Prof. Dr. H. J. Pesch
Lehrstuhl f¨ur Ingenieurmathematik Universit¨at Bayreuth
Optimale Steuerung partieller Differentialgleichungen Optimal Control of Partial Differential Equations
(Teil 2: WS 2008/09)
12. ¨Ubung Vorbemerkung:
Ziel dieses ¨Ubungsblattes ist die Ein¨ubung klassischer analytischer L¨osungsme- thoden f¨ur gewisse parabolische Anfangs-Randwertprobleme. Die Methode von Fourier mit dem Separationsansatz f¨uhrt uns dabei auf Greensche Funktionen.
Zun¨achst soll jedoch auf den Begriff der Kompatibilit¨at zwischen Differen- tialoperator und Randbedingung eingegangen werden. Die formale Lagrange- Technik f¨uhrt n¨amlich nur dann zu den richtigen Resultaten, wenn Differen- tialoperator und Randbedingungen kompatibel sind.
1) Kompatibilit¨at von Differentialoperator und Randbedingungen und die formale Lagrange-Technik.
Wir betrachten die beiden folgenden linear-quadratischen parabolischen Op- timalsteuerungsprobleme ¨uber dem Raum-Zeit-Zylinder Q := Ω×(0, T) mit Rand Σ, wo Ω ⊂ RN ein beschr¨anktes Lipschitzgebiet mit Rand Γ ist, also Σ = Γ×(0, T):
minJ(y, u) := 1 2
Z
Ω
(y(x, T)−yΩ(x))2 dx+λ 2
T
Z
0
Z
Γ
u(x, t)2ds(x) dt unter den beiden alternativen Nebenbedingungen
yt−ε∆y = 0 inQ , yt−∆y = 0 inQ , (I) ε ∂νy+α y=β u in Σ, (II) ε ∂νy+α y =β u in Σ,
y(x,0) =y0(x) in Ω, y(x,0) =y0(x) in Ω sowie
ua(x, t)≤u(x, t)≤ub(x, t) fast ¨uberall in Σ.
a) Man zeige: ε ∂νy ist Konormalenableitung zum Differentialoperator
−ε∆y, aber nicht zum Differentialoperator −∆y, d. h. (I) ist kompati- bel, aber (II) nicht. Wie muss man die Randbedingung in (II) umformen, um Kompatibilit¨at sicherzustellen?
Hinweis:In ¨Ubung 5, Aufgabe 1 hatten wir den Begriff der Konormalen- ableitung f¨ur den allgemeinen elliptischen Differentialoperator A, defi- niert durch
Ay(x) =−
N
X
i,j=1
Di aij(x)Djy(x)
mit symmetrischen Koeffizientenfunktionen aij ∈ L∞(Ω), d. h. aij(x) = aji(x) in Ω, kennengelernt. Wir lassen in dieser Definition jetzty=y(x, t) zu. Die partellen Ableitungen Di = ∂x∂i sollen sich aber weiterhin nur auf die Ortsvariablen beziehen: (D1, D2,. . ., DN) =: gradx =: grad =:
∇⊤x =:∇⊤. Mit ∂νA hatten wir die Ableitung (bzgl. x) in Richtung der Konormalen νA, komponentenweise definiert durch
(νA)i(x) :=
N
X
j=1
aij(x)νj(x),
bezeichnet. Es gilt also: ∂νAy(x,·) = grady(x,·)·νA. Hierbei bezeichnet ν(x) = (ν1(x),. . ., νN(x)) den nach außen gerichteten Normaleneinheits- vektor zum Raumgebiet Ω im Punkte x ∈ Γ. Fassen wir die Koeffizien- ten aij zu einer MatrixA zusammen, so giltνA =A ν.
b) Mithilfe der formalen Lagrange-Technik stelle man die notwendigen Be- dingungen f¨ur die kompatiblen Versionen (I) und (II) auf. Wo tr¨ate ein Fehler auf, wenn man (II) nicht auf die kompatible Version umschriebe?
Joseph-Louis Lagrange: ∗ 1736 in Turin, † 1813 in Paris 2
2) L¨osung von parabolischen Anfangs-Randwertproblemen mit der Methode von Fourier.
Gegeben seien die folgenden ¨ortlich eindimensionalen parabolischen Anfangs- Randwertprobleme auf dem Orts-Zeitgebiet (0, l)×(0, T) mitl >0 undT >0:
a) Homogene Differentialgleichung mit homogenen Randbedingungen
yt−a2yxx = 0, (1a)
y(x,0) =y0(x), (1b)
y(0, t) =y(l, t) = 0. (1c)
b) Inhomogene Differentialgleichung mit homogenen Anfangs-Randbedin- gungen (verteilte Steuerung)
yt−a2yxx =v(x, t), (2a)
y(x,0) = 0, (2b)
y(0, t) = y(l, t) = 0. (2c)
c) Allgemeines Dirichletsches Anfangs-Randwertproblem (verteilte Steue- rung und Randsteuerungen)
yt−a2yxx =v(x, t), (3a)
y(x,0) =y0(x), (3b)
y(0, t) = uL(t), y(l, t) =uR(t). (3c)
Mithilfe der Methode von Fourier zeige man, dass die (eindeutige) L¨osung des Anfangs-Randwertproblems (1) lautet:
y(x, t) =
l
Z
0
G(x, ξ, t)y0(ξ) dξ
mit der Greenschen Funktion G(x, ξ, t) := 2
l
∞
X
n=1
exp
−a n π l
2 t
sinn π l x
sinn π l ξ
.
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Im Falle des Anfangs-Randwertproblems (2) lautet die (eindeutige) L¨osung
y(x, t) =
t
Z
0 l
Z
0
G(x, ξ, t−s)v(ξ, s) dξds
mit derselben Greenschen Funktion wie f¨ur Teilaufgabe a).
Im Falle des Anfangs-Randwertproblems (3) lautet die (eindeutige) L¨osung y(x, t) =y1(x, t) +y2(x, t) +uL(t) + x
l (uR(t)−uL(t)), wobei y1(x, t) L¨osung von (1) und y2(x, t) L¨osung von (2) ist.
Hinweise:
zu a): Man verwende den Separationsansatz σ(x)τ(t) und leite daraus f¨ur die Funktionσunter Verwendung der Randbedingungen ein Eigenwertproblem f¨ur eine gew¨ohnliche Differentialgleichung 2. Ordnung sowie f¨ur die Funktionτeine gew¨ohnliche, von den Eigenwerten abh¨angige Differentialgleichung 1. Ordnung her. Durch Superposition — alle Anfangs-Randwertprobleme sind linear — und Entwicklung von y0 in eine Fourier-Sinus-Reihe erf¨ulle man schließlich auch die Anfangsbedingungen.
zu b): Aufgrund des Ergebnisses in Teilaufgabe a) setze man zur L¨osung von Teilaufgabe b) f¨ur y eine Fourier-Sinus-Reihe bzgl. x an,
y(x, t) =
∞
X
n=1
yn(t) sinn π l x
,
und entwicklev(x, t) in eine analoge Fourier-Sinus-Reihe bzgl.x. Dies f¨uhrt auf gew¨ohnliche Differentialgleichungen erster Ordnung f¨ur die unbekannten Ko- effizientenfunktionen yn(t), die sich mithilfe der Anfangsbedingung eindeutig l¨osen lassen.
zu c): Dieser Fall l¨asst sich ¨uber einen Ansatz der Form y(x, t) =y1(x, t) +y2(x, t) +z(x, t)
auf die zuvor diskutierten Sonderf¨alle zur¨uckf¨uhren. Dabei w¨ahlt man f¨ur z zun¨achst eine Funktion, die den Randbedingungen gen¨ugt, und zeige dann, dass y(x, t) = ¯y(x, t) +z(x) einem Anfangs-Randwertproblem mit homogenen Randbedingungen gen¨ugt (Superpositionsprinzip!).
Zus¨atzlicher Literaturhinweis f¨ur dieses Semester:
Neittaanm¨aki, P., Tiba, P.: Optimal Control of Nonlinear Parabolic Systems, Pure and Applied Mathematics 179, New York: Marcel Dekker, 1994.
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