Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 29–30|
22. Juli 2013 A 1399A
lle Achtung, wenn das von langer Hand geplant war: Was die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) anbelangt, muss man der Bundesregierung attestieren, in dieser Legislaturperi- ode politisch äußerst geschickt agiert zu haben.Um die vermeintlich krisenbedingt extrem hohen Einnahmeausfälle in der gesetzlichen Krankenversi- cherung auszugleichen, flutete die Koalition gleich zu Beginn ihrer Amtszeit das System mit Geld. So erhöhte Schwarz-Gelb zunächst den Bundeszuschuss in den Gesundheitsfonds für das Jahr 2010 um 3,9 Milliarden Euro auf 15,7 Milliarden Euro, auch 2011 blieb die Bundesbeteiligung mit 15,3 Milliarden Euro auf die- sem Niveau. Anfang 2011 stieg dann der Beitragssatz in der GKV von 14,9 auf 15,5 Prozent, wo er trotz des konjunkturellen Aufschwungs und der damit einherge- henden GKV-Mehreinnahmen bis heute liegt. Daneben griffen in den Jahren 2011 und 2012 Kostendämpfungs- maßnahmen für die Vertragsärzte, die Krankenhäuser und die Pharmaunternehmen, „zur Sanierung der Kran- kenkassen“, wie es hieß.
Im Ergebnis häuften sich bis Ende 2012 sowohl beim Gesundheitsfonds als auch bei den Krankenkas- sen Rücklagen in nie gekanntem Ausmaß an. So belief sich die Liquiditätsreserve im Gesundheitsfonds zum Stichtag 31. Dezember 2012 auf 13,1 Milliarden Euro.
Die Kassen hatten zu diesem Zeitpunkt weitere 15,2 Milliarden Euro auf der hohen Kante liegen. Ange- sichts der hohen Überschüsse und des seit 2011 stabilen Beitragssatzes wuchs das Vertrauen der Bevölkerung in das GKV-System. Besser noch, rechtzeitig zum Start des Wahljahres 2013 verfügte die GKV über immense Finanzreserven, was der Bundesregierung seither Spielraum für populäre Aktionen gab: GKV-Versicher- te und Vertragsärzte freuen sich gleichermaßen über die Abschaffung der ungeliebten Praxisgebühr. Millionen GKV-Versicherte profitieren zudem von Prämienaus- zahlungen mehrerer Kassen, nachdem Gesundheitsmi- nister Daniel Bahr darauf gedrängt hatte. Die Kranken- häuser dürfen ab dem 1. August einen Versorgungszu- schlag in Höhe von einem Prozent je DRG-Fall auf ihre Rechnungen addieren. Auch dass Finanzminister Wolf-
gang Schäuble einen ausgeglichenen Bundeshaushalt anstrebt und deshalb den Bundeszuschuss von 14 Milli- arden Euro (2012) auf 11,5 Milliarden Euro gekürzt hat, dürfte beim Wähler gut ankommen.
Schon sind erste Spuren dieses Kurswechsels in den GKV-Zahlen ablesbar. So fiel der Gesamtüberschuss der Kassen im ersten Quartal 2013 um 660 Millionen Euro niedriger aus als im ersten Quartal 2012 (1,51 Milliarden Euro). Der Gesundheitsfonds verzeichnete im ersten Quartal 2013 ein Minus in Höhe von 1,77 Milliarden Euro. Das Defizit ist zwar saisonüblich, fällt wegen des gekürzten Bundeszuschusses aber höher aus als im ersten Quartal 2012 (1,05 Milliarden Euro).
Nach Angaben des GKV-Spitzenverbands werden die Kassen bereits im nächsten Jahr ihre Reserven be- nötigen. Neben der Streichung der Praxisgebühr, der Finanzspritze für die Kliniken und dem gekürzten Steu- erzuschuss werde auch das Auslaufen des Arzneimittel- sparpakets (Preismoratorium, erhöhter Herstellerab- schlag) für einen Ausgabenschub sorgen.
Spätestens 2014 wird die Politik also wieder gegen- steuern müssen: mit steigenden Beiträgen, höheren Steuerzuschüssen und/oder Kostendämpfungsmaßnah- men. Aus Sicht der Bundesregierung ist dieser Zeit- punkt freilich noch weit in der Zukunft. Am 22. Sep- tember wird erst einmal ein neuer Bundestag gewählt.
GKV-FINANZEN
Perfektes Timing
Jens Flintrop
Jens Flintrop Redakteur für Gesundheits- und Sozialpolitik