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Archiv "Krankenhäuser: Krankenkassen befürchten enormen Kostenschub" (04.07.2003)

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echs Monate nach Beginn der Test- phase mit dem diagnosebezoge- nen Fallpauschalensystem (Diagno- sis Related Groups; DRGs) hat inzwi- schen für viele „Optionskrankenhäu- ser“ bereits die Routine mit der Abrech- nung und der Gruppierung begonnen.

Dass das neue System ein „lernendes System“ ist, das laufend überprüft, eva- luiert und nachgebessert werden muss, hat das erste 1. Änderungsgesetz zum Fallpauschalengesetz erwiesen, das der Bundestag am 22. Mai in zweiter und dritter Lesung beschloss. Danach wur- den die Möglichkeiten für die Selbstver- waltung erweitert, über Öffnungsklau- seln die DRG-Abrechnung flexibel und mit Augenmaß anzuwenden, um so den unterschiedlichen Situationen der Kran- kenhäuser besser Rechnung zu tragen.

Infolge der um ein Vierteljahr verlän- gerten Nachmeldefrist (31. Dezember 2002) aller derjenigen Krankenhäuser, die in die Erprobungsphase des Fallpau- schalensystems einsteigen wollen, sind jetzt bereits 60 Prozent der rund 2 200 Akutkrankenhäuser bereit, in das Ver- gütungssystem in der kostenneutralen Phase im Lauf des Jahres mitzumachen.

Nach dem Motto „Zuckerbrot und Peitsche“ hat jetzt das Änderungsgesetz den Einstieg dadurch finanziell begün- stigt und klargestellt, dass alle Kranken- häuser, die bereits im Jahr 2003 mit dem Fallpauschalensystem abrechnen, ganzjährig (also auch rückwirkend) von der sonst geltenden „Nullrunde“ ausge- nommen sind, und die DRG-Erlösaus- gleiche gelten.

Allerdings hapert es noch bei den Budgetabschlüssen. In vielen Regionen haben die Budgetverhandlungen „vor Ort“ noch nicht begonnen, geschweige denn sind konkrete Vereinbarungen ge- troffen worden. Das Bundesministeri-

um für Gesundheit und Soziale Siche- rung, unterstützt durch den Bundesver- band Deutscher Privatkrankenanstal- ten e.V., hat die Vertragspartner aufge- fordert, rasch Budgetverhandlungen ab- zuschließen und unter verlässlichen Be- dingungen auch die Öffnungsklauseln auszuschöpfen. Nur so könne das Vergü- tungssystem gründlich eingeübt werden.

Bessere Rahmenbedingungen

Auf den ersten Blick haben sich durch das Änderungsgesetz denn auch die rechtlichen Rahmenbedingungen für Optionskrankenhäuser verbessert: Bis- her nur schwer abbildbare Leistungen können noch bis zum Jahr 2006 über krankenhausindividuelle Vergütungsver- einbarungen bezahlt werden. Auch kön- nen individuelle Zusatzentgelte verein- bart werden. Abteilungen und Kranken- häuser, deren Leistungen in den neuen Entgelten noch nicht sachgerecht ver- gütet werden, können vorübergehend von der DRG-Abrechnung ausgenom- men werden.Außerdem haben die Kran- kenhäuser einen gesetzlich abgesicher- ten Anspruch auf zusätzliche Finanzmit- tel aus dem Programm zur Optimierung der Arbeitszeitbedingungen. Die ur- sprünglich von der Bundesregierung ge- plante kostenneutrale Gegenfinanzie- rung der Sondermittel durch entspre- chende Einsparungen in Höhe von 100 Millionen Euro, die jeweils für die Jahre 2003 und 2004 für zusätzliche ärztliche Planstellen (das Ministerium spricht von 10 000 Stellen) bereitgestellt werden können, entfällt nunmehr. Mithin gelten im Jahr 2004 unverändert die gleichen Voraussetzungen wie bereits im Jahr 2003 – zumindest, was die Budgetzusatz- finanzierung für Zusatzstellen betrifft

(in Form eines Budgetaufschlags in Höhe von 1,2 Prozent). Außerdem wur- de per Gesetz die grundlegende Umstel- lung der Ausbildungsfinanzierung vom Jahr 2004 auf das Jahr 2005 verschoben.

Dem Petitum des Privatkrankenanstal- ten-Bundesverbandes, die Öffnungs- klauseln strikt zu befristen und die Aus- nahmeregelungen zu begrenzen, ist bis- her nicht Rechnung getragen worden.

Das Bundesministerium für Gesund- heit und Soziale Sicherung sieht die Umstellung des Abrechnungs- und Fi- nanzierungssystems auf die DRG-bezo- genen Pauschalentgelte „auf einem gu- ten Weg“.Allerdings räumte der Staats- sekretär des Ministeriums, Dr. Klaus Theo Schröder (SPD), ein, dass es noch einige Anlauf- und Umstellungsschwie- rigkeiten gebe. Vor allem müssten sich die innere Organisation und die Ko- stenstrukturen der Krankenhäuser än- dern sowie die „Übergabepunkte“, an denen Patienten ins Krankenhaus kom- men oder es wieder verlassen, neu fi- xiert werden. Unverändert strebt das Ministerium an, das neue Entgeltsy- stem stufenweise bis zum Jahr 2007 in den Routinelauf überzuleiten und dann unter geänderten ordnungspolitischen Rahmenbedingungen bei Aufgabe des Kontrahierungszwangs für die Kran- kenkassen in die Selbstständigkeit zu entlassen. Erst danach könne man abse- hen, ob die Umstellung und der Para- digmenwandel gelungen seien. Freilich seien Traditionen und retardierende Elemente zu überwinden. Immer noch sei der Beharrungszustand in der Kran- kenhauspraxis groß. Die Krankenkas- sen beurteilen den Umstellungseffekt zum Teil unterschiedlich.

Die Ersatzkassenverbände befürchte- ten anlässlich des 2. Nationalen DRG- Forums, veranstaltet durch die Fachzeit- schrift „f & w führen und wirtschaften im Krankenhaus“ und der Firma B. Braun Melsungen AG, Ende Mai in Berlin, dass der Verwaltungsaufwand der Kran- kenkassen in der bisherigen Pilotphase enorm gestiegen sei. Die Kassen müssten sowohl mit den 1 280 Optionskranken- häusern verhandeln und abrechnen als auch mit den übrigen 800 Häusern, die nach konventionellen Pflegesatzbedin- gungen verhandeln und nach dem drei- geteilten Mischsystem abrechnen. Für den stellvertretenden Vorstandsvorsit- P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 274. Juli 2003 AA1843

Krankenhäuser

Krankenkassen befürchten enormen Kostenschub

Erste Erfahrungen mit dem diagnosebezogenen

Fallpauschalensystem

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zenden des Verbandes der Angestellten- Krankenkassen e.V., Dr. Werner Gerdel- mann, Siegburg, macht es keinen Sinn, wenn sich Krankenhäuser in das Experi- ment einer vorzeitigen Umstellung auf DRG-Entgelte nur deswegen begeben, um von der sonst geltenden „Nullrunde“

ausgenommen zu werden. Vielmehr sei- en eine gründliche Vorbereitung, Schu- lung und eine „kongeniale“ EDV-Infra- struktur notwendig, um die Abrech- nungsprobleme bewältigen zu können.

Nicht zuletzt müssten sich Betriebs- führung und „ausführende Organe“

mental auch auf das neue System einstel- len. Für die Krankenkassen resultiert aus dem Gesetz die Verpflichtung, sämtliche Optionskrankenhäuser finanziell nach den Buchstaben des Gesetzes zu „bedie- nen“. Die Kassen seien auch dann ver- pflichtet, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, wenn Ungereimtheiten des neu- en Systems auftauchen und nicht umge- hend beseitigt werden.

Erhebliches finanzielles Risiko

Nach Einschätzung der Ersatzkassen wäre es ausreichend gewesen, weitaus weniger ausgewählte Krankenhäuser in die Optionsregelung einzubeziehen, um die für den Routinelauf notwendigen Erfahrungen zu sammeln. Jetzt aber entwickele das System eine Eigendyna- mik und könne leicht zu einem zusätzli- chen Kostentreibsatz für die Kranken- kassen führen. Ein finanzielles Risiko der Krankenkassen könne sich dadurch ergeben, weil der Fallpauschalen-Kata- log mit seinen Bewertungsrelationen zumeist außerhalb der Kostenrealität liege und in vieler Hinsicht revisionsbe- dürftig sei. Dies war auch von Anfang an die Befürchtung der Ärzteschaft, insbesondere der Bundesärztekammer.

Auch die Datenlage sei noch völlig un- zureichend. Die Selbstverwaltung sei in der Hektik der kurzen Umstellungsfri- sten zum Teil überfordert gewesen. Ein Manko ist auch die Tatsache, dass die Universitätskliniken als Krankenhäu- ser der Maximalversorgung völlig außerhalb der Kostenermittlung und der Testphase blieben. Sie seien auch wegen einer noch unzureichenden Ko- stenrechnung aus der Ermittlung der Kostenstruktur der Testkrankenhäuser

vorzeitig ausgestiegen. Die gelieferten Datensätze waren oftmals nicht ver- wertbar.

Infolge dieser Gemengelage könne sich eine Ungleichbehandlung von Opti- ons- und so genannten Altkrankenhäu- sern ergeben, weil das Klinikgesamtbud- get in Höhe von rund 55 Milliarden Euro (2003) aufgemischt und in Richtung der Optionskrankenhäuser verschoben wer- de. Dies könne für einzelne Kranken- kassen finanziell dramatisch ausgehen, befürchtet der Krankenhausexperte.

Wegen anderer Probleme und Unwäg- barkeiten im Zusammenhang mit den Konsequenzen des Ankündigungsef- fekts des Gesundheitsreformgesetzes könnten manche Krankenkassen durch die Systemeinführung in unkontrollier- bare Ausgabenschübe geraten.

Aus alledem könne sich die Gefahr verstärken, dass der Bund (das Bundes- ministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung) sein Recht zur Ersatzvornah- me ausschöpfen wird. Die Rechte der Selbstverwaltung blieben abermals auf der Strecke,und der Trend zur staatlichen Lenkung könne dadurch verstärkt wer- den – eine Befürchtung, die von der Bun- desärztekammer geteilt wird.

Bisher sind erst 350 Fallwertverein- barungen genehmigt worden. Um die Budgets versorgungs- und kostenadä- quat zu bemessen und die Verhandlun- gen vorzubereiten, benötigen die Kran- kenkassen weitere umfangreiche Da- ten. All dies lässt aber den Wunsch der Politik und der Selbstverwaltung, die Transparenz in der Krankenhauswirt- schaft zu verbessern, in weite Ferne rücken. Die ermittelte Base-Rate, die anzeigt, wie viel ein Fall im Durch- schnitt kostet, ist nach Einschätzung der Ersatzkassen mit 2 500 Euro in ei- nem „erstaunlich engen Korridor“ aller Krankenhäuser unerwartet gleichmä- ßig ermittelt worden.

Wie zu befürchten, würden im Rück- griff auf die Steuerungswirkungen des Fallpauschalenentgeltgesetzes neue Stra- tegien erprobt. Nach Erkenntnis der Ersatzkassen betreiben Optionskran- kenhäuser ein kostentreibendes „Fall- splitting“: Schwere Fälle seien weiterhin unterdotiert und leichte Fälle dagegen überfinanziert. Außerdem rügen die Er- satzkassen, dass die Krankenkassen ih- re Forderungen und Rechnungen nur

lücken- und mangelhaft ausstellten. Dies erschwere dann die Abrechnungs- und Verwaltungspraxis der Kassen.

Eine „radikale“ Änderung der staat- lichen Bedarfsplanung im stationären Sektor prognostiziert Dr. Rolf Hoberg, der stellvertretende Vorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Bonn. Im Be- reich der Geriatrie werde die Abgren- zung zwischen Akut- und Rehabilitati- onsversorgung infolge der Ausgestal- tung des DRG-Systems bundeseinheit- liche Strukturen nach sich ziehen. Im Pauschalentgeltsystem auf Festpreisba- sis sehen die Ortskrankenkassen eine Chance zu einer wettbewerblichen Neuordnung des Krankenhausmarkts und vor allem zum Abbau der dort vor- handenen Überkapazitäten. Allerdings sähen die Ortskrankenkassen statt ei- ner Fest- lieber eine Höchstpreisrege- lung. Sie prognostizieren: Die Kranken- hausplanung läuft schon kurzfristig ins Leere, weil die duale Finanzierung im- mer mehr auf Monistik zusteuert.

Länder zahlen immer weniger

Der staatliche Finanzierungsanteil an den Investitionskosten hat sich denn auch seit Einführung des Krankenhaus- finanzierungsgesetzes (1972) von da- mals von nahezu einem Viertel der Krankenhauskosten auf eine Restgröße in der Größenordnung von fünf Pro- zent verringert. Dieser Anteil dürfte sich unter Beibehaltung einer betten- orientierten Pauschalförderung weiter reduzieren. Ziel des AOK-Bundesver- bands ist es, die Krankenhausfinanzie- rung über noch zu ändernde gesetzliche Rahmenbedingungen spätestens ab 2007 auf Monistik und eine Vertragsge- staltung „vor Ort“ umzustellen. Ab der ordnungspolitischen Neugestaltung der Klinikfinanzierung und -planung müss- ten kassenspezifische Verhandlungen an die Stelle der gemeinsamen und ein- heitlichen Vorgaben und Verhandlun- gen treten. Die staatliche Planung müs- se infolge dessen durch ein System von Mindestvorgaben für die freien vertrag- lichen Abschlüsse von Krankenkassen ersetzt werden. Nur dann könnten die Krankenhauskapazitäten versorgungs- gerecht sichergestellt und Überkapa- zitäten abgebaut. Dr. rer. pol. Harald Clade P O L I T I K

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A1844 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 274. Juli 2003

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