SPEK TRUM LESERBRIEFE
Hirntod
Zu dem „Seite eins"-Beitrag „Trans- plantationsgesetz: Hirntod entschei- det" in Heft 28-29/1995:
Frage nach Wahrem und Gutem
. Die Genialität der Gleichsetzungsformel Hirn- tod gleich Tod der Harvard- Kommission von 1968 be- stand darin, auf eine Begrün- dung zu verzichten. Deshalb konnte sie auch über eine so lange Zeit tragen. Erst als man versuchte, diese Gleich- setzung zu begründen und auch noch naturwissenschaft- lich zu begründen, war es zwangsläufig, daß alle gefun- denen naturwissenschaftli- chen Gründe auch angreifbar waren. Denn nun war die Gleichsetzungsformel keine normative Setzung mehr.
Kommt hinzu, daß die unmit- telbar Beteiligten, vor allem also die Angehörigen und die Pflegenden, einen „hirnto- ten" Menschen beim besten Willen nicht als tot, wohl aber als sterbend erleben und er- fahren können. Es geht also dabei sowohl um Erkenntnis als auch um Ethik, also um die Frage nach dem Wahren und dem Guten. Ein Gesetz, das seinen Zweck erfüllen soll, muß beide Fragen berücksichtigen.
Prof. Dr. Dr. Klaus Dörner, Westfälische Klinik für Psychiatrie, Hermann-Simon- Straße 7, 33334 Gütersloh
Vertrauen der
Patienten untergraben
. . . Wenn Klaus Dörner in der Anhörung in Bonn die Erkenntnis über den Hirntod auf die Erfahrensebene an- hebt, dann macht er es sich allzu leicht, denn wie soll der Laie „erfahren" und begrei- fen, was Hirntod bedeutet, wenn das Herz schlägt, der Körper des Leichnams sich warm und durchblutet an- fühlt. Die Ärztekammer for- dert zu Recht zwei in der In- tensivmedizin erfahrene Ärz- te, die unabhängig den Hirn-
tod feststellen. Wenn Dörner hier den Hirntod „flugs" zum Tod umdefiniert sieht, unter- gräbt er das Vertrauen der Patienten in die hier handeln- den Ärzte. Als Psychiater handelt er jedoch täglich ge- gen den Willen seiner Patien- ten, denn in keiner medizini- schen Disziplin ist man mit mehr krankheitsuneinsichti- gen Patienten konfrontiert als in der Psychiatrie. Wenn der Psychiater Dörner für sein Handeln Vertrauen ein- fordert, darf er es anderen Ärzten nicht ausschlagen.
Die Frage, ist der Hirntod der Tod des Menschen, stellt sich überwiegend auch ohne die Frage einer eventuellen Organentnahme. Tot ist ein Lebewesen, das seinen letz- ten Atemzug getan hat, ein Mensch, der seinen Odem ausgehaucht hat. Wenn es nun durch moderne Intensiv- medizin möglich geworden ist, einem Toten mit einer Maschine die Luft in die Lun- gen zu blasen und somit die Sauerstoffsättigung des Blu- tes aufrechtzuerhalten, so funktionieren dadurch ein- zelne Organe weiter, der Or- ganismus als Ganzes ist als funktionierende Einheit un- widerruflich zerstört, er ist tot . .
Ich weiß nicht, wie viele Pflegende Prof. Dörner ge- sprochen hat, die Menschen bis zur Feststellung des Hirn- todes gepflegt haben, er hat in seiner Klinik keine Inten- sivstation. Die Kranken- schwestern und Krankenpfle- ger, die ich auf der Intensiv- station kenne, sind erleich- tert, wenn durch eine klare ärztliche Entscheidung die künstliche Beatmung been- det wird, denn es ist eine der schwersten Aufgaben im pflegerischen Beruf, tiefko- matöse Patienten täglich zu waschen und sie oft mehrmals täglich von ihrem Stuhlgang zu reinigen.
Wir brauchen das Kon- zept des Hirntodes nicht nur wegen der Regelung der Or- gantransplantation. In der überwiegenden Zahl der Fäl- le geht es gar nicht um die Or- ganentnahme, sei es weil der
Tote zu alt ist oder weil nach jetzigem Recht die Angehöri- gen nicht zustimmen. Auch ohne eine anschließende Or- ganentnahme muß doch ein Zeitpunkt definiert werden, an dem es möglich ist, die künstliche mechanische Be- atmung einzustellen.
Ich wünsche in Würde zu sterben, das heißt, ich hoffe im Fall meines Hirntodes nicht unnütz maschinell beat- met zu werden und den mich Pflegenden zu einer unnöti- gen Last zu werden.
Dr. med. W. H. von Arnim, Städtische Krankenanstal- ten, 55743 Idar-Oberstein
Verschleierungstaktik
. . . Warum sollte es bei uns, im Gegensatz zu der Mehrzahl unserer europäi- schen Nachbarn, nicht mög- lich sein, allen ErwachsenenArzneimittel
Zur Einführung des Medikaments Tacrin auf dem deutschen Arzneimit- telmarkt:
Ethisch nicht vertretbar
Mit großem Werbeauf- wand wird derzeit das Medi- kament Tacrin (Cognex) auf dem deutschen Markt einge- führt. Da es sich angeblich um das erste Medikament mit ei- nem nachweisbaren positiven Effekt bei der Behandlung der Demenz vom Alzheimer- typ handelt, sind die Erwar- tungen in der Bevölkerung entsprechend hoch.
Mir ist unverständlich, daß ein Medikament in Deutschland zugelassen wor- den ist, obwohl es genügend Hinweise darauf gibt, daß es keinen therapeutischen Ef- fekt zeigt. Prof. Dr. Joachim Bauer zitiert in seinem Buch
„Die Alzheimerkrankheit", Schattauer Verlag, 1994, auf Seite 78: „Eine jüngst er- schienene weitere Studie, welche über neun Monate durchgeführt wurde, berich- tet ebenfalls von erheblichen
eine selbstbestimmte Er- klärungspflicht für den Fall ihres Todes abzuverlangen, die sie im Fall der Ableh- nung der Organtransplanta- tion zentral registrieren las- sen? Liegt es etwa daran, daß dafür eine breitangeleg- te Aufklärungskampagne notwendig wäre und der Bundesfinanzminister die dafür notwendigen Finanz- mittel gerade erst gestrichen hat?
Die Bundesärztekammer sollte sich im Interesse der potentiellen Organspender, wie auch der potentiellen Organempfänger, zu schade sein, eine Verschleierungs- taktik, wie sie geplant ist, auch noch zu unterstützen.
Gerda-Maria Haas, stellver- tretende Fraktionsvorsitzen- de der SPD-Landtagsfrakti- on, Karl-Bröger-Straße 22, 90459 Nürnberg
Nebenwirkungen und fand keinen positiven therapeuti- schen Effekt (Maltby et al.
1994). Diese Studie kommt zu dem Ergebnis ,Tacrine is not clinically useful for pa- tients with Alzheimer's dis- ease`. Insgesamt zeigen alle neueren Studien, daß der kli- nische Einsatz von Tacrin aufgrund seiner erheblichen Nebenwirkungen mit erheb- lichen Problemen belastet ist.
Die bei Tacrin vorgeschrie- bene regelmäßige und eng- maschige Kontrolle der Le- berenzyme bringt bei der Therapie von Alzheimer-Pa- tienten, die in der Regel durch Dritte transportiert und begleitet werden müs- sen, zusätzliche praktische Probleme mit sich. Ungeach- tet der Zulassung in den USA wurde die Zulassung von Tacrin (Cognex) in Großbritannien kürzlich ver- weigert." (Ende des Zitats)
Unter Berücksichtigung dieser Untersuchungen ist es meiner Meinung nach ethisch nicht vertretbar, ein solches Medikament zur Behandlung zuzulassen.
Dr. med. Eberhardt Girndt, Herzog-Wilhelm-Straße 61, 38667 Bad Harzburg A-2216 (6) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 34/35, 28. August 1995