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Archiv "Gesundheitsstrukturreform: Krankenhäuser befürchten „Chaos“" (08.12.1995)

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(1)

POLITIK

noch relativ einfach klarzumachen, daß sich hier die Jodprophylaxe in der ehemaligen DDR segensreich ausgewirkt hat, so verlangt die Analy- se der höheren Verordnungskosten im Bereich moderner Antihypertoni- ka schon tiefergehende Kenntnisse über das damalige Gesundheitswesen in der DDR.

Hilfreich für das Verständnis ist die Kenntnis der Tatsache, daß in den alten Bundesländern seit Jahren be- klagt wird, daß immer noch viel zu wenig Hochdruckkranke tatsächlich als solche erkannt sind und einer Be- handlung zugeführt werden können.

Bei der Analyse der Verordnung von Antihypertonika in den neuen Bun- desländern fällt dagegen auf, daß die Abweichungen gegenüber dem „Ver- ordnungsverhalten" in den alten Bundesländern besonders stark sind bei der Gruppe der 25- bis 64jährigen, also der Patienten im erwerbsfähigen Alter (Abbildung 3).

Offensichtlich wurden aufgrund der betrieblichen Reihenuntersu- chungen in der DDR deutlich mehr Hochdruckkranke entdeckt als in den alten Bundesländern. Der höhere

„Pro-Kopf-Verbrauch" von Hoch- druck-Arzneimitteln in den neuen Bundesländern hat wahrscheinlich weniger mit einem angeblichen unwirtschaftlichen Verordnungsver- halten der Ärzte als vielmehr mit der Tatsache zu tun, daß der vermehrte Anteil erkannter Hochdruckkranker einer sinnvollen medikamentösen Therapie gegen die tödliche Bedro- hung eines unbehandelten Hoch- drucks zugeführt wird.

Diese Beispiele zeigen, daß bei der Analyse eines unterschiedlichen Verordnungsverhaltens in den alten und den neuen Bundesländern größ- te Vorsicht im Umgang mit Scheinlö- sungen und vordergründigen Plausi- bilitäten geboten ist. Sowohl die Le- bensverhältnisse als auch die Ge- sundheitssysteme in der alten Bundesrepublik und der ehemaligen DDR waren zu verschieden, als daß bereits fünf Jahre nach der Vereini- gung die Analyse des Versorgungs- bedarfs ohne besondere Berücksich- tigung historisch gewachsener Ver- hältnisse erfolgen dürfte.

Dr. med. Wolf-Rüdiger Rudat, Dr. med. Dietrich Thierfelder

AKTUELL

Gesundheitsstrukturreform

A

n die Krankenhäuser richtete Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer den Vorwurf, sie seien nicht in der Lage ge- wesen, die von ihnen selbst mitgetra- genen Empfehlungen der Konzertier- ten Aktion umzusetzen. Noch im Sep- tember wurde beschlossen, daß die Ausgaben im Krankenhaus 1996 nicht stärker steigen sollen als die Löhne und Gehälter der Versicherten. Im Ge- genzug wurde zugesagt, daß die gesetzlichen Ausnahmeregelungen (Budgetierung) beendet werden und die Finanzierung der Erhaltungsinve- stitionen geregelt wird. Dagegen hät- ten viele Krankenhäuser den Beschluß total ignoriert und Forderungen ge- stellt, die zu massiven Beitragssatzer- höhungen in der GKV führen würden.

Seehofer prangerte sechs Klini- ken aus der Region Herne an, die Pflegesatz- und Budgetforderungen gestellt hätten, die zu Mehrausgaben von 23 Prozent geführt hätten. Zehn Kliniken aus der Region Bochum hät- ten fast gleich hohe Forderungen ge- meldet, die bei den Kassen Mehraus- gaben von durchschnittlich 22,5 Pro- zent nach sich ziehen würden. • Die Ausgaben dürften nicht weiter dop- pelt so schnell wachsen wie die bei- tragspflichtigen Entgelte (Grund- lohnsumme). Und: Jeder Prozent- punkt, um den die Krankenhausaus- gaben zusätzlich über die Grundlohn- summe steigen, koste die Kranken- kassen im Jahr rund 750 Millionen

DM. Zur Ausgabenstabilisierung im Jahr 1996 dürften die Budgets in Westdeutschland nur um rund zwei Prozent und in Ostdeutschland um durchschnittlich 4,5 Prozent steigen.

Die für die stationären Leistun- gen aufzubringenden Mittel müßten deshalb wirksam in den Gesamtfinan- zierungsrahmen der gesetzlichen Krankenversicherung eingebunden werden. Diesem Ziel diene die „So- fortbremsung" im Krankenhaussektor

— unbeschadet der Absicht, schnell- stens auch die anderen Sektoren

„dranzunehmen". Um „eine Explosi- on der Beitragssätze in der Kranken- versicherung" durch drastische Aus- gabensteigerungen im Krankenhaus- bereich zu verhindern, lägen, so See- hofers Hinweis an die SPD, fast identi- sche Vorschläge von Koalition und Opposition für die Notbremsung vor.

Allerdings empört den SPD-So- zialpolitiker Rudolf Dreßler, MdB aus Wuppertal, die Art des Gesetzge- bungsverfahrens: Es sei ein durchsich- tiges Manöver, die Krankenhausge- setzgebung, an der die Länder mitzu- wirken hätten, vorzuziehen, um sich danach ohne politische Einwirkungs- möglichkeiten der SPD um so unge- nierter mit „sozialen Grobheiten" an den Versicherten und Patienten aus- toben zu können, beschwerte sich Dreßler im Bundestag. Die SPD-re- gierten Länder hätten sich darauf ver- ständigt, über Teillösungen im Bun- desrat nicht zu beraten. Entweder

Krankenhäuser

befürchten "Chaos"

Bereits bei der ersten Lesung der beiden Gesetzesvorhaben der Bundesregierung zur Stabi- lisierung der Krankenhausausgaben 1996 und zur Neuordnung der Krankenhausfinanzie- rung 1997 (am 24. November) und tags zuvor bei der Anhörung zu den Regierungsentwür- fen handelte sich Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer massive Kritik seitens der Krankenhausträger-Organisationen, der Klinikärztegewerkschaft Marburger Bund, der Ver- waltungsleiter der Krankenhäuser, des Verbandes der privaten Krankenversicherung und vor allem der SPD ein. Immerhin werden die Hauptakteure des Krankenhauswesens massiv von den Seehofer-Spardirektiven betroffen. Die SPD habe kein tragfähiges Strukturkonzept, warf der Bundesgesundheitsminister der SPD-Opposition vor. Diese betreibe Blockadepolitik.

A-3448 (20) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 49, 8. Dezember 1995

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POLITIK

müsse der Gesamtkomplex der Ge- sundheitsstrukturreform parteien- übergreifend behandelt werden, oder es liefe gar nichts.

Um der SPD die Gegenstrategie zu durchkreuzen und ihren „Konsoli- dierungsentwurf" als eine „Scheinlö- sung" hinzustellen, legte Seehofer nach:

—Im Arznei- und Heilmittelbe- reich gelte die Budgetierung ohnedies fort. Hier bedürfe es keiner neuen ge- setzlichen Regelung.

—Im Bereich der Fahrkosten und Kuren hätten die Budgets letztlich nicht gewirkt. Daran werde auch eine von der SPD geforderte Fortschrei- bung nichts ändern.

—Die Vereinbarungen über die Gesamtvergütung bei Ärzten und Zahnärzten bewegten sich ohnedies seit Jahren im Rahmen der Grund- lohnsummenentwicklung. Auch für 1996 ist dies durch die Beschlüsse der Konzertierten Aktion sichergestellt.

Dies seien Verträge „mit Vernunft und Augenmaß". Hier seien keine ge- setzlichen Eingriffe und auch keine Fortschreibung der Budgets notwen- dig; Ärzte und Zahnärzte hätten — im Gegensatz zu den Krankenhäusern — für 1996 „ihre Hausaufgaben ge- macht", meinte Seehofer.

DKG: Totalverriß Die Deutsche Krankenhausge- sellschaft reagierte indes mit einem

„Totalverriß" der Bonner Gesetzes- initiativen. Das hektische interventio- nistische Einschreiten des Gesetzge- bers sei eine Bankrotterklärung der bisher verfochtenen Krankenhauspo- litik — ein Tiefpunkt der damit bewirk- ten Gesetzgebungskultur. Die DKG malt ein heraufziehendes „betriebs- wirtschaftliches Chaos" für viele Krankenhäuser und die Einbahn- straße in den Ruin an die Wand. Dem hielt Seehofer entgegen: „Die Welt- untergangsszenarien von angeblich nicht mehr zu versorgenden Patienten im Krankenhaus haben sich in den letzten drei Jahren nicht bewahrhei- tet. Sie werden sich auch künftig als heiße Luft erweisen."

Die Krankenhausgesellschaft kritisiert vor allem, daß das komplexe Regelwerk mit „heißer Nadel" genäht

AKTUELL

worden sei: Viele Gesetzeskonstruk- tionen, Zielsetzung und Auswirkun- gen auf Bundes- und Länderebene seien nicht gründlich durchdacht; vie- le Paragraphen paßten nicht zueinan- der. Insbesondere kritisiert die DKG, daß die Deckelungsbestimmungen für 1996 keine Alternativen für den Fall aufzeigten, daß die Länder dem von der Bundesregierung als Vor- schaltgesetz konzipierten Gesetzes- paket nicht zustimmen. Namentlich der Geschäftsführer des Bundesver- bandes Deutscher Privatkrankenan- stalten e.V. (BDPK), Wolfram L.

Boschke, Bonn, moniert: „Die Klini- ken verfügen über kein einziges In- strument zur Mengensteuerung." Set- ze sich die Regierungskoalition mit ihren Absichten durch, werde die Bundespflegesatzverordnung ein- schließlich der neuen mehr leistungs- bezogenen Entgeltsysteme (Sonder- entgelte/Fallpauschalen) bereits zum Start ad absurdum geführt. Es sei dann am Ende unbürokratischer, die ganzen Klinikausgaben über Gesamt- vergütungen zu steuern.

Nach Ansicht der Krankenhaus- träger müßten die Gesetzes-Versatz- stücke zumindest in einen inneren Zusammenhang gebracht werden, zu- mal sie auch strukturelle Änderungen vorsehen. Die Reform erfordere ein

„föderal abgestimmtes Konzept", so die DKG. Vor allem beklagen die Krankenhausträger, daß sie jetzt zu Beginn der Budget- und Pflegesatz- runde für 1996 nicht kalkulieren könnten, weil viele Normvorgaben und Grundlagen für die bereits ange- laufenen Pflegesatzrunden fehlten.

Dies gelte insbesondere für geplante oder vertraglich abgesicherte Inbe- triebnahmen geriatrischer und herz- chirurgischer oder transplantations- chirurgischer Abteilungen. Die vor- gesehene Schließung der „Löcher im Budgetdeckel" erschwere die Finan- zierungssituation der Kliniken zusätz- lich. Dies gelte insbesondere in den neuen Ländern, wo in einer Über- gangsfrist von zehn Jahren ein stufen- weiser Anpassungsprozeß im Gang sei. Die verschärften Budgetierungs- bestimmungen für 1996 und der ab 1997 geplante erneute „System- schwenk" lasse eine „kollektivistische Globalsteuerung der Krankenhäu- ser" befürchten.

Der Marburger Bund sieht in der neu definierten Praxisklinik (ohne Be- darfsplanung; maximal vier Betten;

maximal vier Tage Verweildauer) ei- nen vom Gesetzgeber begünstigten Konkurrenten zum stationären Sek- tor. Auch bestehe die Gefahr, paralle- le Strukturen und apparative Überka- pazitäten aufzubauen. Die Privatkran- kenanstalten befürchten Nachteile für die Gliederung und die Trägervielfalt im Krankenhausbereich. Die geplante Rechtsumwandlung der DKG und der 16 Landeskrankenhausgesellschaften in Verbände mit faktischer Zwangs- mitgliedschaft sei nicht geeignet, ei- nen Wettbewerb im stationären Sek- tor zu fördern und die Position der freigemeinnützigen und privaten Kli- nikträger zu stärken. Stärkere Durch- griffsrechte der Krankenhausverbän- de würden die Klinikträgerautonomie unterminieren und es erschweren, das Vertragsrecht zu liberalisieren. Die Privaten lehnen die geplante Gesamt- budgetierung und regional auszuhan- delnde Gesamtvergütungen ab. Ihrer Meinung nach sollte die Verantwor- tung für die Ausgabenentwicklung in der Krankenversicherung von den Krankenkassen selbstverantwortlich wahrgenommen werden. Diese müß- ten allerdings Instrumente erhalten, um im Einzelfall mit den Leistungser- bringern eine Stabilisierung der Ge- samtausgaben sicherzustellen. Eine nachträgliche lineare Kürzung von er- brachten Leistungen (wegen Über- schreitung der Gesamtvergütung) wird als Eingriff in die Autonomie von privaten Krankenhausbetrieben abge- lehnt. Defizite seien programmiert, und es sei zu befürchten, daß durch die Subventionierung kommunaler Kli- nikträger der Wettbewerb im Klinik- bereich verzerrt wird.

Die Privatklinikträger unterstüt- zen ebenso wie die Ärzteschaft (Bun- desärztekammer, KBV) die politisch geforderte Umstellung auf monisti- sche Klinikfinanzierung und die Wei- terentwicklung der Vergütungsstruk- turen hin zu mehr Fallpauschalen und Sonderentgelten. Hier würde bei der Finanzierung Parität zum Bereich der niedergelassenen Ärzte geschaffen werden, eine Forderung, die insbe- sondere vom Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion seit langem erhoben wird. Dr. Harald Clade Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 49, 8. Dezember 1995 (21) A-3449

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