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Archiv "Fortpflanzungsmedizin: Vom Zeugen und Absterbenlassen" (24.10.2008)

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 43⏐⏐24. Oktober 2008 A2261

T H E M E N D E R Z E I T

E

ndlich anfangen: zunächst mit nur einem Aspekt unter den vielen Punkten, die in einem Fort- pflanzungsmedizingesetz geregelt werden müssten. Den Anfang soll die ausdrückliche gesetzliche Zulassung des Einzelembryonentransfers (elek- tiver Single-Embryo-Transfer, kurz eSET) machen: die Auswahl eines Embryos mit dem höchsten Entwick- lungspotenzial aus mehreren im Rea- genzglas gezeugten Embryonen und dessen Implantation in die Gebär- mutter. Eine Regelung zugunsten des eSET fordern ärztliche Gutachter in einer Expertise, die die Fried- rich-Ebert-Stiftung (FES) in Auftrag gegeben hatte (1, 2). Der eSET würde die Rate der Mehrlings- schwangerschaften deut- lich vermindern – bei gleichzeitig kaum verrin- gerter Schwangerschafts- wahrscheinlichkeit.

„Eine Mehrlingsschwangerschaft bedeutet ein erhebliches Gesund- heitsrisiko für Mutter und Kind“, be- tonte Priv.-Doz. Dr. med. Georg Griesinger (Lübeck) bei Vorstellung des Gutachtens in Berlin. Schon bei einer Zwillingsschwangerschaft stei- ge das Risiko für eine Frühgeburt vor der 37. Schwangerschaftswoche um das Zehnfache im Vergleich zum Einling; frühkindliche Zerebralpa- resen träten drei- bis zehnmal so häufig auf. Die Rate der Lebend- geburten je Embryotransfer (im Mittel werden 2,1 Embryonen pro Transfer übertragen) liegt bei 18,3 Prozent, wobei jedes fünfte gebore- ne Kind ein Zwilling ist. Zu 1,1 Pro- zent kommen Drillinge auf die Welt.

Das Deutsche IVF-Register weist 222 selektive Fetozide für 2004 aus, entsprechend einer Inzidenz von 2,6 Prozent. Die Zahl könnte auch höher sein, es gibt Unsicherheiten in

der Dokumentation. „Das Ziel einer Kinderwunschbehandlung ist die Ein- lingsschwangerschaft mit der Geburt eines gesunden Kindes“, sagte der Gynäkologe und Reproduktionsme- diziner Prof. Dr. med. Klaus Died- rich (Lübeck). Dazu sei es wichtig, den eSET als gut validierte und in Ländern wie Schweden, Finnland oder Belgien bereits als Standardver-

fahren angebotene Methode auch in Deutschland zu etablieren.

Die Frage, ob der eSET nach gel- tendem deutschen Recht erlaubt ist oder nicht, wird kontrovers disku- tiert. Einige Juristen, darunter Prof.

Dr. jur. Jochen Taupitz (Mannheim) als Koautor eines im August 2008 erschienenen Kommentars zum Em- bryonenschutzgesetz (ESchG), sind der Auffassung, die Befruchtung von mehr als drei Eizellen und deren nachfolgende Auswahl mit dem Ziel eines reduzierten Transfers von ei- nem oder zwei Embryonen sei mit dem ESchG kompatibel (3, 4). An- dere widersprechen, auch Ulrike Riedel (Berlin), die am Gutachten

der FES mitgewirkt hat. Die Ausle- gung, das Gesetz schreibe keine star- re Quote für die Befruchtung von Eizellen vor, weil erfahrungsgemäß nicht jede Befruchtung die Entste- hung von entwicklungsfähigen und zum Transfer geeigneten Embryonen zur Folge habe, widerspreche dem Wortlaut und dem Wortsinn des ESchG, meint Riedel. Es stelle den- jenigen unter Strafe, der „es unter- nimmt, innerhalb eines Zyklus mehr als drei Embryonen auf eine Frau zu übertragen“ (§ 1 Abs. 1 Nr. 3), und denjenigen, der es unternimmt, „mehr Eizellen einer Frau zu befruchten, als ihr innerhalb eines Zyklus übertragen werden sollen“ (§ 1 Abs. 1 Nr. 5).

Der erste Satz bezwecke, das Risi- ko für die Geburt von Mehrlingen zu begrenzen bei akzeptabler Erfolgs- aussicht für eine Schwangerschaft, der letzte Satz diene dem Embryo- nenschutz. Eine Befruchtung auf Vor- rat im Rahmen der Unfruchtbarkeits- behandlung sei gesetzeswidrig, meint Riedel. Dennoch werde sie offenbar in Deutschland zum Teil praktiziert.

In der (Muster-)Richtlinie der Bundesärztekammer (BÄK) zur Durchführung der assistierten Re- produktion heißt es, der eSET sei zurzeit in der Bundesrepublik „nicht statthaft“, die Zulässigkeit rechtlich umstritten (5). Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass Verfahren, die in anderen Ländern zu einer Verbesserung der Kinderwunschbe- handlung geführt hätten, in Deutsch- land übernommen werden könnten.

Nach den Worten von Diedrich könnte dieser Rahmen geschaffen werden, wenn im ESchG der Satz § 1 Abs. 1 Nr. 5 die folgende Fassung er- hielte: „der es unternimmt, innerhalb eines Zyklus mehr Eizellen einer Frau zu befruchten, als zum Zweck einer erfolgreichen Behandlung unter FORTPFLANZUNGSMEDIZIN

Vom Zeugen und Absterbenlassen

Reproduktionsmediziner fordern die Auswahl einzelner Embryonen mit hohem

Entwicklungspotenzial, um Mehrlingsschwangerschaften zu verhindern. Dabei würden Hunderte überzähliger Embryonen entstehen. Was soll mit ihnen geschehen?

Mithilfe der gesetzlichen Zulassung des elektiven Single- Embryo-Transfers soll die Rate der Mehrlingsschwan- gerschaften redu- ziert werden.

Foto:Nikas/SPL/Agentur Focus

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A2262 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 43⏐⏐24. Oktober 2008

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Vermeidung von Mehrlingsschwan- gerschaften nach dem Stand der Wissenschaft erforderlich ist.“

Eine solche Änderung ginge auf Kosten des Embryonenschutzes.

Denn bei Anwendung des eSET wür- den deutlich mehr überzählige Em- bryonen anfallen als bisher. Derzeit gibt es 15 bis 30 langfristig überzäh- lige Embryonen, also solche, die seit mehr als drei Jahren nach Abschluss der Kinderwunschbehandlung kryo- konserviert sind. Denn bislang ist es nur in Einzelfällen erlaubt, Embryo- nen zu kryokonservieren. Würde der eSET erlaubt, könnte die Zahl über- zähliger Embryonen in drei- bis vierstellige Höhe gehen. „Das Ab- sterbenlassen überzähliger Embryo- nen ist meiner Meinung nach derzeit nicht gesetzeswidrig, da diese unbe- absichtigt anfallen und das Abster- benlassen keine fremdnützige Ver- wendung darstellt“, sagt Riedel.

Würden aber regelmäßig in großem Umfang überzählige Embryonen ent- stehen, werfe dies ethische und ver- fassungsrechtliche Fragen auf, die ge- klärt sein müssten, am besten durch ein Fortpflanzungsmedizingesetz.

Das wünschen sich auch die Re- produktionsmediziner. Der Gesetz- geber solle allerdings schrittwei- se vorgehen und – flankierend zu der vorgeschlagenen Änderung des ESchG – erst einmal die Probleme um eSET und eDET (elektiver Double- Embryo-Transfer) berücksichtigen:

die Beratung der Kinderwunschpaare festschreiben, eine aufsichtsführende Behörde vorsehen sowie die Doku- mentationspflicht der Behandlungs- zentren in einem zentralen Register, ebenso eine Langzeitbeobachtung der nach eSET geborenen Kinder und den Umgang mit überzähligen Embryonen von unterschiedlichem Entwicklungspotenzial regeln.

Eine solche juristische „Insel- lösung“ ist nach Ansicht der SPD- Bundestagsabgeordneten Dr. Marlies Volkmer (Mitglied des Ausschusses für Gesundheit) zwar wünschenswert, aber kaum realisierbar, da auch sie den Grundkonsens des ESchG infrage stellen kann. Auch müsse vermutlich neu diskutiert werden, ob die Adop- tion von Embryonen nach Einwilli- gung der biologischen Eltern erlaubt sein sollte. Zwar verbietet das ESchG

nicht die Adoption als letzte Möglich- keit, überzählige Embryonen zu er- halten. Der Europaparlamentsabge- ordnete Dr. med. Peter Liese (CDU) meint dazu: „Die Entstehung über- zähliger Embryonen sollte unbedingt vermieden werden, insofern bin ich strikt gegen die Möglichkeit der Embryonenselektion. Wenn aber nach geltendem Recht ausnahmsweise überzählige Embryonen entstehen, kann man sie zur Adoption freigeben – kein Königsweg, aber ethisch eher vertretbar, als Embryonen absterben zu lassen.“ Riedel schlägt für die Gesetzgebung vor, dass überzählige kryokonservierte Embryonen dem Absterben zugeführt und nicht für Unfruchtbarkeitsbehandlungen ver- wendet werden. Es müssten aber

„Voraussetzungen, Bedingungen und Grenzen der Aufbewahrung von Keimzellen, Vorkernen und Em- bryonen“ geregelt werden (1).

Persönlichkeitsrechte kollidieren

Dringenden Handlungsbedarf sieht Riedel bei einer weiteren Methode der assistierten Befruchtung: der donogenen Insemination (DI), bei der das Sperma von einem fremden Mann stammt. Seit 1970 seien circa 100 000 Kinder nach DI geboren worden, berichtet Prof. Dr. med.

Thomas Katzorke (Essen), Vorsit- zender des Arbeitskreises für dono- gene Insemination (6), derzeit seien es circa 1 000 pro Jahr.

Die Persönlichkeitsrechte des Mannes können mit denen des Kin- des kollidieren, wenn es wissen möchte, wer sein biologischer Vater ist. Seit den 90er-Jahren würden zwar die persönlichen Daten des Spenders 30 Jahre lang aufbewahrt, sagte Kat- zorke gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt, sie würden aber nur offen- bart, wenn der Spender nach Anfrage einverstanden sei, wenn das Kind ein besonderes Interesse habe (zum Bei- spiel an einer erblichen Krankheit lei- de) oder ein Gericht dies erzwinge.

Der Grund: „Viele Männer haben Jahre nach der Spende eigene Famili- en gegründet und möchten gegenüber ihren Lebenspartnerinnen oder den mit ihnen gezeugten Kindern die Ex- klusivität der Vaterschaft aufrech- terhalten“, so Katzorke. Eine Aufhe-

bung der Anonymität führe zunächst unweigerlich zu einem Mangel an Spendern (6). Auf der anderen Seite wird das Recht auf Kenntnis der Her- kunft als Persönlichkeitsrecht aus den Grundrechten abgeleitet und ist vom Bundesverfassungsgericht seit 1989 mehrfach bestätigt worden. Wie ein mit DI gezeugtes Kind seine An- sprüche wem gegenüber durchsetzen kann, ist bislang nicht geregelt (5).

Aber das Berufsrecht reiche ohnehin nicht aus, wenn es um ein Grundrecht gehe, meint Riedel. Der Gesetzgeber müsse regeln, dass die Daten an eine zentrale Dokumentationsstelle vom Arzt oder der IVF-Einrichtung über- mittelt würden und wie der Zugang zu den Daten erfolgen solle. Und schließlich müssten Straf- oder Buß- geldvorschriften erlassen werden für den Fall, dass eine Meldung oder Do- kumentation fehlerhaft oder gar nicht erfolgte. Auch die Inhalte von Doku- mentation und Aufklärung habe der Gesetzgeber festzulegen.

In vielen europäischen Ländern ist dies längst geschehen. So legt das Schweizer Fortpflanzungsgesetz ge- nau fest, welche Daten vom Spender zu dokumentieren sind. Sie müssen dem Eidgenössischen Amt für das Zivilstandswesen gemeldet und dort 80 Jahre lang aufbewahrt werden.

Das Kind erhält auch dann Auskunft, wenn es gegen den Willen des Spen- ders auf seinem Recht auf Kenntnis der Abstammung besteht (7).

Nicht mehr zeitgemäß ist nach Auffassung des Arbeitskreises für DI, die assistierte Befruchtung auf he- terosexuelle Paare mit fester Partner- schaft oder Ehe zu beschränken, wie die Bundesärztekammer ihre (Mus- ter-)Richtlinie verstanden wissen will (8). Kinder, die bei gleichgeschlecht- lichen Paaren oder Alleinstehenden aufwüchsen, könnten sich normal entwickeln. Riedel hält es ohnehin für schwierig, dass Ärzte Partnerschaften beurteilen müssen. Ihre Forderung:

„Die ungelösten Fragen zur Samen- spende könnte und müsste der Ge- setzgeber ganz schnell regeln, auch unabhängig von anderen Bereichen der Fortpflanzungsmedizin.“ I Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze

Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit4308

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 43⏐⏐24. Oktober 2008 A1

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LITERATUR

1. Diedrich K, Felberbaum R, Griesinger G, Hepp H, Kreß H, Riedel U: Reproduktions- medizin im internationalen Vergleich. Wis- senschaftlicher Sachstand, medizinische Versorgung und gesetzlicher Regelungsbe- darf. Gutachten im Auftrag der Friedrich- Ebert-Stiftung, 2008; www.fes.de.

2. Klinkhammer G: Gesetzliche Regelung ge- fordert. Dtsch Arztebl 2008; 105(36):

A 1818.

3. Günther HL, Taupitz J, Kaiser P: Embryonen- schutzgesetz, Kommentar, Verlag Kohlham- mer, 2008.

4. Frommel M: Embryonenselektion – Ethi- sche, verfassungsrechtliche und strafrecht- liche Problematik, Reproduktionsmedizin 2002; 18; 158–83.

5. (Muster-)Richtlinie zur Durchführung der as- sistierten Reproduktion, Novelle 2006:

Dtsch Arztebl 2006, 103(20): A 1392–403.

6. Thomas Katzorke: Donogene Insemination;

Gynäkologe, 2007, 10: 807–10.

7. Bundesgesetz der Schweiz über die medizi- nisch unterstützte Fortpflanzung vom 18.

Dezember 1998, geändert 2003.

8. Stellungnahme des Arbeitskreises für Dono- gene Insemination e.V. zu den (Muster-) Richtlinien zur Durchführung der assistier- ten Reproduktion der Bundesärztekammer vom 17. 2. 2007.

LITERATURVERZEICHNIS HEFT 43/2008, ZU:

FORTPFLANZUNGSMEDIZIN

Vom Zeugen und Absterbenlassen

Reproduktionsmediziner fordern die Auswahl einzelner Embryonen mit hohem

Entwicklungspotenzial, um Mehrlingsschwangerschaften zu verhindern. Dabei würden

Hunderte überzähliger Embryonen entstehen. Was soll mit ihnen geschehen?

Referenzen

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