DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
W
enn es nach dem 94.Deutschen Ärztetag geht, hat die Multiple- Choice-Prüfung ihre Zukunft schon so gut wie hinter sich. Das ungeliebte Antwort-Wahl-Ver- fahren — seit seiner Einführung vor rund 20 Jahren immer wie- der im Kreuzfeuer der Kritik — findet kaum noch Befürworter.
Im Medizinstudium sollen statt dessen die mündlichen Prüfun- gen an Bedeutung gewinnen.
Der Sturm auf das schemati- sierte Prüfverfahren kam viel- eicht nicht überraschend, aber doch zu einem unerwartet frü- hen Zeitpunkt des Hamburger Ärztetages. Professor Dr. Gott- hard Schettler, Direktor der Me- dizinischen Universitätsklinik in Heidelberg, blies bereits bei der Eröffnungsveranstaltung zur At- tacke. In seiner Dankesrede auf die Verleihung der Paracelsus- Medaille stampfte er das Multi- ple-Choice-Verfahren mit weni- gen Sätzen in Grund und Boden.
Der Fragenkatalog werde immer grotesker; mit praktischer Medi- zin, dem eigentlichen Anliegen des Medizinstudiums, habe das nichts mehr zu tun. Schettlers Forderung fand starken Beifall:
Multiple-Choice-Prüfung
Gewogen und für zu leicht befunden
„Man habe endlich den Mut, mit diesem Unsinn aufzuhören und die Beckmesserei wildgeworde- ner Super-Spezialisten abzustel- len."
Zwei Tage später folgten konkrete Beschlüsse: „Der 94.
Deutsche Ärztetag fordert den Gesetzgeber auf, die Multiple- Choice-Prüfungen als prägen- den Bestandteil ärztlicher Staatsexamina abzuschaffen."
Das Antwort-Wahl-Verfahren habe die Ausbildung der Medi- zinstudenten in zunehmendem Maße nachteilig beeinflußt, es sei als Erfolgskontrolle für die wesentlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten einer patientenori- entierten Tätigkeit ungeeignet.
Allenfalls, so ein weiterer Beschluß, sei der Multiple- Choice-Test für die Zulassung zur mündlichen Prüfung nach dem zweiten Studienabschnitt geeignet. Dabei solle sich die Bedeutung des Ankreuz-Tests
lediglich auf den Nachweis des sogenannten abfragbaren Wis- sens beschränken. Und die neu- en Bundesländer sollten erst gar nicht mit diesem Verfahren kon- frontiert werden.
Der Ärztetag liegt mit die- ser Meinungsbildung offenbar auf der gleichen Linie wie die Sachverständigenkommission des Bundesgesundheitsministe- riums zur Neuordnung des Me- dizinstudiums. Dr. Jörg Hoppe, frischgekürter Vizepräsident der Bundesärztekammer, ließ dies zumindest in seinem Bericht zur ärztlichen Ausbildung durch- blicken: „Ich habe den Ein- druck, daß die Mehrheit der Mitglieder die Bedeutung der schriftlichen Antwort-Wahl-Prü- fungen weiter zurückdrängen möchte zugunsten mündlich- praktischer Prüfungen." (Nähe- res zu Hoppes Referat im näch- sten Heft.)
Fazit: Der „Kandidat" An- kreuz-Test scheint durchgefal- len. Für die Prüfung von Ver- ständnis und kritischer Anwen- dung medizinischen Wissens ist das Multiple-Choice-Verfahren gewogen — und für zu leicht be- funden. JM
D
ie 3070 Krankenhäuser in der alten Bundesrepublik müssen nicht weiter dar- ben: Die Krankenkassen sollen ihnen, so die Empfehlung der Deutschen Krankenhausgesell- schaft (DKG) und der Spitzen- verbände der Kassen (GKV), ei- nen Budget-Nachschlag für 1991 gewähren. Dadurch sollen die Ergebnisse der Lohn- und Ver- gütungstarifverhandlungen im öffentlichen Dienst abgefangen und in den Krankenhäusern um- gesetzt werden. Die Kranken- kassen, die sonst auch den Kran- kenhäusern rigoros die Dau- menschrauben anziehen wollen, sehen eine unzureichende Be- rücksichtigung der Personalko- sten insoweit, als der Tarifab- schluß 1991 unter anderem eine sechsprozentige lineare Erhö- hung der Vergütungen rückwir- kend zum 1. Januar 1991 sowieKrankenhäuser
Offerte für
Budget-Nachschlag
strukturelle Verbesserungen brachte. Dies schlägt mit mehr als sechs Prozent auf das Ko- stenbudget der Hospitäler durch. Dagegen sind in den be- reits zu Jahresbeginn vereinbar- ten Budgets lediglich nur plus 4,5 bis 5 Prozent einkalkuliert worden.
Zwei Lösungen werden of- feriert: Entweder vereinbaren die Kassenverbände auf Landes- ebene mit den Landeskranken- hausgesellschaften „möglichst schnell" eine Ausgleichsrege- lung zu den Tarifänderungen 1991 (als Empfehlung für die Vertragsparteien). Die Alterna-
tive sieht einen finanziellen Aus- gleich gemäß § 4 Abs. 2 Bundes- pflegesatzverordnung vor. Da- nach würde der nicht im Budget abgedeckte Teil der Personalko- sten bei der nächsten Budget- runde für 1992 ausgeglichen.
Moral dieses Deals: Die Krankenhäuser können also auf die strikte Einhaltung des (wenn auch modifizierten) Selbstko- stendeckungsprinzips bauen und bei außerordentlichen Tarifbe- wegungen von den Krankenkas- sen einen Nachschlag fordern.
Ganz andere Spielregeln gelten im Bereich der niedergelassenen Ärzte: Diese müssen mit einer gedeckelten Gesamtvergütung, unveränderten Gebührenord- nungen und „Stillhalteabkom- men" auskommen, auch wenn die Praxiskosten davonlaufen und Tarifverträge einen Schlag ins Kontor verursachen! HC
Dt. Ärztebl. 88, Heft 20, 16. Mai 1991 (1) A-1725