• Keine Ergebnisse gefunden

Die Konfliktlinien in den Verhandlungen

4. Die Entstehung der Biodiversitäts-Konvention

4.4 Die Konfliktlinien in den Verhandlungen

Welche Konfliktlinien ergaben sich mm aus den unterschiedlichen Ausgangspositionen der Akteure im Verlauf der Verhandlungen? Die vollständige oder weitgehende Überwindung der Konflikte in den einzelnen Punkten war eine grundlegende Bedingung für das Zustandekommen des Übereinkommens. Der Vertragstext spiegelt die unterschiedlichen Interessenlagen der beiden Hauptakteursgruppen.

Entwicklungsländer und Industrieländer - deutlich wieder und stellt letztlich eher eine Kompromißlösung als eine einvernehmliche Konsensfindung über die Problemlage dar.

Die Industrieländer betonten stets ihr Interesse am Erhalt der biologischen Vielfalt des in dieser Hinsicht reichen Südens. Die Regierungen der Entwicklungsländer haben ihre Kooperationsbereitschaft zum Schutz der biologischen Vielfalt mit drei Bedingungen verknüpft: Sie forderten einerseits die Anerkennung souveräner Rechte über ihre genetischen Ressourcen, zweitens den Zugang zu und den Transfer von Technologien aus dem Norden und drittens die Bereitstellung zusätzlicher finanzieller Mittel, damit sie den sich aus der Konvention ergebenden Verpfichtungen nachkommen konnten.

Die Festschreibung des Prinzips der nationalen Souveränität über ihre genetischen Ressourcen war für die Entwicklungsländer vorrangiges Ziel.

Abbildung 2 veranschaulicht die Ausgangslage der Akteure und den Grundkonflikt im Problemfeld ‘Schutz biologischer Vielfalt’. Dabei werden die Interessen und die Kontrollmöglichkeiten des Nordens denen des Südens gegenübergestellt. Es wird sogleich deutlich, daß keine der beiden Hauptakteursgruppen ihre Vorstellungen bezüglich der Vereinbarungen vollständig durchsetzen kann, da der jeweils andere Verhandlungspartner über ausreichende Kontrollmöglichkeiten verfugt, um die Verhandlungen zum Scheitern zu bringen.

^Inzwischen gehören die USA auch zu den Vertragsparteien; auf ihre Position wird weiter unten noch genauer eingegangen.

Abb.2: Ausgangspositionen der Hauptakteursgruppen in den Verhandlungen

kontrolliert

SÜDEN

ist interessiert an

Schutz der biologischen Vielfalt Zugang zu den genetischen Ressourcen

NORDEN

kontrolliert ist interessiert an

\

Souveränität über die genetischen Ressourcen Technologietransfer von Nord nach Süd

finanzielle Mittel

Quelle: Hanne Svarstad: a.a.O., S.47. (Mit Änderungen der Verf.)

In einer Interessenlage, wie sie sich in obiger Abbildung dargestellt ist, besteht die Aussicht auf kooperatives Verhalten der Verhandlungspartner, da Kooperation ein für alle besseres Ergebnis versprechen kann. Sind Staaten sich ihrer ökologischen Interdependenz bewußt und erkennen, daß sie ihre Interessen nicht als rational­

egoistische Nutzenmaximierer verfolgen können, dann bietet sich eine erfolgversprechende Strategie an, die Hanne Svarstad in die folgenden Worte faßt:

’’Actors .attach interests to events, goods and rights. I f they were totally tational, they would have clear preferences and full knowledge o f different strategies to fulfil their wants. Rather than presuming full rationality, one can assume that the actors behave intentionally. They evaluate the control over certain things higher than others and with their restricted abilities they try to achieve goals they think are important. Negotiation resources are things that an actor controls but has little interest in. Other actors must have strong interests in these things in order for them to be resources for the first actor.”85

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, daß der Süden auf eine wichtige Verhandlungsressource verzichten mußte: Obwohl die Entwicklungsländer naturgemäß

ssHanne Svarstad: National Sovereignty and genetic resources. In: Vincente Sanchez/ Calestous Juma (Hg.):

Biodiplomacy - Genetic Resources and International Relations. ACTS Press, Nairobi 1994, S.46.

55

die Kontrolle über einen Großteil der biologischen Vielfalt der Erde haben, wird diese Kontrolle durch die Existenz von Genbanken, die wiederum im wesentlichen durch die Industrieländer kontrolliert werden, unterlaufen. Der Süden hat vergleichsweise wenig nur geringe personelle und materielle Kontrolle über solche Ex situ-Sammlungen genetischer Ressourcen. (Die Bedeutung von Genbanken für den Erhalt von biologischer Vielfalt wird weiter unten noch genauer dargestellt.)

Trotz der Aussicht auf ein positives Ergebnis erschienen im Verlauf der Verhandlungen die Standpunkte der beiden Hauptakteursgruppen zeitweise so unvereinbar, daß in den Medien die Vermutung geäußert wurde, die Verhandlungen seien zum Scheitern verurteilt. So berichtete D ie Z e it knapp zwei Monate vor Abschluß der Verhandlungen:

”Nun droht (...) auch die dritte vorgesehene Konvention zu scheitern - jene über den Artenschutz. Diese Konvention ist so wichtig wie die beiden anderen, denn der Artenschwund der Erde hat dramatische Formen angenommen. (...)

Daß Genbanken zur Erhaltung der Artenvielfalt beitragen können, leuchtet auch der Dritten W elt ein.

Problematischer wird es schon m it der Forderung, jedes Land solle ein Zehntel seiner Fläche für die Bewahrung der Artenvielfalt zur Verfügung stellen. (...) Vollends unvereinbar sind die Standpunkte, wo es um die Fragen der Biotechnologie und des Transfers von Gentechnik geht.”

Die Konvention über den Schutz der biologischen Vielfalt scheiterte aber nicht. Nach zähem Ringen und manchen Zugeständnissen auf beiden Seiten der Konfliktlinien wurde am Ende der fünften und letzten INC-Sitzung im Mai 1992 der endgültige Vertragstext angenommen. Nach jeder dieser fünf Verhandlungsrunden gab es einen neuen Vertragsentwurf, der den jeweiligen Diskussionsstand festhielt und dann in der folgenden Sitzung als Verhandlungsgrundlage diente. Diese Entwürfe enthielten jeweils viele Klammem, die jene Artikel und Absätze kennzeichneten, über die noch keine Einigung erzielt worden war. Die meisten dieser Klammem bzw.

Altematiworschläge wurden erst gegen Ende der letzten Verhandlungsrunde gelöscht, als die Rio-Konferenz kurz bevorstand.

Bei Betrachtung der Akteurskonstellation und der sachlichen Problemlage wird deutlich, daß in den Verhandlungen um die Biodiversitäts-Konvention ein übergeordneter Nord-Süd-Konflikt zu Tage tritt. In diesen Grundkonflikt sind

86Gemeint ist hier zum einen die vorgesehene verbindliche Kthnaschutzkonvention, die letztlich als Rahmenübereinkommen vorlag, und zum anderen die Konvention zum Schutz der Tropenwälder, anstelle derer man nur eine Grundsatzerklärung über die Bewirtschaftung, Bewahrung und nachhaltige Entwicklung aller Arten von Wäldern erarbeitet hatte.

^’Gabriele Venzky: Diebstahl der Gene - Der Nord-Süd-Streit um die Biotechnologie blockiert eine Artenschutzkonvention. Die Zeit am 17. April 1992.

verschiedene einzelne Konfliktlinien eingelagert, die die Nord-Süd-Linie überschreiten. Im Abschnitt 4.4 werden vier wichtige Dimensionen des Grundkonfliktes analytisch getrennt und einzelne Konfliktlinien sowie deren Hintergründe diskutiert. In Abschnitt 4.5 wird die Auflösung bzw. der Grad der Auflösung der Konflikte und das Verhandlungsergebnis dargestellt.

4.4.1 Schutz und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt

Im vorangehenden Abschnitt wurde bereits deutlich, daß sich die Verhandlungen nicht allein auf den Erhalt der Arten und ihrer Lebensräume beziehen würden, sondern insbesondere auch auf die Fragen der gerechten Nutzung der Ressourcen. Schutz der biologischen Vielfalt, Regelung des Zugangs zu den genetischen Ressourcen, Technologie- und Finanztransfers waren unmittelbar miteinander verknüpft. Ein effektiver Schutz der biologischen Vielfalt war nur zu verwirklichen, wenn gleichzeitig Lösungen für die Zugangsfragen gefunden würden.

Grundsätzlich zeigten die Regierungsvertreter der Industrieländer ein starkes Interesse am weltweiten Schutz und Erhalt der biologischen Vielfalt, insbesondere an Erhaltungsstrategien, die darauf zielen, Arten in ihren natürlichen Lebensgemeinschaften und -räumen zu schützen, sogenannten in situ- Schutzmaßnahmen. In situ-Maßnahmen sind einem effektiven Schutz der Artenvielfalt am dienlichsten und unverzichtbar. Andererseits ist es aber genauso offensichtlich, daß die Geschwindigkeit des Artensterbens ergänzende Maßnahmen erfordert. So umschließen Artenschutzkonzepte den Erhalt von Tier- und Pflanzenarten in zoologischen oder botanischen Gärten und auch die Aufbewahrung pflanzlicher Bestandteile in ‘Genbanken’, d.h. ex situ-Maßnahmen. Ein Konflikt bezüglich dieser beiden unterschiedlichen Strategien im Artenschutz war gewissermaßen vorprogrammiert. Da der Schutz und Erhalt bedrohter Arten ‘in situ’ die Bereitstellung weiter Flächen erfordert, waren die Länder des Südens besonders darauf bedacht, daß die Konvention auch die ex situ-Methoden im Artenschutz betont.

Der Artenschutz, ob in situ oder ex situ winde aber bei den Verhandlungen immer wieder von dem allgemeinen entwicklungspolitischen Thema überlagert. Den Regierungsvertretem der Entwicklungsländer war daran gelegen, daß das Übereinkommen auch die Bekämfimg der Armut als Priorität anerkenne.

Umweltpolitik und Entwicklungspolitik gerieten somit in einen vermeintlichen oder tatsächlichen Konflikt.

57

Ein anderes technisches Thema berührte weite Teile der Verhandlungen. Die insbesondere von Frankreich unterstützte Idee, einen Artikel über die Erstellung von sogenannter ‘Globaler Listen’ zu beschließen, in denen besonders wertvolle, artenreiche Ökosysteme aufzunehmen seien, wurde zwar bis zur letzten Sitzungsperiode weitergetragen, dann aber doch fallengelassen. Gegen die ‘Listen- Lösung’ (wie wir sie aus dem CITES-Abkommen kennen) stellte sich vor allem der Süden. Die Entwicklungsländer befürchteten, daß sie durch eine solche Bestandsaufnahme und Überwachung ihrer biologischen Vielfalt zu sehr kontrolliert würden und sahen hierin entsprechend eine Einschränkung ihrer Entscheidungsfreiheit über den Umgang mit den eigenen biologischen Ressourcen. Außerdem hatte andererseits jeder Akteur die Befürchtung, daß in seinem Hoheitsgbiet möglicherweise kein besonders schützenswertes Gebiet identifiziert würde und daraus eine Ungleichverteilung der finanziellen Mittel resultieren könnte. Bis zur letzten Sitzungsperiode erzielte das INC keine Einigung in dieser Frage. In seiner Rede zur Eröffnung der abschließenden Verhandlungsperiode ermunterte der UNEP-Direktor die Deligierten, das immer noch offene Problem der globalen Listen zumindest als Handlungsziel in die Konvention aufzunehmen.88

Wie die Diskussion über die globalen Listen in den abschließenden Verhandlungen im einzelnen verlief, ist nicht genau nachzuvollziehen. Während noch im letzten Vertragsentwurf Artikel 15 eine Liste biogeographischer Gebiete von besonderer Bedeutung für den Erhalt der biologischen Vielfalt und eine Liste weltweit gefährdeter Arten vorsah und Artikel 25 die diesbezüglichen Verfahrensregeln enthielt, findet sich im letztlich angenommenen Vertragstext keine Bestimmungen mehr für ein solches Vorhaben. Da offizielle Verhandlungen von verschiedenen informellen Treffen begleitet wurden, in denen Konflikte von einer begrenzten Zahl Deligieter diskutiert wurden, ist davon auszugehen, daß die globalen Listen im Rahmen dieser informellen Treffen ‘herausgefallen’ sind. Frankreichs Position in diesem Streitpunkt und die Enttäuschung über die Entscheidung gegen globale Listen wird in einer Stellungnahme des französischen Delegationsleiters im Anschluß an den fünften INC-Bericht besonders deutlich:

”1 regret to say that m y country m ust protest against the manner in which the text was adopted.

Procedure not followed. The Chair, it seems, went beyond ist rights. It is unprecedented that informal groups with limited membership can undo decisions taken in the plenary.”89

88UNEP/ Bio.Div/ N7-INC.5/ 4, S.2.

89UNEP/ Bio.Div/ N7-INC.5/ 4, S.27.

Noch deutlicher ist Frankreichs Stellungnahme zum Nairobi Final Act, mit dem der endgültige Vertragstext angenommen wurde:

’Trance expected practical and sound provisions to strengthen the conservation o f biodiversity. Such provisions are few and too vague. In this respect, it seemed to stand to reason to include a provision existing in several conventions (World Heritage and Biosphere Reserve o f UNESCO, RAMSAR, CITES) in a convention on biological diversity; we refer to global lists. France regrets that the manner in which the text o f the Convention was adopted did not allow it to make a comprehensive proposal on the question o f the global approach to biological diversity.”90

4.4.2 Zugang zu den genetischen Ressourcen

Das Interesse der Industrieländer am Erhalt der biologischen Vielfalt im Süden hängt natürlich vor allem mit ihrer Fähigkeit zur Nutzung eben dieser Ressource zusammen.

Die Fortschritte in der biotechnologischen Forschung ermöglichen es beispielsweise, Keimplasma bestimmter Arten für die Entwicklung neuer Sorten in der Landwirtschaft oder für Substanzen in der Nahrungsmittel- und Pharmaforschung zu nutzen.91 Zu diesem Zweck werden genetische Materialien von der Wirtschaft direkt verwendet oder in Genbanken konserviert. Doch erst etwa ab Mitte der 60er Jahre wurde die zunehmende Erosion genetischer Vielfalt als Problem wahrgenommen. In der Folge gewannen auch die Genbanken an Bedeutung - heute existieren solche Ex situ- Sammlungen, in denen wertvolle genetische Ressourcen eingelagert werden, in über hundert Ländern.

Das Marktpotential genmalipulierter Sorten wird im allgemeinen als sehr hoch eingeschätzt. Rojas/ Thomas vermuten, daß mit genetisch veränderten Materiahen in den nächsten zehn Jahren Gewinne von bis zu dreißig Milharden US-Dollar erzielt werden.92 Vor den Verhandlungen gab es keine irgentwie verbindliche Regulierung des Zugangs zu den genetischen Ressourcen; die Nutzung stand grundsätzlich jedem frei, den Agrar- und Pharmafirmen und Forschungsinstituten des Nordens ebenso wie den internationalen landwirtschaftlichen Forschungszentren der Consultative Group on

’‘’Nairobi Final Act, NA.92-8314, 1992, S.17.

91Ein spektakuläres Beispiel für die Nutzung genetischer Ressourcen aus dem Süden durch die biochemische Industrie des Nordens ist die ‘Entdeckung’ des Süßstoffs Aspartam, dessen Grundstoffe aus natürlichen Ressourcen der Wildnis gewonnen wurden und der patentiert und überaus erfolgreich vermarktet werden konnte.

92M artlia Rojas/ Chris Thomas: The Convention on Biological Diversity. Negotiating a Global Regime. In:

Laurence Susskind/ Eric J. Dolin/ J. William Breslin: International Environmental Treaty Making. Harvard Law School, Cambridge, Mass., 1992, S.148.

59

Agricultural Research (CGIAR), einer gemischt-finanzierten Trägerinstitution der

‘Grünen Revolution’. Die CGIAR Institute befinden sich fast alle in der Dritten Welt, werden aber meist vom Norden finanziert und kontrolliert.

Die FAO hatte Anfang der 70er Jahre beschlossen, ein Mandat zur Errichtung eines internationalen Netzwerkes von Genbanken zu vergeben, das für die systematische Erforschung, Sammlung, Bewertung und Konservierung pflanzengenetischer Ressourcen zuständig sein sollte. Damit begann eine Reihe von Kompetenzstreitigkeiten innerhalb und zwischen der FAO und der CGIAR. Am Ende gründete die CGIAR das International Board for Plant Genetic Resources (IBPGR), das bei der FAO in Rom untergebracht ist. Die FAO reagierte im Jahr 1983 auf die zunehmende Unzufriedenheit der Ursprungsländer genetischer Ressourcen mit der bestehenden Situation und verfaßte das FAO International Undertaking for Plant Genetic Resources, das eine Grundlage für die Nutzungsregelung pflanzlicher genetischer Ressourcen schaffen sollte. Hier werden genetische Ressourcen als common heritage of mankind (gemeinsames Erbe der Menschheit) bezeichnet, welches allen Staaten frei zugänglich sein sollte.

In den Verhandlungen der Biodiversitäts-Konvention wurde recht schnell vermutet, daß das common heritage-Prinzip in Bezug auf die biologische Vielfalt nicht anwendbar sei, da die Ressourcen im Hoheitsgbiet der Staaten lokalisiert sind. In einigen Berichten über die Verhandlungen wird die Abkehr vom common heritage- Prinzip allerdings bedauert:

”A victim o f the North-South conflict during the run-up to the signing o f the convention at the Earth Summit was the ethically superior position o f biodiversity as a gobal heritage. Throughout history, biological species and varieties, technologies and knowledge have been openly exchanged between societies and individuals, resulting in an all-round enrichment. (...) However in an unequal world, a Common Heritage has every chance o f being misused. (...But) apart from the supreme arrogance o f imposing political boundaries on nature, (...it) is a sad diluting o f the morally stronger position.”93

In den Verhandlungen warfen die Entwicklungsländer den Industrieländern in diesem Zusammenhang vor, das Prinzip des gemeinsamen Erbes der Menschheit im Sinne eines unbeschränkten Zugangs zu den genetischen Ressourcen ihrer Territorien interpretieren und anwenden zu wollen. Um den status quo des ungehinderten Zugangs zu den genetischen Ressourcen des Südens zu bewahren, versuchten die

93Ashish Kothari: Beyond the Biodiversity Convention. A View from India. In: Vincente Sanchez, Calestous Juma: a.a.O., S.67-85, hier S.71,72.

Industrieländer daraufhin, den Aufgabenbereich des Übereinkommens zunächst auf Bestimmungen zum Schutz der biologischen Vielfalt zu beschränken, und Fragen des Zugangs zu den genetischen Ressourcen auszuklammem. Denn bisher hatten die Industrieländer oft frei über die biologische Vielfalt des Südens verfugen können, ohne die Ursprungsländer an den Gewinnen aus der Nutzung zu beteiligen.94 Gleichzeitig wurden und werden die biotechnologisch erzeugten Produkte (z.B. besonders ertragreiches Saatgut) unter die Rechte geistigen Eigentums (in tellectu a l p r o p e r ty rights, IP R ) gestellt und vielfach wiederum an den Süden verkauft. Die Ursprungsländer der genetischen Ressourcen hatten vor dem Hintergrund eines common heritage-Regimes keine Möglichkeit, diese Produkte frei zu nutzen oder eine Gewinnbeteiligung an der Vermarktung der Produkte zu fördern.

So ist es nicht erstaunlich, daß das Thema der künftigen Regulierung des Zugangs zu den genetischen Ressourcen zu besonders heftigen Debatten in den Verhandlungen führte. Die Entwicklungsländer drängten verstärkt auf die Festschreibung des Prinzips souveräner Jurisdiktionsrechte über ihre biologische Vielfalt, um so künftig den Zugang der Industrieländer zu ihren genetischen Ressourcen unter Berufung auf das Prinzip nationaler Souveränität kontrollieren zu können.

4.4.3 Zugang zu und Transfer von Technologie

Noch schwieriger als die Regelung des Zugangs zu den genetischen Ressourcen gestaltete sich die Beleuchtung der Frage, ob und in welchem Umfang die Konvention einen künftigen Transfer von Technologien, einschließlich der Biotechnologie von Nord nach Süd sichern könne. Laut der Begriffsbestimmungen in Artikel 2 der Konvention schließt Technologie ausdrücklich die Biotechnologie ein. Heftige Diskussionen entstanden auch um die Interpretation des Artikel 16 der Konvention, der die Vertragsparteien dazu verpflichtet,

’’...den Zugang zu Technologien, die für die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt von Belang sind oder die genetische Ressourcen zu nutzen, ohne der Umwelt erhebliche Schäden zuzufiigen...”95

94Dies geschah z.B. in den USA, als ein indischer Wissenschaftler im Auftrag der amerikanischen Firma General Electric eine Ölschlick fressende Mikrobe züchtete. Damals entschied das oberste Gericht der USA erstmals, daß ein genetisch manipilierter Organismus patentiert werden darf. Das Patent gehörte erwartungsgemäß General Electric.

^Übereinkommen über die biologische Vielfalt, Artikel 16, Absatz 1. A.a.O., S.16.

61

Die Verhandlungsteilnehmer waren sich generell einig, daß die Entwicklungsländer technologische Unterstützung benötigten, wenn sie den Verpflichtungen zum Erhalt der biologischen Vielfalt nachkommen sollen. Uneinigkeit herrschte jedoch darüber, ob der Technologietransfer auf ‘soft technologies’, also auf know how- und Managementmethoden beschränkt sein sollte oder ob auch ‘hard technologies’, wie z.B. moderne biotechnologische Verfahren eingeschlossen sein sollten. Während die Entwicklungsländer einen konditionslosen Technologietransfer forderten,96 argumentierten die Industrieländer, daß die biotechnologischen Methoden ganz generell in den Händen des Privatsektors lägen und der Staat entsprechend nur eingeschränkt Vorgaben erlassen könne. Vor allem die USA, die sich in diesem Konflikt als Wortführer der Industrieländer hervorhoben, befürchteten technologische Piraterie durch Entwicklungsländer.97

Was stand speziell hinter der Haltung der Industrieländer in den Fragen des Transfer von Biotechnologie? Biotechnologie ist an sich keine neue Technologie der Industrieländer, sie wird in vieler Weise seit Jahrhunderten weltweit genutzt.98 Doch ergaben sich in den letzten Jahrzehnten durch die Fortentwicklung biotechnologischer Verfahren immer neue Möglichkeiten für die Pflanzen- und Tierzüchtung. Im Zuge der

‘Grünen Revolution’ wurden biotechnologisch veränderte Produkte verbreitet, die die landwirtschaftlichen Produktionsmethoden auf der ganzen Welt veränderten. Neue Möglichkeiten in der Biotechnologie entstehen durch die Nutzanwendung verketteter DNA-Moleküle sowie Gewebe- und In vitro-Kulturen konnten die Wissenschaftler nun genetische Informationen unter Pflanzen- oder Tierarten austauschen, usw.

Die Fähigkeit zur Manipulation natürlicher Organismen warf ein neues Licht auf die Wichtigkeit genetischer Ressourcen und verstärkte dementsprechend die Polarisierung

96Die Technologiegläbigkeit, die diese Forderungen motivierte, wurde sowohl von außerhalb als auch in den Staaten der ‘Dritten Welt’ geäußert. Vgl. Hierzu die ausführliche Diskussion dieses Themas von Calestous Juma und Edith Mneney: Access to and Transfer of Biotechnology; Blind Alleys and Windows of Opportunity.

In: Vincente Sanchez/ Calestous Juma: a.a.O., S.177-193.

97Die United States International Trade Commission vermutet, daß die amerikanische Industrie allein im Jahr 1986 Verluste von um die 46 Milliarden Dollar durch Patentpiraterie hinnehmen mußte. Vgl.: US-Firms lose Billions Annualy to Foreign Piracy, ITC Intellectual Property Study Finds. 15th International Trade Report, 290 (BNA), March 2, 1988.

98 Frühe Beispiele biotechnologischer Verfahren sind die Fermentierung von Nahrungsmitteln oder die alkoholische Gährung.

von Nord und Süd in den Fragen des Erhalts und der nachhaltigen Nutzung biologischer Vielfalt. Die Industrieländer entwickelten auf der Grundlage biologischen Materials aus dem Süden genetisch veränderte Organismen mit besonderen Eigenschaften. Mit der Zeit hatte sich ein international rechtlicher Rahmen gebildet, der diese Organismen und die Technologien für ihre Entwicklung unter Patentschutz

von Nord und Süd in den Fragen des Erhalts und der nachhaltigen Nutzung biologischer Vielfalt. Die Industrieländer entwickelten auf der Grundlage biologischen Materials aus dem Süden genetisch veränderte Organismen mit besonderen Eigenschaften. Mit der Zeit hatte sich ein international rechtlicher Rahmen gebildet, der diese Organismen und die Technologien für ihre Entwicklung unter Patentschutz