum denkbar.16 Die Überwindung des staatlichen Unilateralismus zugunsten zielgerichteten, kooperativen Verhaltens wird nur dann möglich, wenn die Staaten

13Während dieses Symposiums wurde auch heftige Kritik an dem Kozept der Regime-Theorie geäußert. So vermißte Susam Strange vor allem begriffliche Klarheit: ’’‘Regime’ is yet one more wooly concept that is a fertile source of discussion simply because people mean different things when they use it (...) some sort of euphemistic Newspeak.” Susan Strange: Cave! Hie Dragones: A Critique of Regime Analysis. In: Stephen Krasner: A.a.O., S.342f.

14Stephen D. Krasner: Structural Causes and Regime Consequences. Regimes as Intervening Variables. In:

Ders.: a.a.O., S.61, S.63.

15Vgl.: Donald D. Puchala/ Raymond F. Hopkins: International Regimes. Lessons from Inductive Analysis.

In: StephenD. Krasner: a.a.O., S.61, S.63.

16Vgl. hierzu auch F rank Biermann: Internationale Meeresumweltpolitik. Auf dem Weg zu einem Umweltregime für die Ozeane? Frankfurt a.M, 1994.

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gegenseitiges Vertrauen aufbauen und das Verhalten der Akteure im betreffenden Politikfeld abschätzen können. Die Entstehung einer solchen Vertrauensbasis wird durch expülizit vereinbarte Verhaltensregeln in völkerrechtlich bindenden Vereinbarungen begünstigt. Eine wichtige Aufgabe von Regimen besteht demnach darin, Ungewißheiten zu verringern und Erwartungen an das Verhalten der anderen Akteure zu stabilisieren.

Internationale Regime weisen eine differenzierte Struktur auf. In Anlehnung an Krasner unterscheidet die Regime-Theorie vier Elemente: Prinzipien, Normen, Regeln und Entscheidungsverfahren. In den Prinzipien bringen die Staaten ihre gemeinsame Perzeption des Konfliktgegenstandes zum Ausdruck und legen allgemeine Handlungsziele fest. Die Herstellung eines wiisenschaftlich begründeten und politisch akzeptierten Konsens ist grundlegend für das Zustandekommen eines Regimes. Mit den Normen werden die den Prinzipien entsprechenden Verhaltensgebote festgelegt.

Die Regeln bilden den stärker formalisierten Bereich eines Regimes; sie beinhalten genaue Verhaltensvorschriften, von deren Befolgung oder Mißachtung durch die Akteure die Effektivität des Regimes abhängt. Die Entschediungsverfahren geben die Prozeduren für den Informationsaustausch, die Abstimmung, die Austragung von Konflikten, aber auch Routinefragen innerhalb eines Regimes vor.

Im Jahre 1987, also zehn Jahre nachdem Keohane/ Nye das Regime-Konzept entwickelt hatten, diskutierten Stephen Haggard und Beth A. Simmons den Stand der betreffenden Forschung in einem Aufsatz in der Zeitschrift In tern a tio n a l O rg a n iza tio n .11 Ihr wesentlicher Kritikpunkt war dabei, daß die meisten Studien dem Aspekt des Wandels von Regimen zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatten. Sie schlugen daher vier Kriterien vor, anhand derer Aussagen über die Veränderung von Regimen möglich werden:

’’Regimes may change over time or vary across cases in at least four ways: strength, organizational form, scope, and allocational mode.” * 18

‘Strength’, die Stärke eines Regimes, läßt sich an dem Maß der Befolgung von Normen und Regeln durch die Regime-Teilnehmer messen. Die Organisationsform

1’Stephen Haggard/ Beth A. Simmons: Theories of International Regimes. A.a.O.

18Dies.: a.a.O , S.496.

9

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(‘organizational form’) ist durch den Grad der Institutionalisierung eines Regimes zu bestimmen; hier sind insbesondere die Entscheidungsverfahren innerhalb des Regimes, zum Beispiel jene über Konfliktregelung und die Abstimmungsverfahren von Bedeutung. ‘Scope’ meint die Reichweite oder den Kompetenzbereich eines Regimes.

Ein sehr weiter Kompetenzbereich fuhrt tendenziell zu hohen administrativen Kosten (transaction, search, monitoring costs), ein engerer dagegen begrenzt den Verhandlungsspielraum. Häufig kommt es zu einem Regime-Wandel, wenn der Kompetenz-Bereich des Regimes dem zu regelnden Problemfeld nicht mehr angemessen ist. Bei der Allokationsweise (‘allocational mode’) unterscheiden Haggard und Simmons zwischen marktorientierter, autoritärer oder privater Lastenverteilung, wobei die Wirkung eines Regimes stark von der Allokationsweise abhängt; sie ist entsprechend häufig Gegenstand der Auseinandersetzung zwischen den Reghneteilnehmem.

hn Laufe der Theorieentwicklung haben sich verschiedene Forschungsrichtungen der Regime-Analyse herausgebildet, die sich zwei Hauptströmungen zuordnen lassen.19:

mainstream-Ansätze und reflektive bzw. kognitive Ansätze. Haggard und Simmons hatten in ihrer o.a. Untersuchung von 1987 festgehalten, daß sich die verschiedenen regime-analytischen Studien in vier theoretische Forschungsansätze unterteilen lassen und diese als ‘strukturalistisch’, ‘spieltheoretisch’, ‘funktionalistisch’ und ‘kognitiv’

bezeichnet. Die ersten drei Forschungsansätze lassen sich eher der Mainstream- Regime-Theorie zuordnen. Sie betrachten die Staaten als rationale, einheitliche Akteure, die unter ganz bestimmten Bedingungen kooperieren, lassen dabei aber Faktoren für die Entstehung und Entwicklung von Regimen außer Betracht, die die reflektiven oder kognitiven Ansätze wiederum für wesentlich halten. Die Besonderheit des kognitiven Ansatzes in der Regimetheorie sehen Haggard und Simmons darin, daß er die sich wandelnde Wahrnehmung und sich entsprechend ändernde Gewichtung des Problemgegenstandes durch die Akteure als wichtiges Element miteinbezieht:

’’Where functional theories see regimes as more or less efficient responses to fixed needs, cognitive theories see them as conditioned by ideology and consensual knowledge and evolving as actors learn.”20

19Vgl. Thomas Gehring: a.a.O.

20Stephen Haggard/ Beth A. Simmons: a.a.O., S.499.

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Seit Mitte der achziger Jahre arbeitet die Politikwissenschaft zunehmend mit der Regime-Analyse, auch in der Bundesrepublik schenkte man dieser Forschungsrichtung Beachtung. Czempiel hob 1986 den analytischen Wert des Forschungsansatzes hervor,

’’...weil er die internationale Politik ausmachenden formellen oder formalisierten Interaktionsmuster zu analysieren erlaubt, in denen mit Macht Gewinne verteilt werden. Das emazipatorisch-kritische M oment (...) kann sich hier voll und mit der Chance entfalten, wissenschaftliche Ergebnisse, also hard-ware zu liefern.” 21

Beate Kohler-Kochs Sammelband von 1987 gibt einen ersten Überblick über den Stand der Regime-Diskussion in Deutschland.22 Unter der Leitung von Volker Rittberger ging das Tübinger Regime-Forschungsprojekt vor allem der Frage der Entstehungsbedingungen von Regimen nach.23

Die von Haggard und Simmons hervorgehobene Besonderheit des kognitiven Ansatzes, das ‘Lernen’ der Regimeteilnehmer zu untersuchen, wurde weiter verfolgt; das Interesse galt aber auch der Wirkung von Regimen auf den politischen Entscheidungsprozeß der Staaten, und damit der Frage , ob Regime die Strukturen der zwischenstaatlichen Beziehungen verändern können.

Die Arbeit mit Regimen als Analyseeinheit hat ohne Zweifel dazu beigetragen, daß sich der liberale Institutionalismus als eine Theorie internationaler Kooperation weiter etablieren konnte.24 Der liberale Institutionalismus geht von dem Bestehen kooperativer Beziehungen zwischen den Staaten aus und betont die Rolle internationaler Institutionen, welche die Fortentwicklung der Kooperation

21Ernst-Otto Czempiel: Der Stand der Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen und der Friedensforschung in der Bundesrepublik Deutschland. In: Klaus von Beyme (Hrsg.): Politikwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland: Entwicklungsprobleme einer Disziplin. PVS-Sonderheft, Nr. 17, Opladen,

1986, S.250.

22Beate Kohler-Koch (Hrsg.): Regime in den internationalen Beziehungen. Baden-Baden, 1989.

23Volker Rittberger (Hrsg.): Theorien der Internationalen Beziehungen. Bestandsaufnehme und Forschungsperspektiven. Sonderheft 21/1990 der PVS, Opladen, 1990.

24Vgl. hierzu: Otto Keck: Der neue Institutionalismus in der Theorie der internationalen Politik. In: Politische Vierteljahreszeitschrift, 32.Jg. (1991), Heft 4, S.635-653. Man spricht auch von einer institutionalistischen Rennaicance, die seit Mitte der 80er Jahre zu beobachten ist. Vgl. hierzu: F rank Biermann: a.a.O., S.27.

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ermöglichen. Harald Müller nennt es schlicht aber treffend ’’die Chance der Kooperation”25, die sich für die Staaten ergibt, wenn sie sich - entgegen der Annahmen des strukturellen Realismus - aus dem ’’ewigen Teufelskreis zwischen Gewalt, Erschöpfung, Erholung und Machtkonkurrenz”26 lösen, um den Anforderungen einer zunehmend interdependenten Welt und dem darin enthaltenen Konfliktpotential entsprechen zu können.

2.2 Internationale Umweltregime

Die Belastung und Zerstörung der Umwelt schafft Probleme weltweiten Ausmaßes und ein großes neues Konfliktpotential. Der sogenannte Erdgipfel in Rio 1992 hat gezeigt, daß sich die höchsten politischen Entscheidungsträger dieser Tatsache mittlerweile auch bewußt sind: 103 Staats- und Regierungschefs nahmen an dieser Konferenz teil - ein Indikator für den seit etwa zwanzig Jahren zunehmenden Kooperationsbedarf im Umwelt- und Ressourcenschutz. Auch die allgemeine Öffentlichkeit wurde durch die Konferenz von Rio neu sensibilisiert für die weltweit bedrohlichen ökologischen Probleme, wie den Klimawandel und das Artensterben.

Der erhebliche Kooperations-, also auch Regimebedarf im internationalen Umweltschutz ergibt sich aus der einfachen Tatsache, daß die Grenzen der ökologischen Systeme nicht den Grenzen der Nationalstaaten entsprechen.

Grenzüberschreitende Umweltprobleme bzw. globale Umweltgüter machen die Zusammenarbeit der Staaten unumgänglich. Problemfelder, in denen dringender Kooperationsbedarf besteht, sind u.a. die Verschmutzung der Umweltmedien Luft, Wasser, Boden, die Beeinflussung der Atmosphäre und die damit zusammenhängende globale Erwärmung, das Vorrücken der Wüsten, die Zerstörung von Habitaten und das zunehmende Artensterben.

Die generelle Aufgabe von Regimen in der internationalen Umweltpolitik besteht darin, Umweltschäden zu beheben, sie zu verhindern oder zumindest die wirtschaftlichen Tätigkeiten der Menschen so zu begrenzen, daß sie langfristig keine weiteren Umweltschäden hervorrufen. Die nationale Umweltpolitik basiert auf den

25H arald Müller: Die Chance der Kooperation - Regime in den internationalen Beziehungen. Dannstadt, 1993.

26H arald Müller: a.a.O., S.25.

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Konzepten der Nachsorge (Kuration) und der Vorsorge (Prävention), bzw. auf den Begriffen Gefahrenabwehr und ökologische Strukturanpassung.27 Dabei muß als wichtige Nebenbedingung darauf geachtet werden, daß die Staaten weder untragbare Wohlstandsverluste hinnehmen noch auf Entwicklungschancen verzichten müssen;

beides könnte die Souveränität der Staaten erheblich einschränken und so zu Kooperationsverweigerung fuhren.

Trotz des zunehmenden Regelungsbedarfs in der internationalen Umweltpolitik und einer zu beobachtenden Kooperationsbereitschaft der Staaten in ökologischen Fragen findet man in der Literatur über internationale Regime bisher nur wenige Arbeiten über ökologische Themen. In den USA beschäftigt sich insbesondere Oran Young mit der Untersuchung von Regime-Bildungsprozessen im Umwelt- und Ressourcenschutz28;

umfangreiche Arbeiten über internationale Institutionen im Umweltschutz haben 1993 Peter M. Haas, Robert O. Keohane und Marc A. Levy herausgegeben.29 Eine ausführlicher Untersuchung der Entstehung des ‘Ozon-Regimes’ stammt von Richard E. Benedick.30

In Deutschland liegen ebenfalls einzelne Arbeiten über internationale Umweltregime vor, wie insbesondere die von Thomas Gehring über die Dynamik von Umweltregimen, von Sebastian Oberthür über das Klimaschutz-Regime, von Frank Biermann über die Meeresumweltpolitik sowie insbesondere das Jahresgutachten 1995 des WBGU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen), das sich in mehreren Kapiteln schwerpunktmäßig mit den Institutionen globaler Umweltpolitik befaßt.31 In der bereits erwähnten von Beate

27In der englischsprachigen Literatur finden sich drei Begrifilichkeiten, die mit diesen allerdings nicht äquivalent sind: adaption, mitigation, prevention.

28Vgl. O ran Young: a.a.O.

29Peter M. Haas/ Robert O. Keohane/ M arc A. Levy (Hrsg.): Institutions for the Earth - Sources of Effective International Environmental Protection. Cambridge, Mass./ London, 1993.

30Richard E. Benedick: Ozone Diplomacy - New Directions in Safeguarding the Planet. Cambridge, Mass., 1991.

^W issenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen: Jahresgutachten 1995.

Welt im Wandel: Wege zur Lösung globaler Umweltprobleme. Berlin, 1995.

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Kohler-Koch herausgegebenen Anthologie ist ein Fallvergleich verschiedener Umweltregime von Volker von Prittwitz enthalten.32 Helmut Breitmeyer und Michael Zürn nahmen 1990 eine Typologisierung von Umweltkonflikten vor und stellten eine Verbindung her zwischen bestimmten Konflikttypen und der Wahrscheinlichkeit der Regimeentstehung.33

Die Tatsache, daß ökologische Probleme in der internationalen Politik wahrgenommen werden und daß Staaten sich auf gemeinsame Prinzipien, Normen, Regeln und Entscheidungsverfahren zu deren Bearbeitung einigen, ist für sich genommen jedoch noch kein zufriedenstellendes Ergebnis. Vielmehr ist es wichtig herauszufinden, was internationale Umweltregime leisten können. Unter Punkt 2.1 wurde hierzu erwähnt, daß Haggard und Simmons vorschlagen, die Stärke eines Regimes an der Befolgung bzw. Mißachtung von Normen und Regeln durch die Regimeteilnehmer zu messen.

Dieses Effektivitätskriterium ist sicherlich notwendig aber nicht hinreichend, denn:

’’gerade in der Umweltpolitik, die mit ihren komplexen naturwissenschaftlichen Problemen die Regierungen zu vernebelndem, symbolischen Handeln einlädt, scheint nicht nur diese klassische Regime-Effektivität bezüglich der Auswirkungen auf die staatlichen Akteure notwendig zu sein, sondern auch die Messung der ‘Umwelteffektivität’ der internationalen Umweltpolitik.” 34

Die globalen Umweltprobleme verschärfen sich von Jahr zu Jahr (siehe WBGU- Gutachten 1993, 1994, 1995)35. Obwohl man daraus zunächst schließen könnte, daß es keine effektiven Umweltregime gebe, die den ökologischen Kollaps zu verhindern in der Lage wären, sind doch ‘Teilerfolge’ in einzelnen Problemfeldem zu verzeichnen.36

32Vgl. hierzu: Thomas Gehring: a.a.O.; Sebastian Oberthür: Politik im Treibhaus, die Entstehung des intemationaen Klimaschutzregimes. Berlin, 1993. Volker von Prittwitz: Internationale Umweltregime, ein Fallvergleich. In: Beate Kohler Koch: a.a.O.; F rank Biermann: a.a.O.

33Vgl. hierzu: Helmut Breitmeier/ Michael Zürn: Gewalt oder Kooperation. Zur Austragungsform internationaler Umweltkonflikte. In: antimiitarismusinformation, 20. Jg., Heft 12, Dezember 1990, S. 14-22.

34F rank Biermann: a.a.O., S.32.

^W issenschaftlicher Beirat d er Bundesregierung Globale Umweltveränderungen:. Welt im Wandel:

Grundstruktur globaler Mensch-Umwelt-Beziehungen. Jahresgutachten 1993. Bonn, 1993; Welt im Wandel:

Die Gefährdung der Böden. Jahresgutachten 1994. Bonn, 1994; Welt im Wandel: Wege zur Lösung globaler Umweltprobleme. Jahresgutachten 1995. Berlin, 1995.

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Ein Umwelt-Regime wäre demnach dann effektiv, wenn es bewirkt, daß die Umwelt nachweisbar weniger belastet bzw. zerstört wird als vor der Bildung des Regimes.36 37 Aussagen über die ‘Umwelteffektivität’ des internationalen Regimes zum Schutz der biologischen Vielfalt (Biodiversitäts-Konvention) zu treffen, ist zu diesem Zeitpunkt verfrüht. Einerseits herrscht noch eine zu große wissenschaftliche Unsicherheit über das Ausmaß des weltweiten Artenschwundes und die Vielzahl von in Wechselwirkung zueinander stehenden Ursachen und Auswirkungen der Erosion biologischer Vielfalt lassen die Feststellung der ‘Umwelteffektivität’ der Biodiversitäts-Konvention als höchst schwierig erscheinen. Andererseits wird im Laufe der Verhandlungen der Konvention kontinuierlich Wissen über Ursachen und Wirkungen generiert - einschließlich des Wissens über Indikatoren mit denen umweltpolitische Erfolge gemessen werden können. Interessant wäre in diesem Zusammenhang allerdings eine weiterführende Untersuchung der Umwelteffektivität, die sich aus der Zusammenwirkung der verschiedenen Artenschutzabkommen ergibt, besonders des Washingtoner Artenschutzabkommens über den Handel mit bedrohten Tier- und Pflanzenarten, CITES, und der Bonner Konvention zum Schutz der wandernden Tierarten, CMS. Im übrigen sollte dringend der Stand des Konzepts su sta in a b le use

regimetheoretisch und in Bezug auf die praktische Umsetzung näher untersucht werden.38

Die vorliegende Studie soll zeigen, daß der ‘sichtbare’ oder ‘greifbare’ Nutzen der Biodiversitäts-Konvention eher in dem dynamischen Prozeß der Weiterentwicklung zwischenstaatlicher Zusammenarbeit liegt, den sie in ihrer Eigenschaft als

‘Rahmenübereinkommen’ in Gang setzt, als in der direkten Wirkung ihrer Normen und Regeln auf den Schutz der biologischen Vielfalt. Die Vertragsparteien haben sich in einem mühsamen Verhandlungsprozeß auf gemeinsame Prinzipien, Normen, Regeln und Entscheidungsverfahren geeinigt und somit einen Bezugsrahmen für ihr künftiges Handeln, für die Setzung der notwendigen Prioritäten in diesem Problemfeld

36Harald Müller äußert sich skeptisch über solche Teilerfolge: "Selbst bei einem recht positiven Ergebnis wie der Ostseekonvention kann man nicht völlig glücklich sein. Quecksilber - und DDT-Belastungen sind als Ergebnis der Konvention gesunken. Die durch Nährstoffeinbringung bedingte Eutrophierung des Meeres ist aber fortgeschritten; den Fischen ist es natürlich egal, woran sie sterben, und es ist zu Recht gefragt worden, ob Teilerfolge nicht sogar weitergehenden Forderungen nach Verringerung der Schadstoffeinleitung den Schwung genommen haben.” H arald Müller: a.a.O., S.109.

37 Vgl. F rank Biermann: a.a.O., S.33.

38 Vgl. Insbesondere Birga Dexel: Internationaler Artenschutz. Neuere Entwicklungen. WZB-paper FS H 95- 401.

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festgelegt. Darüber hinaus haben sie einen institutionellen Rahmen geschaffen, der die Kommuniation und den Informationsaustausch zwischen den Akteuren erleichtert und gemeinsame Entscheidungsprozesse ermöglicht. Der letztgenannte Punkt ist in seiner Bedeutung für die Weiterentwicklung des Regimes besonders hervorzuheben: Der Wissensstand über die Arten und Ökosysteme und das ökologische Gleichgewicht der Biosphäre ist noch sehr lückenhaft. Neben naturwissenschaftlicher Forschung müssen auch sozialwissenschaftliche Untersuchungen über die Auswirkungen zunehmender Verknappung biologischer Vielfalt und die Möglichkeiten nachhaltiger Ressourcennutzung (‘sustainable use’) durch indigene Gemeinschaften vorangebracht werden. Zusammenarbeit in der Forschung und Informationsaustausch zwischen den Vertragsstaaten kann vor diesem Hintergrund als Voraussetzung für wirkungsvolles Handeln angesehen werden. In der Präambel der Biodiversitäts-Konvention wird das Problem des Forschungs- und Informationsdefizits betont:

’’...eingedenk des allgemeinen Mangels an Informationen und Kenntnissen über die biologische Vielfalt sowie der dringenden Notwendigkeit, wissenschaftliche, technische und institutionelle Vorraussetzungen für die Bereitstellung des Grundwissens zu schaffen, das für die Planung und Durchführung geeigneter Maßnahmen erforderlich ist...”39

Mit der Konferenz der Vertragsstaaten hat die Konvention eine Institution eingerichtet, die die Fortschritte dieser Zusammenarbeit regelmäßig überprüft. Der bereits heute absehbare Erfolg der Biodiversitäts-Konvention wird folglich zumindest darin hegen, über die Weiterentwicklung des Regimes zu verhindern, daß die Aktivität der Staaten und ihre Zusammenarbeit nach Unterzeichnung und Ratifizierung beendet ist.

39 Das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über die biologische Vielfalt, Präambel, 7.Absatz.

BGBl. 1992 H, S. 1742-1772.

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3. Verlust biologischer Vielfalt - ein weltweites Problem und dessen Wahrnehmung

3.1 Ökologische Grundlagen

3.1.1 Dimension, Ursachen und Folgen des Artenschwundes

Um die Problematik des Verlustes biologischer Vielfalt und die gegenwärtige Debatte um mögliche Gegenmaßnahmen einsichtig zu machen, werden hier zunächst einige wichtige ökologische Grundlagen vorangestellt.

Der Begriff ‘Biologische Vielfalt’ umfaßt alle Arten von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen auf der Erde. Man unterscheidet üblicherweise drei Kategorien der biologischen Vielfalt: die Artenvielfalt, die genetische Vielfalt und die Vielfalt der Ökosysteme. Auf diese drei wird im folgenden näher eingegangen.

In Artikel 2 der Konvention, der die Begriffsbestimmungen umfaßt, wird biologische Vielfalt als

’’...die Variabilität unter lebenden Organismen jeglicher Herkunft, darunter unter anderem Land-, Meeres- und sonstige aquatische Ökosysteme und die ökologischen Komplexe, zu denen sie gehören (definiert); dies um faßt die Vielfalt innerhalb der Arten und zwischen den Arten und die Vielfeit der Ökosysteme.”40 bezeichnet.

Obwohl im Vertragstext immer wieder von Artenvielfalt, genetischen Ressourcen und Ökosystemen die Rede ist, werden diese Begriffe in Artikel 2 nicht näher erläutert.

Artenvielfalt

Die Biologie definiert eine Art ’’als eine Population oder eine Reihe von Populationen, in denen unter natürlichen Bedingungen ein freier Genaustausch erfolgt. Dies bedeutet, daß alle physiologisch normal funktionsfähigen Individuen zu gegebener Zeit im Prinzip m it jedem andersgeschlechtlichen Vertreter derselben A rt Nachkommen erzeugen oder doch zumindest - über eine Kette anderer sich fortpflanzender Individuen - in genetische Verbindung treten können. Laut Definition paaren sich Mitglieder einer A rt nicht mit Vertretern einer anderen A rt.”41

40Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über die biologische Vielfalt, Art.2.

41E.O. Wilson: Der gegenwärtige Stand der biologischen Vielfalt. In: Ders.: a.a.O., S.22.

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Bis heute sind etwa 1,4 Millionen verschiedene Arten erfaßt worden. Diese Zahl setzt sich aus annähernd 750.000 Insektenarten, 41.000 Wirbeltierarten und etwa 250.000 Pflanzenarten zusammen.42 Nicht hinzugezählt wurden bei dieser Erhebung die wirbellosen Tiere, sowie Pilze, Algen und Mikroorganismen. Da die Forschung auf dem Gebiet der Artenvielfalt noch nicht sehr weit vorangeschritten ist, herrscht keine Gewißheit über die genaue Artenzahl. Auch werden viele Arten bereits ausgestorben sein, bevor die Forscher sie entdecken können. Es besteht Übereinstimmung, daß es ein Vielfaches der 1,4 Millionen erfaßten Arten geben muß. Bei Forschungsprojekten in den tropischen und subtropischen Regionen, die zu den Zentren der Artenvielfalt gehören, werden immer wieder neue Arten entdeckt. Durch Stichproben und Hochrechnungen hegt die glaubhafte Obergrenze der aktuellen Artenzahl bei etwa 30 Milhonen.43

Genetische Vielfalt

Genetische Vielfalt bezeichnet die Vielzahl möglicher Kombinationen von Genen, die in den verschiedenen Arten und innerhalb einer Art Vorkommen. Jede Art verfugt über eine große Menge an genetischen Informationen. Die Individuen einer Art, seien es Pflanzen, Tiere oder Microorganismen, teilen bestimmte Eigenschaften. Die genetische Verschiedenheit bestimmt wiederum die Individualität der einzelnen Lebewesen innerhalb einer Art. Es gibt Arten mit relativer genetischer Konformität und Arten, deren Individuen sich bezüglich ihrer genetischen Informationen stärker unterscheiden.

Eine Art mit großer genetischer Vielfalt ist in der Regel robuster und anpassungsfähiger als eine Art, deren Individuen weitgehend über die gleichen genetischen Informationen verfugen. In den meisten Fällen bedarf es zahlreicher genetisch unterschielicher Populationen, um angesichts der natürlichen Umweltveränderungen den Bestand einer Art zu sichern. Wenn nämlich viele Polulationen existieren, verteilt sich das Risiko, sodaß ungünstige Bedingungen in einem oder mehreren Habitaten nicht gleich die gesamte Art bedrohen. In jüngster Zeit nimmt diese genetische Vielfalt innerhalb von Arten auf dramatische Weise ab. In diesem Zusammenhang ist auch die Nutztier- und Pflanzenproduktion in der modernen Landwirtschaft kritisch zu beurteilen. Indem bestimmte Zuchtziele angestrebt und gewisse Eigenschaften einer Art optimiert werden, geht die geneitsche Vielfalt

42Vgl. hierzu: S.P. P ark er (Hrsg.): Synopsis and Classification of Living Organisms. 2 Bde. New York, 1982.

43Vgl. hierzu: E.O. Wilson: a.a.O„ S.19.

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innerhalb dieser Art zurück. Aufgrund der genetischen Konformität innerhhalb einer bestimmten Art wird diese besonders sensibel und auf einen speziellen Lebensraum sowie auf bestimmte klimatische Bedingungen angewiesen. Anpassungen an eine veränderte Umwelt sind dann nicht mehr, oder nur noch sehr bedingt möglich.

Vielfalt der Ökosysteme

Verschiedene Arten bilden zusammen mit der unbelebten Umwelt ein ökologisches System. In den Ökosystemen der Erde sind verschiedene Organismen nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten miteinander verbunden und voneinander abhängig. Ökosysteme werden oft auch als Habitate bezeichnet. Zentren der Artenvielfalt und somit wichtige Habitattypen sind die tropischen Regenwälder, die Savannen, Feuchtgebiete, Korallenriffe und Mongrovenwälder. Auch Inseln und inselartig abgeschlossene Lebensräume sind oft wichtige Habitattypen. Das Überleben vieler Arten ist von der Unversehrtheit dieser Habitate abhängig.

Da es nur Schätzungen über die tatsächliche Artenvielfalt der Erde gibt, sind auch genaue Angaben über die heutige Dimension des Artenschwundes nicht möglich. Es besteht allerdings kein Zweifel, daß der Verlust biologischer Vielfalt heute viel schneller voranschreitet denn je. Es gab schon immer ein natürliches Artensterben; in dem 3000 Millionen Jahre langen Evolutionsprozeß der Erdgeschichte haben sich weit mehr Arten entwickelt als heute existieren. Arten starben aus, weil sie von anderen, überleegenen Arten aus ihrem Lebensraum verdrängt wurden. Es gab auch Phasen beschleunigten Artenrückgangs gefolgt von Regenerationsphasen, die teilweise Millionen von Jahren dauerten. Charles Darvin stellt im Jahr 1859 seine Evolution vor, nach der natürliche Selektion den Prozeß der Evolution vorantreibt und das Aussterben bestimmter Arten zu gewissen Zeitpunkten unvermeidbar sei.44 Diese Theorie ist öfters zur Rechtfertigung des voranschreitenden Artenschwundes mißbraucht worden. Es gibt jedoch genügend Hinweise dafür, daß die heutige Dimension des Artensterbens nicht etwa als evolutions-alltägliche Konsequenz der Ausbreitung des Menschen zu verstehen ist, sondern durch seinen unüberlegten Umgang mit der Natur und den natürlichen Ressourcen beschleunigt wird. E.O. Wilson legte 1989 die Schätzung vor, daß jährlich etwa 4000 bis 6000 Arten aussterben. Gegenwärtig sterben damit weit mehr Arten aus, als neue entstehen, und ausgehend von den heute zur Verfügung

44Vgl. hierzu: Paul Ehrlich/ Anne Ehrlich: Extinction. The Causes ad Consequences of the Dissappearance of Species. London, 1982, S.7.

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stehenden Zahlen wird sich diese Entwicklung in den kommenden Jahrzehnten noch beschleunigen. Der Begriff ‘Biozid’ mag daher nur allzu berechtigt sein.

’’All estimates o f presentday extinction rates show them to be vastly higher than the rates at which the natural process that creates biodiversity could compensate for the losses. The extinction outputs far exeed the speciation inputs and the Earth is becoming biotically impoverished because o f it.” 45

Als primäre Ursache fur das gegenwärtige Artensterben wird häufig das gezielte Ausrotten bestimmter Arten durch den Menschen gesehen. Es gibt genügend Beispiele für diese Entwicklung: die Spitzmaul-Naßhömer aus Afrika werden aufgrund des rituellen Wertes ihrer Hörner getötet. Elefanten sind wegen des großen wirtschaftlichen Wertes von Elfenbein bedroht, Tiger und andere Wildkatzen geraten in Gefahr, weil ihre Felle begehrt sind, und der Rückgang der Wale beruht u.a. darauf, daß ihr Fleisch mancherorts als Delikatesse gilt. Von der Öffentlichkeit wird eher das Schicksal einzelner verfolgter Arten wahrgenommen als der weltweite Verlust biologischer Vielfalt.46 Die Betroffenheit über die direkte Gefährdung bestimmter Tiere oder Pflanzen ist zwar verständlich und auch politisch wichtig; das direkte Nachstellen (durch unkontrollierte Jagd, Fischfang und illegalen Handel) war in der Vergangenheit und ist immer noch für die Ausrottung vieler Arten verantwortlich.

Jedoch verliert diese Ursache angesichts der weiträumigen Habitat-Vernichtungen tendenziell an Bedeutung - auch sind es weniger die erwähnten medienwirksamen Arten, von denen die Sicherung der biologischen Vielfalt abhängt, sondern die eher unauffälligen Tiere, Pflanzen und Pilze.

Die Ursachen des weltweiten Artensterbens sind vielfältig und komplex. Der durch die Veränderung und Zerstörung natürlicher Lebensräume (Habitate) verursachte ‘Biozid’

ist nach Auffassung vieler Experten zu einer emstzunehmenden Gefahr für das ökologische Gleichgewicht und das Lebensnetz auf der Erde geworden.

Habitatveränderungen und -Zerstörungen entstehen direkt durch Urbanisierung und

45Dies.: The Value of Biodiversity. In: AMBIO. Vol.21, Nr.3, Mai 1992, S.225.

46F rank Biermann sieht als mögliche Erklärung für Unterschiede in der Regime-Entstehung und -Stärke den verschieden ausgeprägten öffentlichen Druck: ’’Dieses unterschiedliche Maß an Betroffenheit, das nicht in einem direkt proportionalen Zusammenhang zu den ‘realen’, d.h. naturwissenschaftlich-technischen Prioritäten des Umweltschutzes zu steheen scheint, könnte aus der besonderen Natur des jeweiligen Umweltproblems zu erklären sein. Notwendig wird so eine versuchsweise Typologisierung von Umweltproblemen, die den Grad der Betroffenheit (...) erklären könnte.” Frank Biermann: a.a.O., S.229.

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Bewirtschaftung der Landschaft, durch Industrialisierung und Infrastrukturentwicklung und indirekt durch die Übernutzung natürlicher Ressourcen und die Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden durch verschiedene Abfallstoffe. Auch der globale Klimawandel und die Zerstörung der stratosphärischen Ozonschicht beeinträchtigt indirekt die Habitate vieler Arten.

Aus den obigen Ausführungen wird deutlich, daß die Artenvielfalt von großer ökologischer Bedeutung ist. Über die Frage, wieviele Arten für die Funktionsfähigkeit von Ökosystemen notwendig sind, herrscht indes keine Einigkeit unter den Experten.

Es gibt allerdings genügend Beispiele dafür, daß die Stabilität bzw.

Selbstregulationsfahigkeit eines Ökosystems entscheidend von der ihm eigenen Artenvielfalt abhängt;47 Artenarmut impliziert hingegen eine Tendenz zur Labiität. Der ökologische Nutzen biologischer Vielfalt darf also keineswegs außer acht gelassen werden. Im folgenden geht es jedoch zunächst um die Frage, welchen potentiellen oder tatsächlichen Wert die Biodiversität für die Menschen hat.

3.1.2 Zum W ert der biologischen Vielfalt für den Menschen

Ökologen und Ökonomen sehen sich gleichermaßen dem Problem gegenüber, wie der Wert der biologischen Vielfalt zu bemessen sei. Grundsätzlich ist die biologische Vielfalt eine Ressource, bzw. ein ökonomisches Gut, weil sie einerseits von wirtschaftlichem Nutzen für die Menschheit ist, andererseits knapp ist bzw.

zunehmend knapper wird. Jedoch ist die biologische Vielfalt keine Ressource im herkömmlichen Sinne wie z.B. Erdöl. Neben ihrer Eigenschaft als prinzipiell emeuerbare Ressource - Erdölquellen versiegen mit der Nutzung, während ein intaktes Ökosystem auch in Zukunft ‘funktioniert’ - ist die biologische Vielfalt eine besondere Quelle menschlicher Bedürfnisbefriedigung. Es lassen sich vor allem vier gewichtige Argumente für den Wert biologischer Vielfalt unterscheiden; die ersten beiden Argumente beziehen sich auf den direkten bzw. den indirekten ökonomischen Nutzen.48

47Zur ökologischen Bedeutung der Artenvielfalt vgl. z.B. Norman Myers: Tropische Wälder und ihre Arten:

Dem Ende entgegen? In: E.O. Wilson: a.a.O., S.54-68.

48Zum direkten und indirekten ökonomischen Nutzen vgl. W. Michael Hanemann: Die Wirtschaftswissenschaften und die Erhaltung der biologischen Vielfalt. In: E.O. Wilson: A.a.O., S.215-222.

Außerdem: Richard B. Norgaard: Der Aufschwung des Welthandels und der Verlust bioogischer Vielfalt. In:

E.O. Wilson: a.a.O„ S.229-234.

21

(28)

Direkter ökonomischer Nutzen

Die biologische Vielfalt der Erde ist von direkter ökonomischer bzw. unmittelbar konsumtiver Bedeutung, indem sie dem Menschen lebensnotwendige Rohstoffe bietet:

von pflanzlicher und tierischer Nahrung bis zu Holzvorräten und anderen natürlichen Materiahen. Von den existierenden Pflanzenarten hat der Mensch bisher einige Tausend genutzt, einige hundert kultiviert, von knapp einem Dutzend ernähren sich 4 Milharden Menschen und die meisten Nutztiere.49 Neben domestizierten Tierrassen stehen in vielen Regionen der Welt auch Wild und in Küstenregionen vor allem Fisch und andere Meerestiere eine wichtige Nahrungsgrundlage dar.

Die direkte ökonomische Bedeutung der biologischen Vielfalt hegt außerdem in ihrem produktiven Nutzen für die Pharma- und Agrarforschung und die auf ihr aufbauende Industrie. Die Vielfalt an Arten und Genen auf der Erde bietet sozusagen ein

‘natürliches Pharmalabor’. Dies hat inzwischen auch die Pharmaindustrie erkannt und schenkt den natürlichen Ressourcen bei der Entwicklung neuer Medikamente wieder größere Aufmerksamkeit.

Exkurs: Drei Beispiele zur Bioprospektierung

1. Der InBio-Merck Vertrag

In Form eines Pilotprojektes, das ein neues Vorgehen auf dem Gebiet der Bioprospektierung darstellt, wird hier zum ersten Mal versucht, die Finanzierung der Erhaltung von biologischer Vielfalt und ihre Inventarisierung im Austausch gegen Nutzungsrechte zu organisieren.

(Sittenfeld und Lovejoy, 1994) Die Partner.

Merck&Co., Inc. (New Jersey, USA): eine Tochter des internationalen Pharmakonzems Merck.

Instituto N a tio n a l de Biodiversidad (INBio, Costa Rica): ein privates, nicht gewinnorientiertes Institut in Costa Rica, das eng mit dem zuständigen Ministerium zusammenarbeitet (siehe Gamez et al., 1993; Sittenfeld und Gamez, 1993). Als ein Finanzierungsinstrument betreibt INBio die Kommerzialisierung der Biodiversität unter Beachtung von Naturschutzprinzipien.

Kommerzielle Prospektierungsverträge mit INBio müssen folgenden Kriterien genügen:

- Direkte Sach- und Geldleistungen für die Bereitstellung von M ustern und Extrakten, - Zahlung direkter Beiträge für die Kosten des Nationalparksystems Costa Ricas,

49Vgl. Jeffrey Me. Neely u.a.: Strategies for Conserving Biodiversity. In: Environment April 1990, S.16-20, S.36-40.

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- Lizenzgebühren des Nettoverkaufserlöses von Produkten, die au f costaricanischer biolo­

gischer Vielfalt beruhen.

Alle von INBio erwirtschafteten Überschüsse sind zweckgebunden für den Naturschutz zu verwenden.

D er Vertrag:

D er Vertrag wurde im September 1991 geschlossen (INBio, 1994) und im Juli 1994 mit ähnli­

chem Inhalt erneuert (Reid et al., 1993; Sittenfeld und Lovejoy, 1994). Aufgrund der

weltweiten Diskussion ist der Vertrag für beide Parteien von hohem Öfentlichkeitswert. Costa Rica profitiert durch die verbesserte Verwaltung des Nationalparkprogramms.

Leistungen von INBio .

INBio liefert M erck ca. 10.000 Pflanzen- und Insektenproben in extrahierter Form aus den Naturschutzgebieten Costa Ricas. Sie werden durch Mitarbeiter von INBio gesammelt, identi­

fiziert und dann für die Laufzeit des Vertrages M erck zur exklusiven Nutzung überlassen.

M erck behält das Recht, aus dem Material entwickelte Erfindungen zu patentieren. INBio be­

hält das Recht, mit anderen Firmen Abkommen zum Zwecke gemeinschaftlicher Forschung zu schließen. Leistungen von Merck'. -Ausbildung von vier costaricanischen Wissenschaftlern im Forschungszentrum von Merck,

-1 Mio. US-$ an INBio für die Vertragsdauer von zwei Jahren, davon 100.000 US-$ an das Nationalparkprogramm.

-135.000 US-$ für eine Laboratoriumsausrüstung und die Einrichtung eines modernen Be- stimmungslabors an der Universität von Costa Rica,

-Zahlung von etwa 2-6% des Nettoverkaufserlöses von Produkten, die aus der Zusammenar­

beit mit INBio stammen.

Dieser Vertrag ist das meist diskutierte und analysierte Projekt zum Thema

’’Bioprospektierung” und als Pilotprojekt von großer Bedeutung. E r ist sicherlich nicht direkt au f andere Länder übertragbar, da Costa Rica in vieler Hinsicht für eine derartige Zusammen­

arbeit prädestiniert ist. Die sehr reiche biologische Vielfalt, politische Stabilität, relativ gute Umweltgesetze und -einrichtungen (25% der Landesfläche stehen unter Naturschutz) sowie ein vergleichsweise gutes Bildungssystem machen das Land zu einem außergewöhnlich geeigneten Partner.

2. Die Kooperation zwischen Shaman Pharmaceuticals, Inc. und indigenen Gemeinschaften

D ie Partner.

Shaman Pharmaceuticals, Inc. , ein kalifornisches Pharmaunternehmen. Die Produktentwick­

lung stützt sich auf ethnobotanische Methoden, wodurch das Interesse an der Zusammenarbeit mit indigenen Gruppen gegeben ist. Shaman folgt dem Prinzip einer ’’Politik der unmittelbaren Gegenseitigkeit”, die direkte Vorteilsbeteiligung für die indigenen Partner bedeutet sowie die Prinzipien von Erhaltung und nachhaltiger Nutzung von Biodiversität beachtet. Die Vorge­

hensweise von Shaman ist komplex, da die Firma mehrere Projekte mit verschiedenen Ver­

tragspartnern betreibt.

Lokale indigene Gemeinschaften-. E s handelt sich um verschiedene kleine Gruppen, wie z.B.

eine Quichua-Gemeinschaft in Equador oder Yanomami-Indianer im Amazonasgebiet. Diese

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Referenzen

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