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Verlust biologischer Vielfalt - ein weltweites Problem und dessen Wahrnehmung

3.1 Ökologische Grundlagen

3.1.1 Dimension, Ursachen und Folgen des Artenschwundes

Um die Problematik des Verlustes biologischer Vielfalt und die gegenwärtige Debatte um mögliche Gegenmaßnahmen einsichtig zu machen, werden hier zunächst einige wichtige ökologische Grundlagen vorangestellt.

Der Begriff ‘Biologische Vielfalt’ umfaßt alle Arten von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen auf der Erde. Man unterscheidet üblicherweise drei Kategorien der biologischen Vielfalt: die Artenvielfalt, die genetische Vielfalt und die Vielfalt der Ökosysteme. Auf diese drei wird im folgenden näher eingegangen.

In Artikel 2 der Konvention, der die Begriffsbestimmungen umfaßt, wird biologische Vielfalt als

’’...die Variabilität unter lebenden Organismen jeglicher Herkunft, darunter unter anderem Land-, Meeres- und sonstige aquatische Ökosysteme und die ökologischen Komplexe, zu denen sie gehören (definiert); dies um faßt die Vielfalt innerhalb der Arten und zwischen den Arten und die Vielfeit der Ökosysteme.”40 bezeichnet.

Obwohl im Vertragstext immer wieder von Artenvielfalt, genetischen Ressourcen und Ökosystemen die Rede ist, werden diese Begriffe in Artikel 2 nicht näher erläutert.

Artenvielfalt

Die Biologie definiert eine Art ’’als eine Population oder eine Reihe von Populationen, in denen unter natürlichen Bedingungen ein freier Genaustausch erfolgt. Dies bedeutet, daß alle physiologisch normal funktionsfähigen Individuen zu gegebener Zeit im Prinzip m it jedem andersgeschlechtlichen Vertreter derselben A rt Nachkommen erzeugen oder doch zumindest - über eine Kette anderer sich fortpflanzender Individuen - in genetische Verbindung treten können. Laut Definition paaren sich Mitglieder einer A rt nicht mit Vertretern einer anderen A rt.”41

40Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über die biologische Vielfalt, Art.2.

41E.O. Wilson: Der gegenwärtige Stand der biologischen Vielfalt. In: Ders.: a.a.O., S.22.

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Bis heute sind etwa 1,4 Millionen verschiedene Arten erfaßt worden. Diese Zahl setzt sich aus annähernd 750.000 Insektenarten, 41.000 Wirbeltierarten und etwa 250.000 Pflanzenarten zusammen.42 Nicht hinzugezählt wurden bei dieser Erhebung die wirbellosen Tiere, sowie Pilze, Algen und Mikroorganismen. Da die Forschung auf dem Gebiet der Artenvielfalt noch nicht sehr weit vorangeschritten ist, herrscht keine Gewißheit über die genaue Artenzahl. Auch werden viele Arten bereits ausgestorben sein, bevor die Forscher sie entdecken können. Es besteht Übereinstimmung, daß es ein Vielfaches der 1,4 Millionen erfaßten Arten geben muß. Bei Forschungsprojekten in den tropischen und subtropischen Regionen, die zu den Zentren der Artenvielfalt gehören, werden immer wieder neue Arten entdeckt. Durch Stichproben und Hochrechnungen hegt die glaubhafte Obergrenze der aktuellen Artenzahl bei etwa 30 Milhonen.43

Genetische Vielfalt

Genetische Vielfalt bezeichnet die Vielzahl möglicher Kombinationen von Genen, die in den verschiedenen Arten und innerhalb einer Art Vorkommen. Jede Art verfugt über eine große Menge an genetischen Informationen. Die Individuen einer Art, seien es Pflanzen, Tiere oder Microorganismen, teilen bestimmte Eigenschaften. Die genetische Verschiedenheit bestimmt wiederum die Individualität der einzelnen Lebewesen innerhalb einer Art. Es gibt Arten mit relativer genetischer Konformität und Arten, deren Individuen sich bezüglich ihrer genetischen Informationen stärker unterscheiden.

Eine Art mit großer genetischer Vielfalt ist in der Regel robuster und anpassungsfähiger als eine Art, deren Individuen weitgehend über die gleichen genetischen Informationen verfugen. In den meisten Fällen bedarf es zahlreicher genetisch unterschielicher Populationen, um angesichts der natürlichen Umweltveränderungen den Bestand einer Art zu sichern. Wenn nämlich viele Polulationen existieren, verteilt sich das Risiko, sodaß ungünstige Bedingungen in einem oder mehreren Habitaten nicht gleich die gesamte Art bedrohen. In jüngster Zeit nimmt diese genetische Vielfalt innerhalb von Arten auf dramatische Weise ab. In diesem Zusammenhang ist auch die Nutztier- und Pflanzenproduktion in der modernen Landwirtschaft kritisch zu beurteilen. Indem bestimmte Zuchtziele angestrebt und gewisse Eigenschaften einer Art optimiert werden, geht die geneitsche Vielfalt

42Vgl. hierzu: S.P. P ark er (Hrsg.): Synopsis and Classification of Living Organisms. 2 Bde. New York, 1982.

43Vgl. hierzu: E.O. Wilson: a.a.O„ S.19.

innerhalb dieser Art zurück. Aufgrund der genetischen Konformität innerhhalb einer bestimmten Art wird diese besonders sensibel und auf einen speziellen Lebensraum sowie auf bestimmte klimatische Bedingungen angewiesen. Anpassungen an eine veränderte Umwelt sind dann nicht mehr, oder nur noch sehr bedingt möglich.

Vielfalt der Ökosysteme

Verschiedene Arten bilden zusammen mit der unbelebten Umwelt ein ökologisches System. In den Ökosystemen der Erde sind verschiedene Organismen nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten miteinander verbunden und voneinander abhängig. Ökosysteme werden oft auch als Habitate bezeichnet. Zentren der Artenvielfalt und somit wichtige Habitattypen sind die tropischen Regenwälder, die Savannen, Feuchtgebiete, Korallenriffe und Mongrovenwälder. Auch Inseln und inselartig abgeschlossene Lebensräume sind oft wichtige Habitattypen. Das Überleben vieler Arten ist von der Unversehrtheit dieser Habitate abhängig.

Da es nur Schätzungen über die tatsächliche Artenvielfalt der Erde gibt, sind auch genaue Angaben über die heutige Dimension des Artenschwundes nicht möglich. Es besteht allerdings kein Zweifel, daß der Verlust biologischer Vielfalt heute viel schneller voranschreitet denn je. Es gab schon immer ein natürliches Artensterben; in dem 3000 Millionen Jahre langen Evolutionsprozeß der Erdgeschichte haben sich weit mehr Arten entwickelt als heute existieren. Arten starben aus, weil sie von anderen, überleegenen Arten aus ihrem Lebensraum verdrängt wurden. Es gab auch Phasen beschleunigten Artenrückgangs gefolgt von Regenerationsphasen, die teilweise Millionen von Jahren dauerten. Charles Darvin stellt im Jahr 1859 seine Evolution vor, nach der natürliche Selektion den Prozeß der Evolution vorantreibt und das Aussterben bestimmter Arten zu gewissen Zeitpunkten unvermeidbar sei.44 Diese Theorie ist öfters zur Rechtfertigung des voranschreitenden Artenschwundes mißbraucht worden. Es gibt jedoch genügend Hinweise dafür, daß die heutige Dimension des Artensterbens nicht etwa als evolutions-alltägliche Konsequenz der Ausbreitung des Menschen zu verstehen ist, sondern durch seinen unüberlegten Umgang mit der Natur und den natürlichen Ressourcen beschleunigt wird. E.O. Wilson legte 1989 die Schätzung vor, daß jährlich etwa 4000 bis 6000 Arten aussterben. Gegenwärtig sterben damit weit mehr Arten aus, als neue entstehen, und ausgehend von den heute zur Verfügung

44Vgl. hierzu: Paul Ehrlich/ Anne Ehrlich: Extinction. The Causes ad Consequences of the Dissappearance of Species. London, 1982, S.7.

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stehenden Zahlen wird sich diese Entwicklung in den kommenden Jahrzehnten noch beschleunigen. Der Begriff ‘Biozid’ mag daher nur allzu berechtigt sein.

’’All estimates o f presentday extinction rates show them to be vastly higher than the rates at which the natural process that creates biodiversity could compensate for the losses. The extinction outputs far exeed the speciation inputs and the Earth is becoming biotically impoverished because o f it.” 45

Als primäre Ursache fur das gegenwärtige Artensterben wird häufig das gezielte Ausrotten bestimmter Arten durch den Menschen gesehen. Es gibt genügend Beispiele für diese Entwicklung: die Spitzmaul-Naßhömer aus Afrika werden aufgrund des rituellen Wertes ihrer Hörner getötet. Elefanten sind wegen des großen wirtschaftlichen Wertes von Elfenbein bedroht, Tiger und andere Wildkatzen geraten in Gefahr, weil ihre Felle begehrt sind, und der Rückgang der Wale beruht u.a. darauf, daß ihr Fleisch mancherorts als Delikatesse gilt. Von der Öffentlichkeit wird eher das Schicksal einzelner verfolgter Arten wahrgenommen als der weltweite Verlust biologischer Vielfalt.46 Die Betroffenheit über die direkte Gefährdung bestimmter Tiere oder Pflanzen ist zwar verständlich und auch politisch wichtig; das direkte Nachstellen (durch unkontrollierte Jagd, Fischfang und illegalen Handel) war in der Vergangenheit und ist immer noch für die Ausrottung vieler Arten verantwortlich.

Jedoch verliert diese Ursache angesichts der weiträumigen Habitat-Vernichtungen tendenziell an Bedeutung - auch sind es weniger die erwähnten medienwirksamen Arten, von denen die Sicherung der biologischen Vielfalt abhängt, sondern die eher unauffälligen Tiere, Pflanzen und Pilze.

Die Ursachen des weltweiten Artensterbens sind vielfältig und komplex. Der durch die Veränderung und Zerstörung natürlicher Lebensräume (Habitate) verursachte ‘Biozid’

ist nach Auffassung vieler Experten zu einer emstzunehmenden Gefahr für das ökologische Gleichgewicht und das Lebensnetz auf der Erde geworden.

Habitatveränderungen und -Zerstörungen entstehen direkt durch Urbanisierung und

45Dies.: The Value of Biodiversity. In: AMBIO. Vol.21, Nr.3, Mai 1992, S.225.

46F rank Biermann sieht als mögliche Erklärung für Unterschiede in der Regime-Entstehung und -Stärke den verschieden ausgeprägten öffentlichen Druck: ’’Dieses unterschiedliche Maß an Betroffenheit, das nicht in einem direkt proportionalen Zusammenhang zu den ‘realen’, d.h. naturwissenschaftlich-technischen Prioritäten des Umweltschutzes zu steheen scheint, könnte aus der besonderen Natur des jeweiligen Umweltproblems zu erklären sein. Notwendig wird so eine versuchsweise Typologisierung von Umweltproblemen, die den Grad der Betroffenheit (...) erklären könnte.” Frank Biermann: a.a.O., S.229.

Bewirtschaftung der Landschaft, durch Industrialisierung und Infrastrukturentwicklung und indirekt durch die Übernutzung natürlicher Ressourcen und die Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden durch verschiedene Abfallstoffe. Auch der globale Klimawandel und die Zerstörung der stratosphärischen Ozonschicht beeinträchtigt indirekt die Habitate vieler Arten.

Aus den obigen Ausführungen wird deutlich, daß die Artenvielfalt von großer ökologischer Bedeutung ist. Über die Frage, wieviele Arten für die Funktionsfähigkeit von Ökosystemen notwendig sind, herrscht indes keine Einigkeit unter den Experten.

Es gibt allerdings genügend Beispiele dafür, daß die Stabilität bzw.

Selbstregulationsfahigkeit eines Ökosystems entscheidend von der ihm eigenen Artenvielfalt abhängt;47 Artenarmut impliziert hingegen eine Tendenz zur Labiität. Der ökologische Nutzen biologischer Vielfalt darf also keineswegs außer acht gelassen werden. Im folgenden geht es jedoch zunächst um die Frage, welchen potentiellen oder tatsächlichen Wert die Biodiversität für die Menschen hat.

3.1.2 Zum W ert der biologischen Vielfalt für den Menschen

Ökologen und Ökonomen sehen sich gleichermaßen dem Problem gegenüber, wie der Wert der biologischen Vielfalt zu bemessen sei. Grundsätzlich ist die biologische Vielfalt eine Ressource, bzw. ein ökonomisches Gut, weil sie einerseits von wirtschaftlichem Nutzen für die Menschheit ist, andererseits knapp ist bzw.

zunehmend knapper wird. Jedoch ist die biologische Vielfalt keine Ressource im herkömmlichen Sinne wie z.B. Erdöl. Neben ihrer Eigenschaft als prinzipiell emeuerbare Ressource - Erdölquellen versiegen mit der Nutzung, während ein intaktes Ökosystem auch in Zukunft ‘funktioniert’ - ist die biologische Vielfalt eine besondere Quelle menschlicher Bedürfnisbefriedigung. Es lassen sich vor allem vier gewichtige Argumente für den Wert biologischer Vielfalt unterscheiden; die ersten beiden Argumente beziehen sich auf den direkten bzw. den indirekten ökonomischen Nutzen.48

47Zur ökologischen Bedeutung der Artenvielfalt vgl. z.B. Norman Myers: Tropische Wälder und ihre Arten:

Dem Ende entgegen? In: E.O. Wilson: a.a.O., S.54-68.

48Zum direkten und indirekten ökonomischen Nutzen vgl. W. Michael Hanemann: Die Wirtschaftswissenschaften und die Erhaltung der biologischen Vielfalt. In: E.O. Wilson: A.a.O., S.215-222.

Außerdem: Richard B. Norgaard: Der Aufschwung des Welthandels und der Verlust bioogischer Vielfalt. In:

E.O. Wilson: a.a.O„ S.229-234.

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Direkter ökonomischer Nutzen

Die biologische Vielfalt der Erde ist von direkter ökonomischer bzw. unmittelbar konsumtiver Bedeutung, indem sie dem Menschen lebensnotwendige Rohstoffe bietet:

von pflanzlicher und tierischer Nahrung bis zu Holzvorräten und anderen natürlichen Materiahen. Von den existierenden Pflanzenarten hat der Mensch bisher einige Tausend genutzt, einige hundert kultiviert, von knapp einem Dutzend ernähren sich 4 Milharden Menschen und die meisten Nutztiere.49 Neben domestizierten Tierrassen stehen in vielen Regionen der Welt auch Wild und in Küstenregionen vor allem Fisch und andere Meerestiere eine wichtige Nahrungsgrundlage dar.

Die direkte ökonomische Bedeutung der biologischen Vielfalt hegt außerdem in ihrem produktiven Nutzen für die Pharma- und Agrarforschung und die auf ihr aufbauende Industrie. Die Vielfalt an Arten und Genen auf der Erde bietet sozusagen ein

‘natürliches Pharmalabor’. Dies hat inzwischen auch die Pharmaindustrie erkannt und schenkt den natürlichen Ressourcen bei der Entwicklung neuer Medikamente wieder größere Aufmerksamkeit.

Exkurs: Drei Beispiele zur Bioprospektierung